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John Smith blickte auf seine Uhr und sah sich anschließend im Ballsaal des Hotels Plaza um.
Alles lief gut. Dem Bericht zufolge, den er gerade über seinen Kopfhörer empfangen hatte, war das Flugzeug des Botschafters sicher auf dem Flughafen La Guardia gelandet, und der Mann würde pünktlich auf der Party erscheinen.
Smiths Augen wanderten über die festliche Menge. Es war die stets gleiche Szene bei diesen Veranstaltungen, bei denen die Teilnahme bis zu 5000 Dollar kostete: Die Frauen trugen kostbaren Juwelenschmuck zu den langen Kleidern, die Männer waren im Frack. Der Nettogesamtwert dieser Versammlung konnte nur als astronomisch bezeichnet werden. Und mitten in dieser lebhaften Menge wurden Deals abgeschlossen, nahmen Affären ihren Anfang und wurden gesellschaftliche Spitzen mit einem Lächeln quittiert. Es vibrierte geradezu von Luftküssen und heftigem Händeschütteln.
Alle wirkten unter den Kronleuchtern in der eleganten Umgebung so, als hätten sie die ganze Welt im Griff. Smith allerdings wusste es besser. Nicht wenige unter ihnen hatten seine Dienste in Anspruch genommen. Er hatte ihre schmutzigen Geheimnisse erfahren, ihre verborgenen Schwächen erlebt. Er war auch Zeuge gewesen, als einige von ihnen vom Leben selbst an die Kandare genommen worden waren.
Wenn man von einem bewaffneten Stalker verfolgt wird, ist das ein Grund zu echter Sorge. Wenn die Kinder von einem Verrückten entführt werden, der ein paar Millionen abzustauben hofft, ist das tatsächlich ein Problem. Ob die Busenoperation der Geliebten asymmetrisch ausgefallen ist oder nicht, ist dagegen vergleichsweise unwichtig.
Gefahr und Krankheit sind die großen Gleichmacher, und die Reichen lernten schnell, was wirklich wichtig war, wenn das Schicksal an ihre Tür klopfte. Und bei der Gelegenheit lernten sie auch gleich ein paar Lektionen über ihre innere Stärke. Smith hatte miterlebt, wie hartgesottene Geschäftsleute zusammenbrachen und vor Angst schluchzten. Er hatte auch erlebt, welche Kräfte eine Frau mobilisieren konnte, deren einzige Sorge bisher ihre Garderobe gewesen war.
Er war ein persönlicher Sicherheitsberater, eine gefährliche Sache, aber eine andere Arbeit konnte er sich nicht vorstellen. Mit seiner Erfahrung bei der Army und beim Geheimdienst und vor dem Hintergrund, dass er sich nicht gerne etwas befehlen ließ, passte es ihm gut. Er war ein Beobachter, ein Beschützer und, falls nötig, auch ein Killer. Smith galt in seinem Metier als Spitze. Seine kleine Firma Blackwatch Ltd. nahm jeden Klienten an, ob Politiker, Banker oder internationale Stars.
Manche hätten sein Leben aufreibend gefunden. Sein selbstgewählter Beruf führte ihn rund um den Globus. Er wohnte unter fremden Dächern, schlief in Hotelzimmern und war ohne Pause immer gleich zum nächsten Job bereit. Diesen Mangel an Stabilität fand er reizvoll. Und notwendig.
Sein einziger Besitz waren ein Army-Sack für seine Klamotten und zwei metallene Aktenkoffer für seine Ausrüstung. Das Geld, das er verdiente - eine hübsche Summe -, wurde auf verschiedenen Off-Shore-Konten unter verschiedenen Namen deponiert. Er war in gewisser Hinsicht ein Geist, da er keine gültige Versicherungsnummer besaß und weder beim Finanzamt noch bei irgendeiner anderen Behörde in den Akten geführt wurde.
Doch das bedeutete nicht, dass man ihn nicht bemerkte.
Gerade schlenderte eine Frau in einem engen schwarzen Kleid an ihm vorbei und beäugte ihn mit einem Interesse, das vermutlich die meisten Männer unwiderstehlich fänden. Doch er blickte durch sie hindurch, an ihr vorbei. Er war an kurzen Affären nicht interessiert, nicht mit einer solchen Diva. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, sich an seine eigene Klasse zu halten.
