18 

Als Smith gegangen war, zog Grace ihr Kleid
aus und trat zum Fenster. Sie starrte aufs Meer hinaus und
bedauerte, dass sie ihn hatte gehen lassen. Als er ihr Gesicht
streichelte, hätte sie einfach seine Hand ergreifen und ihn zu sich
herabziehen sollen.
Eigentlich konnte sie einfach bloß über den Gang
gehen und ihn dort küssen.
Immerhin hatte ihr Striptease besser geklappt, als
sie angenommen hatte.Vielleicht verbarg sich wirklich ein Vamp in
ihr?
Sie fasste all ihren Mut zusammen, schob den Kopf
durch den Türspalt und lauschte. Alles war sehr still, niemand
regte sich mehr, und Jack und Blair feierten wohl ihre Verlobung
irgendwo unter sich. Ihre Mutter war noch nicht
zurückgekommen.
Sie klopfte leise an Smiths Tür und wartete mit
angehaltenem Atem.
Keine Antwort.
Sie klopfte stirnrunzelnd ein wenig lauter.
Als sie immer noch nichts hörte, öffnete sie die
Tür und blickte durch den Spalt.
»John?«, fragte sie.
Dann trat sie ein. Ihre Augen gewöhnten sich rasch
an die Dunkelheit, bis sie die Konturen im Zimmer ausmachen konnte:
das Bett, die hohe Kommode, seine Tasche
und seine Jacke auf dem Stuhl. Die Tür zum Bad stand offen. Sie
sah im Dämmerschein der Nachtbeleuchtung ein zusammengeknülltes
Handtuch auf dem Marmortisch, ein weiteres an der Tür zur Dusche.
Neben dem Waschbecken lagen ein Rasierer und eine Dose
Rasiercreme.
Grace fühlte sich wie ein Eindringling, kehrte in
ihr Zimmer zurück, ließ aber die Tür offen, um zu hören, wann er
zurückkam. Als er zwanzig Minuten später immer noch nicht wieder
aufgetaucht war, machte sie sich Sorgen. Sie ging zum Bett und nahm
das Alarmgerät in die Hand.
Sie fragte sich einen Moment lang, ob sie es
benutzen sollte. Dann warf sie es fluchend auf die Kommode. Sie war
ja nicht in Gefahr. Sie wollte bloß wissen, wo er war.
Eine halbe Stunde später wurde sie sehr ängstlich
und machte sich große Sorgen. Ob John wohl etwas zugestoßen war?
Man konnte sich nur schwer vorstellen, was einen Mann wie ihn
gefährden konnte, aber möglich war es.
Sie dachte an Cuppie, Suzanna und Mimi.
Immer wieder geschahen schreckliche Dinge.
Und er hatte ihr ganz deutlich zu verstehen
gegeben, dass die Leute, die hinter ihm her waren, ihn nicht mit
scharfen Worten oder Drohungen verletzen würden.
Sie ermahnte sich, das wäre lächerlich.Welcher
Gangster konnte John wohl mitten in Newport, Rhode Island, schaden?
Wer wusste überhaupt, das er auf Willig war?
Die Zeit verging. Ihre Vernunft wurde stärker von
schrecklichen Bildern bedrängt, die ihr durch den Kopf
gingen.
Grace blickte wieder zu dem Alarmgerät. Wenn sie es
aktivierte, und er käme nicht, würde sie wissen, dass er in
Schwierigkeiten steckte.
Ja, und was dann? Wollte sie sich mit ihrer
Haarbürste bewaffnen und ihm im Nachthemd hinterherstiefeln?
Nein, sie würde Jack um Hilfe bitten. Sie würden
zusammen überlegen, was zu tun wäre.
Grace trat zur Kommode, nahm das Alarmgerät und
drückte auf den roten Knopf.
Im Bruchteil einer Sekunde stürzte Smith durch ihre
Verandatür. Das Holz splitterte um das aufgebrochene Schloss herum.
