16 017
Am nächsten Morgen ging Grace schon sehr früh in den Garten hinab, um nachzudenken. Sie spazierte zwischen den Beeten hin und her, die schon für den bevorstehenden Winter vorbereitet worden waren, konnte sich jedoch erinnern, wie alles in voller Sommerblüte ausgesehen hatte. Die Teerosen, der Fingerhut, die Pfingstrosen und Lilien waren in einem bestimmten Muster angelegt worden. Es gab auch viele Kreuzungen, die ihr Vater gezüchtet hatte. In den Sommermonaten war es ein einziges Blütenmeer.
Sie ging die Rasenfläche hinab und hörte dabei immer deutlicher das Rauschen des Meeres. Ein paar Möwen schwebten über demWasser, wo sich die ersten Sonnenstrahlen zaghaft und rosig ausbreiteten. Es war sehr kühl, und sie war froh, einen dicken Pullover angezogen zu haben.
Vom Ende des Grundstücks aus führte ein Weg zum Strand. Dort stand eine kleine weiße Badehütte aus Schindeln mit einem roten Dach. Sie hatte eine schmale Veranda, auf der zwei weiße Korbstühle standen. Als Grace sich setzte, knarrte der alte Sessel unter ihrem Gewicht. Sie zog die Schuhe aus und legte die Beine auf das Geländer.
Dann wackelte sie mit den Zehen, um die aufgehende Sonne zu begrüßen, sah, wie eine Möwe die Richtung wechselte und ein paar Schritte vor ihr sanft landete. Sie wollte dem Vogel gerade sagen, sie könne ihm kein Frühstück bieten, da merkte sie, dass sie nicht alleine war.
Grace drehte sich um und sah Smith auf der anderen Seite des Zauns unter den Ästen eines alten Ahornbaums. Er stand an den Stamm gelehnt und starrte aufs Meer. Sie fragte sich, wann er das Haus verlassen hatte, weil sie bewusst sehr leise gewesen war.
Nun, sie hatte nichts zu verlieren, daher stand sie auf und ging auf ihn zu. Als er sie ignorierte, überlegte sie schon, ob sie ihn besser in Ruhe ließ.
»Du weißt, dass Jack bloß ein guter Freund ist«, platzte es aus ihr heraus.
Er runzelte die Stirn. »Es geht mich nichts an, mit wem du schläfst.«
»Ich …« Als er sie ungläubig ansah, stöhnte sie entrüstet auf. »Es ist wirklich blöd, dass ich mich für etwas verteidige, was ich nicht getan habe.«
Als er keine Antwort gab, kochte ihre Frustration über. »Komm schon, John, warum gibst du nicht einfach zu, dass du dich geärgert hast. Können wir nicht endlich darüber reden, was sich zwischen uns beiden abspielt?«
Seine Stimme klang desinteressiert. »Wir haben nichts über uns zu bereden, es sei denn, du willst meine Arbeitsbedingungen ändern.«
»Jack ist nicht mein Liebhaber. Gestern Abend …«
Er unterbrach sie mit einem heiseren Lachen. »Vielleicht ist das eine große Überraschung, Gräfin, aber die Welt dreht sich nicht bloß um dich. Du möchtest mir vielleicht gerne deine nächtlichen Eroberungen schildern, aber mich würde das sehr langweilen.«
Er blickte wieder hinaus aufs Meer.
Vielleicht hatte sie es falsch angefangen.
