15

»Margarete?« Am Nachmittag steckte ihr Vater den Kopf durch die geöffnete Tür ihres Zimmers und lächelte ihr zu. Margarete fühlte eine Welle der Erleichterung in sich aufsteigen. Also hielt die Verstimmung zwischen ihnen nicht an. »Bist du präsentabel? Wir haben Besuch.«

»Einen Augenblick noch.« Margarete schaute in den großen Spiegel, dessen goldener Rahmen das Zimmer leuchten ließ, und strich sich die Haare glatt. Sie fuhr sich mit angefeuchteten Fingerspitzen über die Augenbrauen und begutachtete ihr Kleid. Sauber und ordentlich. Vorzeigbar, so wie es ihr Vater wünschte. Wer wohl so wichtig war? Ein Vertreter der Banken vielleicht. Oder jemand aus Deutschland, der in ihre Finca investieren wollte. Margaretes Herz schlug schneller und sie nahm sich vor, ausnehmend freundlich zu dem Gast zu sein.

Sie eilte in den Salon und blieb abrupt stehen, als wäre sie vor eine unsichtbare Wand geprallt. Nicht ein wohlgesonnener Bankier saß dort. Auch kein Freund der Familie. Nein, sie erkannte Karl Federmanns Silhouette, sobald sie die Tür geöffnet hatte. Das fliehende Kinn, die für das breite Gesicht zu kleine Nase. Fieberhaft überlegte sie, ob sie davonlaufen oder sich Unterstützung bei ihrer Großmutter holen sollte. Vor Aufregung kaute sie so heftig auf ihrer Unterlippe, dass diese zu bluten begann. Der metallische Geschmack weckte Margarete aus der Starre. Sie richtete sich auf, streckte das Kinn hervor und trat in den Raum. Äußerlich ruhig und gelassen, innerlich aufgewühlt wie die See in einem Sturm.

»Herr Federmann. Was führt Sie zu uns?« Als ob sie das nicht wüsste, dachte Margarete. Aber es kam darauf an, den Schein zu wahren und der Höflichkeit Genüge zu tun. »Ich hoffe, Ihre Familie ist wohlauf?«

»Ja. Danke.« Zwei Worte, dann herrschte Schweigen. Nur der Blick aus Karl Federmanns blassgrünen Augen glitt an Margarete auf und ab.

»Herr Federmann ist nicht hier, um über seine Familie zu sprechen.« Die Stimme ihres Vaters hatte wieder ihren kargen, unfreundlichen Ton angenommen. Erneut fragte sie sich, was wohl in dem einen Jahr, das sie in Bremen verbracht hatte, geschehen war. »Er möchte dir eine wichtige Frage …«

»Wo ist Großmutter?«, unterbrach Margarete hastig ihren Vater, weil sie nicht hören wollte, wie er seinen Satz beendete. Sie hatte bereits mehr als deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie Karl Federmann niemals heiraten würde. Hoffte ihr Vater, dass sie ihn in Anwesenheit des Brautwerbers nicht kompromittieren würde?

»Ich werde Großmutter holen und die Köchin bitten, uns eine Erfrischung zuzubereiten. Kaffee, nehme ich an?«

Obwohl das Lächeln ihr im Halse stecken blieb, wirkte die Erziehung durch das Fräulein nach. In jeder Situation die Contenance wahren, hatte Fräulein Dieseldorf Margarete wieder und wieder eingebläut.

»Ja … gern … danke. Etwas Gebäck wäre schön.«, stotterte ihr Vater, sichtlich überrascht von Margaretes Worten. Er wandte sich Karl Federmann zu. »Was halten Sie von einem Cognac zum Kaffee? Ich habe einen sehr guten aus Frankreich bekommen.«

Margarete eilte aus dem Besucherzimmer, so schnell es die Schicklichkeit zuließ. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich an die Wand. Ihre Knie zitterten und sie atmete tief durch. Großmutter! Sie würde ihr sicher beistehen.

