22

»Ich bin der Assistent von Professor Nahnsen. Sie hat ein Freisemester.« Der junge Mann hob entschuldigend die Schultern. Seine hellbraunen Haare strubbelten in alle Richtungen. Irgendwie niedlich, dachte Julia. »Ich heiße Florian Weitbrecht. Kann ich euch helfen? Duzen ist okay, oder?«

»Klar.« Isabell lächelte. »Mein Name ist Isabell Pötter. Das ist Julia Linden. Wir … also … wir studieren hier nicht.«

»Ähm. Wo studiert ihr denn? Wollt ihr hierher wechseln?« Florian Weitbrecht blinzelte sie mit seinen ungewöhnlich grauen Augen an. »Soll ich euch etwas über die Bedingungen unseres Bachelor-Studiengangs erzählen?«

Julia spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Wenn der Typ nur nicht so süß wäre. Dann wäre das alles nicht so … so peinlich. Was machten sie überhaupt hier? Schließlich ging es ja nur um eine Projektarbeit.

»Wir studieren überhaupt nicht«, platzte Julia schließlich heraus und erntete dafür einen kritischen Blick von Isabell. »Wir schreiben eine Projektarbeit zu Guatemala. Um 1900. Und brauchen noch Hintergrundinformationen …«

»Spannendes Thema. Was genau interessiert euch?« Florian legte den Kopf schief. »Ich tippe mal, ihr seid hier wegen unseres Kaffeebauernprojekts, oder?«

»Genau«, antwortete Isabell gedehnt. »Unsere Lehrerin hatte die Idee, irgendwas mit Kaffeehandel zur Jahrhundertwende zu machen. Also nicht dem Millenium. Der alten. Vom 19. zum 20. Jahrhundert.«

»Und wir beschäftigen uns mit unseren Familiengeschichten. Weil wir festgestellt haben, dass unsere Ururgroßmütter beide in Guatemala waren und sich auch noch kannten.« Julia bemühte sich um ein lockeres Lächeln, aber fürchtete, dass ihr das gründlich misslang. Florian machte sie irgendwie nervös. Und jetzt plapperte sie auch noch total dämlich. »Margarete Seler und Elise Hohermuth.«

»Margarete Linden, so hieß sie doch nach ihrer Heirat, oder? Über sie haben wir in unserem Projekt einiges erfahren. Und euch haben wir ja auch die Linden-Bibliothek zu verdanken.« Florian schaute Julia direkt an, woraufhin diese den Kopf senkte und etwas stammelte. »Daher kenne ich sie natürlich. Aber Elise Hohermuth? Sorry, da muss ich passen. Ist sie deine Ururgroßmutter?«

»Ja. Aber sie hat nichts mit Kaffeehandel zu tun. Elise hat Reiseberichte geschrieben.« Julia beneidete Isabell um die Gelassenheit, mit der sie mit Florian redete. »Ihre Eltern haben die Maya-Kultur erforscht. So wie meine. Liegt also in der Familie.«

»Wart ihr schon mal in Guate? Oder wollt ihr mal hin?«, fragte Florian und betrachtete sie abwechselnd. Julia hoffte, dass sie nicht rot angelaufen war. »Oder interessiert ihr euch nur für die Vergangenheit?«

»Ich habe mit meinen Eltern vier Jahre in Guatemala-City und Antigua gelebt und gearbeitet.« Isabell lächelte Florian an. Süßlich, wie Julia fand. »Ich bin erst seit ein paar Wochen in Bremen.«

»Gearbeitet?«, fragte Florian ungläubig, was Julia freute. Was konnte Isabell schon gearbeitet haben. Schließlich war sie erst zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen, als sie nach Guatemala gegangen war. »Du meinst zur Schule gegangen.«

»Meine Eltern und ich haben immer mal wieder bei sozialen Projekten geholfen«, erklärte Isabell etwas selbstgerecht. »Meine Mutter ist der Ansicht, dass solche Jobs dazugehören, wenn man in einem ärmeren Land lebt.«

»Was habt ihr da gemacht?«, mischte sich Julia ein, damit sie nicht nur Isabell das Feld überließ, und überlegte, ob sie wohl auch auf die Idee gekommen wäre, sich in einem fremden Land zu engagieren. Wahrscheinlich wäre sie schon damit zufrieden gewesen, ihren Alltag dort zu bewältigen. »Entwicklungshilfe?«

»Nö. Das haben wir den Profis überlassen.« Isabell lächelte. »Wir haben bei kleinen Projekten geholfen. Kindergärten bauen, Schulen einrichten und so was. Nach dem Abi werde ich das für ein Jahr machen.«

»Ich dachte, das sind kurzfristige Projekte gewesen? Was willst du dann für ein Jahr dort?«

»Es gibt einige Work-and-Travel-Programme, gerade für Mittelamerika.« Florian war aufgestanden und stand vor der Regalwand, in der die Bücher schon zweireihig gestapelt waren. Er zog eine schmale Broschüre heraus, gab Julia das Heft und setzte sich wieder. »Hier ist ein Prospekt. Ich habe nach dem Abi selbst ein halbes Jahr in Guatemala gelebt, mein Spanisch aufgepeppt und bei einem Tierprojekt mitgearbeitet.«

