18 019
Als Smith gegangen war, zog Grace ihr Kleid aus und trat zum Fenster. Sie starrte aufs Meer hinaus und bedauerte, dass sie ihn hatte gehen lassen. Als er ihr Gesicht streichelte, hätte sie einfach seine Hand ergreifen und ihn zu sich herabziehen sollen.
Eigentlich konnte sie einfach bloß über den Gang gehen und ihn dort küssen.
Immerhin hatte ihr Striptease besser geklappt, als sie angenommen hatte.Vielleicht verbarg sich wirklich ein Vamp in ihr?
Sie fasste all ihren Mut zusammen, schob den Kopf durch den Türspalt und lauschte. Alles war sehr still, niemand regte sich mehr, und Jack und Blair feierten wohl ihre Verlobung irgendwo unter sich. Ihre Mutter war noch nicht zurückgekommen.
Sie klopfte leise an Smiths Tür und wartete mit angehaltenem Atem.
Keine Antwort.
Sie klopfte stirnrunzelnd ein wenig lauter.
Als sie immer noch nichts hörte, öffnete sie die Tür und blickte durch den Spalt.
»John?«, fragte sie.
Dann trat sie ein. Ihre Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit, bis sie die Konturen im Zimmer ausmachen konnte: das Bett, die hohe Kommode, seine Tasche und seine Jacke auf dem Stuhl. Die Tür zum Bad stand offen. Sie sah im Dämmerschein der Nachtbeleuchtung ein zusammengeknülltes Handtuch auf dem Marmortisch, ein weiteres an der Tür zur Dusche. Neben dem Waschbecken lagen ein Rasierer und eine Dose Rasiercreme.
Grace fühlte sich wie ein Eindringling, kehrte in ihr Zimmer zurück, ließ aber die Tür offen, um zu hören, wann er zurückkam. Als er zwanzig Minuten später immer noch nicht wieder aufgetaucht war, machte sie sich Sorgen. Sie ging zum Bett und nahm das Alarmgerät in die Hand.
Sie fragte sich einen Moment lang, ob sie es benutzen sollte. Dann warf sie es fluchend auf die Kommode. Sie war ja nicht in Gefahr. Sie wollte bloß wissen, wo er war.
Eine halbe Stunde später wurde sie sehr ängstlich und machte sich große Sorgen. Ob John wohl etwas zugestoßen war? Man konnte sich nur schwer vorstellen, was einen Mann wie ihn gefährden konnte, aber möglich war es.
Sie dachte an Cuppie, Suzanna und Mimi.
Immer wieder geschahen schreckliche Dinge.
Und er hatte ihr ganz deutlich zu verstehen gegeben, dass die Leute, die hinter ihm her waren, ihn nicht mit scharfen Worten oder Drohungen verletzen würden.
Sie ermahnte sich, das wäre lächerlich.Welcher Gangster konnte John wohl mitten in Newport, Rhode Island, schaden? Wer wusste überhaupt, das er auf Willig war?
Die Zeit verging. Ihre Vernunft wurde stärker von schrecklichen Bildern bedrängt, die ihr durch den Kopf gingen.
Grace blickte wieder zu dem Alarmgerät. Wenn sie es aktivierte, und er käme nicht, würde sie wissen, dass er in Schwierigkeiten steckte.
Ja, und was dann? Wollte sie sich mit ihrer Haarbürste bewaffnen und ihm im Nachthemd hinterherstiefeln?
Nein, sie würde Jack um Hilfe bitten. Sie würden zusammen überlegen, was zu tun wäre.
Grace trat zur Kommode, nahm das Alarmgerät und drückte auf den roten Knopf.
Im Bruchteil einer Sekunde stürzte Smith durch ihre Verandatür. Das Holz splitterte um das aufgebrochene Schloss herum. Er hatte die Waffe gezogen und überflog mit einem höllisch düsteren Blick den Raum. Ohne jeden Zweifel wusste Grace nun, dass er zu allem fähig war.
Und dass sie einen schrecklichen Fehler begangen hatte.
»Oh …« Sie fand keine Worte. »Scheiße!«
Er hatte den Raum überprüft und sah nun sie an: »Was ist?«
Grace fühlte sich furchtbar verlegen. »Äh … nichts, eigentlich.«
»Warum zum Teufel hast du auf den Knopf gedrückt?«
»Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wo du warst und …«
»Jesus!« Fluchend steckte Smith die Waffe wieder ins Halfter. »Das ist doch kein Pieper!«
»Ich weiß, ich hätte es auch nicht benutzt, außer in einer Notsituation.« Sie lächelte ihn bedauernd an. »Glaub mir, ich werde es nie wieder anrühren.«
»Nein, nein, ich will, dass du es benutzt. Aber bitte nur mit gutem Grund.« Er trat zur Verandatür und untersuchte sie. »Das muss ein Handwerker reparieren.«
Kopfschüttelnd schloss er die Tür und stellte einen Stuhl unter die Klinke.