Er hatte die Waffe gezogen und überflog mit einem höllisch düsteren
Blick den Raum. Ohne jeden Zweifel wusste Grace nun, dass er zu
allem fähig war.
Und dass sie einen schrecklichen Fehler begangen
hatte.
»Oh …« Sie fand keine Worte. »Scheiße!«
Er hatte den Raum überprüft und sah nun sie an:
»Was ist?«
Grace fühlte sich furchtbar verlegen. »Äh … nichts,
eigentlich.«
»Warum zum Teufel hast du auf den Knopf
gedrückt?«
»Es tut mir leid. Ich wusste nicht, wo du warst und
…«
»Jesus!« Fluchend steckte Smith die Waffe wieder
ins Halfter. »Das ist doch kein Pieper!«
»Ich weiß, ich hätte es auch nicht benutzt, außer
in einer Notsituation.« Sie lächelte ihn bedauernd an. »Glaub mir,
ich werde es nie wieder anrühren.«
»Nein, nein, ich will, dass du es benutzt. Aber
bitte nur mit gutem Grund.« Er trat zur Verandatür und untersuchte
sie. »Das muss ein Handwerker reparieren.«
Kopfschüttelnd schloss er die Tür und stellte einen
Stuhl unter die Klinke.
»Was hast du denn draußen auf der Veranda
gemacht?«, entfuhr es ihr.
»Brauchst du irgendwas?«
Sie schwieg. Und sah ihn an.
Mach schon, dachte sie. Sag es
einfach.
»Ich brauche dich.«
Noch ehe er antworten konnte, war sie auf ihn
zugetreten. »Du hast gesagt, wir könnten eine Nacht zusammen
verbringen. Ich weiß, du hast das Angebot schon bereut, aber du
hast auch zugegeben, dass wir einander verrückt machen. Falls du
dir Sorgen machst, von deiner Aufgabe abgelenkt zu werden oder dass
ich dabei zu Schaden komme - es kann doch wirklich nicht
komplizierter werden. Ob du es zugeben kannst oder nicht, wir sind
aneinander gebunden, John. Ich finde, wir sollten das Reden jetzt
lassen und uns nur noch lieben.«
Mit einer ruckartigen Bewegung zog er sein Jackett
aus, das er zum Abendessen getragen hatte, als wäre es plötzlich
mehrere Grad heißer geworden.
»Du weißt, dass ich Recht habe«, sagte sie
leise.
Smith blickte auf die Tür zum Gang, und als er sich
endlich regte, war Grace sicher, er würde sie jetzt verlassen. Doch
stattdessen trat er zu ihr und nahm sie in die Arme.
»Gott steh uns bei«, flüsterte er.
Grace bot ihm die Lippen zu einem Kuss, aber er zog
den Kopf zurück.
»Auch wenn wir diese Nacht miteinander verbringen,
wird es kein Happy End geben«, sagte er. »Ich werde dich immer noch
verlassen.«
Sie sah ihm tief in die Augen und erwiderte: »Ich
weiß. Aber jetzt bist du hier, nicht wahr? Sei endlich still und
küss mich.«
Mit einem ironischen Lächeln murmelte er: »Du
behandelst mich immer strenger.«
»Ja.« Sie zog ihn an sich.
Als sich ihre Lippen berührten, streifte er ihr das
Negligee von den Schultern. Dann glitt ihr Nachthemd auf den Boden.
Kühle Nachtluft strich ihr über die Haut. Sie schlang die Arme um
ihn, hielt aber inne, als sie die Waffe berührte. Er richtete sich
auf und schnallte das Halfter ab. Dann zog er das Hemd aus. Beim
Ausziehen blieb sein Blick eine Weile auf ihr Gesicht geheftet.
Grace nahm bewundernd seine breite Brust, seinen harten, flachen
Bauch in Augenschein. Sie streckte die Hand aus und streichelte
seine warme Männerhaut.
