Zur selben Zeit
»Herrgott, könnt ihr Deppen nicht ein einziges Mal euren Dreck wegräumen? Immer dasselbe mit euch Leiharbeitsfritzen! Kein Wunder, dass ihr in einem richtigen Betrieb nicht unterkommt! Kein Sinn für Ordnung und Sauberkeit!«
Wunibald presste die Lippen zusammen und nickte. Dann fuhr er sich mit der fleischigen Hand durch die grauen Haare. Er spürte, wie das Adrenalin durch seinen Körper schoss und es ihm schwer machte, die Beherrschung zu bewahren. Er wurde schnell aggressiv, wenn er sich angegriffen fühlte. Doch er wusste, dass es sein Ziel, das Ziel der ganzen Gruppe gefährdete, wenn ihn der Vorarbeiter, ein grober, cholerischer Klotz, jetzt feuern würde. Er hatte nur als Aushilfe angeheuert, hatte noch nicht einmal einen richtigen Vertrag. Er wusste nicht, wie Magnus es überhaupt geschafft hatte, ihn hier unterzubringen, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hatte.
Nun kam der Mann, den alle hier nur den »Kapo« nannten, direkt auf ihn zu. »Ich sag dir eins, du Penner: Mach endlich dein Werkzeug sauber! Den Fliesenkleber kriegen wir sonst nie mehr runter! Und räum den Abfall weg, sonst kannst du dir dein Geld in die Haare schmieren! Wir sind nicht deine Putzfrauen! Los jetzt, an die Arbeit!« Ohne eine Antwort oder Rechtfertigung abzuwarten, machte er kehrt und steuerte den Bierkasten an, den er heute schon zu einem Drittel geleert hatte.
Wunibald sah ihm kurz nach. Er lachte in sich hinein. Was für eine Drohung! Er würde sein Geld nicht bekommen! Auf diesen Hungerlohn konnte er gut verzichten. Deshalb war er nicht hier. Doch das würde dieser Idiot niemals erfahren. Er räumte wortlos die Fliesenschneidemaschine weg, kehrte die Abschnitte der Fußbodenleisten zusammen, packte seine Kellen und Spachteln in die Mörteleimer und machte sich auf den Weg zur Kellertreppe.
Nachdem er seine Werkzeuge gereinigt und die schmutzige Brühe in eine der Toilettenschüsseln gekippt hatte, fiel sein Blick auf die gekachelte Wand. Er strich mit den Händen noch einmal über die Fliesen und nickte sich dann selbst zu. Perfekte Arbeit war das, nichts zu sehen, selbst die Fugen machten einen völlig unscheinbaren Eindruck. Bis zu dem einen großen Moment würde niemand ahnen, welches Geheimnis diese Wand barg. Er grinste und zog die Tür der Toilettenkabine wieder zu. Alles schien perfekt zu laufen – ein Rädchen griff ins andere, das Team harmonierte. Er überlegte, ob er sich noch eine Zigarette anstecken sollte, verwarf den Gedanken aber. Er wollte den Kapo nicht provozieren.
Er hatte noch eine Arbeit zu verrichten – und das würde gar nicht ganz so leicht werden. Aber er hatte schon vorgebaut.
Oben wandte er sich an einen »Kollegen«. »Sag mal, Norbert, ihr setzt doch heut noch die Birnen in die Deckenstrahler ein, oder?«
»Die Leuchtmittel, ja. Warum?«
»Du, nur so. Ich tät euch vielleicht ein bissle helfen, da braucht es doch keinen Elektriker dazu, oder? Der Kapo hat gemeint, ich soll mir noch Arbeit suchen, die Fliesen sind ja alle verlegt.«
»Kannst du schon machen, von mir aus. Die Strahler liegen da drüben, wenn du willst, kannst du schon anfangen. Im Moment sind eh die Sicherungen raus. Aber gib Obacht auf der Leiter, und geh sorgfältig mit dem Material um!«
Wunibald ballte die Faust in der Hosentasche. Das war ja leichter als erwartet.
Dann machte er sich an die neue Arbeit. Er nahm sich einige Lampen und die lange Standleiter und ging in die große Halle. Direkt über der Bodenplatte, die den Tresor für die Reliquienmonstranz verdeckte, begann er. Der stämmige Mann war erstaunlich wendig. Das kleine Kästchen, das er oben auf der Leiter aus seiner Latzhose zog und an der Lampe mit doppelseitigem Klebeband anbrachte, würde garantiert niemandem auffallen. Genauso wichtig wie das kleine Kästchen war jedoch das Gegenstück in dem Feuerlöscher, den Magnus präpariert und ihm mitgegeben hatte. Er lag schon in seinem Auto bereit. Der Austausch des Löschers würde seine letzte Aufgabe sein, aber auch das würde ihm, bei der Ignoranz der Leute hier, die nur ihre eigenen Arbeiten im Kopf hatten, leichtfallen.
Dann musste er nur noch warten, bis er seinen wirklichen Lohn bekäme.