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Smith, der der Gräfin gegenübersaß, spürte,
wie Hitze in ihm hochwallte. So unwahrscheinlich das auch schien,
aber dieser makellosen Frau, die da kerzengerade auf dem Sofa saß,
gelang es schon wieder, ihn innerlich völlig aufzuwühlen.
Wie verdammt schön sie auf dem hübschen kleinen
Sofa aussah. Ihre Haltung war sehr bewusst, die Beine eng
übereinandergeschlagen, die Hände elegant im Schoß. Sie wirkte
jeder Zoll wie eine Dame mit ihrem makellos aufgesteckten Haar und
dem teuren, klassisch geschnittenen Kostüm. Elegant, anmutig, mit
Haltung.
Nun rührte sich die Gräfin und setzte die langen
Beine nebeneinander auf den Boden.
Sein Blick fuhr über ihre zierlichen Knöchel und
die wohlgeformten Waden, und er spürte, wie sich reine,
unverfälschte Lust in ihm rührte. Wie sie wohl ohne all die teuren
Kleider aussah? Vermutlich würde sie zusammenbrechen, wenn jemand
ihr vorschlug, einfach eine Jogginghose anzuziehen.
Als er den Anruf von Farrell erhalten hatte, war er
versucht gewesen, das Angebot abzulehnen. Sein Instinkt sagte ihm,
dass, wenn er die Gräfin von Sharone als Klientin akzeptierte, sich
dies zu einer komplizierten Affäre auswachsen würde, und zwar nicht
nur, weil sie sich einmal geküsst hatten. Sie war in der ganzen
Welt bekannt. Eine verdammte Ikone. Und vermutlich eine Diva
höchsten Ranges, neben
der Schauspielerinnen oder Opernsängerinnen bloß sanfte,
selbstzweiflerische Schäfchen waren.
Aber er war trotzdem hergekommen. Er war neugierig,
sie ein letztes Mal von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wenn auch
aus keinem anderen Grund, als um zu beweisen, dass auch sie nur
eine Frau war.Vielleicht war sie hübscher als die meisten Frauen,
aber in allererster Linie war sie einfach ein Mensch, der eines
Tages Altersflecken und graue Haare bekommen würde wie alle anderen
auch. Nichts Besonderes.
Er gab sich Mühe, etwas Unattraktives an ihr zu
finden, und betrachtete sie eingehend, doch schließlich waren es
ihre Augen, die ihn fesselten. Sie funkelten jetzt eisgrün, weil
sie wütend auf ihn war.
Verdammt schöne Farbe, dachte er. Wie ein
Granny-Smith-Apfel.
»Na, hat es Ihnen die Sprache verschlagen?«, wollte
sie wissen.
Smith runzelte die Stirn und dachte, sie versuchte,
ihn zu ködern. Aber diesmal würde das nicht klappen. »Sie sind doch
nicht etwa beleidigt, nur weil ich Ihren Hintergrund ein wenig
überprüft habe?«
»Es geht mehr um Ihr Benehmen.«
»Ich bin nicht gekommen, um Sie zu
bezaubern.«
»Da bin ich aber froh. Ich mag Menschen nicht gern
enttäuschen.«
Smith musste unwillkürlich lächeln. Ihr Humor
überraschte ihn. Auch die Tatsache, dass sie nervös war. Ihre
Finger flochten unaufhörlich die Fransen an einem
Seidenkissen.
»Wollen Sie sich also mit mir unterhalten oder
nicht?«, fragte sie mit schärferer Stimme.
»Ich weiß, wo Sie wohnen und arbeiten«, gab er
grummelnd zur Antwort. »Ich weiß, dass Sie sehr reich sind. Und ich
weiß, dass von Ihnen in dem Artikel über stadtbekannte Frauen die
Rede war, den man bei Cuppie Alstons Leiche gefunden hat.«
Grace erblasste und riss die Augen auf. »Woher
wissen Sie das?«
»Ich bin mit einer ganzen Reihe von Leuten der New
Yorker Oberschicht befreundet.«
»Oh.« Sie zögerte. Dann betastete sie mit
zitternden Fingern ihre Frisur.
Smith war von ihrer plötzlichen Angst überrascht.
Er hatte damit gerechnet, dass sie ihm wortreich erklären würde,
dass sie sich überhaupt nicht für gefährdet hielt.
»Wollen Sie mir endlich die Wahrheit sagen?«,
fragte er.
»Welche Wahrheit?«
»Wie es Ihnen tatsächlich geht.« Er wies eindeutig
auf ihre bebenden Finger.
Rasch verbarg sie sie im Schoß.