»Ich will dich ganz sehen«, flüsterte er und führte
sie zum Bett, wo eine Lampe ihren Schein ausbreitete. Als er sie
betrachtete, hörte sie, wie er zischend einatmete, und sah Lust und
Bewunderung dunkel in seinen Augen sich spiegeln. Dann fielen beide
aufs Bett.
Er nahm ihre Brüste in die Hände und rieb mit den
Daumen über die Brustwarzen, die bereits hart und gespannt waren.
Unter seiner Berührung richteten sie sich weiter auf, bis Grace mit
leisem Stöhnen den Kopf zurückwarf. Smith beugte sich hinab und
nahm eine Brustwarze zwischen die Lippen. Grace umfasste seine
Schultern, seinen Hals, seinen Kopf. Sein Mund fuhr tiefer, über
die weiche Zartheit ihres Bauches zu den Hüften, wobei seine Zähne
zärtlich an ihrer Haut zupften.
Und als er es keine Sekunde länger hinauszögern
konnte, zog er sie herum, so dass sie auf ihm lag. Seine Arme
umschlangen ihren Körper. Er presste sein hartes erigiertes Glied
fest an sie. Sie griff nach seiner Gürtelschnalle, ohne jedoch den
Kuss zu unterbrechen. Mit einer einzigen Bewegung rollte er sie
herum, richtete sich auf und zog die Hose aus. In dem Moment, als
sie ihn zum ersten Mal nackt an sich spürte, fühlte Grace eine
brodelnde Hitze in sich, die fast schmerzte.
Dann verlor sie jedes Zeitgefühl. John erkundete
jeden
Zoll ihres Körpers, küsste ihren Hals, ihre Brüste, streichelte
ihren Leib. Noch nie hatte sich jemand die Zeit genommen, sie zu
erregen, und es fühlte sich an, als wäre etwas völlig Neues in ihr
erwacht.
»Ich möchte, dass du mich berührst«, stöhnte er
dicht an ihrem Mund. Und mit einer Sicherheit, die sie nie zuvor
auch nur in sich vermutet hatte, begann sie, ihn zu streicheln: von
den breiten Schultern und seiner muskulösen Brust über die harten
Linien seines Bauches und den scharfen Hüftknochen. Als ihre Hand
noch tiefer glitt und sie seine Männlichkeit in die Hand nahm,
stemmte John sich gegen das Kopfende, weil sein gesamter Körper
krampfartig zuckte. Grace staunte, welche Wirkung sie auf ihn hatte
und dass sie es war, die er so dringend brauchte. So begann sie,
ihn rhythmisch zu streicheln.
Lange dauerte es nicht. Mit einer blitzartigen
Bewegung umklammerte er sie, zog sie an sich und schob ihr seine
Zunge in den Mund. Dabei strichen seine Hände unaufhörlich über
ihren Rücken. Sie spürte, dass er versuchte, sanft zu sein, aber
seine Lust machte ihn immer fordernder. Doch sie hatte keine Angst.
Sie wollte mehr.
»Ich kann mich nicht länger zurückhalten«, stöhnte
er dicht vor ihrem Mund. Dann rollte er sich auf sie, sah ihr tief
in die Augen und presste sich mit seinem vollen Gewicht auf sie.
Grace bäumte sich unter ihm auf, weil sie ein Anschwellen, ein
pulsierendes Verlangen tief in ihrem Inneren spürte, und zog die
Knie an. Er schob sich mit einem fast schmerzerfüllten
Gesichtsausdruck zwischen ihre Beine.
Dann richtete er sich auf und sah sie an. »Bist du
sicher?«
Grace nickte und zog ihn an sich.
Fast quälend langsam drang er in sie ein und
erfüllte ihren
Körper mit seiner heißen Männlichkeit, was sie völlig um den
Verstand brachte. Sie schrie auf. Mit ihren unverständlichen Lauten
im Ohr begann er, sich in ihr zu bewegen. Immer härter, immer
schneller nahm er ihren Körper, bis sie gemeinsam, eng umschlungen
und von heiseren Schreien begleitet, kamen.
