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Zeit für den Mittagsschlaf, Tante Jane

Als ich, nachdem ich den Scheck auf Derek Lees Konto eingezahlt hatte, zu Hause ankam, fand ich einen Zettel von Molly vor, mit der Nachricht, dass sie und die Kinder drüben bei Katie zum Wäschewaschen waren. Sie und die kleine Hexe Bliss besuchten sich oft gegenseitig, der Beginn einer Freundschaft, die, so hoffte ich, Bliss helfen würde, ihre Kräfte zu akzeptieren. Nicht viele Mütter würden ihre Tochter in die Nähe eines Bordells lassen, aber Molly war eben nicht wie die meisten Mütter. Offen, tolerant und ohne Vorurteile, so war Molly. Angie durfte sogar mit einem weiblichen Skinwalker befreundet sein.

Da ich mich allein wusste, stopfte ich die Schachtel mit den Knochen und Zähnen des Säbelzahntigers unter einen Stein im Garten. Es war dumm, aber ich wollte sie nicht im Haus haben. Sie waren mir einfach unheimlich. Verwenden konnte ich sie nicht, das genetische Material war das eines Männchens, in ein männliches Tier konnte ich mich nicht wandeln. Aber was stellte man mit einem Geschenk des Meisters der Stadt an? Ich konnte es schlecht einfach in den Müll werfen.

Das Kleid, das auf der Vampparty so übel in Mitleidenschaft gezogen worden war, hing klatschnass im Badezimmer. Ich hatte angenommen, es sei nicht mehr zu retten, aber Molly hatte das ganze Blut herausbekommen. Hier und da mussten vielleicht Nadel und Faden zum Einsatz kommen, aber dafür, dass es einmal ein blutgetränkter Lumpen gewesen war, sah es toll aus.

Auf dem Bett entdeckte ich einen Karton und seufzte. Noch mehr Überraschungen? Ich durchtrennte das Packband mit einem Messer. Niemand war zu Hause, der meinen Jubelschrei hätte hören können.

Nachdem meine Lieblingslederjacke dem Leberfresser, der sich als Immanuel ausgegeben hatte, zum Opfer gefallen war, hatte ich mir eine neue bestellt. Nun war sie endlich da, eine Maßanfertigung eines Lederladens in der Stadt, bei deren Design ich von der Auswahl des Leders an hatte mitreden dürfen. Ich zog eine butterweiche, mit Protektoren versehene, wattierte Motorradlederjacke und eine locker sitzende Lederhose, ebenfalls mit Protektoren, die ich zur Sicherheit auch noch in Auftrag gegeben hatte, aus der Schachtel die perfekten Klamotten, um gegen Vamps zu kämpfen und Mischa zu fahren. Und sie hatten etwas, an das ich nie gedacht hätte, bevor ich hierher in den tiefen Süden kam: Taschen aus Netzstoff mit Reißverschluss, damit Luft hereinkam. Zu Fuß würde man nicht viel davon merken, aber während der Fahrt sorgten sie für angenehme Kühlung.

Da ich nicht wollte, dass Schweiß auf die neuen Ledersachen kam, duschte ich erst was ich hier sehr viel öfter tat als in den kühlen Bergen und schlüpfte in mein einziges Paar langer, seidener Unterwäsche. Entlang der Seitennähte der Jacke waren Ösen, durch die Lederbänder gezogen waren, damit ich sie im Winter, mit mehreren Schichten Kleidung darunter, weiter und im Sommer enger tragen konnte.

Über den Schultern, am Rücken, an den Unterarmen, Beinen und Unterschenkeln waren Reißverschlusstaschen angebracht, in die man steife, passgenaue Schutzpads einschieben konnte kein ballistischer Schutz, sondern mit Netzstoff aus Silber umhüllte Protektoren aus Hartschaum. An die Knie- und Ellbogengelenke kamen, falls nötig, flexiblere Protektoren. Außen an den Oberschenkeln waren Laschen für die Vampkiller angenäht, und die Ärmel der Jacke waren am Handgelenk weit genug, damit auch eine Unterarmscheide darunter Platz hatte. Die Pflöcke und Kreuze kamen in kleine Taschen mit Klettverschluss, und eine mit Kunststoff gefütterte war für das Fläschchen Weihwasser bestimmt. Die Riemen mit Druckknöpfen auf dem Rücken sorgten dafür, dass das Futteral meiner Flinte nicht verrutschte. Und überall an den Ärmeln, dem hohen Kragen, den Armbeugen und an der Leistengegend der Hose waren winzige Ringe eingenäht. Aus Silber. Um jeden Vamp, dem es gelang, mich zu beißen, zu vergiften. Ich war begeistert.