Die Frauen, mit denen er zusammen war, gehörten entweder der Geheimdienstszene an oder dem Militär. Sie verstanden sein Leben und erwarteten nichts weiter als eine oder zwei gemeinsame Nächte, um sich an ihm zu wärmen. Frauen der Zivilwelt neigten dazu, nach dem Sex über die Zukunft zu spekulieren, und es war immer sehr aufwendig, die falschen Erwartungen zu korrigieren. Dazu hatte er weder die Zeit noch die Geduld.
Jetzt schaltete er seinen Kopfhörer an. Das »Paket« befand sich in seiner Limousine, die in Richtung des Plaza unterwegs war.
»Danke,Tiny«, flüsterte er in den kleinen Transmitter am Handgelenk.
Der Botschafter hatte mehrere Morddrohungen erhalten, daher war Smith jetzt im Frack auf diesem Ball.
Während seine Blicke erneut die Menge überflogen, rechnete er mit keinerlei Problemen. Seine Männer hatte sich unter die Gäste gemischt. Er kannte sie alle gut und traute ihnen. Alle waren handverlesene ehemalige Kollegen aus der Militärelite. Blackwatch war seines Wissens der einzige Ort, wo ehemalige Ranger, Marines und Soldaten ohne Gerangel zusammenarbeiten konnten. Falls sich heute Nacht irgendetwas ereignete, würden sie vereint ihr Bestes geben, um den Botschafter zu schützen.
Smith machte sich keinerlei Sorgen, weil er wusste, was sonst niemand wusste. Der Mann, der es auf den Botschafter abgesehen hatte, war vor fünf Stunden auf einem verlassenen Posten in seinem Heimatland ermordet worden. Smith hatte den Tipp von einem alten Freund erhalten, und diese Quelle machte ihn sicher, dass die Information stimmte. Es bedeutete nicht, dass der Botschafter nun in Sicherheit war, denn Auftragskiller ließen sich leicht ersetzen, doch für diesen Abend standen die Chancen ziemlich gut, dass nichts passieren würde.
Trotz des geringeren Risikos war Smith jedoch genauso aufmerksam wie sonst. Er wusste, wo sich jeder in dem Ballsaal befand, welchen Weg sie nahmen, wenn sie den Raum betraten und wieder verließen. Kein Geheimdienst der Welt übertraf die Präzision seiner Lageübersicht oder die Schnelligkeit, mit der er Informationen verarbeitete.
Seine Beobachtungsgabe war angeboren und ebenso unveränderbar wie die Farbe seiner Augen.
Plötzlich spürte Smith, wie sich ihm jemand von hinten näherte. Als er sich umdrehte, blickte er in das besorgte Gesicht von Alfred Alston, dem Gastgeber des Balls. Der Mann war ein typischer Gesellschaftslöwe, mit einem Schopf schon früh ergrauter Haare und einer dickrandigen Hornbrille. Smith mochte ihn gut leiden. Es war leicht, mit ihm umzugehen.
»Es tut mir schrecklich leid, Sie zu stören, aber haben Sie vielleicht meine Frau gesehen?«
Seine Stimme verriet einen leichten englischen Akzent, zweifelsohne ein Überbleibsel von damals, als seine Familie den Atlantik überquert hatte. Im Jahr 1630.
Smith schüttelte den Kopf.
»Sie hätte schon vor einiger Zeit hier sein sollen, denn sie würde nur sehr ungerne die Ankunft des Botschafters versäumen.« Alston befingerte seine Fliege mit dünnen Fingern. »Ich bin allerdings sicher, dass sie bald hier sein wird.«
Doch die Anspannung um die Augen des Mannes herum verriet mehr, als seine Worte es taten.
»Möchten Sie, dass ich einen meiner Männer zu Ihrem Haus schicke?« Alston war immer ein guter Arbeitgeber gewesen, daher machte Smith sich gerne diese Mühe. Es würde außerdem nicht lange dauern. Seine Jungs fädelten sich immer so geschickt durch den New Yorker Verkehr, dass die normalen Taxifahrer dagegen wie Laien wirkten.
Alston reagierte mit einem besorgten Lächeln. »Danke, das ist sehr nett von Ihnen, aber ich möchte keine Umstände machen.«
»Lassen Sie mich wissen, falls Sie es sich anders überlegen. Der Botschafter wird übrigens pünktlich erscheinen.«
»Ich bin froh, dass Sie hier sind. Curt Thorndyke hatte Recht. Sie vermögen es wirklich, Menschen zu beruhigen.«
Smiths Blick schweifte wieder durch den Raum. Der Botschafter würde in etwa zwanzig Minuten eintreffen. Dann folgten der normale Fototermin, die Verbeugungen und die Knickse, dann das Dinner …
Smiths Blick verharrte bei etwas.