In der darauffolgenden Stille spürte Grace eine Art
Glühen in sich, war aber nicht sicher, wie er sich fühlte. Sie sah
ihn unter den Wimpern hervor an. Er lag mit geschlossenen Augen da.
Die scharfen Linien seines Gesichts wirkten erstaunlich entspannt
und weich.
»Bist du okay?«, fragte er.
»Ja«, lächelte sie.
Da sah er sie an und strich ihr eine Haarsträhne
aus dem Gesicht. »Du bist eine unbeschreiblich wunderbare
Frau.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich.« Er küsste sie ausgiebig und
zärtlich.
Grace streckte die Arme aus und klammere sich an
ihn. Als er sofort wieder steif in ihr wurde, seufzte sie und gab
sich der wieder aufflammenden Lust hin.
Grace wachte allein auf. Sie wusste, dass es schon
spät war, denn die Sonne, die durch die Fenster hereinströmte und
breite Strahlen auf die Dielen warf, hatte ihr Bett fast bereits
erreicht. Sie rekelte sich. Empfand alle möglichen neuen Gefühle
und betrachtete lächelnd das völlig zerwühlte Bett.
Sie hatten sich die ganze Nacht geliebt, und sie
fühlte sich wie eine neue Frau. Es war genau so gewesen, wie sie es
sich erträumt hatte. Er war leidenschaftlich und zärtlich zugleich
und schien genau zu wissen, was er mit seinem harten Männerkörper
bei ihr bewirken konnte. Es war mit
Abstand die befriedigendste Nacht ihres bisherigen Lebens
gewesen.
Als ihr Blick auf die Verandatür fiel und den
Stuhl, der unter die Klinke geschoben war, überlegte sie
allerdings, wie sie das ihrer Mutter erklären konnte.
Sie wollte aufstehen und suchte nach ihrem
Negligee. Es klopfte. Überrascht sah sie ihre Mutter auf dem Gang
vor der Tür stehen.
»Das ist aber früh für dich«, sagte Grace und
strich sich über das Haar. Sie wusste genau, wie zerwühlt es
aussehen musste.
»Nein, das ist es nicht. Du hast das Frühstück
verschlafen.«
Mit diesen Worten trat die Mutter ein und zwang
Grace, ihr den Weg freizugeben. Carolinas Blick fiel auf die Tür
mit dem zerbrochenen Schloss. »Ich dachte, ich hätte gestern Abend
etwas gehört.Was ist passiert?«
Grace zuckte die Achseln. »Ich habe mich aus
Versehen auf der Veranda ausgeschlossen.«
»Warum bist du nicht durch die Tür auf dem Gang
wieder hereingekommen?«
»Die war auch verschlossen.«
Carolina trat zu der beschädigten Tür. »Ich sage
Gus Bescheid, er soll es reparieren.«
»Wolltest du sonst noch etwas?«
Ihre Mutter drehte sich zu ihr herum.
»Warum ist das Schlafzimmer, das ich Mr. Smith
angewiesen hatte, unbenutzt?«
Grace zögerte, ehe sie antwortete: »Weil er da
nicht schläft.«
»Und wo schläft er?«
»Hier gegenüber.«
Darauf folgte eine peinliche Pause. Grace richtete
sich auf und hielt dem kalten Blick der Mutter stand.
»Gibt es einen bestimmten Grund, warum das
ursprüngliche Zimmer nicht seinen Wünschen entsprach?«
»Mutter …«
»Du hast mich angelogen, nicht wahr?«, flüsterte
Carolina zornerfüllt.
»Wie?«
»Dass … dass dieser Mann nicht dein Liebhaber
ist.«
Nein, eigentlich nicht, dachte Grace. Gestern war
er das noch nicht.
