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In der folgenden Woche saß Grace im
ehemaligen Büro ihres Vaters und ging die Gästeliste für den
kommenden Jahresball der Stiftung durch. Da summte leise die
Sprechanlage. Grace fuhr so heftig zusammen, dass ihr der Stift aus
der Hand fiel.
Die Stimme ihrer Assistentin klang schnarrend durch
den Lautsprecher: »Mr. Lamont ist hier für Sie. Außerdem brauche
ich eine Unterschrift.«
Großartig, dachte Grace. Das war das Letzte, noch
eine Begegnung mit diesem Mann. Bei jedem Gespräch verschlechterte
sich ihre Beziehung.
»Kommen Sie bitte zuerst.«
Grace zupfte an dem Hermès-Tuch um ihre Schultern.
Sie lockerte den Knoten, doch es fühlte sich immer noch wie eine
Schlinge an. Da nahm sie das Tuch ab. Die orangegelbe Seide
bauschte sich auf dem Schreibtisch.
Wie leid sie es war, bei allem und jedem
zusammenzuzucken. Ausgelöst wurde es durch alles Mögliche: wenn das
Telefon klingelte, bei Schritten auf dem Flur, plötzlichen
Geräuschen. Sie fühlte sich wie eine Marionette, an deren Fäden
herumgezerrt wurde, worüber sie keinerlei Kontrolle hatte.
Es war eine schreckliche Situation. Grace stemmte
die Arme gegen den Schreibtisch und dehnte ihre Muskeln.
Der Schreibtisch und der Stuhl waren der
Kommandoposten
ihres Vaters gewesen. Es waren riesige, handgearbeitete
Möbelstücke aus Mahagoni, die der imposanten Größe und Statur von
Cornelius Woodward Hall angemessen waren. Grace hatte sie immer
geliebt. Wenn er sie als Kind am Wochenende manchmal mit ins Büro
nahm und sie auf seinem Schoß sitzen durfte, hatte sie sich
unendlich sicher gefühlt, gehalten von seinen starken Armen und den
massigen Möbelstücken.
Jetzt saß sie allein auf dem Sessel und fühlte sich
sehr klein zwischen den dicken Armlehnen und der hohen Rückenlehne.
Aber etwas anderes wollte sie auch nicht. Die Möbel hatten zu ihrem
Vater gehört, genau wie die riesigen Landschaftsgemälde an den
Wänden, der förmliche Konferenztisch, an dem die Besprechungen
stattfanden, und die ledergebundenen Bücher in den Regalen.
Jedes Mal, wenn sie den Raum betrat, dachte sie an
ihn.
Sie warf einen Blick auf seinen Pfeifenständer und
eine Konfektschale, die immer noch seine geliebten
Pfefferminzplätzchen enthielt. Daneben stand die Bronzebüste ihres
Vaters. Sie war angefertigt worden, als er Mitte fünfzig war - ein
gut aussehender Mann mit einem distanzierten Lächeln und scharfen
Augen.
In letzter Zeit waren ihre Erinnerunen an ihn die
einzigen Verbündeten bei ihrer Arbeit in der Stiftung.
Er war nach einem Herzinfarkt verstorben und hatte
ihr testamentarisch fast eine Milliarde Dollar hinterlassen sowie
den Titel eines Generalmanagers und der Präsidentin der
Hall-Stiftung. Das Geld würde ihr gehören, sobald das Erbe
rechtlich abgewickelt war. Doch die Übernahme der Titel erwies sich
als problematischer. Die Stelle stand ihr aufgrund ihres Erbes zu,
und sie hatte sich auch seit der Universität darauf vorbereitet,
seitdem sie ihr erstes Praktikum
dort absolviert hatte. Leider hatte Cornelius seine Absichten in
dieser Hinsicht nur auf dem Papier erklärt, und andere Mitarbeiter
hatten abweichende Vorstellungen über die Nachfolge.
Grace war durchaus in der Lage, die Stiftung zu
leiten. Sie kannte die Angestellten, den Auftrag, die Strategie für
die Zukunft. Sie wusste, was zu tun war, um die geschäftlichen
Angelegenheiten zu regeln und mit den Spitzen der Gesellschaft
umzugehen, die Jahr für Jahr Millionen spendeten. Sie wusste auch,
dass manche glaubten, sie wäre der Aufgabe nicht gewachsen - zu
jung und unerfahren. Und dass ein Wechsel dringend geboten
wäre.
Einige der älteren Mitarbeiter hatten sogar etwas
dagegen, von einer Frau geleitet zu werden. Diese Kritik brachte
sie besonders auf. Als wäre man nur in Hosen zur Macht
befähigt.
Der Kern ihrer Gegner war eine kleine, aber enge
Gruppe von Direktoren, angeführt von Charles Bainbridge, dem
Aufsichtsratvorsitzenden, allesamt ältere Männer, die ihren Vater
sehr respektiert hatten, aber nicht dulden wollten, auch über das
Grab hinaus von ihm geleitet zu werden. Es waren Männer, die Grace
hatten aufwachsen sehen, wenn sie zu den Weihnachtsfeiern und
Partys zum 4. Juli zu den Halls gekommen waren. Einige von ihnen
hatten sie vermutlich schon in den Windeln erlebt und erinnerten
sich an ihre Zahnspange.