»Was hast du denn draußen auf der Veranda gemacht?«, entfuhr es ihr.
»Brauchst du irgendwas?«
Sie schwieg. Und sah ihn an.
Mach schon, dachte sie. Sag es einfach.
»Ich brauche dich.«
Noch ehe er antworten konnte, war sie auf ihn zugetreten. »Du hast gesagt, wir könnten eine Nacht zusammen verbringen. Ich weiß, du hast das Angebot schon bereut, aber du hast auch zugegeben, dass wir einander verrückt machen. Falls du dir Sorgen machst, von deiner Aufgabe abgelenkt zu werden oder dass ich dabei zu Schaden komme - es kann doch wirklich nicht komplizierter werden. Ob du es zugeben kannst oder nicht, wir sind aneinander gebunden, John. Ich finde, wir sollten das Reden jetzt lassen und uns nur noch lieben.«
Mit einer ruckartigen Bewegung zog er sein Jackett aus, das er zum Abendessen getragen hatte, als wäre es plötzlich mehrere Grad heißer geworden.
»Du weißt, dass ich Recht habe«, sagte sie leise.
Smith blickte auf die Tür zum Gang, und als er sich endlich regte, war Grace sicher, er würde sie jetzt verlassen. Doch stattdessen trat er zu ihr und nahm sie in die Arme.
»Gott steh uns bei«, flüsterte er.
Grace bot ihm die Lippen zu einem Kuss, aber er zog den Kopf zurück.
»Auch wenn wir diese Nacht miteinander verbringen, wird es kein Happy End geben«, sagte er. »Ich werde dich immer noch verlassen.«
Sie sah ihm tief in die Augen und erwiderte: »Ich weiß. Aber jetzt bist du hier, nicht wahr? Sei endlich still und küss mich.«
Mit einem ironischen Lächeln murmelte er: »Du behandelst mich immer strenger.«
»Ja.« Sie zog ihn an sich.
Als sich ihre Lippen berührten, streifte er ihr das Negligee von den Schultern. Dann glitt ihr Nachthemd auf den Boden. Kühle Nachtluft strich ihr über die Haut. Sie schlang die Arme um ihn, hielt aber inne, als sie die Waffe berührte. Er richtete sich auf und schnallte das Halfter ab. Dann zog er das Hemd aus. Beim Ausziehen blieb sein Blick eine Weile auf ihr Gesicht geheftet. Grace nahm bewundernd seine breite Brust, seinen harten, flachen Bauch in Augenschein. Sie streckte die Hand aus und streichelte seine warme Männerhaut.
»Ich will dich ganz sehen«, flüsterte er und führte sie zum Bett, wo eine Lampe ihren Schein ausbreitete. Als er sie betrachtete, hörte sie, wie er zischend einatmete, und sah Lust und Bewunderung dunkel in seinen Augen sich spiegeln. Dann fielen beide aufs Bett.
Er nahm ihre Brüste in die Hände und rieb mit den Daumen über die Brustwarzen, die bereits hart und gespannt waren. Unter seiner Berührung richteten sie sich weiter auf, bis Grace mit leisem Stöhnen den Kopf zurückwarf. Smith beugte sich hinab und nahm eine Brustwarze zwischen die Lippen. Grace umfasste seine Schultern, seinen Hals, seinen Kopf. Sein Mund fuhr tiefer, über die weiche Zartheit ihres Bauches zu den Hüften, wobei seine Zähne zärtlich an ihrer Haut zupften.
Und als er es keine Sekunde länger hinauszögern konnte, zog er sie herum, so dass sie auf ihm lag. Seine Arme umschlangen ihren Körper. Er presste sein hartes erigiertes Glied fest an sie. Sie griff nach seiner Gürtelschnalle, ohne jedoch den Kuss zu unterbrechen. Mit einer einzigen Bewegung rollte er sie herum, richtete sich auf und zog die Hose aus. In dem Moment, als sie ihn zum ersten Mal nackt an sich spürte, fühlte Grace eine brodelnde Hitze in sich, die fast schmerzte.
Dann verlor sie jedes Zeitgefühl. John erkundete jeden Zoll ihres Körpers, küsste ihren Hals, ihre Brüste, streichelte ihren Leib. Noch nie hatte sich jemand die Zeit genommen, sie zu erregen, und es fühlte sich an, als wäre etwas völlig Neues in ihr erwacht.