»Ich … ja … ich bin ein bisschen verwirrt«,
murmelte sie. »Ich bin noch nie auf diese Art bedroht
worden.«
»Das überrascht.«
»Warum?«
Er spürte, dass sie die Frage nur stellte, damit er
weiterredete, als wollte sie sich damit Zeit verschaffen, sich
wieder zu sammeln. Er beschloss, ihr nachzugeben.
»Sie sind sehr organisiert und haben so viele
Termine wie ein Präsident. Sie verlassen jeden Morgen um die
gleiche Zeit Ihr Penthouse, gehen joggen und sind um acht im Büro.
Sie arbeiten bis sieben, dann gehen Sie aus und sind um elf wieder
zu Hause. Die Wochenenden verbringen Sie genauso wie die anderen
Tage.«
»Das alles haben Sie in weniger als vierundzwanzig
Stunden herausgefunden?«, fragte sie ungläubig.
»Drei Fragen. Mehr brauchte ich nicht. Und während
ich mit Ihrem Portier geredet habe, lief bei meinem Wagen am
Bordstein der Motor weiter.« Er blickte auf die Ringe an ihren
Fingern. »Ich weiß auch, dass Ihr Mann sich in letzter Zeit nicht
oft hat sehen lassen. Obwohl Ihr Vater gestorben ist.«
Grace erhob sich abrupt und trat zum Fenster. Sie
bewegte sich zwar gelassen und langsam, aber er ließ sich davon
nicht täuschen.Wieder drehte sie an den Ringen.
Etwas stimmte nicht mit ihrem Mann.
Als sie stumm blieb, sagte er: »Jetzt habe ich
meine Karten aufgedeckt. Zeigen Sie mir nun Ihre?«
Darauf folgte eine längere Pause. Sie streckte die
Hand aus und legte sie an die Fensterscheibe. Ihre Fingernägel
waren gepflegt, aber nicht lackiert. Das war eine weitere
Überraschung, aber es passte. Sie trug nicht allzu viel
Make-up.
Als sie sich endlich zu ihm herumdrehte, war ihr
Gesicht eine sorgfältig einstudierte Maske aus Gelassenheit. Das
war eine hübsche Lüge, dachte er, während sein Blick über die
eleganten Linien ihres Halses glitten. Dann hob sie die schlanken
Finger und nestelte am Kragen, als hätte sie seinen Blick auf ihrer
Haut gespürt.
Sie bewegte sich sehr elegant und geschmeidig. Er
war überrascht, wie attraktiv er sie fand.
Bei ihren nächsten Worten klang ihre Stimme brüchig
und drängend, und da wusste er, dass sie ihm alles erzählen würde.
Oder zumindst das Meiste.
»Mir ist vor etwa drei Wochen aufgefallen, dass mir
jemand folgte. Das war kurz nach dem Tod meines Vaters. Als ich
kurz nach Einbruch der Dunkelheit die Hall-Stiftung
betrat, dachte ich, ich sähe jemanden hinter mir. Als ich eine
Stunde später das Gebäude verließ, stand eine Gestalt auf der
anderen Straßenseite. Als würde sie auf mich warten.«
Sie sprach schnell und unruhig, als brächen die
Worte nur so aus ihr heraus, und er dachte, dass sie die meiste
Zeit die meisten Dinge wohl für sich behielt. Um das Image einer
schönen Frau zu bewahren.
»War es ein Mann oder eine Frau?«
»Das konnte ich nicht deutlich erkennen. Ich nahm
aber an, dass es sich um einen Mann handelte.«
»Und wieso glaubten Sie, dass die Gestalt auf Sie
wartete?«
»Weil er verschwand, sobald ich meinen Wagen
bestieg. Ehrlich gesagt kann es bloß ein Paparazzo gewesen sein.
Die sind sehr scharf auf Fotos, auf denen ich traurig
aussehe.«
»Aber Sie glauben nicht wirklich, dass es ein
Fotograf war, oder?«
»Er hat keine Fotos gemacht. Ein paar Tage später
bin ich mit Sicherheit verfolgt worden. Ich fuhr mit der Asche
meines Vaters hinaus nach Newport. Meinem Fahrer fiel es zuerst
auf. Die ganze Strecke bis nach Connecticut war eine weiße
Limousine hinter uns.«
Die Hände der Gräfin spielten mit ihrer Uhr und dem
Armbandverschluss. Immer wieder löste sie ihn und ließ ihn wieder
zuschnappen, auf und zu, auf und zu, und jede Bewegung wurde von
einem leisen Klicken begleitet.Vermutlich bewahrte die Fassade
ihrer rein weißen Haut sie gerade eben davor, laut
herauszuschreien.