Als ich alles übergezogen, festgezurrt und eingesteckt hatte und die Waffen dort waren, wo sie sein sollten, steckte ich die Füße in meine neuen, noch nie getragenen, schwarz-roten Lucchese-Stiefel, öffnete meine Haare und schüttelte die Zöpfe aus, dass sie leise klickten. Dann trug ich meinen blutroten Lieblingslippenstift auf, holte tief Luft, um mich zu wappnen und drehte mich zu dem großen Schrankspiegel um. Die breitschultrige Walküre, die mir daraus entgegenblickte, kannte ich nicht. »Heilige Scheiße«, flüsterte ich. Ich sah fantastisch aus. Ballkleider waren etwas für Mädchen. Das hier das war für eine Kriegerin gemacht. Für eine Vampirjägerin. »Verdammte heilige Scheiße.«

Ich bewunderte mich immer noch, als Molly durch die Seitentür kam, einen großen Korb mit gefalteter Wäsche im Arm, Little Evan in einem Tragesack auf dem Rücken. Angie ging ihnen voran. Als sie mich sahen, blieben die beiden wie angewurzelt stehen. Mollys Kinnlade klappte herunter. Ihre Lippen formten ein Wort, in dem ich etwas sehr viel Derberes als »Heilige Scheiße« zu erkennen glaubte.

Kreischend stürzte Angie sich auf mich, und ich fing sie auf und hob sie hoch. »Tante Jane. Du siehst schön aus.«

»Gefährlich«, sagte Molly. »Cool. Und hinreißend auf eine gefährliche, coole Vampirkiller-Art.«

Ich konnte ein stolzes Lächeln nicht unterdrücken. »Ich sehe echt gut aus, was?«

Molly stellte den Korb auf dem Tisch ab, und ich ließ Angie auf den Boden hinunter, um Molly zu helfen, den Tragesack abzunehmen.

»Ich will mich auch verkleiden. Ms Bliss und Ms Christie haben mir ein paar Sachen geschenkt. Mama, zeig sie Tante Jane.«

»Christie hat ihr etwas von sich gegeben? Das hast du erlaubt?« Christie bevorzugte privat wie beruflich Stachelhalsbänder, Peitschen, Ketten und Piercings.

»Nur ein bisschen Strassschmuck. Ganz braves Zeug.«

Angie nahm den Modeschmuck, den ihre Mutter ihr gab, und hängte sich eine funkelnde Strasskette um den Hals. Molly zog ihr ein altes pfirsichfarbenes Nachthemd über den Kopf, das einem Erwachsenen bis zum Oberschenkel gereicht hätte, Angie aber bis auf die Knöchel hinunterfiel und mit einem violetten T-Shirt darunter richtig kostbar aussah. Bei ihrem Anblick wurde ich ganz rührselig, und die Kehle wurde mir eng. Ich machte ein paar Fotos von der herausgeputzten Angie, und anschließend schoss Molly noch welche von uns beiden, um sie an Big Evan in Brasilien zu mailen. Die besten Aufnahmen druckte ich aus und hängte sie an den Kühlschrank. Dort sahen sie richtig hübsch aus.

Ich verspürte ein seltsames Gefühl, das ich nicht benennen konnte, das aber der Heiterkeit von heute Morgen ähnelte, nur intensiver war. Sehr viel intensiver.

Als die Fotos für Evan abgeschickt waren, halfen mir alle zusammen aus den Lederklamotten und den Stiefeln. Was schwieriger war, als hineinzukommen. Angie behielt ihr schickes Kleid an, aber ich entschied mich für Shorts und ein T-Shirt, denn unter dem Leder war mir heiß geworden. Trotz der Klimaanlage war es im Haus schwül-warm. Wir aßen spät zu Mittag Brote mit Erdnussbutter und Gelee und Eistee. Wir kauten, Angie schmierte sich Gelee ins Gesicht, und Little Evan spuckte grünen Brei und lachte, und der Kloß, der sich bei Angies Anblick in ihrer Verkleidung in meinem Hals gebildet hatte, wurde größer. Es war so heimelig.

