Donnerstag, 9. September
Dieser Morgen lief zu Kluftingers Beruhigung deutlich normaler ab als der vorangegangene. Wenn man davon absah, dass sich Erika nicht dem aus einem Marmeladenbrot und einer Tasse Kaffee bestehenden Frühstück ihres Gatten widmete, sondern, während der Zeitung lesend aß, in der Küche ein opulentes Morgenmahl aus Eiern, verschiedenen Wurst- und Käsesorten, Kuchen, frischem Obstsalat und sogar »Gemüsesticks mit Joghurtdip« zubereitete. Der Kommissar wusste, dass er vorab davon ohnehin nichts bekommen würde, deshalb fragte er auch gar nicht danach.
Nach dem für das Ehepaar Kluftinger nach wie vor unerlässlichen Abschiedskuss hatte Erika darauf bestanden, unbedingt heute Abend noch nach einem neuen Teppich sehen zu wollen, wenn ihr Mann rechtzeitig von der Arbeit käme und das Auto schon fertig wäre. Der Kommissar machte ihr da freilich keine allzu großen Hoffnungen. Dann fuhr er los. Da er früher als nötig sein Ziel erreichte, beschloss er kurzerhand noch ein paar Kontrollrunden durch die Stadt zu drehen. Vielleicht hatte der Autodieb kalte Füße bekommen oder ein schlechtes Gewissen, hatte keine Verwendung mehr für den Passat oder war womöglich unzufrieden mit ihm und hatte ihn einfach zurückgestellt … nichts.
Resigniert parkte Kluftinger den Audi im engen Hof und gab etwas wehmütig den Schlüssel an der Pforte ab. Oben teilte ihm Eugen Strobl mit, dass sich Sandy krankgemeldet habe.
»Schwanger, sag ich doch«, kommentierte das der Kommissar und begab sich in sein Büro, das er zwei Minuten später wieder Richtung Besprechungsraum verließ. Die Morgenlage stand an. Die Kollegen der Abteilung hatten bereits Platz genommen und warteten nur noch auf Kluftinger. Als der sich gesetzt hatte, sah er einen nach dem anderen an und begann: »Also, Männer, folgende Sachlage hat sich mittlerweile …«
»Du, Klufti, wie schaut’s erst mal mit einem Kaffee aus?«, fiel ihm Roland Hefele ins Wort.
Kluftinger sah ihn stirnrunzelnd an.
»Ja, ich meine, es gibt gewisse Traditionen, mit denen man nicht brechen sollte, oder?«
»Soll ich jetzt vielleicht auch noch den Kellner für euch spielen, wenn die Henske krank ist?«
»Ach, die Sandy ist krank…«, sagte Hefele in betroffenem Tonfall, »weiß man denn, was sie hat?«
Die anderen sahen sich wissend an.
»Wahrscheinlich morgendliche Übelkeit«, versetzte Maier und deutete mit den Händen einen Kugelbauch an, was die Kollegen mit breitem Grinsen kommentierten. Alle, bis auf Roland Hefele, der sie mürrisch zurechtwies: »Ihr wisst doch gar nicht, ob das stimmt, ihr Deppen!«
»Isch ja schon recht«, sagte Kluftinger und ging sofort zum dienstlichen Teil über, indem er von den neuen Entwicklungen berichtete, die sich am letzten Nachmittag und später auf dem Golfplatz, den er allerdings geflissentlich verschwieg, ergeben hatten. Er habe Staatsanwalt Möbius getroffen, der habe sogar erwähnt, dass …
»Was?«, unterbrach ihn Strobl. »Du hast dich gestern Abend noch mit dem Möbius getroffen?«
Kluftinger lief knallrot an. Er sah in drei grinsende Gesichter. »Der Lodenbacher war auch dabei!«
Die Kollegen prusteten los.
»Oho! Zu dritt?«, gluckste Hefele.
»Apropos«, sagte Strobl, »wieso ist eigentlich der Lodenbacher heut nicht anwesend?«
Der Kommissar schluckte. Er hatte vergessen, ihn zuzuschalten. Schnell wählte er die Nummer von Lodenbachers Büro und erfuhr, dass der Herr Präsident später komme und morgen wieder an der Konferenzschaltung teilnehmen werde. Er habe jedoch eine Nachricht für Kluftinger hinterlassen, wonach er den Kommissar beim Promi-Golfturnier nächsten Monat dabeihaben wolle. Kluftinger beschloss, diese Einladung einfach so lange zu ignorieren, bis Lodenbacher sein Ansinnen wieder vergessen hatte – eine Strategie, die schon öfter aufgegangen war.
»Aha«, schaltete sich Strobl ein, nachdem Kluftinger aufgelegt hatte, »muss er ausschlafen, der Herr Präsident, nach der gestrigen Nacht, hm? In welchem Etablissement wart ihr denn?«
»Ihr seid solche Affen, wirklich! Man wird fei nicht … dings … nur wenn man sich einmal mit jemandem unterhält, der das vielleicht ist, gell?«, blaffte Kluftinger. »Und der Möbius hat auch schon mal was mit der Henske gehabt, also kann er, rein technisch …«
»Ganz ruhig!«, sagte Strobl. »Was hat denn jetzt der Möbius gesagt?«
»Er hat … ach wisst ihr was, ich hab überhaupt keine Lust mehr! Fangt ihr doch an, wenn ihr was habt!«
»Also ich könnte schon was anbieten!«, vermeldete Maier stolz.