»Ich möchte, dass du mich berührst«, stöhnte er dicht an ihrem Mund. Und mit einer Sicherheit, die sie nie zuvor auch nur in sich vermutet hatte, begann sie, ihn zu streicheln: von den breiten Schultern und seiner muskulösen Brust über die harten Linien seines Bauches und den scharfen Hüftknochen. Als ihre Hand noch tiefer glitt und sie seine Männlichkeit in die Hand nahm, stemmte John sich gegen das Kopfende, weil sein gesamter Körper krampfartig zuckte. Grace staunte, welche Wirkung sie auf ihn hatte und dass sie es war, die er so dringend brauchte. So begann sie, ihn rhythmisch zu streicheln.
Lange dauerte es nicht. Mit einer blitzartigen Bewegung umklammerte er sie, zog sie an sich und schob ihr seine Zunge in den Mund. Dabei strichen seine Hände unaufhörlich über ihren Rücken. Sie spürte, dass er versuchte, sanft zu sein, aber seine Lust machte ihn immer fordernder. Doch sie hatte keine Angst. Sie wollte mehr.
»Ich kann mich nicht länger zurückhalten«, stöhnte er dicht vor ihrem Mund. Dann rollte er sich auf sie, sah ihr tief in die Augen und presste sich mit seinem vollen Gewicht auf sie. Grace bäumte sich unter ihm auf, weil sie ein Anschwellen, ein pulsierendes Verlangen tief in ihrem Inneren spürte, und zog die Knie an. Er schob sich mit einem fast schmerzerfüllten Gesichtsausdruck zwischen ihre Beine.
Dann richtete er sich auf und sah sie an. »Bist du sicher?«
Grace nickte und zog ihn an sich.
Fast quälend langsam drang er in sie ein und erfüllte ihren Körper mit seiner heißen Männlichkeit, was sie völlig um den Verstand brachte. Sie schrie auf. Mit ihren unverständlichen Lauten im Ohr begann er, sich in ihr zu bewegen. Immer härter, immer schneller nahm er ihren Körper, bis sie gemeinsam, eng umschlungen und von heiseren Schreien begleitet, kamen.
In der darauffolgenden Stille spürte Grace eine Art Glühen in sich, war aber nicht sicher, wie er sich fühlte. Sie sah ihn unter den Wimpern hervor an. Er lag mit geschlossenen Augen da. Die scharfen Linien seines Gesichts wirkten erstaunlich entspannt und weich.
»Bist du okay?«, fragte er.
»Ja«, lächelte sie.
Da sah er sie an und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du bist eine unbeschreiblich wunderbare Frau.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich.« Er küsste sie ausgiebig und zärtlich.
Grace streckte die Arme aus und klammere sich an ihn. Als er sofort wieder steif in ihr wurde, seufzte sie und gab sich der wieder aufflammenden Lust hin.
 
Grace wachte allein auf. Sie wusste, dass es schon spät war, denn die Sonne, die durch die Fenster hereinströmte und breite Strahlen auf die Dielen warf, hatte ihr Bett fast bereits erreicht. Sie rekelte sich. Empfand alle möglichen neuen Gefühle und betrachtete lächelnd das völlig zerwühlte Bett.
Sie hatten sich die ganze Nacht geliebt, und sie fühlte sich wie eine neue Frau. Es war genau so gewesen, wie sie es sich erträumt hatte. Er war leidenschaftlich und zärtlich zugleich und schien genau zu wissen, was er mit seinem harten Männerkörper bei ihr bewirken konnte. Es war mit Abstand die befriedigendste Nacht ihres bisherigen Lebens gewesen.
Als ihr Blick auf die Verandatür fiel und den Stuhl, der unter die Klinke geschoben war, überlegte sie allerdings, wie sie das ihrer Mutter erklären konnte.
Sie wollte aufstehen und suchte nach ihrem Negligee. Es klopfte. Überrascht sah sie ihre Mutter auf dem Gang vor der Tür stehen.
»Das ist aber früh für dich«, sagte Grace und strich sich über das Haar. Sie wusste genau, wie zerwühlt es aussehen musste.
»Nein, das ist es nicht. Du hast das Frühstück verschlafen.«
Mit diesen Worten trat die Mutter ein und zwang Grace, ihr den Weg freizugeben. Carolinas Blick fiel auf die Tür mit dem zerbrochenen Schloss. »Ich dachte, ich hätte gestern Abend etwas gehört.Was ist passiert?«
Grace zuckte die Achseln. »Ich habe mich aus Versehen auf der Veranda ausgeschlossen.«
»Warum bist du nicht durch die Tür auf dem Gang wieder hereingekommen?«
»Die war auch verschlossen.«
Carolina trat zu der beschädigten Tür. »Ich sage Gus Bescheid, er soll es reparieren.«
»Wolltest du sonst noch etwas?«
Ihre Mutter drehte sich zu ihr herum.