Grace verstand, dass sie es schwierig fanden, in
ihr etwas anderes zu sehen als eine junge schöne Frau, doch sie war
entschlossen, sie zu überzeugen. Sie hoffte bloß auf genügend Zeit,
ehe man sie auf irgendeinen Repräsentativposten abschob und Lou
Lamont die Stiftung übernahm.
Die Bürotür schwang auf. Katherine Focerelli betrat
den
Raum. Kat war Mitte zwanzig und ehrgeizig. Nebenbei studierte sie
in Abendkursen Jura. Grace hatte sie am Tag nach dem Tod ihres
Vaters eingestellt, als sie selbst das Büro bezogen hatte.
Innerhalb weniger Wochen hatte sich Kat mit allem vertraut gemacht,
was die Stiftung betraf, und schien ebenso wenig beeindruckt von
Lamont wie sie.
Letzteres machte sie für Grace noch
wichtiger.
Die junge Frau war auch ein willkommener Ersatz für
die grauhaarige Kämpfernatur, die seit Jahrezehnten Cornelius’
Sekretärin gewesen war. Grace hatte nach ihrer Übernahme der
Leitung als Allererstes diesem alten Schlachtross gekündigt.
»Hier sind die Akten für die Randolph-Sache«, sagte
Kat. Wenn sie lächelte, hatte sie Grübchen in den Wangen.
Grace ging die Papiere durch und überprüfte, ob die
Veränderungen, die sie vorgenommen hatte, korrekt eingefügt worden
waren.
Während sie ihren Namen darunter setzte, fragte
sie: »Was hat denn Lamont auf dem Herzen?«
»Er sagte, er bräuchte zehn Minuten, gab aber
keinen Grund an. Ich habe ihn nur eingeschoben, weil Sie mir
geraten hatten, ihn niemals abzuweisen. Ihr Fünfuhrtermin ist
übrigens abgesagt, aber der Bürgermeister möchte, dass Sie ihn um
halb sieben anrufen. Ach ja, ist es in Ordnung, wenn ich heute
früher gehe? Ich habe mal wieder eine Verabredung.«
»Ja, aber nur, wenn Sie mir morgen genau erzählen,
was passiert ist«, erwiderte Grace und reichte die Papiere
zurück.
»Kann kaum schlechter ausfallen als die
letzte.«
»Mit dem, der wollte, dass Sie die Künstlerin in
sich entdecken?«
»Nein, die letzte Verabredung war mit dem
Peter-Pan-Syndrom. Er wollte, dass ich ihn mit meinem Lippenstift
anmale. Sie meinen die vorletzte Verabredung.«
»Schwer, das alles in Erinnerung zu
behalten.«
»Es ist auch schwer, dabei ernst zu bleiben. Gott,
wann werde ich endlich einen richtigen Mann kennen lernen?«
Vor Grace’ innerem Auge tauchte Smith auf, während
Kat den Raum verließ.
Grace bohrte ihre Absätze in den Teppich und schob
sich in dem Sessel zurück. Das Büro befand sich im obersten Stock
der Hall-Stiftung und nahm die gesamte Nordostecke ein. Die großen
Fenster und der fantastische Blick waren das Beste daran.
Sie blickte hinaus auf die prächtige Silhouette von
New York, eine Ansammlung von hoch aufragenden Gebäuden in Silber,
Grau und Steinfarben. Die Sonne ging gerade über dem Horizont unter
und tauchte alles in pfirsichfarbenes Licht.
Es war für sie unendlich schwer, Smith zu
vergessen. Der Mann ging ihr im Kopf herum wie ein Trieb, den sie
nicht abschütteln konnte, seitdem er sich zum zweiten Mal in ihrem
Leben von ihr abgewandt hatte. Sie fragte sich erneut, ob sie ihn
anrufen sollte, wusste aber nur eines genau:Wenn sie das tat, dann
musste sie auch entschlossen sein, ihn zu engagieren. Er war nicht
der Typ, der seine Zeit ein zweites Mal für sie
verschwendete.
Da summte die Sprechanlage wieder. »Mr. Lamont ist
hier.«
Grace trat zum Schreibtisch zurück. »Sagen Sie ihm,
ich komme sofort.«
Sie schritt über den dicken Orientteppch und schob
eine
schmale Tür zu dem kleinen Privatbad ihres Vaters auf. Dort
überprüfte sie in den goldgerahmten Spiegeln ihre Frisur und ihr
Make-up. Alles in Ordnung. Sie wirkte elegant und gelassen wie eine
typische Hall.
Gut nur, dass niemand die Wahrheit ahnte.