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich wollte mit dir zusammen sein.«
Smith schüttelte ihre Hand ungeduldig ab. »Ist wohl kaum ein exklusiver Club, na? Jetzt, wo du deinen Mann loswirst.«
Grace holte scharf Luft. »Ich kann kaum glauben, was du gerade gesagt hast.«
Smith stieß sich von dem Baumstamm ab und ragte nun über ihr auf. »Du willst mit mir reden? Ja, aber ehrlich. Mister Charming hat wohl eine Menge zu bieten, nicht wahr? Vermutlich ist er ständig mit Schmuck und Blumen hinter dir her, sobald er dich nur sieht. Er wäre ein großartiger zweiter Ehemann. Und ich kann dir nichts anderes bieten als einen One-Night-Stand mit jemandem aus der Unterschicht. Wenn man deine Auswahl betrachtet, dann hast du wohl die richtige Entscheidung getroffen.«
»Entschuldige bitte«, unterbrach sie ihn hitzig. »Aber wenn ich mich recht erinnere, dann warst du es, der mich an meinem Geburtstag abgewiesen hat. Und ich habe nicht mit Jack geschlafen.«
Smith starrte sie wütend an. »Diese Lüge ist reine Zeitverschwendung, Gräfin.«
»Nenn mich nicht so!«, bellte sie ihn an.
»Gut. Klingt Hure besser?«
Grace zischte. Sie war jetzt blind vor Wut, zog ruckartig die Hand zurück und wollte ihn schlagen.
»Du willst mir eine knallen?«, knurrte er. »Na, mach schon.«
Grace erstarrte zitternd, weil sie nicht wusste, was mit ihr geschah.
Smith beugte sich zu ihr und schob das Kinn vor. »Komm schon, du bist ja eine Lady, daher mache ich es dir leichter. Ziel genau und schlag zu!«
Grace blinzelte ihn an und ließ langsam die Hand fallen. Dann flüsterte sie heiser: »Gott helfe mir, ich wünschte, ich hätte dich nie gesehen.«
Dann rannte sie ins Haus. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
 
Grace schloss die Zimmertür hinter sich zu und lief mehrfach auf und ab, um sich wieder zu beruhigen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so wütend gewesen zu sein. Sie wusste auch, dass ihre Gefühle unangemessen stärker waren als alles, was er gesagt oder wie er es ausgedrückt hatte. Sie beide schlichen vorsichtig um einen heißen Brei herum und vermieden es, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Und sicher machte sie das beide langsam verrückt.
Sie war überzeugt, dass Smith sich inzwischen in sie verliebt hatte. Das war die einzige Erklärung für sein Benehmen Jack gegenüber. Und sie wusste verdammt nochmal genau, was sie für ihn empfand. Am meisten regte sie die Tatsache auf, dass sie beide nicht einfach zugeben konnten, was sich zwischen ihnen anbahnte.
Dann setzte sie sich auf ihr Bett und sah das Alarmgerät. Der Anblick ärgerte sie, weil es sie an den wahren Grund für John in ihrem Leben erinnerte. Sie fand es sehr schwer, ihre Gefühle für ihn von der Tatsache zu trennen, dass er für sie arbeitete.Vermutlich würde er sie ohnehin bald verlassen. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn nicht mehr Tag für Tag zu sehen. Auch wenn er sie noch so mächtig ärgerte, wollte sie ihn ständig in der Nähe haben.
Als es leise klopfte, steckte sie das kleine schwarze Kästchen unter ihr Kopfkissen und strich sich die Kleidung glatt.
»Herein?«
Sie stand überrascht auf, als Smith eintrat.
»Nur eine Sekunde«, sagte er, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen. Seine Miene wirkte sehr verschlossen.
Sie lächelte ihn schräg an, weil sie sich freute, dass er sie gesucht und hier gefunden hatte. »Ist in Ordnung. Ich hatte keine größeren Pläne vor dem Frühstück.«
»Also, es tut mir leid, da unten die Beherrschung verloren zu haben«, knurrte er. »Was ich gesagt habe, war völlig unpassend und unprofessionell. Ich hätte den Mund halten sollen.«
»Ich glaube nicht, dass das immer die beste Strategie ist.« Grace nahm ein Kissen unter den Arm und blickte auf die zerknüllten Laken und Decken - den Beweis ihrer immer mehr sich verstärkenden Schlaflosigkeit. »Ich weiß nicht, wie lange ich noch mit diesem Druck leben kann.«
Smith atmete tief aus. Es war, als würde er innerlich eine andere Perspektive einnehmen. »Ich mache dir ja keine Vorwürfe. Ich verspreche dir, die Polizei wird den Mann finden, der deine Freundinnen umgebracht hat …«
»Nein, davon rede ich nicht. Ich rede von uns beiden.« Sie blickte auf. »Ich mag nicht, was sich zwischen uns abspielt. Ich will mich nicht in eine solche Furie verwandeln. Aber wenn wir zusammen sind und das Meiste bleibt unausgesprochen, das macht mich verrückt. Ehrlich gesagt glaube ich, dass es uns beide verrückt macht.«
Smith verschränkte die Arme vor der Brust. Das war eine typische Haltung für ihn.