»Und wieder redete ich mir ein, es wäre die Presse,
dass jemand die Einzelheiten seiner Bestattung herausgefunden
hatte.Auf dem Friedhof waren ein paar Fotografen.Vor dem Tor habe
ich auch eine weiße Limousine ausgemacht.«
»Sie fühlten sich also bedroht?«
Zögernd nickte sie. »Das war aber nicht alles. Wenn
ich ein Restaurant verließ, verschwand jemand in den Schatten. Ich
kam von der Arbeit und sah deutlich eine Gestalt auf der anderen
Straßenseite. Gestern Morgen kam ich aus meinem Haus und glaubte,
ihn an der Ecke zu sehen.«
Die Gräfin verstummte und blickte hinaus auf den
See. Ihre Stirn war tief gerunzelt. Sie suchte eindeutig nach
Antworten auf ihre Fragen. Den gleichen fragenden Blick hatte er
schon früher bei Menschen gesehen, die ahnten, dass ihr Leben außer
Kontrolle geriet.
Schlagartig dachte Smith, dass er jetzt etwas
Mitfühlendes sagen sollte. Ansonsten hatte er nicht viel für
Mitleid übrig, nicht einmal für Frauen in Gefahr. Emotionen waren
einfach nicht sein Ding. Er rettete lieber jemanden, statt ihn zu
umsorgen, aber die Gräfin hatte etwas an sich, das ihm einzigartig
und wertvoll erschien. Sie war keine der hysterischen Frauen, die
etwas erfanden, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie hatte Angst,
echte Angst, aber sie wirkte entschlossen, trotzdem stark zu
bleiben.
Er was fasziniert von ihrer deutlichen
Willensstärke, besonders, weil sie gleichzeitig so nervös
war.
Dann wandte sie sich mit einem tiefen Atemzug zu
ihm um. »Die Polizei kam am Morgen, nachdem man Cuppies Leiche
gefunden hatte, bei mir vorbei. Sie haben mich stundenlang
befragt.«
Smith dachte an den Abend des Balls. Er erinnerte
sich an den gequälten Gesichtsausdruck von Alfred Alston, als der
Botschafter eintraf und man ihn neben einem leeren Stuhl Platz
nehmen ließ. Alstons Frau war nicht erschienen, weil ihre Pläne für
den Abend von einer Tragödie eingeholt worden waren. Statt eines
schönen Essens und amüsanter
Unterhaltung mit internationalen Prominenten hatte die Frau mit
einem Mörder gerungen und war dann verblutet: umgeben von ihren
wunderbaren Kunstwerken und teuren Antiquitäten, die sie alle nicht
hatten retten können.
Der Polizei zufolge war die Identität des Mörders
ein Rätsel und das Motiv gänzlich unklar. Der einzige aussagefähige
Hinweis war der Zeitungsartikel, den man bei der Leiche gefunden
hatte. Man brauchte kein Genie zu sein, um zu erkennen, dass der
Täter bald wieder zuschlagen würde.
»Was hat denn Ihr Mann zu all dem zu sagen?«,
fragte Smith.
Grace’ Miene verspannte sich, und sie blieb stumm,
als überlegte sie eine Antwort.
»Gräfin, wo ist Ihr Mann eigentlich?«
Sie versteifte sich. »In Europa.«
»Wann kommt er wieder?«
Pause. »Warum ist das wichtig?«
»Der Mann ist mit Ihnen verheiratet. Ich bin
ehrlich gesagt überrascht, dass er heute nicht bei Ihnen ist. Die
meisten Ehemänner finden es gar nicht gut, wenn ihre Frauen auf der
Liste eines Mörders stehen.«
»Er ist ein vielbeschäftigter Mann. Ich will ihn
damit nicht behelligen.« Ihr Blick glitt seitwärts.
