12 

Smith stand unter der Dusche und genoss,
wie das Wasser ihm den Rücken herabrann. Es war so heiß, dass es
fast wehtat, aber er brauchte Ablenkung, und körperlicher Schmerz
diente dazu immer recht gut.
Nachdem er gestern Abend ihr Zimmer verlassen
hatte, hatte er noch lange wachgelegen und an die Decke gestarrt.
Dann war sie an seiner Tür vorbeigegangen und hatte einen winzigen
Moment lang gezögert. Da hatte er sich so nach ihr gesehnt, dass er
sich kaum hatte beherrschen können. Er wusste noch, wie er das
Laken fest in der Hand zusammengeknüllt hatte, als ihre Schritte
sich wieder entfernten.
Sobald sie wieder in ihrem Zimmer war, war er
aufgestanden und in der Wohnung auf und ab gegangen. Er war von
einem Zimmer ins andere geschritten und hatte überlegt, dass sie
zwar beide nicht schlafen konnten, aber wahrscheinlich aus
unterschiedlichen Gründen. Das Zögern vor seiner Tür war vielleicht
aus Angst geschehen, aber Smith wollte lieber glauben, es hätte
einen anderen Grund gehabt. Seine sexuelle Frustration war
grenzenlos.
Dann war er vor das Sofa getreten und hatte das
kleine Buch aufgeschlagen auf dem Kissen liegen gesehen. Er hatte
sich darüber gebeugt, die saubere, elegante Handschrift bewundert
und gelächelt, als er es las.
Wie gerne wäre er ihr Geburtstagsgeschenk!
Smith stellte das Wasser noch heißer.
Jesus, dachte er.Wie sehr er sie begehrte. Obwohl
sie sich ihm beim letzten Mal entzogen hatte, wollte sie ihn wohl
immer noch. Wäre es wirklich so schlimm, wenn sie beide diesem
Drang nachgäben?
Okay, unter professionellen Gesichtspunkten wäre
das in keiner Weise akzeptabel, aber er war es leid,Tag und Nacht
ständig gegen seine Lust anzukämpfen.
Smith stemmte sich gegen die Marmorwand und beugte
sich vor. Dabei streckten und dehnten sich seine Rückenmuskeln, und
der Wasserstrahl traf ihn direkt im Nacken.
Er hatte es gerne, wenn alles klar und deutlich
war. Sicher und gefährlich zugleich. Klug und dumm. Er hatte immer
gefunden, dass das Leben ziemlich einfach war, wenn man sich um
alles gleichzeitig kümmerte und immer die richtigen Entscheidungen
traf. Richtig und Falsch war gar nicht so schwer
auseinanderzuhalten.
Mit einer Klientin ins Bett zu gehen war aber
gleichzeitig dumm und gefährlich.
Smith drehte sich um und ließ die Jetstrahlen den
Rücken herabtanzen. Dabei rollte er die Schultern und versuchte,
die Spannung loszuwerden. Aber er wusste, es würde wenig nützen. In
letzter Zeit hatte nichts mehr geholfen, und die Verspannung
breitete sich allmählich im ganzen Körper aus.Vermutlich würde nur
eine Nacht mit Grace die ersehnte Lockerung bringen.
Vielleicht auch mehrere Nächte.
Immerhin wäre sie dabei sicher vor diesem
Killer.
Als er aus der Dusche trat, meldete sich der
Taktiker in ihm. Er musste die ganze Situation leidenschaftslos
überdenken. Alle Risiken abwägen. Konflikte vorausplanen.
Immerhin war er Elitesoldat gewesen. Er hatte
gelernt,
sich mit seinem Verstand aus ausweglos erscheinenden Situationen
herauszudenken. Smith begann sich abzutrocknen.
Grace begehrte ihn. Er begehrte sie. Das waren die
Vorteile.
Gut,Vorteile war vielleicht nicht der richtige
Ausdruck. Es war aber die Wirklichkeit.
Dann überlegte er die Risiken. Diese Liste fiel
länger aus.
Erstens ging es hier um eine professionelle
Beziehung. Neben einer Klientin aufzuwachen war mit Sicherheit
nicht der Höhepunkt seiner Karriere. Er wusste nur zu verdammt gut,
dass Sex stets das Risiko mit sich brachte, dass die Frauen sich
auch emotional an ihn banden, besonders aber Klientinnen, die er
beschützen sollte. Eigentlich war er kein sonderlich
begehrenswerter Mann, aber Menschen in riskanten Situationen
klammerten sich oft an ihren Beschützer. Sex würde diese
unangemessene Bindung nur verstärken.
Außerdem stand auch sein Privatleben auf dem Spiel.
Wenn er sonst mit einer Frau schlief, ging er anschließend immer
fort. Es gab keine Schmuserei, kein Aneinanderkuscheln oder
zärtlich geflüsterte Worte im Dunkeln. Es war für ihn normal,
irgendein Flugzeug erwischen zu müssen, aber bei den seltenen
Gelegenheiten, wenn er nicht sofort hatte abreisen müssen, war er
trotzdem abgehauen, weil er sich wie gefangen fühlte. Der
emotionale Nachklang von Sex erschien ihm stets gezwungen. Er hatte
einfach nie etwas zu sagen.