»John, wir können nicht weiter ignorieren, was zwischen uns beiden ist. Und wag es ja nicht zu sagen, da sei nichts. Gestern Abend, als Jack hereinkam, hast du ausgesehen, als wolltest du ihn umbringen.«
»Tut mir leid, wenn ich dir peinlich war.« Ungeduldig verlagerte er das Gewicht von einem Bein aufs andere. Sie hatte den Eindruck, dass er am liebsten wegrennen würde.
Ihre Stimme klang gepresst vor unterdrückter Wut. »John …!«
»Also, obwohl ich das da unten so gesagt habe, es geht mich absolut nichts an, was du mit deinem Privatleben anfängst …«
»Das kannst du ruhig zehnmal sagen, aber du weißt genau, dass ich es dir nicht abnehme.«
Zum ersten Mal wandte Smith den Blick ab. Er stieß die Hände tief in die Jeanstaschen und schien innerlich mit sich zu ringen. Als er endlich antwortete, klang seine Stimme sehr gepresst.
»Ich habe gesehen, wie er dich küsste. Ich war draußen auf der Veranda.«
Grace runzelte die Stirn. »Ich habe keine Ahnung, was du gesehen zu haben glaubst. Aber Jack hat mich noch nie anders geküsst als auf die Wange.«
Smith schüttelte den Kopf, als wäre er über sich selbst verärgert. »Verdammt, das ist eine überflüssige Unterhaltung.«
Er ging auf die Tür zu.
»John, wir müssen darüber reden. Bitte geh nicht.«
»Ich muss aber.«
»Wovor hast du solche Angst?«, flüsterte sie eindringlich.
»Vor dir.«
Das war das Letzte, was sie erwartet hatte.
»Aber warum? Du musst doch wissen, was ich für dich empfinde.« Grace drückte das Kissen an sich. »Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.«
»Jesus Christus!« Er fuhr sich durch die Haare.
Grace zuckte zusammen. »Das war nicht unbedingt die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. Wenn dir beim nächsten Mal eine Frau dieses Geständnis macht, dann sag etwas weniger Abweisendes.«
»Genau das wollte ich vermeiden«, sagte er verhalten.
»Warum?«, wollte sie wissen. »Was ist so schrecklich daran, dass ich dich liebe?«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Also, erstens, du liebst mich nicht.«
Grace runzelte die Stirn. »Sag mir ja nicht, was ich empfinde.«
»Du bist in Gefahr. Du steckst mitten in einer Scheidung. Du bist momentan in einer sehr heiklen Situation. Wenn wir uns unter anderen Umständen begegnet wären, hättest du dich nie emotional auf mich eingelassen.«
»Wie kannst du es wagen!« Grace stand auf und schleuderte das Kissen in die Ecke.
»Das ist die Wahrheit«, erwiderte er düster. »Und wenn ich wieder fort bin, wirst du das merken.«
»Wer zum Teufel hat dich zum Experten für meine Gefühle ernannt?«
»Je früher du die Realität der Lage erkennst, umso besser wird es uns beiden gehen.«
Grace schüttelte heftig den Kopf.
»Ich verbitte mir,dass du meine Gefühle … mein Herz …« Sie pochte sich auf die Brust. »… als eine Art Stressreaktion wegerklärst.«
»Es ist keine Reaktion«, sagte er und sah sie fest an. »Mir ist das auch schon mal passiert. Du bist nicht die erste Klientin, die glaubt, in mich verliebt zu sein, Grace.«
Das ließ sie einen Moment verstummen.