»Großmama, bitte, du musst mir helfen.« Margarete rang nach Luft. Ihr wurde beinahe schwarz vor Augen, so schnell war sie in den Garten gelaufen. Minna Seler kniete neben einer Orchidee und knipste eine verwelkte Blüte ab. »Bitte, komm schnell.«

»Was ist denn, mein Kind?« Ihre Großmutter erhob sich langsam und schwerfällig. Mit Schrecken bemerkte Margarete, wie stark sie im vergangenen Jahr gealtert war. »Was kann nicht warten, bis ich mit der Gartenarbeit fertig bin?«

»Vater!«, stieß Margarete hervor. »Karl Federmann ist hier. Ich will ihn nicht heiraten. Du musst mir helfen.«

»Ach, Liebes. Es tut mir so leid.« Minna Seler wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Sie sah unglücklich aus und wirkte so hoffnungslos, dass Margarete die Tränen kamen. »Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg. An dir liegt es, ob wir La Huaca behalten können oder nicht.«

»Nein!« Margarete hob erschrocken die Hand vor den Mund, nachdem ihr der Schrei entkommen war. »Bitte, Großmama. Es muss eine andere Lösung geben. Bitte, komm mit.«

»Ich … ich kann dir nicht helfen. Und ich kann nicht zusehen, wie du in dein Unglück rennst.« Minna Selers Stimme zitterte und Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie schluckte und wandte sich ab. »Verzeih mir. Aber ich … dein Vater, er ist doch mein Sohn.«

Margarete stand noch einen Augenblick schweigend da und beobachtete ihre Großmutter, wie sie sanft die Orchideen streichelte, als ob diese ihr Trost spenden könnten.

»Ist schon gut, Großmama«, flüsterte sie und ging zurück ins Haus. Dann musste sie sich eben der Gefahr allein stellen.

In der Küche bat sie Marisela um Kaffee und Kekse und betrat wieder den Salon. Karl Federmann sprang auf und stolperte. Margarete musste sich ein Lächeln verkneifen und wartete, bis er sich wieder hingesetzt hatte.

Mit ruhiger Stimme sagte sie: »Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen, Herr Federmann, ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich Sie nicht zu ehelichen gedenke.«

»Aber … aber …«, stammelte Federmann und rang nach Fassung. Er schaute sich Hilfe suchend nach Margaretes Vater um. »Aber Sie hatten mir zugesagt, dass Ihre Tochter mich heiratet.«

»Ich stehe zu meinem Wort«, antwortete Alfred Seler mit gepresster Stimme. Margarete erkannte die roten Flecken auf seinen Wangen als Zeichen unterdrückten Zorns. »Meine Tochter ist wahrscheinlich noch etwas überspannt nach der langen Schiffsreise.«

»Nein!« Margarete staunte selbst über ihren Mut. Niemals zuvor hatte sie sich derart gegen ihren Vater aufgelehnt. »Ich werde Sie nicht heiraten, Herr Federmann. Es tut mir leid.«

In diesem Augenblick trat die Köchin ins Zimmer und stellte unter großem Scheppern ein Tablett mit Erfrischungen auf das kleine Tischchen. Marisela schaute abwechselnd von Margarete zu ihrem Vater, schüttelte den Kopf und verließ schleunigst das Besucherzimmer.

»Nun gut. Es gibt mehr als eine.« Karl Federmann stand auf und nahm seinen Hut. »Ich muss nicht betteln«, sagte er. Dann stolzierte er hocherhobenen Hauptes davon, ohne Margarete noch eines Blickes zu würdigen.

Das war in höchstem Maße unschicklich.« Zu laut und undeutlich klang die Stimme ihres Vaters, als ob er mehr als einen Cognac mit Karl Federmann getrunken hatte. »Ich werde das Fräulein wieder holen lassen. Deine Erziehung scheint mir noch nicht abgeschlossen zu sein.«

»Vater«, begann Margarete. Sie hielt den Kopf gesenkt, um seinen Zorn nicht weiter zu schüren, und knetete ihre Hände. »Warum nur kannst du nicht verstehen, dass ich Karl Federmann nicht heiraten kann? Du hast Mutter so sehr geliebt und so lange um sie getrauert.« So tief getrauert, dass er nie wieder geheiratet hatte. Wie konnte er nur von ihr verlangen, dass sie ihr Glück einfach wegwarf? »Vater …«

»Sei still!«, beschied er sie mit einer abwehrenden Handbewegung und warf dabei die Vase um, in der eine neue Orchideenrispe stand. »Ich will kein weiteres Wort mehr von dir hören. Geh auf dein Zimmer.«

Margarete öffnete den Mund, um ihm ihre Sicht der Dinge zu schildern, doch ihr Vater wandte ihr brüsk den Rücken zu. Ein Gespräch mit ihm würde heute wohl nicht mehr möglich sein. An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um, wollte ihn an ihre guten Zeiten erinnern. Doch er stand bereits wieder an dem Servierwagen mit den Schnäpsen, goss sich einen aguardiente ein und stürzte ihn herunter wie Wasser. Margarete biss sich auf die Unterlippe und schloss leise die Tür. Sie musste eine Entscheidung treffen. Konnte man wirklich von einer Entscheidung sprechen, wenn ihr nur eine Möglichkeit blieb?

Im Land der Kaffeeblüten
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