Sie hatte Magenschmerzen, weil sie zu Mittag nur
Pfefferminzbonbons und drei alte Schokoriegel verzehrt hatte. In
den Schläfen lauerten pochende Kopfschmerzen, an ihrem linken Fuß
hatte sie eine Blase von den neuen Jimmy Choos, und die Schnalle
ihres BHs kratzte unangenehm auf dem Schulterblatt.
Als sie das Bad verließ, klingelte ihr Handy. Sie
eilte hinter den Schreibtisch, um den Anruf rasch zu beantworten.
Als sie Detective Marks’ raue Stimme erkannte, lief ihr ein eisiger
Schauder über den Rücken.
»Wir haben eine weitere Leiche gefunden«, sagte er.
Grace umklammerte das Telefon, bis der Plastikrand ihr in die Hand
schnitt. »Wer ist es?«
»Suzanna van der Lyden. Heute früh.«
Grace überkam ein so heftiger Schwindel, dass sie
rückwärts in den Sessel ihres Vaters taumelte. Sie hatte Suzanna
vor zwei Tagen abends bei der Wohltätigkeitsveranstaltung eines
bekannten Museums getroffen. Suzanna hatte dieses Event in den
vergangenen zwei Jahren organisiert.
»Wo … ist es passiert?«
»Bei ihr zu Hause.«
»Haben Sie irgendwelche Hinweise …« Grace konnte
den Satz nicht beenden.
»Wir untersuchen immer noch den Tatort.Wir haben
sie gestern Abend spät gefunden, als ihr Mann, der sich auf Reisen
befindet, anrief, weil er sie nicht erreichen konnte. Hören Sie,
ich möchte Ihnen eine Zuteilung machen.«
»Eine Zuteilung?«
»Zwei meiner Männer. Zu Ihrem Schutz.«
Ihr erster Impuls war, zuzustimmen, aber dann malte
sie sich aus, wie sie von Polizisten umgeben auf der Titelseite
irgendeines Klatschmagazins zu sehen war.
»Keine Sorge«, versicherte Marks, als würde er ihre
Gedanken erraten. »Sie sind nicht uniformiert.«
»Ich möchte es mir erst überlegen.«
Marks zögerte. »Okay. Sie wissen ja, wo Sie mich
erreichen können.«
Als Marks das Gespräch beendete, blieb sie erstarrt
in dem Sessel sitzen, das Handy immer noch fest umklammert.
Sie müsste etwas unternehmen, dachte sie. Jemanden
anrufen. Sich irgendwo in Sicherheit bringen.
Aber es gab keinen Ort, an dem sie sich verbergen
konnte. Ihre Mutter bot kaum jemals Trost oder gute Ratschläge.
Carter hatte sie schon zu sehr in Anspruch genommen. Außerdem war
sie lieber alleine als mit Ranulf zusammen.
Sie war völlig allein.
Wie ironisch, dachte sie, dass sie den ganzen
Morgen damit zugebracht hatte, eine Liste von Prominenten auf
höchstens fünfhundert zurechtzustutzen.
Als die Sprechanlage summte, zuckte ihr Kopf
panisch herum.
»Mr. Lamont muss gleich in eine andere
Besprechung.«
»Okay. Ich komme«, sagte Grace.
Aber in Wirklichkeit bewegte sie sich nicht. Ihre
Gedanken waren wie festgefahren, ihr Körper starr. Schließlich
spürte sie ein enges Gefühl in der Brust, als hätte sie etwas
Giftiges eingeatmet. Sie richtete sich auf, weil sie wusste, was
nun passieren würde.
Die Panikattacken erfolgten inzwischen immer
häufiger und heftiger. Sie verspürte dabei das bedrohliche Gefühl,
zu ersticken. Sie konnte nicht atmen, sie konnte nicht … nein … es
war einfach keine Luft mehr in ihren Lungen.
Grace öffnete den Mund und versuchte, sich zu
überzeugen, dass sie tatsächlich einatmtete. Sie spürte die Luft
auf den Lippen und der Zunge, aber sie schien nicht
weiterzudringen. Ihr Körper entzog sich nun jeglicher Kontrolle
durch den Verstand. Sie stützte sich auf den Schreibtisch, weil
kalter Schweiß ausbrach. Ihr Atem ging stoßweise. Mit zitternder
Hand wischte sie sich den Schweiß von der Stirn, als würde das
etwas nützen. Ihre Finger waren taub und verfingen sich bloß in
ihren Haaren.
Grace wirbelte herum zu den riesigen Fenstern und
dem überwältigenden Blick. Als ihr Kopf herumfuhr, stöhnte sie
leise auf. Dann beugte sie sich über die hohe Rückenlehne und
stützte sich mit beiden Händen auf den Armlehnen ab.
Sie versuchte, an glücklichere Zeiten zu denken:
ihr Vater bei der Universitätsabschlussfeier, wie er sie aus dem
Publikum heraus angestrahlt hatte.Wie sie sich nach ihrem ersten
Marathon gefühlt hatte. Das Thomas-Cole-Gemälde, das sie gerade
gekauft hatte.