Außer Lebewohl.
Grace war vielleicht eine sehr intelligente Frau,
aber sie war nicht leicht zu haben.Vermutlich würde sie sich nur
einem Mann schenken, zu dem sie sich auch emotional hingezogen
fühlte, und daher hatte sie in jener Nacht einen Rückzug gemacht,
als er fast am Ziel war. Als sie versuchte, es zu erklären, hatte
er das abgelehnt, weil er nichts von ihren Gefühlen hören wollte.
Er wusste, dass solche Vertraulichkeiten Intimität erzeugten, und
das wollte er auf keinen Fall.
Mit keiner Frau.
Smith fluchte.
Er fühlte sich wie in einem fremden, unvertrauten
Land. Er hatte noch nie zuvor darüber nachgedacht, was Sex mit
einer Frau eigentlich bedeutete. Bisher war es immer bloß eine Art
Hygiene gewesen. Und wenn er eine Frau wollte, hatte sich immer
eine gefunden.
So hatte er eben gelebt.
Smith schlang sich das Handtuch um die Hüften und
wischte mit dem Unterarm über den beschlagenen Spiegel.
Dann betrachtete er sich ganz genau.
Wie lautete nun seine Antwort?
Er war zuversichtlich, dass er mit Grace schlafen
konnte, ohne sich emotional auf sie einzulassen. Vor allem, weil er
unfähig war, eine intime Bezieung einzugehen. Bei seiner
Lebensweise konnte er jede Minute in einen anderen Winkel der Erde
geschickt werden, an Orte, über die er nicht einmal reden durfte.
Diese ständige Ortsveränderung stellte für ihn zwar kein Problem
dar, aber vielleicht für andere. Er wollte nicht zu jemandem
zurückkommen, der monatelang nichts von ihm gehört und sich die
ganze Zeit über gefragt hatte, ob er überhaupt noch lebte.
Dieser Druck war zu stark.
Wenn er arbeitete, dachte er ausschließlich an die
eigene und an die Sicherheit seiner Klienten. Da war kein Platz für
die Sorge um eine Frau, die ihn vielleicht vermisste. Daher hatte
er, obwohl er inzwischen achtunddreißig war, nie geheiratet und
auch nie mehr als nur ein paar Nächte mit derselben Frau
verbracht.
Smith war ganz alleine auf der Welt, abgesehen von
seinen Kumpanen bei Blackwatch. Anders wollte er es nicht.
Er fühlte sich nie einsam, denn er war immer unterwegs. Da er keine
Familie hatte, kannte er auch keine Schuldgefühle an jenen
Festtagen, wenn Familien normalerweise zusammenkamen. Er war ein
freier Mann.
Aber wie stand es um Grace’ Gefühle?
Wenn sie miteinander schliefen, hatte sie ein
Anrecht darauf, zu wissen, was sie von ihm erwarten konnte. Und das
war nichts, außer vielleicht großartigem Sex.
Smith kleidete sich mit einer Geschwindigkeit an,
die man ihm bei der Armee eingedrillt hatte. Das Rasieren dauerte
ganze drei Minuten von dem Zeitpunkt an, dass er die Dose mit dem
Schaum in die Hand nahm, bis zum Ablegen der Klinge. Sein Haar war
so kurz, dass er es nicht zu bürsten brauchte.
Er wollte gerade gehen, da fiel sein Blick auf das
lavendelfarbene Seidenhemd, das an der Tür hing. Er stellte sich
Grace darin vor und auch, wie er langsam und sanft den zarten Stoff
von ihrer Haut hob.
Und wenn er sich nun tatsächlich emotional auf sie
einließ?, fragte er sich wie nebenbei.
Er hielt das nicht einmal im Entferntesten für
möglich, aber übersehen durfte er diese riskante Möglichkeit auch
nicht.Wenn er nun mit Grace ins Bett ging und begann, sie zu mögen?
Respektieren tat er sie ohnehin. Außerdem fand er sie nicht nur
körperlich attraktiv.
Jesus, zum ersten Mal in seinem Leben dachte er,
dass Sex
einen Einfluss darauf haben konnte, was sich zwischen ihm und
einer Frau abspielte. Alles war plötzlich anders.
Und was hatte das alles zu bedeuten? Es war
vermutlich ratsam, sich emotional zurückzuhalten, ja, es war
äußerst wichtig, dass er sich nicht in Grace verliebte. Sie konnten
beide das Risiko nicht eingehen, dass er seine Objektivität verlor,
denn wenn sein Herz im Spiel war, hatte der Verstand Urlaub. Aus
genau diesem Grund behandeln Ärzte niemals die eigene
Familie.
Man musste alles schön auseinanderhalten, dachte
er. Und streichelte das seidene Negligee.
Glücklicherweise kannte er sich darin gut aus.