Besser gesagt bei jemandem.
Er starrte über die Köpfe hinweg auf eine blonde Frau, die gerade erst eingetreten war. Sie trug ein glänzendes silbriges Ballkleid und wirkte beinahe künstlich, wie sie strahlend in dem verschnörkelten Türbogen zum Ballsaal dastand. Smith erkannte sie sofort. Aber wer würde das nicht?
Es war die Gräfin von Sharone.
Die Unterhaltung im Ballsaal senkte sich zum Flüsterton, als die Anwesenden sie nach und nach bemerkten. Der gesellschaftliche Rang dieses Balles, ohnehin sehr hoch, erreichte mit ihrer Ankunft schwindelnde Höhen. Man schmeckte geradezu die Bewunderung der Menge.
Wenn diese Salonlöwen nicht alle einen Drink in der Hand gehabt hätten, wäre Applaus ausgebrochen, dachte Smith. Als wäre sie der Ehrengast und nicht der Botschafter.
Doch er musste zugeben, dass sie toll aussah. Sie hatte die blonden Haare zu einer Aufsteckfrisur hoch aufgetürmt - eine klassische Schönheit mit feinen Zügen und strahlend grünen Augen. Und erst das Kleid … es schmiegte sich eng an ihren Körper und umfloss sie wie Wasser, als sie die ersten Schritte in den Saal hinab tat.
Jesus, wie schön sie ist, dachte er. Falls man diese adligen, stets lächelnden Typen überhaupt mochte.
Was bei ihm nicht der Fall war.
Nun trat Alston auf sie zu. Sie streckte ihm eine Hand entgegen und duldete die beiden Wangenküsse von ihm. Ihre Miene hellte sich dabei auf.
Dann nahte sich ihr jemand anderes und noch jemand, bis sie auf einer Welle der Schmeichelei geradezu in den Saal hineingetragen wurde. Smith beobachtete jede ihrer Bewegungen.
Er erinnerte sich, vor Kurzem in den Zeitungen über sie gelesen zu haben, doch eigentlich befassten sich die Medien ständig mit ihr. Mit ihrer Garderobe, ihren Partys, der sehr extravaganten Hochzeit neulich - das war Futter für die Regenbogenpresse wie für die normalen Blätter.Was war es doch gleich? Ihr Vater war gestorben. Genau. Und im Modeteil der New York Times war ein Artikel über sie und fünf weitere Frauen erschienen. Er hatte die Zeitung mit der aufgeschlagenen Seite am Empfang des Plaza gesehen.
Na, die ist wirklich mit einem Silberlöffel im Mund zur Welt gekommen, dachte er mit einem Blick auf die schweren Perlen und Brillanten an ihrem Hals und an den Ohrläppchen. Das Familienvermögen belief sich auf Milliarden, und der Graf, den sie gerade geheiratet hatte, verdiente auch erheblich mehr als nur den Mindestlohn.
Sie schritt weiter in den Saal und wandte sich irgendwann in seine Richtung. Ihre Blicke trafen sich. Als er die Augen nicht abwandte, zog sie mit könglicher Miene die Brauen leicht hoch.
Vielleicht hatte sie es nicht gern, angestarrt zu werden. Vielleicht spürte sie, dass er eigentlich nicht hierhergehörte, sondern nur die passende Garderobe trug.
Vielleicht spiegelte sich die Lust, die in ihm hochstieg, irgendwie in seinen Zügen?
Als ihr Blick ihn taxierte, brachte er seine Reaktion unter Kontrolle. Ihn überraschte das abschätzige Blitzen in ihren Augen und dass ihr Blick auf seinem linken Ohr verweilte, dort, wo er den Empfänger trug. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so aufmerksam sein konnte. Ein erstklassiger Kleiderständer für Haute Couture, klar. Das Lieblingskonfekt am Arm eines reichen Mannes, yeah. Aber auch nur eine halbe Unze Verstand unter der erlesenen Kleidung? Nein, niemals.
Die Gräfin schritt weiter durch den Raum. Da ertönte Tinys tiefe Stimme in seinem Kopfhörer. Der Botschafter würde in einer Viertelstunde eintreffen. Smith blickte auf seine Uhr. Als er wieder hochsah, stand sie direkt vor ihm, weil sie sich aus der Gruppe ihrer Bewunderer gelöst hatte.