Anschließend rollte sich Angie in ihrem pfirsichfarbenen Seidenkleid mit ihrer Cherokee-Puppe auf meinem Bett zusammen, die blauen Augen schon ganz schläfrig, klopfte auf die Matratze und sagte: »Zeit für den Mittagsschlaf, Tante Jane.«

»Molly?« Meine Stimme klang belegt. »Sie möchte, dass ich mich zu ihr lege.«

Molly versuchte, ihr Lächeln zu verbergen, doch es gelang ihr nicht ganz. »Hat die große, toughe Vampirkillerin etwa Angst vor einem Mittagsschlaf mit einer Sechsjährigen? Ich gehe lieber in mein Bett, vielen Dank.« Dann trug sie das Baby nach oben. Angelina gähnte mit weit aufgerissenem Mund und klopfte wieder auf das Bett. Vorsichtig krabbelte ich neben sie und streckte mich aus, steif wie ein Brett. Angie schmiegte sich an mich, gähnte wieder und schlief sofort ein. Glücklich wäre ein zu banales Wort für das gewesen, was ich empfand. Es musste ein besseres Wort geben für dieses rührselige, sentimentale, ungeheuer starke fürsorgliche Gefühl, das mit meinem Blut durch meine Brust pulsierte. Es musste einfach. Und kurz darauf empfand ich plötzlich Angst, heftig und eisig. Es konnte nicht von Dauer sein, das wusste ich. So etwas Gutes konnte niemals von Dauer sein, und das jagte mir fürchterliche Angst ein.

Behutsam rutschte ich zur Seite, legte meinen Arm um Angie und schloss die Augen. Versuchte, mich zu entspannen. Ich hätte mich daran gewöhnen können, Molly um mich zu haben. Und die Kinder. Durch sie wurde das Leben viel intensiver und und ein Mittagsschlaf war ein schöner Nebeneffekt.

Beast, die den ganzen Tag ruhig gewesen war, rollte sich in meinem Geist auf den Rücken und schickte mir ein Wort. Welpen.

Als ich aufwachte, dämmerte es bereits. Angie war fort, der Platz neben mir fühlte sich kühl an. Die Schlafzimmertür war geschlossen. Molly hatte mich schlafen lassen. Als ich mich streckte, klingelte mein Handy. Ich zog es aus der neuen Lederhose, das Display zeigte die Nummer von Katies’s Ladies. »Jane«, sagte ich.

»Tom hier. Ist Bliss bei Ihnen? Sie hat einen frühen Besucher, und ihr Zimmer ist leer.«

Früher Besucher, das bedeutete früher Kunde. »Bleiben Sie dran.« Witternd ging ich durch das Haus. Bliss war nicht hier gewesen. Molly und die Kinder waren auf der seitlichen Veranda. »Sie ist nicht hier. Hat sie keiner gehen gesehen? Zeigt das Überwachungssystem nichts?«

»Nur eine Bildstörung vor ungefähr einer Stunde.«

Bildstörung? Das gefiel mir nicht. Plötzliche Furcht packte mich. Bliss war eine Hexe, eine Hexe, die jünger aussah, als sie war, eine Hexe, deren Heim nicht durch magische Banne geschützt war. Hatte sie das in Gefahr gebracht?

»Ich bin gleich drüben.« Ohne mich umzuziehen, schlüpfte ich in Flip-Flops und befahl Molly ins Haus zu gehen und die Banne zu aktivieren. Ihr besorgtes Gesicht ignorierend, übersprang ich die fünf Meter hohe Backsteinmauer zwischen unseren Häusern. Die Sonne ging bald unter, und in der Luft lag eine weiche, milde, schimmernde Hitze, wie sie für die Frühlingsabende in New Orleans typisch war. Ein wunderbarer Abend für eine Spazierfahrt, das offene Haar im Wind wehend, Mischa grollend unter mir. Vielleicht später.

Trotz des kurzen Anflugs von Furcht ging ich nicht davon aus, dass Bliss wirklich verschwunden war, sondern nur kurz das Haus verlassen hatte, zum Einkaufen vielleicht. Deshalb traf es mich auch völlig unvorbereitet, als ich im Garten einen Hauch von Magie spürte. Hexenmagie. Und Hexenblut.