Seine Fähigkeit, klare Gedanken zu fassen und Gedanken und Gefühle
genau zu trennen, garantierte, dass er jede Situation mit klarem
Kopf und entspanntem Körper angehen konnte und auch so blieb, wenn
Kugeln ihn umschwirrten. Er musste einfach einen Teil seines
Verstandes ausblenden und sämtliche Gefühle unterdrücken.
Eine reine Willensfrage.
Er sagte sich, es gäbe keinen Grund, warum er sich
nicht emotional von Grace distanzieren könnte. Auch nicht in dem
unwahrscheinlichen Fall, dass ihm viel an ihr lag.
Smiths Finger krampften sich in die Seide.
Er begehrte sie, war aber nicht bereit zu lügen, um
sie ins Bett zu bekommen. Er würde sie vor die Wahl stellen. Er
würde ganz deutlich machen, was er zu bieten hatte: nichts außer
einer rein körperlichen Beziehung. Sie konnte sich dann frei
entscheiden.
Immerhin war sie eine erwachsene Frau. Er hatte
genug Zeit mit ihr verbracht, um zu wissen, wie intelligent und
ehrlich sie war. Wenn jemand eine informierte Entscheidung treffen
konnte, dann war es Grace.
Als Smith die Tür öffnete, lächelte er.
»John?«
Er drehte sich in Richtung ihrer Stimme um.
Sie stand in der Tür zu ihrem Ankleidezimmer, eine
Seidenbluse teilweise in den Bund eines schwarzen Rocks gesteckt.
Sie hatte offensichtlich auf ihn gewartet.
»Was du … da gelesen hast …« Sie wollte ihn dabei
fest ansehen, aber es gelang ihr nicht, und sie wandte errötend den
Blick ab.
»Ich habe zu spät gemerkt, dass es dein Tagebuch
war.« Er konnte sein Lächeln kaum unterdrücken.
»Äh … ja … ähm …«
Smith trat auf sie zu und blieb erst stehen, als er
die gelblichen Flecken in ihrer grünen Iris sah.
»Mir gefiel dein Geburtstagswunsch«, sagte er.
Seine Stimme klang noch tiefer als sonst.
Sie riss die Augen auf.
Dann beugte er sich so weit vor, dass er ihr ins
Ohr hauchen konnte: »Selbst wenn ich das nicht darf, es gefällt
mir, dass du mich begehrst.«
Dann streckte er die Hand aus und berührte mit dem
Daumen den Puls, der in ihrer Kehle pochte. Ihr Herz raste so sehr,
dass die einzelnen Schläge ineinander übergingen.
»Ich glaube, ich habe mich über uns beide geirrt«,
sagte er dann und ließ die Finger über ihr Schlüsselbein gleiten.
Ihre Haut war sehr warm und glatt.
»Inwiefern?«, krächzte sie.
Ihre Augen glänzten. Sie sah ihn fest an, voller
Angst, aber auch erwartungsvoll.
Er legte die Lippen wieder an ihr Ohr.
»Sag mir«, flüsterte er, »was ich mit dir machen
soll.«
Sie keuchte auf.
Dann strich er ihr Haar beiseite und fasste langsam
und zärtlich ihr Ohrläppchen mit den Zähnen. »Was willst du von
mir?«
Doch sie hob die Hand und schob ihn von sich.
»John«, murmelte sie. Dann räusperte sie sich. Er
sah, wie sie um Beherrschung kämpfte und das heiße Aufwallen in
sich unterdrückte, doch er respektierte es. Als sie schließlich
wieder sprach, klang ihre Stimme klar: »Warum sagst du mir nicht,
was du meinst?«
Er trat einen Schritt zurück und steckte beide
Hände in die Taschen.
»Ich glaube nicht, dass es irgendeinen guten Grund
gibt, warum wir beide nicht …« Er wollte »ficken« sagen, aber das
erschien ihm zu gewöhnlich. »… uns nicht lieben sollten.«
Und zwar sofort. Reißen wir uns die Kleider vom
Körper. Stürzen wir uns aufeinander.
Grace’ Hand fuhr an die Kehle. »Wie kommt es, dass
du deine Meinung geändert hast?«
»Weil ich dich begehre wie keine andere Frau, die
mir jemals begegnet ist«, stieß er heiser hervor.
Noch ehe sie etwas erwidern konnte, sprach er
weiter, denn er erinnerte sich nun daran, was er ihr sagen
wollte.
»Ich kann dich befriedigen. Aber du solltest auch
wissen, dass ich aus deinem Leben wieder verschwinden werde, wenn
mein Auftrag beendet ist. Nichts von Dauer, kein Happy End.« Dann
starrte er sie an und wünschte sich, sie würde ihn ernst nehmen,
aber immer noch mit ihm ins Bett gehen. »Ich kann dir versprechen,
dass niemand deinen Körper besser lieben wird als ich.«
Er merkte, wie die Lust seine Stimme zittern
ließ.
»Denk darüber nach«, sagte er noch, ehe er
zurücktrat. »Und lass mich deine Entscheidung wissen.«
Grace sah ihm nach.