»Kenne ich Sie?« Ihre Stimme klang sanft und ein wenig tief für eine Frau. Unerhört sexy.
Ihr Lächeln war sanft und herzlich, kaum die aristokratische kühle Grimasse, mit der er gerechnet hatte.
Sein Blick zuckte an ihr auf und ab. Ihre Brüste waren von dem silbernen Kleid verhüllt, aber perfekt, die Taille sehr schmal. Er stellte sich vor, dass ihre Beine, die ja ebenfalls von dem Kleid verdeckt waren, genauso perfekt waren. Dann fiel ihm ihr leichtes, würziges Parfüm auf. Es stieg ihm in die Nase und breitete sich anschließend in seinem Nervensystem aus.
»Sind wir uns schon einmal begegnet?«, wiederholte sie, streckte ihm die Hand entgegen und wartete auf eine Antwort.
Smith blickte nach unten. Sie reichte ihm die linke Hand, und er konnte kurz die Juwelen an den Fingern abschätzen: Sie trug einen riesigen Saphir und einen Reif mit hochkarätigen Brillanten.
Die Ringe erinnerten ihn daran, dass er in der Vorstellung gerade eine verheiratete Frau ausgezogen hatte.
Dann sah er ihr wieder in die Augen und wünschte sich, sie würde verschwinden. Allmählich begann sie, die Aufmerksamkeit der Umstehenden zu erregen, weil sie ihm immer noch die Hand entgegenstreckte.
»Nein, wir kennen uns nicht«, erwiderte er knapp und ergriff ihre Finger.
Als er sie berührte, schoss es ihm heiß den Arm hinauf, und er bemerkte einen Reflex dieses Schocks in ihren Augen. Rasch zog sie die Hand zurück.
»Sind Sie sicher?« Sie legte den Kopf schräg und rieb sich die Hand, als wollte sie ein unangenehmes Gefühl vertreiben.
Da hörte er im Kopfhörer eine weitere Nachricht über den Botschafter. »Yeah. Ich bin absolut sicher.«
Damit wandte Smith sich ab und entfernte sich.
»Warten Sie!«, ertönte es hinter ihm. Er blieb aber nicht stehen, sondern ging weiter in Richtung der Saalrückseite. Dort stieß er eine unauffällige Tür auf und betrat einen Gang, in dem überzählige Tische und Stühle gestapelt standen. Von der kahlen Decke hingen vereinzelt nackte Glühbirnen, die scharfe Schatten auf den Betonboden malten. Der Gang führte zum Dienstboteneingang, den der Botschafter benutzen würde.
Als er hinter sich ein Klicken hörte, drehte er sich um. Die Gräfin war ihm gefolgt.
Selbst in dem harten Licht hier wirkte sie atemberaubend schön.
»Was machen Sie hier?«, wollte er wissen.
»Wer sind Sie?«
»Was geht Sie das an?«
Sie zögerte. »Es ist bloß … Sie haben mich angesehen, als wären wir uns schon einmal begegnet.«
»Sind wir nicht. Glauben Sie mir.«
Smith ging weiter.Das Letzte,was die Gräfin brauchte,war ein weiterer Mann, der ihr hinterherschmachtete. Zweifellos gab es jede Menge sehnsüchtige Jünglinge in ihrem Leben. Und wo schon von schmachtenden Liebhabern die Rede ist - wo war eigentlich ihr Mann heute Abend? Sie schien ganz allein zu dieser Galaveranstaltung gekommen zu sein.
Smith warf einen Blick zurück über die Schulter.
Die Gräfin befand sich auf dem Weg zurück zur Tür. Sie hielt den Kopf gesenkt, als müsste sie sich dagegen wappnen, den Ballsaal wieder zu betreten.
Ihre Schritte verlangsamten sich. Dann blieb sie stehen.
»Stimmt etwas nicht?«, rief er ihr hinterher. Seine Stimme hallte in dem kahlen Gang. Im selben Augenblick bereute er schon seine Frage und murmelte: »Trägt vielleicht jemand das gleiche Kleid wie Sie?«
Der Kopf der Gräfin fuhr blitzschnell zu ihm herum. Dann richtete sie sich auf und sah ihn kühl an.