»Warum ist das Schlafzimmer, das ich Mr. Smith angewiesen hatte, unbenutzt?«
Grace zögerte, ehe sie antwortete: »Weil er da nicht schläft.«
»Und wo schläft er?«
»Hier gegenüber.«
Darauf folgte eine peinliche Pause. Grace richtete sich auf und hielt dem kalten Blick der Mutter stand.
»Gibt es einen bestimmten Grund, warum das ursprüngliche Zimmer nicht seinen Wünschen entsprach?«
»Mutter …«
»Du hast mich angelogen, nicht wahr?«, flüsterte Carolina zornerfüllt.
»Wie?«
»Dass … dass dieser Mann nicht dein Liebhaber ist.«
Nein, eigentlich nicht, dachte Grace. Gestern war er das noch nicht.
»Mutter, du übertreibst das alles ein bisschen.«
»Wirklich?« Carolina deutete auf Smiths Jackett, das über der Stuhllehne hing. »Dann gib mir eine andere Erklärung, dass dein Bett so zerwühlt ist und sein Jackett sich in deinem Zimmer befindet.«
Grace flehte innerlich, dass die Röte, die ihr in dieWangen stieg, nicht sichtbar wäre. »Wir waren zusammen auf einem Spaziergang. Es war kühl, und er hat es mir umgehängt.«
»Und du erwartest von mir, dass ich das glaube?« Abscheu durchfurchte die ansonsen makellos glatte Stirn der Mutter.
»Also, diese Unterhaltung war gestern schon nicht sehr angenehm. Und heute ist es auch nicht besser.«
»Ist es denn zu viel verlangt, dass du deine Verpflichtungen gegenüber der Familie einhältst und dich wie eine Dame benimmst?«
Grace seufzte entnervt. »Um Himmels willen, wir leben doch nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert!«
»Was wirklich schade ist«, entgegnete Carolina spitz. »Damals wussten die Menschen noch, wie wichtig Manieren und Benehmen sind.«
»Wen willst du eigentlich beeindrucken, Mutter? Außer dich selbst?«
»Sei nicht so frech. Du weißt, dass wir immer beobachtet werden. Und ich kann dir versichern, es hat nichts Witziges oder Altmodisches, wenn jemand sein Ehegelöbnis bricht.« Carolina deutete auf die offene Tür, durch die Smiths Zimmer nun sichtbar war. »Ich will, dass dieser Mann mein Haus verlässt.«
Grace riss die Augen auf. »Das geht nicht.«
»O ja, das geht.«
»Mutter, John Smith arbeitet für mich.«
»Mir ist völlig egal, ob er dein Arzt ist, dein Anwalt oder dein Müllmann. Ich will ihn nicht unter dem Dach deines Vaters haben.«
»Dann werde ich ebenfalls abfahren.«
Diese fünf Worte lösten tiefes Schweigen aus.
»Wie bitte?«
Grace hob erschöpft eine Hand an die Schläfe und versuchte, die Spannung fortzureiben, die sich dort langsam vom Rückgrat her ausbreitete. »Ich will nicht, dass du dich so aufregst.«
»Dazu ist es ein bisschen spät.«
»Ich finde einfach, es ist besser, wenn wir abfahren.«
Carolina schnaufte vor Missbilligung. »Kein Grund, so theatralisch zu sein, Grace. Ich handle ja nur in deinem Interesse.«
»Für mich sieht es aber so aus, als wolltest du bloß andere beschuldigen.«
»Besser ich als die Presse.« Carolina kniff die Augen zusammen. »Es würde in aller Öffentlichkeit breitgetreten, falls du eine Indiskretion begingest. Das weißt du doch genau.«
Grace nickte frustriert. »Natürlich.«
»Deinen Vater haben wir verloren, aber sein Name strahlt immer noch Macht aus. Ich will nicht, dass der Ruf der Familie Schaden nimmt.«
Grace erstarrte, als sie die Andeutungen der Mutter begriff.
»Das wäre für dich schlimmer«, flüsterte sie. »Schlimmer, als ihn zu verlieren, nicht wahr?«
Carolina ignorierte ihre Bemerkung. »Du bist die einzige echte Erbin seines Namens. Ich möchte nicht, dass du all das für einen … Mann verschleuderst. Du bist mit einem Verwandten des Königshauses verheiratet …«
»Hör auf, Mutter«, unterbrach Grace sie. »Bitte.«
Damit wandte sie sich ab, ging zum Schrank und zog ihren Koffer heraus.