Er hätte sie kaum mehr überraschen können, wenn er
ihr mitgeteilt hätte, er wäre Superman.
Sie hatte angenommen, er hätte vergessen, was in
ihrem Schlafzimmer an jenem Abend passiert war, dass er mit der
gleichen Überheblichkeit darüber hinweggegangen wäre wie über die
meisten anderen Dinge. Aber offensichtlich war das nicht
geschehen.
Zu wissen, dass er sie begehrte, befriedigte sie
zutiefst. Was er ihr vorschlug weniger.
Konnte sie sich wirklich eine solche Affäre
leisten? Eine kurze, intensive Beziehung, die auf nichts anderem
beruhte als reiner Körperlichkeit?
Sie dachte daran, wie seine Stimme ganz dicht an
ihrem Ohr geklungen hatte, und glaubte, es zu können.
Dann ging sie zurück in ihr Ankleidezimmer, setzte
sich vor den Frisiertisch und bürstete sich die Haare.
Aber wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war,
wusste sie, dass es ihrerseits nicht bloß auf körperlicher
Anziehung beruhen würde. Sie fühlte sich sehr von ihm erregt, aber
auch emotional angezogen.
Es würde kein Happy End geben.
Sie legte die Haarbürste ab, schlang das Haar um
die Hand und steckte es zu einem Knoten auf.
Vor ihrer Hochzeit mit Ranulf hatte sie noch an ein
Happy End geglaubt. Zumindest an eine bescheidene, stabile Art von
Glück. Doch das war vorbei.
Die Frage lautete wohl, ob sie mit Smith zusammen
sein konnte, ohne gleich den Kopf zu verlieren. Sie müsste es
aufgeben, eine gemeinsame Zukunft anzustreben, ja, sogar, daran zu
glauben, denn er hatte ausdrücklich gesagt, dass sie keine Zukunft
haben würden. Sie wusste genau, dass er sich hier nicht ändern
würde, auch nicht, wenn sie ihr Herz an ihn verlor.Wenn er sagte,
er würde sie verlassen und niemals zurückkehren, dann würde er
genau das tun. Daran zweifelte sie keine Sekunde.
Grace betrachtete den Chignon von allen Seiten und
steckte eine weitere Haarnadel hinein.
Wenn sie dabei verletzt würde, wäre es ihre eigene
Schuld.
Dann dachte sie an seine Küsse und wollte ihm
sofort ihre Antwort geben. Es war sehr verlockend, zuzustimmen und
später mit den Folgen fertigzuwerden, noch in dieser Sekunde zu ihm
zu gehen und ihm in die Arme zu fallen.
Aber diese Spontaneität war der Kern des Problems
mit Ranulf gewesen. Er hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, und
sie hatte ihn angenommen, ohne ihre nagenden Zweifel zu beachten.
Wenn sie ein wenig länger über die Situation nachgedacht hätte,
wäre sie vielleicht ihrer inneren Stimme gefolgt, die ihr gesagt
hatte, dass sie nicht zusammenpassten.
Diesmal wollte sie ihre Entscheidung sorgfältiger
treffen. Obwohl sie mit jeder Faser ihres Herzens wusste, dass sie
mit John zusammen sein wollte.
Von jetzt an würde sie ihre Entscheidungen
vorsichtiger treffen.
Gegen Ende des Nachmittags im Büro betrachtete
Grace den Stapel Akten auf ihrem Schreibtisch und hatte das Gefühl,
vor einem Berg zu sitzen.Trotz aller Dinge, die sie erledigt
oder delegiert hatte, die sie fortgeworfen oder zur Ablage
bestimmt hatte, schien er nicht kleiner geworden zu sein. Sie war
müde und unkonzentriert, und auf die Geburtstagsparty im Plaza, die
Bo für sie veranstaltete, hatte sie überhaupt keine Lust.
»Ich kann das nicht«, murmelte sie.
Smith blickte von seinem Platz am Konferenztisch
hoch.
»Ich kann heute Abend nicht ausgehen«, wiederholte
sie lauter. »Tut mir leid.«
Smith zuckte die Achseln. »Warum entschuldigst du
dich bei mir? Wir waren doch nicht verabredet.«
Seine pragmatische Antwort verletzte sie, aber er
hatte natürlich Recht. Sie gingen ja nicht als Paar aus. Sie waren
einfach zwei Leute, die das gleiche Ziel hatten.
Und sie hatte gedacht, sie könnte einfach nur mit
ihm schlafen, ohne dass ihre Gefühle im Spiel wären?
Den ganzen Tag lang hatte sie seinen Vorschlag
innerlich akzeptiert. Ja, lautete ihre Antwort, und zwar sofort.
Aber vielleicht machte sie sich etwas vor?