Gute Dinge, glückliche Zeiten. Dinge, die überhaupt
nichts mit dem Tod zu tun hatten. Mit Eindringlingen. Schrecken.
Dinge, die das Bild von Cuppie verdrängten, wie sie tot auf dem
Marmorboden lag.
Allmählich und kaum merklich fiel ihr auf, dass
ihre Beine zitterten. Ihre Hände bebten ebenfalls. Und am
Schulterblatt juckte immer noch die kleine Schnalle.
Dann normalisierte sich ihr Atem langsam. Ihr Puls
schlug weniger panisch.
Als sie sich endlich wieder dazu in der Lage
fühlte, hob sie den Kopf und betastete unsicher ihre
Aufsteckfrisur. Vorn hatte sich eine Strähne gelöst, die sie jetzt
hinters Ohr strich.
Unendliche Erschöpfung überfiel sie nun, aber das
war eine Erleichterung. Alles war besser als diese überwältigende,
namenlose Angst.
O Gott.
Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte.
Einen Moment später trat Grace zu der breiten
Doppeltür, die in den Empfang führte. Sofort begegnete sie dem
gereizten Blick von Lou Lamont und musste sich schwer
zusammenreißen.
»Tut mir leid, dass ich Sie warten ließ.« Sie war
stolz darauf, wie gelassen sie die Worte aussprach und dabei sogar
lächelte.
Lamont schritt an ihr vorbei und bellte im
Vorbeigehen einen Befehl über die Schulter: »Katy, mach mir einen
Earl-Grey-Tee, ja? Diesmal bitte heiß.«
Kat schnitt ein Gesicht und stand hinter ihrem
Schreibtisch auf. Grace schloss verärgert die Tür.
Sobald Lamont sich gesetzt hatte, knöpfte er
langsam sein Jackett auf und schnippte eine Fluse vom Hosenbein.
Dann ertönte ein Stakkatogeräusch, weil er mit der Schuhspitze
immer wieder gegen die Schreibtischecke trat. Seine Ungeduld fiel
Grace immer als Erstes auf. Das und sein Aftershave.
Grace nieste hinter vorgehaltener Hand.
»Gesundheit«, sagte er beflissen. »Sie werden doch
nicht etwa krank?«
Als hoffte er insgeheim, dass sie sich eine
tödliche Krankheit eingefangen hätte.
»Ganz und gar nicht.« Grace setzte sich und
bemerkte, wie sein Blick an ihr auf und ab zuckte. Sie wusste, dass
diese Reaktion nichts Sexuelles an sich hatte. Er begehrte nicht
sie, er begehrte ihren Job und den Sessel, auf den sie sich gerade
gesetzt hatte.
Da summte sein Handy.
»Entschuldigen Sie«, sagte er und nahm es aus der
Tasche des eleganten Jacketts.
Das Gespräch bestand aus einer ganzen Serie von
Ja und Natürlich, so dass Grace überlegen konnte, wie
lange sie ihn schon kannte. Er hatte vor Jahren auf der untersten
Ebene bei ihnen angefangen und nur stundenweise in der Abteilung
für Förderungsanträge gearbeitet, während er gleichzeitig einen
Abschluss in Kunstgeschichte an der Universität von New York
machte. Als Grace ins Direktorium berufen wurde, war er die Leiter
schon höher geklettert, bis ihr Vater ihm schließlich einen
Direktorposten anbot.
Er sah gut aus - ein schlanker, hochgewachsener
Mann. Mit seinem Gehalt hatte sich auch die Qualität seiner
Kleidung verbessert. Außerdem hatte er allmählich seinen
Bronx-Akzent abgelegt, den man nur noch bemerkte, wenn er wütend
wurde. Im Laufe der Jahre hatte er sehr umsichtig Machtpositionen
angestrebt und stets erreicht, was er sich vorgenommen hatte, wobei
ihm jedes Mittel recht war: harte Arbeit, offensichtliches Mobbing
oder charmante Überredungskunst. Er war ein guter Mitarbeiter und
hatte sich zu einem erstklassigen Finanzmanager entwickelt, weil er
reichen Spendern und großen Firmen erstaunlich hohe Summen für die
Stiftung abzuschwatzen vermochte. Seine Minuspunkte waren, dass er
oft barsch auftrat und sehr ehrgeizig und frustiert war, weil er
zugunsten von Cornelius’ Tochter übergangen worden war.
Momentan sah er sich nach einer anderen Stelle um,
Grace verdankte diese Information Suzanna. Erst letzte Woche hatte
sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass Lamont sich im Museum
erkundigt hatte, um eventuell die Abteilung für Spendenaktionen zu
übernehmen. Suzanna, die im Aufsichtsrat saß, hatte ihn abgelehnt
und ihm mitgeteilt, sie wolle die Beziehungen zwischen dem Museum
und der Hall-Stiftung nicht riskieren. Offensichtlich war Lamont
daraufhin sehr wütend geworden.