Dann betrachtete sie seine breiten Schultern und überlegte, wie viele Frauen sich schon hilfesuchend daran geklammert hatten.
»Und was ist dann passiert?«, fragte sie und wappnete sich für die Antwort. »Hast du …«
»Mit ihnen geschlafen? Nein.« Sein Mund verzog sich zu einem kaltem Lächeln. »Ich war noch nie leicht verführbar. Nur bei dir.«
»Na, das ist immerhin etwas«, murmelte sie.
»Nein, verdammt nochmal nicht.«
»Warum nicht? Du hast selbst gesagt, dass die Gefahr, in der ich stehe, vorübergehen wird. Du wirst nicht den Rest unseres Lebens für mich arbeiten.«
»Jesus, Grace, es geht hier nicht um meinen verdammten Job. Ich habe die letzten zwanzig Jahre alleine gelebt. Weil ich das wollte. Ich komme mit Beziehngen nicht zurecht. Und du bist nicht die Art von Frau, die Sex ohne eine Beziehung will. Das wird nichts mit uns beiden.«
»Woher weißt du eigentlich, was ich kann und was nicht?«
»Denk mal an den Abend, als du das Glas zerbrochen hast und ich dich ins Bett brachte. Du hast dich entzogen, Gräfin, und zwar ziemlich rasch, als es ernst wurde. Das passt nicht zu einer Frau, die ganz gerne gelegentlichen Sex mit einem Mann hat.«
Grace spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
Er fluchte leise. »Also, ich kann nicht mehr geradeaus denken, und für diesen Zustand bezahlst du mich nicht. Wir haben ein Problem, und ich will das lösen, nicht verschlimmern.«
»Wir haben kein Problem«, erwiderte sie störrisch.
»Dann machst du dir selbst etwas vor. Aber du wirst diejenige sein, die dabei Schaden nimmt.«
Sie schlang die Arme um den Oberkörper. »Da bin ich nicht sicher, und du kannst auch nicht sicher sein.«
Er sah sie fest an. »Wenn ich in einer kritischen Situation nicht klar denken kann, könntest du mit dem Leben dafür bezahlen. Ich werde mich weiterhin nach Beendigung dieses Jobs verabschieden. Du hast die Wahl.«
»Wer sagt denn, dass es die beiden einzigen Optionen sind?«
»Dies hier wird kein glückliches Ende nehmen. Das habe ich dir schon mal gesagt.«
»Verdammt. Es könnte aber doch möglich sein!«
Wieder fuhr er sich mit einer Hand durch die Haare. »Grace … verlieb dich nicht in mich!«
»Warum nicht? Machst du dir Sorgen, mein Herz würde dir irgendwie Schwierigkeiten machen?«, zischte sie.
»Es ist in deinem besten Interesse.«
Da stemmte sie die Hände in die Hüften und starrte ihn wütend an. »Stellen wir mal eins klar, du arroganter Dreckskerl. Ich kann viel Schlimmeres überleben als eine Affäre mit einem verdammten Geist. Denn die Wahrheit lautet, dass ich gar nicht so viel vermissen werde, wenn du dich aus dem Staub machst, denn du bist eigentlich gar nicht da. Und dann hast du die Nerven, mir zu sagen, was in meinem besten Interesse ist! Mit all deinen Muskeln bist du ein echter Feigling. Du …« Sie deutete auf ihn. »Du hältst dich dermaßen bedeckt, dass es ein Wunder ist, dass du Zeit für deine Klienten hast. In meinem Interesse … Ha!«, murmelte sie. »Warum kümmerst du dich nicht besser um dich selbst? Dann kannst du eines Tages vielleicht anderen helfen.«
John stieß einen derartig heftigen Fluch aus, dass sie einen Schritt zurücktrat.