Grace rief das Plaza an und fragte nach Senatorin
Barbara Ann Bradford. Sobald sie Bo hörte, begann sie mit den
Worten: »Tut mir leid, aber mir ist etwas …«
Bo lachte und nölte mit dem breitesten
Südstaatenakzent: »Versuch das ja nicht bei mir. Ich bin nur für
achtundvierzig Stunden in der Stadt, und zwar nur für deinen
deißigsten Geburtstag. Du wirst mit uns essen, du wirst dich
amüsieren, und wir feiern mit einer wilden Party, wie gut es ist,
älter zu werden.«
»Ich bin so erschöpft.«
»Alle, die heute Abend kommen, sind mit dir
befreundet. Nur die wirklichen Freunde.Wenn du beim Essen
einschläfst,
legen wir dich aufs Sofa. Du wirst da so elegant wie immer
aussehen, nur ein bisschen stiller …«
»Vielleicht sollten wir uns nur morgen auf ein
kleines …«
Bo unterbrach sie sanft: »Woody, du brauchst uns
doch. Daher habe ich dir das Geschenk geschickt.«
Grace drehte den Sessel ihres Vaters herum, um von
Smith abgewandt zu sein. Sie wäre jetzt lieber allein gewesen. Vor
Smith wollte sie nicht weinen, aber die Tränen rollten schon über
ihre Wangen.
»Oh, Bo, ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Das Geschenk war ein Erinnerungsstück an ihre
gemeinsam verbrachte Kindheit, ein kurzer, geflochtener Haarzopf
aus einer blonden und einer braunen Strähne. Sie hatten sich mit
zwölf zusammen im Sommerlager die Haare abgeschnitten und diesen
Zopf daraus geflochten.
Als Grace die Locke in dem kleinen
Porzellankästchen gesehen hatte, war das Bild vor ihr aufgestiegen,
wo sie beide gesessen hatten, als sie dies getan hatten. Es war auf
einem Bootssteg am Sagamore-See. Die Sonne hatte tief in einem
dunkelblauen Himmel gestanden. Eine leichte Brise wehte. Es war
gegen Ende des Sommers gewesen, und sie hatten die warme Luft
begrüßt, denn ihre Badeanzüge waren noch feucht. Man konnte nur die
schwappenden Wellen unter den Holzbohlen hören.
Dann hatten sie sich mit raschen, festen Schnitten
verwandelt, um erwachsener zu wirken. Dicke Haarsträhnen waren auf
die Planken gefallen, weil sie überzeugt waren, mit kurzen Haaren
erwachsener auszusehen. Sie hatten den Weg ihrem Schicksal entgegen
ein Stück weiter gehen wollen. Mit kurzen Haaren würde alles ein
wenig leichter sein.
Schließlich hatten sie aus den Strähnen zwei Zöpfe
geflochten,
für jeden einen. Die übrigen Haare hatten sie ins Wasser gefegt,
wo sie wie ein Spinnennetz auf der Oberfläche schwebten und
allmählich forttrieben. Dabei hatten sie übermütig gelacht und sich
sehr befreit gefühlt.
Irgendwann später hatte Grace ihren Zopf verlegt.
Selbst in ihren jungen Jahren hatte es sie überrascht, wie weh ihr
der Verlust tat. Sie war nun erwachsen und so reif, wie sie es sich
gewünscht hatte, doch sie merkte überrascht, dass sie sich das
einfachere Leben zurückwünschte, das sie damals mit der Freundin am
Seeufer geteilt hatte - bis zu diesem Sommertag, der ewig zu dauern
schien.
»Bo, woher wusstest du, wie viel mir das
bedeutete?« »Weil ich damals bei dir war und jetzt auch wieder.
Irgendwann, wenn es mir mal nicht gut geht, kannst du ihn mir
zurückschicken.« Grace spürte die Tränen in den Augenwinkeln. Bo
lachte. »Wie eines von diesen Geschenken, die man ständig hin- und
herschickt.«
»Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll.«
»Ich aber. Sag mir, dass du und Ranulf heute Abend
kommen werdet.«
Grace zögerte, weil sie von dem Wunsch, die
Freundin zu sehen, fast überwältigt war. »Ranulf … hat viel zu tun.
Ich bringe jemand anderen mit.«
»Großartig.Wer ist sie?«
»Er. Er ist … ein Freund.«
»Wirklich? Single?«
»Äh … ich glaube ja.«
»Meinst du, er interessiert sich vielleicht für
eine vierunddreißigjährige mollige Alleinerziehende?« Bo kicherte.
»Klingt wie eine Kleinanzeige, die vermutlich auf nicht viel
Resonanz stoßen wird.«
Grace war nicht sicher, wie sie auf den
unschuldigen Vorschlag
der Freundin reagieren sollte. Bei der Vorstellung von John mit
einer anderen Frau wurde ihr regelrecht übel.
Als sie das Gespräch beendete, sah sie zu Smith
hinüber und fragte sich, ob es eine Frau in seinem Leben gab. Sie
konnte sich nicht denken, dass er verheiratet war, aber das hieß
nicht zwangsläufig, dass er ungebunden war.
Vielleicht fand sie das besser heraus, ehe sie ihre
Entscheidung traf, dachte sie missmutig.
»Frackzwang?«, fragte Smith. Seine scharfen Augen
verrieten ihr, dass er nichts von dem verpasst hatte, was in ihr
vorging.