Ich blieb stehen, drehte meine Zöpfe, damit sie nicht störten, zu einem Knoten zusammen und sortierte die Gerüche. Normalerweise hat jede Art von Magie einen ganz eigenen Geruch. Die eine ist ein bisschen pfeffrig, vielleicht mit einem Hauch von Würze, die nächste riecht wie frisch gebackene Kekse oder umgegrabene Erde oder Holzrauch. Obwohl ich keine Synästhetikerin bin, habe ich doch festgestellt, dass Hexenmagie oft pflanzlich und blau riecht, wie Kornblumen. Und manchmal blassgelb. Meine eigene Magie, die freigesetzt wird, wenn ich mich wandle, riecht erdig und moschusartig. Vampmagie, der Geruch, der an ihnen haftet, wenn sie jagen und dabei ihre Gaben, die Schnelligkeit und die hypnotische Beeinflussung, nutzen, ist pfeffrig und muffig, so wie getrocknete Kräuter, wenn sie zu lange gelagert werden.

Jetzt roch ich Hexenmagie, Hexenblut und darüber eine Schicht Vamp. Einen ganz besonderen Vamp, dessen Duftsignatur so verknotet und verdreht war wie ein geflochtenes Seil. Mein Herz hämmerte. Der Schöpfer der Rogues. Ein Vamp bei Tageslicht im Freien? Oder zumindest ganz in der Nähe. Und er roch nicht verbrannt. Sondern so gut genährt und gesund wie ein totes Ding nur riechen kann. Meine Nackenhaare stellten sich auf, und Beast duckte sich in mir, die Krallen ausgefahren. Und gerade jetzt hatte ich weder Pflock noch Kreuz zur Hand. Es war ein Fehler gewesen, das Haus ohne sie zu verlassen. Aber es war noch Tag, um Himmels Willen.

Ich sog die Luft in den geöffneten Mund, suchte nach einer bekannteren Duftsignatur, doch fand sie nicht. Bliss war in der letzten Zeit nicht hier draußen gewesen. Ganz um das Haus herumzugehen, wäre überflüssig gewesen, deshalb klingelte ich an der Hintertür. Der Troll öffnete sofort. Mit sorgenvollem Gesicht rieb er sich über die Glatze. »Zeigen Sie mir die Tapes«, sagte ich statt eines Grußes. »Und bringen Sie alle Mädchen hier herunter. Ich muss mit ihnen reden.« Dann fügte ich ein »Bitte« hinzu, was der Troll mit einem Grunzen quittierte, während er mich zu dem neuen Steuerpult der Überwachungsanlage führte, das in einem über zwei Meter hohen schwarzen Lackschrank mit goldenen Drachen auf den Türen versteckt war. Vor diesem lag der gleiche neue dicke orientalische Teppich wie im Eingang, in kräftigen Gold-, Braun- und Schwarztönen. Sehr elegant. Der Troll hatte umdekoriert.

Das Steuerpult ein Modell mit dem Namen Visual Security Operations Console Sentential der Firma Boeing oder auch kurz VSOC, das ursprünglich für die amerikanischen Botschaften in allen Ländern der Welt entwickelt und für den Hausgebrauch angepasst worden war war jedenfalls brandneu. Leo hatte die Kosten für die Installation der Anlage übernommen. Jetzt waren die alten Kameras mit der neuen Software verbunden, und neue Sensoren übermittelten 3-D-Bilder des Grundstücks, der Gemeinschaftsräume in Katie’s Ladies und, wenn die Mädchen im Haus arbeiteten, ihrer Schlafzimmer. Dies geschah zu ihrer Sicherheit, und ihnen schien es nichts auszumachen.

Ich fand es allerdings ziemlich abstoßend, umso mehr, seitdem ich wusste, dass Leo Zugriff auf die Überwachungsanlagen der meisten Vampclans hatte, heimlich und gegen die Gesetze der Vampira Carta, und damit auch Zugang zu den Downloads. Kostenloser Porno. Keinerlei Privatsphäre für die Mädchen. Aber ich hatte es für mich behalten. Das war etwas, das ich mir für später aufsparen würde. Der Troll drückte einen Knopf, und ich hörte ihn aus der Gegensprechanlage hallen: »Mädchen, bitte versammelt euch im Esszimmer.« Nach einem weiteren Klicken sagte er: »Deon, bitte servieren Sie den Mädchen etwas zu trinken und ein wenig Fruchtsalat.«