Smith kniff die Augen zusammen. »Und warum weiß die
Polizei nicht, dass Ihnen jemand folgt? Wollten Sie die etwa auch
nicht behelligen?«
Wieder drehte sie die Ringe. »Woher wissen Sie
…«
»Meine Kameraden bei der Polizei waren recht
mitteilsam mit Informationen über Sie. Sie haben aber nicht
erwähnt, dass Sie verfolgt werden«, erklärte er kühl. »Warum
behalten Sie das für sich?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ehrlich gesagt, je
weniger
ich der Polizei mitteile, umso besser. Es dringt immer wieder
etwas durch, und ich bin es leid, monatelang ständig auf den
Titelseiten zu stehen.Was ich momentan überhaupt nicht brauche,
sind Berichte über meine angebliche Paranoia oder meine Verbindung
zum Mörder.«
»Dann wären Sie also lieber tot als in der
Presse?«
Sie schlang die Arme um den Oberkörper. »Das ist
etwas krass ausgedrückt.«
Smith fuhr sich ungeduldig über die Haare. Er war
überrascht, wie sehr sie ihn frustrierte. »Tut mir leid.«
»Danke.« Die Gräfin räusperte sich. »Wie ich schon
sagte, ich bin nicht sicher … ob ich Sie … Ihre Dienste wirklich
brauche.Wir haben in der Hall-Stiftung unseren eigenen
Sicherheitdienst, und mit nur einem Anruf kann ich jemanden rund um
die Uhr abstellen. Ich bin außerdem sicher, dass dieser Spuk bald
von selbst wieder verschwindet.«
»Nein, das sind Sie nicht.«
Ihr Blick wanderte wieder ab. »Sagen Sie mir bitte
nicht, was ich denke.«
»Dann seien Sie einfach ehrlich, damit ich das
nicht tun muss.«
Die Gräfin reckte das Kinn vor.
Als er den Impuls spürte, sie zu einem Engagement
zu überreden, fragte sich Smith, was er eigentlich tat. Es ging ihn
überhaupt nichts an, wenn sie umgebracht wurde. Ihn ärgerte nun
schon die Tatsache, dass er sie zu mehr Vorsicht anhalten
wollte.Was ging ihn das Ganze eigentlich an?
Damit stand er auf und verließ den Raum.
»Wohin gehen Sie?«
Er antwortete über die Schulter hinweg.
»Obwohl Sie von dem Artikel wissen, der bei der
Leiche
lag, und Sie zugeben, verfolgt zu werden, sind Sie immer noch
nicht bereit, das Ganze ernst zu nehmen. Sie sind nicht ehrlich bei
der Polizei gewesen. Ich weiß, dass Sie auch mir gegenüber nicht
völlig aufrichtig sind. Außerdem sind Sie angeblich nicht einmal
sicher, mich überhaupt engagieren zu wollen. Wir haben daher nichts
weiter zu bereden.«
»Sie gehen also? Einfach so?« Sie folgte ihm in die
Diele.
»Ich werde Sie nicht zu überreden versuchen, sich
selbst zu schützen. Irgendetwas wird geschehen. Entweder sehen Sie
das jetzt ein und rufen mich später an, oder es passiert Ihnen
etwas. Es geht um Ihr Leben, und Sie haben die Wahl.«
Ihre Stimme klang gepresst, als sie den Arm
ausstreckte und ihn am Arm berührte. »Sie halten die Sache für
ernst?«
Er blickte zuerst auf ihre Finger, dann direkt in
ihre Augen. »Sie sind es doch, die nachts kein Auge
zubekommt.«
»Woher wissen Sie, dass ich nicht schlafen
kann?«
»Sagt mir meine Erfahrung.«
Er griff in seine Gesäßtasche. Dabei klaffte sein
Jackett auf. Er sah, wie sie seine Waffe bemerkte und
zusammenzuckte.
»Hier ist meine Karte.« Er kritzelte eine Nummer
auf die Rückseite. »Das ist meine Handynummer.«
Sie nahm die Karte entgegen. »Kommen Sie, wenn ich
Sie anrufe?«
Er zuckte die Achseln. »Ja, vielleicht.«
»Aber falls ich Sie wirklich brauche?«
»Mein Leben gehört mir. Und ich entscheide, wer
mich braucht.«
Sie blickte wieder auf die Karte. Dann öffnete sie
den
Mund, wie um etwas zu sagen, zuckte dann aber bloß resigniert mit
den Achseln.
»Klingt fair.« Als ihre Blicke sich trafen, hatte
sie wieder das feingeschnittene Kinn vorgeschoben - ein Abbild von
Trotz und Entschiedenheit. »Dann ist das hier wohl ein
Abschied?«
Als er in ihre Augen blickte, hatte er den
Eindruck, als müsste sie Himmel und Erde in Bewegung setzen, um ihn
nicht anzurufen.
Gut nur, dass er das nicht persönlich nahm.
»Bis dann, Gräfin.« Damit öffnete er die
Eingangstür und trat in die herbstliche Sonne hinaus.
»Sie haben mich bloß geküsst, weil sie wütend auf
mich waren, nicht wahr?«
Bei diesen sanften,leisen Worten blieb er wie
angewurzelt stehen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie den
Vorfall erwähnen würde, und erst recht nicht auf so direkte
Weise.
Smith drehte sich zu ihr um. Helle Sonnenstrahlen
fielen auf ihr Gesicht und betonten die Wangenknochen und die
sanfte Rundung ihres Mundes. Ihr blondes Haar strahlte
geradezu.