»Mutter, du übertreibst das alles ein
bisschen.«
»Wirklich?« Carolina deutete auf Smiths Jackett,
das über der Stuhllehne hing. »Dann gib mir eine andere Erklärung,
dass dein Bett so zerwühlt ist und sein Jackett sich in deinem
Zimmer befindet.«
Grace flehte innerlich, dass die Röte, die ihr in
dieWangen stieg, nicht sichtbar wäre. »Wir waren zusammen auf einem
Spaziergang. Es war kühl, und er hat es mir umgehängt.«
»Und du erwartest von mir, dass ich das glaube?«
Abscheu durchfurchte die ansonsen makellos glatte Stirn der
Mutter.
»Also, diese Unterhaltung war gestern schon nicht
sehr angenehm. Und heute ist es auch nicht besser.«
»Ist es denn zu viel verlangt, dass du deine
Verpflichtungen gegenüber der Familie einhältst und dich wie eine
Dame benimmst?«
Grace seufzte entnervt. »Um Himmels willen, wir
leben doch nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert!«
»Was wirklich schade ist«, entgegnete Carolina
spitz. »Damals wussten die Menschen noch, wie wichtig Manieren und
Benehmen sind.«
»Wen willst du eigentlich beeindrucken, Mutter?
Außer dich selbst?«
»Sei nicht so frech. Du weißt, dass wir immer
beobachtet werden. Und ich kann dir versichern, es hat nichts
Witziges oder Altmodisches, wenn jemand sein Ehegelöbnis bricht.«
Carolina deutete auf die offene Tür, durch die Smiths Zimmer nun
sichtbar war. »Ich will, dass dieser Mann mein Haus
verlässt.«
Grace riss die Augen auf. »Das geht nicht.«
»O ja, das geht.«
»Mutter, John Smith arbeitet für mich.«
»Mir ist völlig egal, ob er dein Arzt ist, dein
Anwalt oder dein Müllmann. Ich will ihn nicht unter dem Dach deines
Vaters haben.«
»Dann werde ich ebenfalls abfahren.«
Diese fünf Worte lösten tiefes Schweigen aus.
»Wie bitte?«
Grace hob erschöpft eine Hand an die Schläfe und
versuchte, die Spannung fortzureiben, die sich dort langsam vom
Rückgrat her ausbreitete. »Ich will nicht, dass du dich so
aufregst.«
»Dazu ist es ein bisschen spät.«
»Ich finde einfach, es ist besser, wenn wir
abfahren.«
Carolina schnaufte vor Missbilligung. »Kein Grund,
so theatralisch zu sein, Grace. Ich handle ja nur in deinem
Interesse.«
»Für mich sieht es aber so aus, als wolltest du
bloß andere beschuldigen.«
»Besser ich als die Presse.« Carolina kniff die
Augen zusammen. »Es würde in aller Öffentlichkeit breitgetreten,
falls du eine Indiskretion begingest. Das weißt du doch
genau.«
Grace nickte frustriert. »Natürlich.«
»Deinen Vater haben wir verloren, aber sein Name
strahlt immer noch Macht aus. Ich will nicht, dass der Ruf der
Familie Schaden nimmt.«
Grace erstarrte, als sie die Andeutungen der Mutter
begriff.
»Das wäre für dich schlimmer«, flüsterte sie.
»Schlimmer, als ihn zu verlieren, nicht wahr?«
Carolina ignorierte ihre Bemerkung. »Du bist die
einzige echte Erbin seines Namens. Ich möchte nicht, dass du all
das für einen … Mann verschleuderst. Du bist mit einem Verwandten
des Königshauses verheiratet …«
»Hör auf, Mutter«, unterbrach Grace sie.
»Bitte.«
Damit wandte sie sich ab, ging zum Schrank und zog
ihren Koffer heraus.
»Du wirst also wirklich abfahren?«
Die Entrüstung ihrer Mutter war auf dem Höhepunkt.
»Ja.«
»Was soll ich den anderen Gästen sagen? Wegen
deiner Ungehörigkeit musste ich eine Abendgesellschaft bereits
absagen.«
Grace schüttelte resigniert den Kopf und murmelte:
»Ich bin sicher, dir fällt etwas ein.«
Damit begann sie, ihre Kleidung aus dem Schrank zu
nehmen. Ihre Mutter schnalzte nur noch missbilligend.