Sie nickte langsam. »Bo kann man nur schwer etwas
abschlagen.«
»Offensichtlich.«
Es war fast halb acht, als Grace aus ihrem Zimmer
kam. Smith stand schon angekleidet im Wohnzimmer, die Smokingjacke
locker über dem Arm. Grace trat langsam auf ihn zu. Das weiße Hemd
ließ seinen Teint noch dunkler wirken.
Doch das alles verschwamm vor ihren Augen, als sie
bemerkte, wie er ihr auf den Mund starrte.
»Was für ein schönes Kleid«, sagte er mit seiner
tiefen Männerstimme.
Sie blickte an dem gelben Chiffon herab. Das Kleid
war schulterfrei, lang und sehr schlicht.
»Danke.«
Er trat auf sie zu. »Und das Collier erst.«
Er streckte die Hand nach den gelblichen Brillanten
aus. Die sechs Diamanten waren durch eine Kette von kleineren
weißen Diamanten miteinander verbunden.
»Es hat meiner Großmutter gehört«, hauchte sie.
Seine
Finger schwebten gerade eben über ihrer Haut. Grace umklammerte
ihre Abendtasche.
Dann senkte er langsam die Hand. Grace sah, wie
sein Begehren langsam aus seinen Zügen verschwand, wie
ausgelöscht.
»Fertig?«, fragte er mit scharfer Stimme.
Grace nickte. Als sie nebeneinander im Fahrstuhl
nach unten fuhren, wusste sie, dass die Chance auf ein gebrochenes
Herz sehr hoch war.
Eddie brachte sie zum Plaza. Als sie dort
vorfuhren, sagte er: »Ich hoffe, ihr habt einen fabulösen
Abend.«
Smith warf ihm einen kritischen Blick zu, doch da
riss der Portier schon den Schlag auf. »Komisches Wort.«
»Ja, nicht wahr? Man sollte viel mehr schöne Wörter
benutzen. Das streckt das Vokabular wie einen Muskel. Ach ja,
herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Grace.« Eddie reichte ihr
ein kleines, eingewickeltes Päckchen. »Ich weiß, es ist jetzt kein
guter Zeitpunkt, aber ich dachte, ich gebe es ihr jetzt.«
»Danke, Eddie.«
»Sie brauchen es nicht gleich zu öffnen.«
»Aber natürlich! Das ist sehr aufmerksam von
Ihnen.« Grace riss das Papier ab. »Aber … das ist ja
Pfefferspray!«
Sie sah ihn lächelnd an.
»Ich weiß, es ist in New York nicht zugelassen,
aber Sie sollten so was immer dabeihaben. Wissen Sie, wie man es
benutzt? Einfach den Finger da entlanggleiten lassen und direkt
aufs Gesicht zielen.« Er zeigte ihr den Mechanismus und war erst
zufrieden, als sie es zweimal ausprobiert hatte. »Stecken Sie es in
Ihre Handtasche. Und immer dabeihaben, ja?«
»Okay, Eddie.Versprochen.« Grace steckte es in die
kleine
Abendtasche und beugte sich vor, um ihm einen Kuss auf die Wange
zu drücken. »Nochmals vielen Dank.«
Eddie fuhr mit einem breiten Grinsen los.
»Das war aber nett von ihm«, sagte sie und winkte
ihm nach.
»Ja. Er mag dich gut leiden. Aber das trifft auf
die meisten Menschen zu.«
Sie sah zu Smith hoch, aber der überflog mit einem
Blick den Park, die Straße und sämtliche Passanten vor dem
Hotel.
»Das klingt aber überrascht«, meinte sie
leise.
Sein Blick fuhr zu ihr. »Ich finde eine Menge an
dir überraschend. Gehen wir.«
Sie wollte mehr wissen, nahm aber bloß den
Kleidersaum in die Hand und schritt über den roten Teppich zum
Eingang.Vor dem Palm Court unterhielt sie sich kurz mit einem Paar,
und dann schritten sie auf den Lift zu.
Bei der angegebenen Suite klopfte Grace an die Tür.
Ihre Freundin kam ihr mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Sie ist
da!«, rief sie laut.
Grace hakte sich bei der alten Freundin ein. »Ich
bin so froh, dich mal hier zu sehen.«
»Nun, die Luft in New York ist irgendwie dünner,
aber in Ordnung.«
Grace wandte sich zu Smith um, um ihn vorzustellen.
»Das hier ist John … Smith. Mein Freund.«
Die Senatorin lächelte ihn herzlich an und
schüttelte ihm die Hand. Grace fragte sich, wie er Bo fand. Sie war
eine hochgewachsene, gutaussehende Frau mit rötlichem Haar,
nussbraunen Augen und einem elektrisierenden Lächeln. Das
dunkelrote Kostüm betonte ihr dramatisches Aussehen. Es war eng
anliegend geschnitten, um ihre Kurven zu betonen. Neben ihr fühlte
Grace sich immer sehr farblos, eine
viel blassere Version der Weiblichkeit, die Bo wie einen
exotischen Duft ausstrahlte.