Jetzt schaltete er das Handy ab und steckte es
wieder in die Tasche. »Wir müssen über den Jahresball reden. Es
sind nur noch sechs Wochen. Ich muss die Sache wohl selbst in die
Hand nehmen. Ich meine, Sie haben so viel zu tun, alles in den
Griff zu bekommen, dass Sie unmöglich das auch noch organisieren
können.«
Grace blitzte ihn kurz lächelnd an, streckte die
Hand aus und nahm einen der goldenen Stifte ihres Vaters. Als sie
damit spielte, bemerkte sie, wie Lamont ihn betrachtete, als wollte
er ihn ihr aus der Hand reißen.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Lou, aber für
den Ball ist alles unter Kontrolle.«
»Ja? Warum hat sich Frederique noch nicht
gemeldet?«
»Ich habe Frederique dieses Jahr nicht beauftragt
und ihm das schon vor drei Wochen mitgeteilt.«
Lamonts Brauen zogen sich eng über der Nasenwurzel
zusammen. »Aber wir haben immer mit ihm gearbeitet. Er veranstaltet
Partys für alle, die zählen.«
»Ja, aber das ist vorbei. Nach dem Fiasko letztes
Jahr, als er lebendige Elefanten ins Waldorf bringen wollte, haben
manche Leute ernste Zweifel an seinen kreativen Fähigkeiten.
Außerdem berechnet er manches doppelt. Mimi Lauer will ihn nach dem
großen Ballet-Event auch nicht mehr. Ich
weiß auch, dass das Museum mit seinen Vorschlägen nicht gerade
glücklich war.«
Wieder dachte sie an Suzanna.
»Aber ich habe ihm gestern mitgeteilt, dass wir
seine Dienste wieder in Anspruch nehmen«, erwiderte Lamont mit
gepresster Stimme.
»Dann korrigieren Sie das besser sofort.«
»Und wen stellen wir stattdessen ein?«
»Mich selbst.«
Lamont lachte laut auf. »Wir reden hier über
fünfhundert der wichtigsten New Yorker Persönlichkeiten! Es ist der
erste Ball seit dem Tod Ihres Vaters. Sie können es sich nicht
leisten, dass es danebengeht.«
»Wir sind eine gemeinnützige Gesellschaft. Ich
werde nicht tausende von Dollar für Ratschläge verschwenden, welche
Farbe die Tischdecken haben sollen.«
»Er leistet aber viel mehr als nur das. Er stellt
das Menü zusammen, die Rangfolge der Gäste …«
»Das alles kann ich auch.«
»Aber Ihr Vater hat immer …«
Grace unterbrach ihn gelassen. »Mein Vater ist, wie
Sie schon sagten, tot. Und Frederique bedeutet eine Ausgabe, die
wir uns sparen können.«
»Also, Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass
diese Stadt ein Haifischbecken ist. Die Stiftung darf nicht aus den
Schlagzeilen verschwinden, nur weil Sie ein paar Dollar sparen
wollen.«
»Frederique ist keine Lösung für mich. Ich denke,
Sie werden überrascht sein von meinen Fähigkeiten.«
Lamont stand auf, weil er seine Frustration kaum
noch verbergen konnte. »Ich hoffe, dass Sie klarer denken, wenn ich
aus Virginia zurückkomme.«
»Ach ja. Sie kümmern sich um die Finn-Sammlung.
Wann fahren Sie?
»Morgen Nachmittag.«
»Gut, dann ist es ja noch möglich,
umzubuchen.«
»Umbuchen?«
»Niemand fliegt mehr erster Klasse bei
Geschäftsreisen. Es sei denn, wir zahlen selbst den
Aufpreis.«
Lamont kniff die Augen schlitzartig zusammen. In
diesem Augenblick kam Kat mit dem Tee herein.
»Werfen Sie ja nicht den Teebeutel fort«, murmelte
er, als er sich an dem Mädchen vorbeischob. »Den will sie sicher
bei der nächsten Konferenz nochmal verwenden.«
Kat balancierte das Tablett aus. »Möchten Sie den
Tee noch?«
»Nein, danke.« Sein Kopf auf einer Lanze wäre sehr
nett, dachte Grace. »Und den Teebeutel dürfen Sie wegwerfen.«
Kat schloss lachend die Tür.
Sobald Grace allein war, sackte sie völlig
ausgelaugt in dem Sessel zusammen. Sie konnte es keinen Moment
länger in dem Büro aushalten. Sie musste nachdenken.
Daher nahm sie ihre Tasche und das Halstuch und
ging zu Kats Schreibtisch im Vorraum.
»Tun Sie mir einen Gefallen und schließen Sie alles
ab. Ich brauche eine Pause.« Damit schlang sie das Halstuch um die
Schultern und ging zum Schrank, um ihren Kaschmirmantel zu
holen.
