Epilog Guatemala 1903

»Ich ahnte, dass ich dich hier finde.« Robert trat aus dem Schatten der Bäume auf die kleine Lichtung. Sein Lächeln wärmte Margaretes Herz. »Schmerzt es nicht zu sehr?«

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schmerz jemals endet.« Margarete saß am See und ließ ihre Hand durch das warme Wasser gleiten. Kleine Fische näherten sich neugierig und stoben hektisch davon, als sie die Finger bewegte. »Aber hier erlebte ich die schönsten Tage meines Lebens.«

Ein Sonnenstrahl brach durch die Wolkendecke und entfachte einen funkelnden Regenbogen über dem Wasserfall. Margarete zog die Hand aus dem Wasser und ballte sie zur Faust. Ihre Fingernägel krallten sich in die Handfläche. Mit dem körperlichen Schmerz hoffte sie, die bittersüße Qual der Erinnerung zu übertünchen. Doch immer wieder sah sie die glücklichen Stunden mit Juan vor sich. Sein markantes Gesicht. Seine leuchtenden Augen, als er sich über sie beugte und sie küsste. Wenn der Wind durch ihr Haar strich, meinte sie Juans sanfte Liebkosungen zu spüren.

»Versuche, dich an das Schöne zu erinnern.« Robert trat heran und bot Margarete seinen Arm, damit sie sich erheben konnte. Inzwischen hatte die Schwangerschaft ihren Bauch anschwellen lassen und es fiel ihr schwerer, den Weg durch den Nebelwald an ihren See zu gehen. »Es ist nicht gut für das Baby, wenn du trauerst.«

»Ich weiß.« Margarete zog sich an seinem Arm hoch. Der goldene Ring an seiner rechten Hand blitzte kurz hervor. Der Ring, dessen Pendant sie trug. In einer kurzen, schmucklosen Zeremonie hatten sie geheiratet und einander versprochen, füreinander zu sorgen und sich zu lieben. Ein Treuegelöbnis hatte Margarete von Robert nicht verlangen wollen und er war ihr sehr dankbar gewesen.

Sie fragte ihn nie, wo und vor allem mit wem er die Nächte verbrachte. Manchmal musste sie der Versuchung widerstehen, ihn zu bitten, etwas Wärme in ihr kaltes und einsames Bett zu bringen. Menschliche Wärme, nicht die Liebe zwischen Mann und Frau. Aber es erschien ihr falsch und so lag sie nachts wach, erinnerte sich an Juan und legte die Hand auf ihren Bauch, um ihr gemeinsames Kind zu spüren. Zu ihrem Erstaunen schien auch Robert das Kind zu lieben. Er erfreute sich ebenso sehr an den Bewegungen des Kleinen wie Margaretes Großmutter oder ihr Vater.

»Sie warten auf uns.« Robert lächelte Margarete an. »Wir müssen die neuen Verträge unterzeichnen.«

»Danke, dass du mich teilhaben lässt.« Nur zu gut wusste Margarete, dass sie eigentlich kein Anrecht darauf hatte, beim Schicksal der Finca ein Wort mitzureden. Erst hatte ihr Vater alle Entscheidungen für sie treffen dürfen. Nun, mit dem goldenen Ring, hatte sie die Entscheidungsgewalt über ihr Leben auf Robert übertragen. Doch im Unterschied zu ihrem Vater bestand Robert darauf, Margarete bei allen Fragen, die die Kaffee-Finca betrafen, einzubeziehen. Schließlich hatten die gemeinsamen Anstrengungen von Alice Dieseldorf, Minna Seler und Margarete dazu geführt, dass La Huaca nicht verkauft werden musste.

Glaubst du, wir schaffen es?« Nachdem die Bankiers und Anwälte endlich gegangen waren und sie Hunderte von Seiten Papier unterschrieben hatte, stand Margarete, die Hand auf ihrem Bauch, auf dem Patio und schaute auf die Kaffeefelder. Die Kaffeepflanzen gediehen prächtig unter dem Schutz der riesigen Bananenbäume.

»Gemeinsam können wir alles erreichen.« Sanft legte Robert seinen Arm um sie. Margarete lehnte den Kopf an seine Schultern und schloss einen Moment lang die Augen. »Die Kaffeepreise werden anziehen. Da bin ich sicher.«

»Und wenn nicht?« Jetzt, wo sie Verantwortung für das ungeborene Leben in sich trug, barg die Zukunft für sie mehr Schrecken als früher. Sie wollte ihrem Kind ein Heim bieten können. Ein Heim und Sicherheit. »Wenn der Markt uns nicht gewogen bleibt?«

»Meine Familie ist reich und kann sich eine Finca als Luxus leisten.« Robert küsste ihren Scheitel. »Aber sie werden dafür verlangen, dass wir ihnen unser Kind präsentieren. Ich bin der einzige Sohn.«

Margarete schwieg. Sie fürchtete bereits seit Längerem, dass Robert dieses Thema zur Sprache bringen würde. Schließlich war er nicht in Guatemala geboren wie sie, er kannte und liebte das Land nicht so wie sie. Die Vorstellung, ihre Heimat zu verlassen, hatte Margarete zuerst erschreckt. Inzwischen jedoch dachte sie ab und zu daran, mit Robert einen Neuanfang zu wagen. Gemeinsam etwas aufzubauen und die Erinnerungen nur noch in ihrem Herzen zu tragen.

»Wenn Johannes oder Johanna alt genug sind, können wir nach Bremen fahren.« Für Robert war es eine Selbstverständlichkeit, dass das Kind nach Juan benannt würde. Er strich Margarete eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich gelöst hatte und ihr in die Augen fiel. »Vielleicht dort leben, wenn du dir das vorstellen kannst.«

»Ja, vielleicht wäre es gut. Weg von den Erinnerungen.« Sie lächelte und eine Träne rollte über ihre Wange. Margarete drückte Roberts Hand. »Danke.«

»Und unsere Enkel oder Urenkel werden eines Tages zurückkehren und auf unseren Spuren wandeln.« Robert erwiderte ihren Händedruck. Seine Stimme klang leidenschaftlich. »Zu einer besseren Zeit. Einer Zeit, in der es jedem Menschen möglich ist, den zu lieben, den er möchte. Unabhängig von Herkunft oder Geschlecht oder Hautfarbe.«

Im Land der Kaffeeblüten
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