»Du wirst also wirklich abfahren?«
Die Entrüstung ihrer Mutter war auf dem Höhepunkt. »Ja.«
»Was soll ich den anderen Gästen sagen? Wegen deiner Ungehörigkeit musste ich eine Abendgesellschaft bereits absagen.«
Grace schüttelte resigniert den Kopf und murmelte: »Ich bin sicher, dir fällt etwas ein.«
Damit begann sie, ihre Kleidung aus dem Schrank zu nehmen. Ihre Mutter schnalzte nur noch missbilligend.
»Nun, wenn das deine Einstellung ist, dann ist es wohl am besten, dass du abfährst.« Carolina blieb bei der Tür stehen. »Aber tu mir den Gefallen und verabschiede dich wenigstens, ja? Das ist das Mindeste, was du tun kannst.«
Sobald sie wieder alleine war, sackte Grace auf dem Bett zusammen und blickte auf den Kleiderhaufen, den sie unordentlich in den Koffer geschleudert hatte. Der Gedanke, sich nie wieder auf Willig wohlfühlen zu können, dass die Distanz zwischen ihrer Mutter und ihr immer größer wurde, nachdem der ausgleichende Einfluss des Vaters nicht mehr da war, enttäuschte sie bitter.
Aber vielleicht war es am besten, wenn sie nicht mehr herkam. Ihre Mutter hatte etwas an sich, das ihr geradezu den Lebenswillen aussaugte. Diese kalte Eleganz, die unaufhörliche Kritik - es war, als lebte man direkt neben einem emotionalen schwarzen Loch.
Als sie die leisen Schläge der Standuhr in der Halle hörte, erinnerte sie sich, John Bescheid zu geben, dass sie abreisen würden.
Sie ging über den Gang und klopfte an seine Tür. »John?«
Er kam gerade aus dem Bad und trug nur ein T-Shirt und schwarze Jeans. Um den Nacken hatte er ein Handtuch geschlungen, dessen Enden er mit beiden Händen umklammerte, wodurch sein Bizeps deutlich zu sehen war.
Sie spürte, wie die Glut sie wieder durchfuhr, aber als ihre Blicke sich trafen und er nur wenig Reaktion zeigte, richtete sich sich enttäuscht auf.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Er nickte. »Morgen.«
Er hätte doch wenigstens lächeln können. Etwas Wärme, eine Berührung wäre angebracht gewesen. Doch stattdessen schien er sich wieder in sich selbst zurückgezogen zu haben. Grace fiel ein, dass sie sich bei seinem ersten Anblick gefragt hatte, ob seine harte Schale etwas anderes verbarg.
»Äh … kleine Planänderung.Wir reisen ab.«
»Gut.«
Sie runzelte die Stirn. In der letzten Nacht hatte er sie eng an sich gepresst und heiser ihren Namen geflüstert, als er in sie eingedrungen war. Als sie jetzt in sein gleichgültiges Gesicht starrte, schien sie alles nur geträumt zu haben.
Ihr Traum, nicht seiner.
Sie zögerte. »Okay. Ich gehe jetzt packen.«
»Ich bin in zehn Minuten fertig.«
Als er sich abwandte, blieb ihr Blick auf seinem Rücken haften. »John, stimmt etwas nicht?«
»Alles in Ordnung«, sagte er über die Schulter hinweg und ging ins Bad.
Dann hörte sie Wasser rauschen und das leise Zischen seiner Rasierschaumdose.
Grace folgte ihm. »Warum bist du so kühl?«
Er starrte weiterhin in den Spiegel, nahm den Rasierer und strich eine Schneise durch den weißen Bart, den er sich aufgeschäumt hatte.
»Wie meinst du das?«
»Rede mit mir.«
»Ich habe nichts zu sagen.«
»Nichts?«
Er zog eine Braue hoch, spülte den Rasierer ab und arbeitete weiter an seinem Bart. »Soll ich vielleicht etwas erfinden?«
»Zu deiner Information«, erwiderte sie heiser, »falls du mir bloß beweisen willst, dass wir kein Happy End erwarten können, dann hast du dein Ziel schon erreicht.«
Dann ging Grace zurück in ihr Zimmer. Sie wusste nun, dass sie einen Fehler gemacht hatte mit der Annahme, es könne gar nicht noch schwieriger werden, wenn sie miteinander ins Bett gingen.