»Nun, wenn das deine Einstellung ist, dann ist es
wohl am besten, dass du abfährst.« Carolina blieb bei der Tür
stehen. »Aber tu mir den Gefallen und verabschiede dich wenigstens,
ja? Das ist das Mindeste, was du tun kannst.«
Sobald sie wieder alleine war, sackte Grace auf dem
Bett zusammen und blickte auf den Kleiderhaufen, den sie
unordentlich in den Koffer geschleudert hatte. Der Gedanke,
sich nie wieder auf Willig wohlfühlen zu können, dass die Distanz
zwischen ihrer Mutter und ihr immer größer wurde, nachdem der
ausgleichende Einfluss des Vaters nicht mehr da war, enttäuschte
sie bitter.
Aber vielleicht war es am besten, wenn sie nicht
mehr herkam. Ihre Mutter hatte etwas an sich, das ihr geradezu den
Lebenswillen aussaugte. Diese kalte Eleganz, die unaufhörliche
Kritik - es war, als lebte man direkt neben einem emotionalen
schwarzen Loch.
Als sie die leisen Schläge der Standuhr in der
Halle hörte, erinnerte sie sich, John Bescheid zu geben, dass sie
abreisen würden.
Sie ging über den Gang und klopfte an seine Tür.
»John?«
Er kam gerade aus dem Bad und trug nur ein T-Shirt
und schwarze Jeans. Um den Nacken hatte er ein Handtuch
geschlungen, dessen Enden er mit beiden Händen umklammerte, wodurch
sein Bizeps deutlich zu sehen war.
Sie spürte, wie die Glut sie wieder durchfuhr, aber
als ihre Blicke sich trafen und er nur wenig Reaktion zeigte,
richtete sich sich enttäuscht auf.
»Guten Morgen«, sagte sie.
Er nickte. »Morgen.«
Er hätte doch wenigstens lächeln können. Etwas
Wärme, eine Berührung wäre angebracht gewesen. Doch stattdessen
schien er sich wieder in sich selbst zurückgezogen zu haben. Grace
fiel ein, dass sie sich bei seinem ersten Anblick gefragt hatte, ob
seine harte Schale etwas anderes verbarg.
»Äh … kleine Planänderung.Wir reisen ab.«
»Gut.«
Sie runzelte die Stirn. In der letzten Nacht hatte
er sie eng an sich gepresst und heiser ihren Namen geflüstert, als
er in sie eingedrungen war. Als sie jetzt in sein gleichgültiges
Gesicht starrte, schien sie alles nur geträumt zu haben.
Ihr Traum, nicht seiner.
Sie zögerte. »Okay. Ich gehe jetzt packen.«
»Ich bin in zehn Minuten fertig.«
Als er sich abwandte, blieb ihr Blick auf seinem
Rücken haften. »John, stimmt etwas nicht?«
»Alles in Ordnung«, sagte er über die Schulter
hinweg und ging ins Bad.
Dann hörte sie Wasser rauschen und das leise
Zischen seiner Rasierschaumdose.
Grace folgte ihm. »Warum bist du so kühl?«
Er starrte weiterhin in den Spiegel, nahm den
Rasierer und strich eine Schneise durch den weißen Bart, den er
sich aufgeschäumt hatte.
»Wie meinst du das?«
»Rede mit mir.«
»Ich habe nichts zu sagen.«
»Nichts?«
Er zog eine Braue hoch, spülte den Rasierer ab und
arbeitete weiter an seinem Bart. »Soll ich vielleicht etwas
erfinden?«
»Zu deiner Information«, erwiderte sie heiser,
»falls du mir bloß beweisen willst, dass wir kein Happy End
erwarten können, dann hast du dein Ziel schon erreicht.«
Dann ging Grace zurück in ihr Zimmer. Sie wusste
nun, dass sie einen Fehler gemacht hatte mit der Annahme, es könne
gar nicht noch schwieriger werden, wenn sie miteinander ins Bett
gingen.