»Ja, ich war wütend.«
»Das hatte ich mir gedacht.« Eine seltsame
Unsicherheit, die er nicht begriff, färbte ihre Züge. »Danke für
Ihre Ehrlichkeit.«
Nun, er war fast immer ehrlich gewesen. Dass er sie
weiter geküsst hatte, weil er einfach nicht aufhören konnte,
behielt er für sich.
Dann dämmerte es ihm.
»Es wird nicht wieder geschehen, wenn ich für Sie
arbeite«, sagte er ärgerlich. Diesen Satz hatte er noch nie zuvor
aussprechen müssen.
Sie nickte. »Nein, nie wieder.«
»Niemals.« Dann lächelte er grimmig über ihr
Zögern.
Wenn sie bloß wüsste, wie wenig sie sich darum
sorgen musste. Er hatte den Ruf, einen klaren Verstand und ein
kaltes Herz zu haben, und den hatte er sich redlich erworben. Keine
Barbie-Puppe würde das ändern, egal wie hübsch sie war.
Die Gräfin verharrte im Eingang.
»Noch irgendwelche anderen Sorgen?«, fragte er
scharf. »Möchten Sie vielleicht Referenzen sehen?«
Sie schüttelte den Kopf und blickte wieder auf
seine Visitenkarte. »Nein, Referenzen brauche ich nicht. Ich weiß,
dass Sie erstklassig sind, weil Nick Farrell das sagt. Und Sie
verhalten sich so, als käme für Sie nichts anderes infrage.«
Immerhin hatte sie das richtig verstanden.
Er verharrte einen Moment.
»Passen Sie gut auf sich auf«, sagte er dann und
wandte sich ab.
»Wo wohnen Sie?«
»Wie bitte?« Er blickte zu ihr zurück. Starrte sie
wütend an.
Jetzt wollte er gehen. Er wollte es nun dringend
hinter sich bringen, denn an persönliche Fragen war er überhaupt
nicht gewöhnt. Seine Klienten waren normalerweise so mit ihren
eigenen Problemen befasst, dass sein Leben nie zur Sprache kam. Das
gefiel ihm an seinem Job fast am besten.
Sie zuckte die Achseln. »Ich habe mich bloß
gefragt, wohin Sie jetzt fahren.«
Rasch schritt er zu seinem Auto.
Grace sah Smith nach, wie er in seine schwarze
Limousine stieg und fort fuhr. Dabei wirbelte er auf dem Kiesweg
eine Staubwolke hoch. Sie blickte wieder auf die Karte aus steifem
weißem Karton, mit dunkler Tinte bedruckt.
Blackwatch Ltd. Links unten in der
Ecke stand eine Telefonnummer, aber es gab keine Adresse.
Sie drehte sie um und betrachtete die Nummer, die
er mit großen Ziffern dort notiert hatte. Dann strich sie mit den
Fingerspitzen darüber.
Sie hatte ihm eigentlich nicht alles verraten
wollen, sondern nur gewollt, dass ihre Begegnung kurz und angenehm
verlief, aber es hatte sich anders entwickelt. Sie lächelte
flüchtig. John Smith hatte nichts Angenehmes an sich.
Und ganz gewiss hatte sie nicht den Kuss erwähnen
wollen. Dieser kleine Satz war ihr einfach so aus dem Mund
geschlüpft, ein verräterischer Versprecher.Was für eine alberne
Frage! Hatte sie wirklich erwartet, er würde zugeben, sie geküsst
zu haben, weil er sie unwiderstehlich fand?
Immerhin war er der aggressivste, stolzeste Mann,
der ihr jemals begegnet war, hart wie sonst niemand. Er wirkte
tatsächlich so, als könnte er Stahl zerkauen und als Nägel
ausspucken. Sicher würde er eine warme, üppige Frau bevorzugen, um
diese Härte auszugleichen, eine sehr weibliche Schöne, eine, die
mit gespreizten Beinen nackt auf dem Rücken lag und ihn erwartete,
eine, die ihn mit ihrer Sexualität verlockte. Eine, die ihn wild
und ungezügelt liebte.
Keine gut verpackte, edle Dame der guten
Gesellschaft.
Enttäuschung brannte in ihrem Magen.
Vergiss ihn, riet sie sich. Vergiss
ihn.
Dann griff Grace nach der Messingklinke und stieß
mit ihrem ganzen Gewicht die Tür zu. Durch den Türspalt sah sie als
Letztes die weißen Staubkörnchen, die wie ein Versprechen noch über
der Einfahrt schwebten