Kat runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«
»Ich bin einfach müde. Außerdem möchte ich sehen,
was die Handwerker mit dem Gästebadezimmer angerichtet haben. Wenn
ich jetzt gehe, erwische ich vielleicht noch den einen, der länger
arbeiten wollte.«
»Wollen Sie heute Abend immer noch in die
Met?«
Grace holte tief Luft. »Ja.«
»Okay, keine Sorge. Ich kümmere mich hier um
alles.«
Grace lächelte sie an. »Ich weiß.«
Die kleine Digitalanzeige an Smiths Computer
zeigte 1:07 an. Er hatte im Internet Recherchen über einen
potenziellen Klienten angestellt, aber nicht viel erreicht. Immer
wieder war er bei der Archivseite der New York Times
gelandet und hatte Fotos von der Gräfin von Sharone
betrachtet.
Was natürlich reine Zeitverschwendung war, dachte
er und klickte ein weiteres an.
Er hatte in der vergangenen Woche viel an sie
gedacht, aber noch stärker, nachdem Detective Marks ihn am
Nachmittag aufgespürt hatte. Eine weitere Prominente war ermordet
worden, die zweite, die in dem Artikel beschrieben worden war. Er
rechnete mit einem weiteren Anruf von Marks, der ihn über den
Tatort unterrichten würde, auch wenn das Smith eigentlich überhaupt
nichts anging.
Marks schuldete ihm einen Gefallen. Der Sohn des
Detective hatte unter Smiths Kommando im Golfkrieg gedient. Smith
hatte den Jungen aus der Kampfzone geschleppt, als er von einer
Kugel getroffen worden war. Und Marks war ein Mann, der einen
Gefallen mit einem anderen vergalt.
Der Artikel, der auf dem Bildschirm erschien, war
kaum einen Monat alt und befasste sich mit der Bestattung des
Vaters der Gräfin. Auf der rechten Seite sah man ein Bild, wie sie
mit ihrer Mutter und ihrem Mann über eine von Grabsteinen gesäumte
Rasenfläche schritt. Smith beugte sich dichter vor den Bildschim.
Sie trug ein schwarzes Kostüm, einen kleinen Hut und eine schmale
Handtasche unter
dem Arm. Mit dem gesenkten Kopf und dem nach vorn gerichteten
Blick drückte ihr Gesicht großen Kummer aus. Ihre Mutter wirkte im
Gegensatz dazu sehr steif und reserviert und verriet keinerlei
Emotionen. Aber es war ganz deutlich zu erkennen, von wem die
Gräfin ihre Schönheit geerbt hatte.
Dann betrachtete er den Mann. Der Graf hielt etwa
einen halben Meter Abstand von der Gräfin, war aber eine Million
emotionaler Meilen von ihr entfernt. Er sah aus, als hätte man ihn
von einer völlig anderen Veranstaltung ins Bild gestellt. Auf
seinen gut geschnittenen Zügen spiegelte sich bloß
Gleichgültigkeit. Mit den in den Jacketttaschen vergrabenen Händen
wirkte er wie auf einem Spaziergang.
Da summte Smiths Handy. »Yeah?«
Marks’ erschöpfte raue Stumme klang noch schlimmer
als zuvor. »Ich habe hier ein paar Einzelheiten, wenn du
willst.«
»Schieß los.«
»Das Opfer wurde in der eigenen Diele aufgefunden,
wie die Erste. Die Kehle war aufgerissen wie von einem Metzger. Es
gibt Anzeichen für einen Kampf, aber die Tür ist nicht aufgebrochen
worden.«
»Und beide Frauen lebten in Luxusapartments, nicht
wahr? Mit Portier, Sicherheitsschlössern, Empfang mit
Registrierung.«
»Genau.«
»Wie ist er dann hereingekommen?«
»Darauf weiß ich noch keine Antwort. Die Jungs
haben alle öffentlichen Bereiche überprüft und die Fenster und
Türen im Erdgeschoss.Weder aufgebrochene Schlösser noch
eingeschlagene Scheiben.«
»Und das Besucherregister?«
»Überprüfen wir gerade.«
»Und das Schlimmste ist?«
»Wie meinst du das?«
»Irgendwas ist immer das Fürchterlichste.«
»Okay, eins ist seltsam. Bei dem ersten Fall haben
wir das nicht groß beachtet, aber diesmal ist es mir aufgefallen.
Die Kleider der Opfer. Sie sind zerrissen, zerfetzt und blutig,
aber alle sorgfältig um die Leiche drapiert. Als hätte er sie
wieder hergerichtet, ehe er ging.«
»Du meinst, der Metzger ist sehr ordentlich?«
»Yeah. Erst bringt er sie um. Und dann richtet er
sie wieder her. Das Opfer von gestern Abend lag auf einem teuren
Teppich. Überall Blut, Bilder schräg an der Wand, gegen die er sie
vermutlich geschleudert hat. Aber ihr Kostüm war bis oben
zugeknöpft. Der Kragen war ordentlich heruntergeklappt, der Rock
glattgezogen. Ein Schuh war abgefallen - das wissen wir, denn wir
haben Blut darin gefunden -, aber er hat ihn ihr wieder
angezogen.«
»Ein obsessiv-zwanghafter Freddie Krüger?«
»Ja, genau.«
»Habt ihr Abdrücke?«
»Nein, der Junge trug Handschuhe. Wir haben
Blutspuren, aber überwiegend vom Opfer. Wir haben einen
Teil-Fußabdruck, aber er ist von einem gottverdammten
Nike-Trainer.Wer trägt solche Schuhe nicht?«
»Welche Größe?«
»Zehn. Männerschuh. Vermutlich durchschnittlich
groß. Wir suchen nach Haut und Haaren unter ihren Fingernägeln.«
Marks hustete. »Hey, warum willst du das eigentlich alles
wissen?«
Smith gab einen gleichgültigen Laut von sich.