»Mit mir stimmt alles wunderbar.« Ihre Stimme klang gleichmäßig, die Worte gestochen scharf.Vielleicht hatte er sich ihre Verletzlichkeit bloß eingebildet. »Sie hingegen leiden an einem eindeutigen Mangel an Manieren.«
Smith runzelte die Stirn und dachte, wie genau sie es mit dieser Kritik getroffen hatte. Ein einziger Satz, mit ruhiger, gelassener Stimme ausgesprochen, gab ihm das Gefühl, ein völliger Versager zu sein. Aber vermutlich hatte sie jede Menge Erfahrung, andere zu kritisieren. Vermutlich hatte sie das im Laufe ihres Lebens an ganzen Heerscharen von Bediensteten und Kellnern üben können.
Nun, er war keiner ihrer üblichen Lakaien. Und sie hatte keinerlei Recht, sich in seine Geschäfte einzumischen. Selbst wenn der vermutliche Mörder des Botschafters tot war, konnte Smith es überhaupt nicht brauchen, dass jemand wie sie sich in seine Pläne mischte. Sie sollte jetzt zurück in den Ballsaal gehen, damit er seine Arbeit erledigen konnte!
Zeit, es ihr klar und deutlich zu sagen, dachte er.
Smith schlenderte zur Gräfin hinüber. Als er ihr in die Augen starrte, musste er ihren verlockend süßen Duft ignorieren.
»Haben Sie vielleicht noch etwas auf dem Herzen?«, fragte sie streng. »Oder wollen Sie mich einfach bloß einschüchtern?«
Smith erkannte überrascht, dass sie seinem Blick standhielt. Normalerweise wichen Menschen seinen Augen aus, wenn er sie finster ansah. Die Blonde hielt sich recht tapfer.
Daraufhin schob er das Gesicht dichter vor ihres, weil ihn das reizte.
»Tut mir leid, falls ich Sie irgendwie ein bisschen beleidigt habe«, sagte er. »Eigentlich wollte ich Sie völlig verärgern.«
»Und warum, bitte?«
»Weil Sie mir im Weg sind.«
»Ja?«
Die Zeit verstrich, die Ankunft des Botschafters rückte immer näher, und die Hartnäckigkeit dieser Gräfin machte ihm immer mehr zu schaffen.
Und ihre Nähe. Als er auf sie hinabstarrte, verspürte er einen Drang, der nichts mit dem Zeitdruck zu tun hatte.
Aber jede Menge mit Lust.
Falsche Frau, falscher Zeitpunkt, dachte er. Nichts wie weg.
»Sagen Sie mir eins, Gräfin: Betteln Sie immer so um Aufmerksamkeit?« Seine Stimme klang kalt und verächtlich.
»Ich bettle um gar nichts«, erwiderte sie sanft.
»Sie suchen sich den einzigen Mann hier aus, der nicht an Ihnen interessiert ist, und verfolgen ihn. Finden Sie das zurückhaltend?«
Er sehnte sich danach, die Situation zu beenden, aber etwas hielt ihn fest. Seine starke und unangemessene Reaktion auf sie machte ihn sehr misstrauisch. Es war, als würde er vor einem Feuer stehen.
Und er hatte nicht die geringste Absicht, sich zu verbrennen.
Überrascht sah er nun, wie sich ihre Lippen zu einem leisen Lächeln verzogen. Statt der Reaktion, mit der er gerechnet hatte - eine arrogante Abfuhr -, wurde er leicht kritisch, aber wohlwollend begutachtet.
Und dann schockierte sie ihn, indem sie die Wahrheit aussprach.
»Sie«, sagte sie entschieden, »fühlen sich von mir bedroht.«
Smith war wie benommen, gewann aber rasch die Fassung wieder.Wut flammte in ihm hoch.
Für wen hielt sich diese blaublütige Barbie-Puppe eigentlich? Sein Geschäft war es, Leben zu retten - und ihres, in schicken Klamotten auf Partys herumzuflanieren. Er gab sich mit Mördern, Dieben und Psychopathen ab, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und er sollte sich von ihr bedroht fühlen? Lächerlich.
»Sie haben aber jede Menge Selbstbewusstsein, Barbie«, erwiderte er lakonisch. »… wenn Sie denken, dass Sie mir Angst einjagen.«
»Und Sie werden immer feindseliger. Ich frage mich wirklich, aus welchem Grund.«
Smith zeigte mit dem Daumen in Richtung Tür.
»Gehen Sie besser zu Ihren Freunden in Wolkenkuckucksheim zurück. Bei den Ken-Puppen sind Sie viel sicherer als allein mit mir auf dem Dienstbotengang.«
Stattdessen hatte sie den Nerv, ihn strahlend anzulächeln.