»Und wie genau würde dein Leben aussehen, wenn ich bliebe?«, wollte er wissen. »Du denkst, es wäre so toll, nächtelang herumzuliegen und dich zu fragen, wo ich wohl bin und ob ich jemals wieder heimkomme? Du denkst, du wirst damit fertig, dass du mich wochenlang nicht erreichen kannst, manchmal sogar Monate? Bist du für so was hart genug? Oder erwartest du vielleicht, dass ich mich in einen Partylöwen verwandle, in jemanden, den du am Arm hältst wie ein Handtäschchen, um dich auf deine schicken Partys zu begleiten?«
Grace schüttelte den Kopf und versuchte, gelassen zu reagieren. »Das würde ich nicht wollen. Ich habe nie von dir erwartet, anders zu sein, als du bist. Ich will bloß, dass du uns beiden eine Chance gibst.«
»Du willst diese Beziehungsfantasie also ausspielen? Gut.« Smiths Blick war hart und abschätzend. »Dann kannst du ja erst mal deiner Mutter erzählen, dass du dich von dem Mann scheiden lässt, den du nicht liebst.Willst du ihr dann beibringen, dass wir beide miteinander schlafen? Ich bin doch für sie ein Albtraum!«
Grace schob das Kinn vor. »Um meine Mutter brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Das ist mein Problem. Und was deinen Job angeht, ist das, was du momentan tust, das Einzige, was du gelernt hast? Das bezweifle ich nämlich.«
Er lächelte, aber ohne Humor. »Leute ohne Versicherungsnummer, Leute mit drei verschiedenen Pässen, Leute wie ich können nicht einfach in ein Büro spazieren und sich um eine Stelle bewerben.«
»Versteck dich nicht hinter praktischen Problemen«, sagte sie ablehnend.
»Praktische Probleme? Womit zum Teufel denkst du, verdiene ich meinen Lebensunterhalt?«
Sie sah ihn ärgerlich an.
»Na?«, drängte er.
»Du bist ein Leibwächter.« Als er ungläubig den Kopf schüttelte, sagte sie: »Komm schon, Smith, ich weiß, dass du ein zäher Bursche bist, aber selbst hoch dekorierte Militärs schaffen es, in der Zivilwelt einen Job zu landen, wenn sie die Army verlassen. Du kannst dir etwas anderes suchen.«
Sie wurde unsicher, als er sie daraufhin bloß stumm anstarrte. Vermutlich hatte sie das Falsche gesagt.
»Nein?«, flüsterte sie zweifelnd.
»Also, hier ein paar Stichworte«, begann er. »Nahkampfspezialist. Munitionsexperte. Scharfschütze. Auftragskiller. Kannst du mir bitte sagen, wozu mich das in der Normalwelt qualifiziert?«
»Wenn du uns eine Chance geben würdest, könnten wir es irgendwie schaffen.«
»Mach dir nichts vor, Grace.«
Frustration stieg in ihr auf. »Das tue ich nicht. Du bist derjenige, der nicht sieht, dass …«
»Es tut mir leid.«
»Verdammt! Leidtun reicht nicht, du kannst alles anders machen.« Jetzt war sie vor Tränen fast blind. Es war, als würde sie mit einer Statue debattieren. »Ach, shit, vielleicht solltest du besser gehen.«
Sie ging zur Tür, doch er schnappte ihre Hand. Sie wehrte sich wütend gegen seinen Griff, verharrte aber, als sie die tiefen Gefühle in seinen dunklen Augen sah.
Sie wandte den Blick ab.
»Ich habe Feinde, Grace«, sagte er tödlich leise. »Feinde, die nicht zum Anwalt gehen, um ihr Recht zu erkämpfen. Feinde, die nicht zögern würden, dich umzubringen, nur weil du nachts neben mir schläfst.«
Grace riss die Augen auf. Er ließ ihre Hand los und begann auf und ab zu gehen.
»Selbst wenn ich Blackwatch verlasse, kann ich nicht irgendwo ganz von vorn anfangen. Diese Leute haben ein gutes Gedächtnis, und da du eine so bekannte Persönlichkeit bist, wäre das ein Problem. Ich will nicht, dass mein Gesicht oder mein Wohnort auf sämtlichen Titelseiten zu sehen sind. Ich habe noch nie ein Zuhause gehabt, weil ich nicht leicht gefunden werden will. Mit dir wäre jegliche Anonymität unmöglich, denn das würde nicht nur mich in Gefahr bringen, sondern auch dich.«
Grace holte tief Luft. »Gütiger Gott, John, wie ist es dazu gekommen?«
Lange lieb er stumm.