Sie betraten einen elegant möblierten Raum, wo sie
etwa zwanzig Personen lauthals begrüßten. Man reichte ihr ein Glas
Wein, und Grace versuchte sich zu entspannen. Carter und Nick waren
auch da und wurden freudig begrüßt.
Während der gesamten Cocktailstunde wusste Grace
stets genau, wo Smith sich aufhielt. Er stand eher am Rand der
Menge, wirkte aber auch in Gesprächen stets locker.
Sie starrte ihm nach.Wie gut er in diesen eleganten
Rahmen passte. Ihre Blicke trafen sich. Er zog eine Braue hoch und
nickte knapp.
Da wusste sie, dass es zu spät war.
Sie starrte ihn weiterhin an und sah, wie ein
Lichtschein auf seine markanen Züge fiel. Da erkannte sie, dass sie
sich in ihn verliebt hatte.
Und stärker noch als ihre Leidenschaft war dies der
wahre Grund dafür, dass sie mit ihm schlafen wollte.
Dann wandte sie rasch den Blick ab, damit niemand
ihre Gedanken lesen konnte.Verlegen löste sie sich von der kleinen
Gruppe, mit der sie sich unterhielt, unter dem Vorwand, ihr Make-up
überprüfen zu müssen.
Ihre Gedanken stolperten durch das Für und Wider,
doch sie wusste, dass es bloß eine Verstandesübung war. Es war
egal, wann es angefangen hatte, und der Grund war eigentlich auch
unwichtig. Sie wusste die Wahrheit im Herzen.
Sie hatte sich in eines der Nebenzimmer
zurückgezogen und beugte sich gerade mit dem Lippenstift vor den
Spiegel, da trat Mimi Lauer ein.
»Tut mir leid, dass ich so spät komme«, sagte die
Freundin lächelnd.
Grace erstarrte, als sich ihre Blicke im Spiegel
trafen. Sie
dachte an Cuppie und Suzanna. Dann drehte sie sich um und breitete
die Arme aus.Von Mimi war in dem Artikel auch die Rede
gewesen.
»Mimi! Ich freue mich so, dass du gekommen bist.
Ich dachte, wir sehen uns nicht, weil du morgen Abend deinen großen
Auftritt hast.«
Grace kannte die Lauers noch nicht lange, hatte
aber beide sofort gemocht. Sie waren vor vier Jahren von der
Westküste hergezogen, weil ihr Sohn unter Jugendarthritis litt und
es hier in New York bessere Behandlungsmethoden gab. Mimis
herzliche Natur und ihr Flair für Veranstaltungen hatten sie in der
neuen Heimat schnell sehr beliebt gemacht. Seit zwei Jahren
organisierte sie die alljährliche Galaveranstaltung des
Balletts.
Mimi löste sich von ihr und sagte: »Die Vorstellung
wird großartig. Sie geben eine Reihe von Balanchine-Stücken,
einfach nur ein paar seiner besten Choreographien.«
Grace runzelte die Stirn. »Schade, dass ich dieses
Jahr nicht dabei sein kann.«
Smith hatte mit ihr diskutiert, ob sie zu dieser
großen Veranstaltung gehen sollte oder nicht. Er hatte sie gewarnt,
größere Menschenmengen aufzusuchen, wenn es sich vermeiden ließ,
und sie war seinem Rat gefolgt.
»Keine Sorge. Man wird dich natürlich vermissen.
Aber ich verstehe, unter welchem Druck du stehst.«
Mimi kniff die Augen zusammen, als wolle sie das
Thema anschneiden, das auch Grace durch den Kopf ging. Die Morde.
Ihre verlorenen Freundinnen.
Daraufhin folgte ein verlegenes Schweigen.
»Wie geht es dir sonst?«, fragte Grace. »Alles im
Griff?«
Mimi schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil. Es
herrscht völliges Chaos.«
»Mein Gott, warum?«
»Frederique hat sich als größeres Problem
erwiesen.« Über das Gesicht der Frau zuckte Missmut. »Es ist jetzt
so schlimm, dass ich ihn am liebsten rauswerfen möchte, obwohl wir
nur noch vierundzwanzig Stunden haben. Er wollte bei der Party
einen Haifisch in einem Aquarium ausstellen. Einen Hai! Was hat das
wohl mit meinem Ballett zu tun?«
Grace lächelte und steckte den Lippenstift wieder
in die Tasche. »Er übertreibt eben gerne.«
»Na, das kann er anderswo tun. Vielleicht braucht
man ihn irgendwo auf einem Piratenschiff. Aber was ist denn mit dir
und Lamont?«
»Wie kommst du darauf?«
»Er hat mich heute angerufen und gesagt, er sehe
sich nach etwas anderem um.«
Grace schürzte die Lippen. »Das überrascht mich
nicht. Wir sind nie gut miteinander ausgekommen. Ich weiß auch,
dass er seine Fühler anderswo ausgestreckt hat.«
»Nun, ich habe ihm gesagt, dass wir momentan nichts
zu bieten haben, aber er weiß vermutlich den wahren Grund. Du hast
mich immer unterstützt. Weder das Ballett noch ich selbst würden
dir jemals einen Angestellten wegschnappen.«
»Ehrlich gesagt hätte ich nichts dagegen, wenn er
ginge.«
Mimi lächelte. »In dem Fall wollen wir ihn noch
weniger. Wenn er mit dir nicht zurechtkommt, ist er vermutlich
unausstehlich.«
Wieder folgte eine kurze Pause. Mimi hatte den
Blick gesenkt.