»Na«, meinte Marks, »du wirst wieder von mir hören.
Der Junge kommt erst allmählich in Fahrt.«
»Wer ist in dem Artikel die Nächste?«
»Isadora Cunis. Der Papa ist Industrieller, sie ist
mit einem Top-Börsenmakler verheiratet. Ich habe heute Morgen mit
ihr geredet, wie auch mit allen anderen. Habe sie gebeten, die
Stadt zu verlassen. Ich glaube, sie folgt meinem Ratschlag.«
»Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt.«
»Kannst du Gift drauf nehmen.«
Smith schaltete das Handy ab und klickte die
Website zu.
Unruhig betrachtete er sein Zimmer. Das Hotel, in
dem er gerade wohnte, befand sich im Theaterviertel von New York.
Es war sauber und ruhig, und mehr brauchte er nicht, um dem Kasten
fünf Sterne zu verleihen.
Dann stand er auf und trat zum Fenster. Er konnte
es einen Spalt weit öffnen. Draußen hörte er die Stadt: Autos
hupten, Taxis fuhren rasch vobei, obwohl es schon spät war. Er war
aus LA hergekommen, um Drohungen zu untersuchen, die der
Vorstandsvorsitzende einer multinationalen Gesellschaft erhalten
hatte. Smith und der sechzigjährige Industrielle hatten sich zum
Essen in dessen Luxussuite im Plaza getroffen. Nach einer Stunde
Unterhaltung hatte Smith den Job abgelehnt, obwohl ihm für zwei
Monate Arbeit eine siebenstellige Summe geboten worden war.
Es war leicht gewesen, das abzulehnen.
Mr. Top-Business hatte weiterhin behauptet, er
würde von Öko-Terroristen bedroht.Vor Kurzem hatte er zweitausend
Hektar Regenwald in Brasilien abgeholzt, um eine Fabrikanlage zu
errichten. Die Baumfreunde, wie der Mann sie nannte, waren erzürnt
gewesen.
Aber Smith erkannte, dass es eine Lüge war, denn er
hatte vorher sämtliche Informationen unter die Lupe genommen. Der
Manager lebte zwei Leben. Eins war makellos - eine Ikone des
amerikanischen Traums. Ein Milliardär, der sich aus ärmsten
Verhältnissen hochgearbeitet hatte und eine bildschöne schwangere
zweite Ehefrau hatte, die nur halb so alt war wie er. Die andere
Seite bedeutete Waffenschmuggel, und zwar nicht von der harmlosen
Sorte. Es stellte sich heraus, dass die Schiffe des Mannes, die den
Panamakanal in beiden Richtungen durchfuhren, stets mehr als nur
Bolzen und Nägel an Bord gehabt hatten.
Smiths Meinung nach versuchte der Mann vermutlich,
sich aus diesen zwielichtigen Geschäften zu lösen, und merkte
allmählich, dass der Umgang mit Leuten, die mit Waffen handeln,
erheblich schwieriger war als mit den Männern in Anzug und Krawatte
im Aufsichtsrat. In beiden Metiers konnte man reich werden, aber
bei dem einen bekam man einen goldenen Handschlag und eine schöne
Uhr, beim anderen einen Kopfschuss und wurde möglicherweise in
kleine Stücke zerhackt. Die Familie konnte sich glücklich schätzen,
wenn sie jemals eine Leiche zurückbekäme.
Aus Smiths Perspektive konnte er es sich nicht
leisten, den Job zu übernehmen. Nicht, dass er Mister Amerika sein
Leben nicht gönnte. Einen Mann weinen zu sehen, der in seinem Reich
wie ein König regierte, war nicht gerade schön, aber Smith hatte
seine Regeln.Wenn er sein eigenes Leben für einen anderen riskieren
sollte, dann musste man ehrlich mit ihm umgehen.
Außerdem war es nützlich, wenn die Leute ihre
Probleme nicht selbst geschaffen hatten.
Aber er hatte den Typen nicht einfach seinem
Schicksal überlassen. Ehe er sich verabschiedete, hatte er dem Mann
ein paar Telefonnummern anderer Sicherheitsdienste gegeben.
Mit diesem Job hätte er für mehrere Klienten
gleichzeitig arbeiten müssen. Morgen sollte er nach Paraguay, und
Tiny wäre nicht gern für ihn da eingesprungen, obwohl er es ohne zu
murren getan hätte. Tiny war so groß, dass ein Rugby-Backer neben
ihm schmal wirkte, und genauso stahlhart wie Smith, aber er hasste
die Tropen. Es hatte etwas mit Spinnen zu tun.