»Cocktails und Fruchtsalat, kommt sofort, Tom.« Deon war der neue Koch. Niemand wollte mir sagen, was mit Miss A passiert war, der alten Köchin, die von dem Leberfresser so nannte Beast den Skinwalker, den ich getötet hatte angegriffen worden war. Aber es sagte auch niemand, dass sie nicht mehr lebe, was ich doch irgendwie als Erleichterung empfand. Deon war ein Drei-Sterne-Koch von den Inseln, dem Miss As Stelle angeboten worden war. Allein die Tatsache, dass er neu war, machte mich nervös. Ich kannte Deon fast nicht, und wenn ein Überwachungssystem gerade dann bockt, wenn es einen neuen Hausbewohner gibt, denke ich naturgemäß als Erstes an ihn.

»Was war zu diesem Zeitpunkt eingeschaltet?«

»Alle Außenkameras und die in den Gemeinschaftsräumen und in den Fluren. Hier, um vier Uhr vierzehn, sehen wir Bliss aus dem Esszimmer kommen. Zwanzig Sekunden später betritt sie ihr Schlafzimmer und schließt die Tür. Dann geschieht nichts bis zu der Bildstörung, die eigentlich bei diesem System unmöglich ist.«

»Unmöglich vielleicht«, stimmte ich zu. »Aber nur für Menschen. Eine Hexe könnte vielleicht eine solche Störung verursachen, ich weiß es nicht. Spielen Sie es noch einmal ab, aber die letzten zwei Minuten vor der Störung in Zeitlupe.« Doch auch, als ich die Sequenzen Bild für Bild sah, konnte ich nichts Ungewöhnliches entdecken. Keinen Magiestoß. Manchmal, das wusste ich, kann man Magie auf Film sehen, vor allem auf digitalen Aufnahmen, als vereinzelte Lichtpartikel, die das Bild trüben. Ich notierte mir, wo jedes der Mädchen und der Troll gewesen waren, als der Schnee auf den Bildschirmen einsetzte. »Zeigen Sie mir die Küche.«

Auf dem Monitor sah ich, wie Deon, der schlank war, ungefähr einssiebzig groß und schwuler als ein Revuetänzer in den Fünfzigern, sich die Hände wusch, bevor er sich an das Sushi machte. Deon hatte mir versprochen, mir an einem Sonntagnachmittag einmal zu zeigen, wie man Sushi zubereitete. Auch Beast mochte Sushi, rohes Fleisch, das uns zur Abwechslung mal beiden schmeckte. Aber wenn Deon Bliss etwas angetan hatte, würde ich dafür sorgen, dass er es büßte. Zehn Minuten lang schnitt Deon Gemüse und rohen Lachs, bevor er verwirrt den Blick hob. Dann setzte die Bildstörung ein. Der Troll grunzte, als er den verblüfften Ausdruck auf Deons Gesicht sah. Der neue Koch hatte etwas gesehen oder gehört.

»Das System war alles in allem zwei Minuten und vierzig Sekunden außer Betrieb.« Der Troll drückte auf RESET. »Zeit genug, dass Bliss das Haus verlassen konnte. Oder um sie zu entführen.«

»Richtig«, sagte ich. »Spulen Sie noch mal vor und lassen Sie mich sehen, wo sich alle nach der Störung befanden.« Niemand hatte sich bewegt, außer Deon, der aus dem hinteren Fenster des Esszimmers sah, die schweren Vorhänge zur Seite geschoben, das Sushi-Messer in der Hand, und dem Troll, der vor der Bildstörung in Katies Büro über den Büchern gesessen hatte und danach vor dem Steuerpult stand. »Sie hat das Haus nicht durch die Vordertür verlassen. Und wenn sie durch die Hintertür ist, dann hätte ich « Ich hielt inne. Dann hätte ich sie gerochen. Richtig. »Deon hat sie vielleicht gesehen.«

»Ich habe ein schlechtes Gefühl«, brummte der Troll. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«

Ich sah mich in Bliss’ Zimmer um, das ganz in Eisblau und Grau gehalten war. Nichts war zerbrochen, es gab keinen Hinweis auf einen Kampf, und ihre Handtasche, in der sich ihr Ausweis, ihre Kreditkarten und ein Bündel Bargeld befanden, hing an einem Haken im Kleiderschrank. Es war sehr unwahrscheinlich, dass sie ohne sie ausgegangen wäre, zumindest nicht freiwillig.