»Echt, wo warst du?« Isabell hatte vor lauter Begeisterung ihre Hand auf Florians Unterarm gelegt. Julia holte tief Luft. »Hast du bei einem der Regenwald-Projekte mitgemacht?«

»Nein.« Florian schüttelte den Kopf. »Ich habe ganz profan das Tierheim in Xela mit aufgebaut.«

»Xela?«, fragte Julia, um mal wieder etwas zu sagen. Es fühlte sich nicht besonders gut an, dabei zuzusehen, wie Isabell das Gespräch bestritt. »Die Stadt kenne ich gar nicht.«

»Quetzaltenango«, sagte Isabell von oben herab. »Die Chapínes nennen es Xela.«

»Danke.« Julia nervte es langsam, dass sie nur danebensitzen konnte und zuhören, wie sich Isabell und Florian die Bälle zuspielten.

»Anschließend habe ich mir noch vier Wochen Urlaub gegönnt und bin durchs Land gereist.« Florian lächelte. Ein Lächeln, bei dem sich ein Grübchen in seinem linken Mundwinkel bildete. »Von Antigua bis Flores und wieder zurück.«

»Feige mit einem Mietwagen oder mutig mit den Chickenbussen?«, fragte Isabell und zwinkerte ihm zu.

»Was denkst du denn?« Florian grinste. »Mit den Chickenbussen natürlich. Nie wieder werde ich mich über die Bremer Straßenbahn beschweren.«

»Die Chickenbusse.« Isabell lachte laut auf. »Am besten gefielen mir die Gesichter der Touristen, wenn der übervolle Bus anhielt und sich noch zehn Leute hineinquetschten.«

»Hallo. Entschuldigung, aber was sind Chickenbusse?«, mischte sich Julia fast schon sauer ein. »Nicht alle hier waren schon mal in Mittelamerika.«

»Entschuldige.« Isabell sah tatsächlich ein bisschen zerknirscht aus. »Chickenbusse sind Schulbusse, die die Amis ausrangiert haben. In Guatemala werden sie bunt angemalt und fahren überallhin. Wirklich überall.«

»Und warum Chicken? Die Busse werden ja wohl nicht mit Hühnern bemalt sein?«

»Schön wär’s, wenn’s nur das wäre.« Florian lächelte Julia zu und ihre schlechte Stimmung verflog. »Die Busse nehmen Menschen, Ferkel, Kaninchen, Hühner und Waren für die Markttage mit. Es ist unglaublich laut, unglaublich … geruchsintensiv, aber alle sind unglaublich freundlich.«

»Na ja, muss man wohl mögen«, lautete Julias lahme Antwort. »Ist bestimmt … lustig?«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihr Gespräch. Ein Mädchen steckte den Kopf herein und fragte, wie lange es noch dauere.

»Gib mir zehn Minuten, Tabea.« Florian wirkte plötzlich ganz geschäftsmäßig und wandte sich wieder Isabell und Julia zu. »Sorry, ich muss jetzt arbeiten. Welche Informationen hättet ihr denn nun gern?«

»Gibt es schon Ergebnisse zu eurem Kaffeeanbauprojekt?«, fragte Isabell. »Und wir würden gern wissen, was du uns noch an Literatur zum Thema empfehlen würdest.«

»Ich halte viel von Originaldokumenten – Reiseberichten, Tagebüchern und so. Wenn eure Ururgroßmütter also fleißig geschrieben haben …« Florian stand auf und suchte wieder in dem überfüllten Regal. Julia konnte sich nur wundern, dass er da überhaupt irgendetwas finden konnte. »Hier ist ein Artikel mit ersten Ergebnissen.«

»Oh, vielen Dank.« Julia nahm die Broschüre mit einem verlegenen Blick entgegen, so sehr verwirrte sie sein Lächeln, das Grübchen und überhaupt. »Wir haben Tagebücher und ein paar Reiseberichte von damals. Aber nichts richtig Wissenschaftliches.«

»Etwas Besseres als Tagebücher und Reiseberichte gibt es nicht, um in die damalige Zeit einzutauchen.« Florian lächelte ihnen zu. »Aber ihr könnt mich jederzeit anrufen und fragen.«

»Danke.« Isabell strich sich durchs Haar und bedachte Florian mit einem Augenaufschlag. »Hast du außer der Instituts- auch noch eine Handynummer?«

Nachdem sie ihre Telefonnummern ausgetauscht hatten, verabschiedeten sie sich. Vor der Tür wandte sich Isabell an Julia. »Was war denn eben mit dir los? Warum warst du so … so muffelig?«

»Was soll schon sein?«, zickte Julia. »Ich wollte nicht flirten, sondern Informationen haben für unser Projekt.«

»Was?« Isabell blieb ruckartig stehen und stemmte die Hände in die Taille. »Nur weil ich mit diesem Typ über Guate geredet habe, habe ich ihn noch lange nicht angebaggert.«

»Wenn du meinst.« Julia wollte sich umdrehen und Isabell stehen lassen, doch dann überlegte sie es sich anders. »Sorry. Heute ist nicht mein Tag. Manchmal fürchte ich, dass unser Projekt unter keinem guten Stern steht.«

Im Land der Kaffeeblüten
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