»Grace … kann ich dich etwas fragen?« Mimis Stimme
war nur ein Flüstern.
»Natürlich.«
»Was machst du, um … dich zu schützen?«
Grace spürte, wie ihr das Herz sank. Mimi sah sie
nun an. In ihren Augen herrschte nackte Angst, die gleiche Furcht,
die Grace jedes Mal empfand, wenn sie daran dachte, was ihren
Freundinnen zugestoßen war.
»Ich habe einen Leibwächter eingestellt.« Grace
nahm die Hand der anderen Frau. »Und du?«
»Ich habe Polizeischutz, ein Mann, der mir
überallhin folgt. Marks ist sehr hilfreich, aber ich weiß nicht.
Ted und ich haben schon überlegt, zurück nach San Francisco zu
gehen, bis alles vorbei ist, aber wir können eigentlich nicht.
Unser Sohn muss weiter zu seinem Physiotherapeuten.« Mimi schwieg.
»Weißt du, ob Suzanna Hilfe hatte?«
»Marks war ziemlich sparsam mit den Einzelheiten.
Ich habe mich schon gefragt, ob der Täter vielleicht der
Reihenfolge in dem Artikel folgt.«
»Da hast du Glück, denn du bist die Letzte.«
»Dann wäre Isadora als Nächste an der Reihe.«
Da erschien Bo in der Tür. »Störe ich?«
Grace zwang sich zu einem Lächeln. »Nein, überhaupt
nicht.«
Mimi lachte unsicher. »Ich will den Ehrengast nicht
weiter mit Beschlag belegen. Gehen wir zu den anderen.«
»Ich rufe dich an«, sagte Grace. »Wir treffen uns
zum Mittagessen irgendwo, und du kannst mir vom Erfolg morgen Abend
berichten.«
»Das wäre schön. Ja, sehr nett.«
Sie tauschten noch einen bedeutsamen Blick aus.
Dann ging Mimi. Grace hatte die Anspielung auf den Ballettabend für
Bo hinzugefügt, was sie beide wussten.
»Ich muss dich etwas fragen«, meinte Bo nun
grinsend.
»Wie findet Ranulf es, dass du mit diesem tollen Typen
herumziehst?«
»John ist nur ein Geschäftsfreund.«
»Wirklich? Er wirkt aber irgendwie militärisch. Hat
den raschen Blick und die breiten Schultern, genau wie mein Vater.
Und Daddy war immerhin General.«
Grace versuchte, neutral zu lächeln und etwas zu
sagen, was nicht gelogen war. Doch ehe sie eine Antwort parat
hatte, wurden sie von einem Kellner unterbrochen, der sie zum Essen
bat.
Bo grinste. »Ich hoffe, du hast nichts dagegen,
dass ich ihn neben mir platziert habe. Ist schon lange her, dass
ich neben einem solchen Mann gesessen habe. Diese Politiker, mit
denen ich mich tagtäglich abgeben muss … ich weiß nicht. Unten
herum genauso schlapp wie im Kopf.«
Grace lächelte kurz, und Bo sah sie stirnrunzelnd
an. »Was ist los?«
»Das erzähl ich dir später.«
Doch ihre Freundin sah sie nun eindringlich an, und
Grace hatte den Eindruck, ohne ein Geständnis bekäme sie nichts zu
essen. Bo würde sie so lange im Bad einsperren, bis sie mit der
Sprache herausrückte.
»Komm mir ja nicht wie meine Mutter«, gab Grace
zurück. »Spar dir deine mütterliche Sorge für deinen Sohn auf. Da
draußen warten zwanzig Personen auf das Essen, und ich habe
Hunger.«
Bo warf ihr einen kurzen Blick zu. »Wir reden
später. Ja?«
Sie gesellten sich wieder zu den anderen. Grace
leerte rasch ein weiteres Glas Wein, ehe sie in den Speisesaal
gingen. Sie saß Bo und Smith gegenüber und beobachtete sie, sobald
das Essen serviert war. Bo war eine geschickte Unterhalterin,
und obwohl Smith nicht viel zu sagen schien, war er wohl in
entspannter Stimmung.
Das nahm Grace zumindest an, aber der Anblick, wie
er ihre Freundin ab und zu ansah, war für sie schwer zu
ertragen.
Der Mann, der vor ein paar Wochen noch ein Fremder
gewesen war, hatte ihr Herz erobert.
Doch er begehrte nur ihren Körper.
Als Bo die Serviette fallen ließ und Smith sich
danach bückte, bat Grace um ein weiteres Glas Wein.