Von ihrem Zimmer sah man hinunter in eine Seitengasse. Ich ruckelte am Fenster, um zu sehen, ob es sich leicht öffnen ließ, und es glitt nach oben. Unter mir war ein Schuppendach. Es lag zwar über dreieinhalb Meter tiefer und sah nicht sehr tragfähig aus, doch auf diesem Wege hätte sie unbemerkt das Haus verlassen können. Dennoch glaubte ich nicht daran. Wind kam auf und trug den Geruch von Blut zu mir herauf. Es war nicht allzu lange her, seit ich Bliss’ Blut gerochen hatte, und dieses war nicht ihres. Jemand anders hatte da draußen geblutet, wo sich ebenfalls Hinweise auf Reste von Magie fanden. Wahrscheinlich war es nichts Wichtiges.

Ich verbrachte weitere zwanzig Minuten damit, mit den Cocktails schlürfenden Mädchen zu reden und anschließend mit Deon, der als Einziger etwas gehört hatte, doch neben, nicht hinter dem Haus. Als ich ihn fragte, warum er zum Fenster nach hinten hinaus geschaut habe, hob er das Kinn. »An den Seiten des Hauses sind keine Fenster. Aber gute Ohren habe ich, und ich habe von dort einen dumpfen Schlag gehört.«

»Okay. Danke, Deon«, sagte der Troll, als es an der Tür klingelte. »Das hilft uns weiter.« Deon wedelte einmal leicht mit der Hand und trug die verschmähten Fruchtsalate zurück in die Küche. Indigo sprang auf und rannte nach oben. Die Blondine übernahm Bliss’ frühen Kunden.

»Ich sehe mich mal draußen um«, sagte ich. Meine Neugier wuchs. Ich benutzte die Hintertür und schlappte auf Flip-Flops an die Hausseite, wo sich ein schmaler, schmuckloser Bereich für Mülltonnen und Geräte befand. Die aufziehende Dunkelheit färbte den Himmel nun tiefblau, und am westlichen Horizont hingen goldene Wolken. Als ich stehen blieb, um mich zu orientieren, glaubte ich, ein Geräusch zu hören, einen kurzen Ton von etwas. Doch er verklang zu schnell wieder, als dass er von Wichtigkeit gewesen sein konnte.

In New Orleans ist jeder Quadratzentimeter, der sich nur irgendwie dazu eignet, üppig bepflanzt. Hier gedeihen Miniaturgärten an Orten, die Hausbesitzer und Geschäftsleute anderswo verworfen oder übersehen hätten. Deshalb war diese ungenutzte Stelle eine Überraschung für mich. Sie war mehr als ein Meter fünfzig breit und hatte keinen Zugang von der Straße aus. Das schmale Dach, das ich aus dem Fenster gesehen hatte, war aus morschem Sperrholz und windschief, darunter befanden sich ein Rasenmäher und Gartengeräte. Auf dieses Schuppendach war niemand aus dem Fenster gesprungen, das wusste ich, auch ohne nachzusehen. Ich konnte weitergehen.

Doch mitten in meinen Überlegungen hielt ich inne. Ging langsam zurück. Erneut spürte ich einen inneren Drang. Geh weg. Hier gibt es nichts zu sehen, nichts zu riechen, hier ist nichts. Die Stelle war mit einem Zauber belegt, den ich erst jetzt bemerkte.

Dem Drang widerstehend, setzte ich meinen Weg fort und bekam schließlich einen starken, mir unbekannten Hexengeruch in die Nase, einen Hauch von Bliss und den scharfen Geruch von Blut. Jemand hatte auf diesem schmalen Weg einen Zauber gewirkt. Und sie hatte hier geblutet. Ich blickte mich um und entdeckte feine Blutspritzer an der Wand. Und auf dem Boden darunter waren ebenfalls einige Tropfen, als wenn die Wunden schnell versorgt worden wären. Ich ging in die Hocke, um näher an die Duftmarken auf dem Boden zu kommen. Meine Nase war nur wenige Zentimeter von der Erde entfernt, als ich einen langen, abbrechenden Schrei hörte.

»Jaaaaane!«

Eine Tür knallte. In meinem Haus. Es war Molly.