Smith ging ins Bad und zog sich das Hemd aus. Das
von der Decke herabstrahlende Licht betonte seine kräftigen Muskeln
- ein machtvoller Anblick, den er immer wieder an sich selbst
bewunderte. Sein ganzes Leben lang hatte er einen extrem fitten
Körper gehabt, aber das war nicht der einzige Grund, warum er in
der Welt der harten Jungs als spitze galt.
Dann betrachtete er die Muster auf seiner Haut
eingehender, die Linien und Furchen, die sich bewegten, wenn die
Muskeln darunter spielten. Es waren Narben, grobe Zeugnisse des
Lebens, das er sich ausgesucht hatte. Einige waren zwanzig Jahre
alt und stammten aus seiner gewaltsamen Jugendzeit. Andere waren
frischer. Manche waren Anzeichen eines Anschlags auf sein Leben,
andere Spuren seiner Tapferkeit. Er war so an sie gewöhnt, dass er
sie weder als ungewöhnlich noch als hässlich ansah. Sie waren wie
seine Arme und Beine, ein so selbstverständlicher Teil von ihm, als
wäre er mit ihnen auf die Welt gekommen.
Das war natürlich nicht der Fall. Er konnte sich
bloß nicht mehr daran erinnern, dass er einmal makellos gewesen
war.
Geistesabwesend fuhren seine Finger über die
hellrosa Narbe unterhalb seiner Bauchmuskeln. Er dachte an die
Gräfin und stellte sich vor, wie sie ihn mit ihren zarten Fingern
streichelte. Schon der Gedanke daran ließ sein Glied steif
werden.
Er fluchte laut.
Es war eine großartige Fantasie, aber mehr würde
nie daraus werden.
Außerdem war eine Frau wie sie an die makellose
Haut von Börsenmaklern und Aristokraten gewöhnt. Männer, in deren
Beruf man nicht immer wieder mit Nadel und Faden zusammengeflickt
wurde. Ein Blick auf Smiths Horrorlandkarte, und sie würde
vermutlich schreiend wegrennen.
Aber vielleicht auch nicht. Er dachte an ihr Kinn,
das sie so trotzig vorrecken konnte.
O Jesus, wem machte er hier etwas vor? Das würde er
niemals herausfinden.
Smith schaltete das Licht aus und verließ das Bad.
Er streifte die Hose ab und warf sie über eine Stuhllehne,
schaltete den Computer aus und legte sich aufs Bett. Unter die
Decke schlüpfte er noch nicht. Die Nacht war für die Jahreszeit
überraschend mild, und er hatte die Temperatur im Zimmer erhöht,
damit die Klimaanlage sich nicht einschaltete.
Er hasste künstliche Luft.
Smith verschränkte die Arme vor der Brust und
schloss die Augen, bereit zu schlafen. Er war ein guter Schläfer.
Er tauchte rasch ab und war fast ebenso rasch wieder hellwach. In
einer typischen Nacht schlief er drei Stunden tief und fest auf dem
Rücken und war dann wieder topfit.
Aber in der vergangenen Woche hatte er keine Nacht
gewohnt gut geschlafen. Damit hatte er in letzter Zeit Probleme,
und so richtete er sich auch nach ein paar Minuten wieder auf.Vor
seinem inneren Auge wirbelten weiter die
Bilder der Gräfin herum. Smith lehnte sich verärgert gegen das
Kopfende.
Die traumlose Trance, in die er Nacht für Nacht
versank, war das Einzige, was bei ihm einer gewissen Routine
ähnelte. Dass selbst dies nun auch nicht mehr zutraf, und auch noch
wegen einer Frau, war für ihn nicht akzeptabel.
Vielleicht brauchte er einfach mal wieder
Sex.
Er beugte sich zum Nachttisch herum und zog eine
lange, dünne Zigarre aus dem fast vollen Päckchen. Sein Feuerzeug
blitzte hellgelb durch die Dunkelheit, die Spitze des Zigarillos
glühte orangefarben auf, als er einen Zug nahm.
Das war es vermutlich. Er brauchte Sex.
Beim Ausatmen spürte er wieder den Körper der
Gräfin ganz nahe und wurde erregt.
Verdammt, Sex mit ihr war nicht möglich.
Da ertönte das Handy.
Smiths Kopf fuhr herum, und noch ehe es zum zweiten
Mal summte, hielt er es ans Ohr.
»Yeah?«
Eine lange Pause erfolgte. »Ist da … John
Smith?«
Sein Körper erkannte die Stimme noch vor seinem
Verstand.
»Yeah.«
»Hier ist Grace Hall«, sagte die Stimme. »Ich
brauche Sie.«
Als Smith das Handy wieder ablegte, fragte er sich,
warum sie so lange mit diesem Anruf gewartet hatte.
Tiny muss wohl doch nach Paraguay, dachte er.