Begriff sie denn nicht, was für ein gefährlicher Mann er war? Bewaffnet sogar.
Warum roch sie nur so gut?«
Die Gräfin schüttelte bedauernd den Kopf. »Wissen Sie, ich dachte wirklich, Sie wären anders.«
Anders? Da hatte sie wohl Recht. »Ich gehe jede Wette mit Ihnen ein, dass ich nichts mit Ihnen gemein habe.«
»Da draußen habe ich gedacht, Sie wären irgendwie unter Kontrolle, machtvoll.«
»Schätzchen, ich kontrolliere die halbe Welt.«
»Wirklich? Warum regen Sie sich dann so auf? Wir unterhalten uns doch nur.«
»Wir machen überhaupt nichts. Sie verschwenden bloß meine Zeit.«
Sie zuckte mit einer eleganten Schulterbewegung die Achseln. »Sie sind doch auf mich zugekommen. Niemand hält sie hier fest.«
Smith ragte hoch über ihr auf, und sie hob, ein Abbild von Unschuld, beide Hände.
Dann wandte sie sich wieder zur Tür und sah ihn über die Schulter hinweg noch einmal an. »Und clever sind Sie auch nicht.«
»Was zum Teufel meinen Sie denn damit?«
»Sun Tzu. Kriegskunst. Ein paar einfache Regeln für menschliche Konflikte.Wenn dein Gegner wütend ist, dann reize ihn nicht.« Sie sah ihn unter gesenkten Wimpern hervor noch einmal an und legte dann die Hand auf den Türknauf. Ihr breites, entspanntes Lächeln reizte ihn tatsächlich. »Diese Taktik klappt vorzüglich, besonders bei harten Burschen wie Ihnen.Vielleicht sogar ganz besondes gut.«
Jetzt reichte es.
Mit einer einzigen Bewegung, die nicht von seinem Verstand gesteuert war, griff Smith nach ihr und riss sie an sich. Sie hatte ihn an den Rand seiner Beherrschung getrieben.
Und sogar noch einen Tick weiter.
Plötzlich wirkte sie nicht mehr belustigt und stemmte eine Hand gegen seinen Brustkorb. »Was machen Sie da?«
»Zu spät, Gräfin, knurrte er. »Sie haben den falschen Mann zu sehr gereizt.«
Dann entflammte er ihre Lippen mit einem harten Kuss. Seine Arme umfingen sie so fest und eng, dass er jeden Millimeter ihres Körpers spüren konnte. Das traf ihn wie ein Schock. Ihre weichen Kurven passten sich vollkommen seinem muskulösen Körper an. Eine heiße Welle der Lust durchfuhr ihn. Sie war wie ein gefesselter Blitz. So etwas hatte er noch nie gefühlt.
Als er die Zunge zwischen ihre Lippen schob, stieg ein Stöhnen tief in ihrer Kehle hinauf in seinen Mund. Er spürte, wie sie seine Schultern umklammerte und nicht mehr versuchte, ihn wegzuschieben. Sie begann ihn ebenfalls zu küssen.
Und dann piepte es in seinem Kopfhörer. Der Wagen des Botschafters war vorgefahren.
Smith löste sich abrupt von der Gräfin und trat schwer atmend zurück. Sie öffnete die hellgrünen Augen und starrte ihn stumm an.
Er hielt einen Moment inne, um ihr Bild in sich aufzunehmen, wie sie vor ihm stand. Ihre Lippen waren rot und voll von seinem Kuss, sie atmete stoßweise, die Wangen waren gerötet. Sie war eine unvergleichliche Frau, die er bald wieder vergessen musste. Ansonsten würde er wahnsinnig, dessen war er sicher.
Smith drehte sich abrupt um und begann zu rennen, denn er wusste, dass er vor dem Dienstboteneingang stehen musste, sobald der Botschafter aus seiner Limousine stieg. Bisher hatte er noch nie einen Klienten verloren, und damit wollte er heute Abend nicht anfangen.
Vergiss einfach, dass du sie jemals gesehen hast, sagte er sich, während er über den Betonboden rannte.
Keine Chance.
Vedammt, warum war sie ihm nur gefolgt? Und warum war er nicht einfach weitergegangen?
Weil es zwischen uns beiden gerade erst anfängt, dachte er grimmig.
Sein sechster Sinn verriet ihm, dass sich ihre Wege wieder kreuzen würden.