»Kannst du mir sagen, wie du da hineingeraten bist?«
John zögerte. Sie hatte den Eindruck, als ginge er die Fakten durch und stutzte sie für sie zurecht.
»Ich bin verletzt worden. Nach zwei Wochen im Krankenhaus beschloss ich, falls ich bei einem Job ständig zu Schaden käme, würde ich die Show lieber selbst leiten und nicht nur auf Befehl handeln. Beim Militär ist ständig jemand über einem, egal, wie hoch man aufsteigt. Es sei denn, man wird Präsident. Sobald ich wieder auf den Beinen war, übernahm ich andere Jobs. Als ich mehr zu tun hatte, als ich alleine bewältigen konnte, habe ich Tiny und ein paar andere abgeworben, denen ich vertrauen konnte.Wir arbeiten jetzt seit fünf Jahren zusammen.«
»Es ist sicher sehr schwer.« Grace senkte den Blick. »Kann das denn immer so weitergehen?«
»Ich weiß, dass ich es morgen und übermorgen schaffen werde.Weiter denke ich nicht.«
»Bist du nicht manchmal einsam? Möchtest du nicht jemanden in deinem Leben haben?«
»Nein.«
»Und deine Familie?« Es musste doch jemanden geben, auf den er sich verlassen konnte. Eine Mutter, eine Schwester, ein Bruder.
»Ich habe keine Familie.«
»Überhaupt niemanden?«
Als er keine Antwort gab, versuchte Grace sich vorzustellen, wie es war, so allein auf der Welt zu sein.
»Ich kann mir nur schwer vorstellen, ohne jemanden zu leben.«
»Ich habe ja Blackwatch
Aber das war seine Firma.
»Hast du niemals daran gedacht, zu heiraten? Kinder zu haben? Hast du dir nie eine Beziehung mit einer Frau gewünscht?«
»Wenn mir nach Sex zumute ist, kann ich den bekommen. Dann gehe ich wieder. Dauerhafte Bindungen nehmen zu viel Zeit und Energie in Anspruch. Ich will einfach nichts damit zu tun haben.«
Grace sank das Herz, denn sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn er schließlich ging, ohne sich auch nur umzudrehen. »Wolltest du nie irgendwo bleiben?«
Smith schüttelte den Kopf. »Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal neben einer Frau aufgewacht bin.«
»Nun, das war ich. Oder?«
Zögernd nickte er. »Ja, das stimmt.«
»Als ich mich an dem Morgen umdrehte und dich ansah, wusste ich, dass du mich begehrst«, sagte sie leise und sah zu ihm hoch.
»Klar wollte ich dich da. Ich will dich auch jetzt. Aber ich kann nicht mein ganzes Leben für dich ändern, und das müsste ich, wenn wir zusammenbleiben wollen.«
Grace trat zu ihm und strich ihm über die Wange. »Du kannst mein Herz nicht bewachen, John. Und wir beide haben keine Ahnung, was die Zukunft bringen wird. Ich habe mich bereits in dich verliebt.Wenn du mit mir zusammenbleiben willst, dann wäre das gut. Aber triff keine Entscheidung für mich, nur weil du Angst hast, dass mir das schaden könnte.«
Seine Stimme klang rau. »Ich habe nie gedacht, einmal jemanden zu treffen wie dich.«
Er nahm ihre Hand und küsste die Handfläche. Dann legte er sie auf seine breite Brust.
Dann trat er einen Schritt zurück.
»Ob du es weißt oder nicht, Grace, du willst auch geliebt werden. Aber ich kann dir nichts geben, was ich nicht in mir selbst spüre.«
Noch ehe sie darauf eine Antwort finden konnte, war er verschwunden.