»Aha«, sagte Kluftinger und wandte sich dem Kollegen zu, »dann lass mal hören!«
»Stellt euch vor, was ich herausgefunden habe – durch intensive Recherche und gründliche Beschäftigung mit dem Thema, das möchte ich nur mal erwähnt haben, ja?«
Alle schauten ihn erwartungsvoll an, doch erst als Kluftinger auch noch eine auffordernde Handbewegung machte, rückte er mit der Sprache heraus: »Also, du hast mich ja gestern angerufen und mir gleich gesagt, dass es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem Mord und dieser geplanten Ausstellung geben könnte.«
»Schon«, bestätigte Kluftinger grinsend, »ich hab halt niemand anderen erwischt als dich!«
»Ja, toll. Auf jeden Fall hab ich herausgefunden, dass dieser Schatz schon einmal gestohlen worden ist!«
»Jetzt hör doch auf!«, kommentierte Kluftinger ironisch. »Wo hast du denn bloß diese heiße Information wieder her?«
»Nun, Aktenstudium und …« Auf einmal hielt er inne und sah skeptisch zu seinem Chef hinüber. »Jedenfalls heißt der Mann …«
»Rösler«, ergänzte Kluftinger.
»Exakt. Vorname?«
Kluftinger zuckte mit den Schultern.
»Du weißt doch sonst alles!«
»Das aber nicht, also schieß los.«
»Steht hier auf dem Papier. Und ich weiß auch, wo er wohnt. Soll ich es euch sagen?« Maier hielt einen rosafarbenen Klebe-Notizzettel hoch.
»Herrgott, Richie, jetzt mach halt schon, wir sind doch nicht in einer Quizshow!« Dann langte er über den Tisch und versuchte, Maier das Zettelchen zu entreißen. Dabei glitt er aus und klatschte Maier die Hand ins Gesicht.
»Sag mal, geht’s eigentlich noch?«, presste der empört hervor und hielt den Zettel dabei in die Höhe, sodass Kluftinger ihn nicht erreichen konnte.
»Jetzt gib mir den Zettel, sonst vergess ich mich«, sagte Kluftinger mit einer Mischung aus Zorn und Verzweiflung darüber, dass ausgerechnet er sich mit einer derart seltsamen Truppe auseinandersetzen musste.
»Hab ihn«, schrie plötzlich Hefele, der sich Maier unbemerkt von hinten genähert und ihm das Papier entrissen hatte.
Doch Maier dachte gar nicht daran, aufzugeben, sprang auf und holte sich die Notiz zurück. In diesem Moment umklammerte ihn Strobl von hinten und sagte triumphierend: »Jetzt kannst du’s dir holen, Klufti.«
Der Kommissar stand auf, lief auf Maier zu und sah mit ungläubigem Staunen, wie dieser den Zettel zerknüllte, in den Mund steckte und darauf herumkaute.
Fassungslos sahen sich die anderen an und schüttelten den Kopf.
»Sag mal, Richie, ganz sauber bist du auch nicht mehr, oder?«, brachte Kluftinger nach einer ganzen Weile hervor, in der Maier unter den Blicken der Kollegen den Zettel gänzlich verschluckt hatte. Im ruhigen Ton des Kommissars lag eine Spur echte Besorgnis über das Verhalten seines Mitarbeiters. Der schien sich gerade erst bewusst zu werden, wie kindisch er sich benommen hatte, und lief rot an.
»So, Männer, dann eben ohne den Maier«, seufzte Kluftinger und würdigte den Kollegen dabei keines Blickes. »Eugen, du fährst mit mir zu diesem Rösler.«
»Bloß, wegen der Adresse …«, gab Strobl zu bedenken und blickte dabei zu Maier.
»Mei«, sagte Kluftinger, »entweder wir warten, bis der Zettel wieder rauskommt, oder du schaust selber nach!«
Strobl nickte.
»Roland, du lässt dir von Lodenbachers Sekretärin die Liste der Leute geben, die in der Kommission zur Sicherheit der Ausstellung sind, und informierst sie kurz über die aktuelle Bedrohungslage. Wahrscheinlich wird der Lodenbacher eh heut oder morgen ein neues Treffen ansetzen, schließlich ist das Ganze ziemlich konkret und wird mit dem Mord an der Frau Zahn richtig bedrohlich! Und mach dich doch auch mal mit den Sicherheitsvorkehrungen vertraut.«
»Und ich?«, wollte Maier wissen.
»Du?«, setzte Kluftinger an. »Du … schaust, dass du dich von jetzt an wieder ein bissle zusammenreißt. Und dann kümmer dich bitte weiterhin um mein Auto. Es kann zwar, muss aber doch kein Zufall sein, dass die ausgerechnet eine Autowerkstatt gemietet haben, oder?«
»Dein Auto?«
»Hm?«
»Ich soll mich um dein Auto kümmern?«
»Wieso denn um meins?«
»Weil du das grad gesagt hast.«
»Ist doch gar nicht wahr.«
»Aber du hast …«
»Jetzt hör mal zu, Richie.« Kluftingers Stimme war nur noch ein Flüstern und seine Augen ganz schmal geworden. »Treib es nicht zu weit. Oder soll ich mich doch wieder daran erinnern, was der Bub hier gestern mit dir und deiner Dienstwaffe gemacht hat?«
Sofort verstummte Maier und blickte schuldbewusst zu Boden.
In dem Moment betrat Willi Renn, ohne zu klopfen, den Raum. »Ah, da seid’s ihr!«
»Servus, Willi, was gibt’s?«, grüßte Kluftinger.
»Wir haben ja wie gesagt kaum Spuren, aber seltsamerweise liegen in der halben Werkstatt verstreut Reste von Vitroporzellan.« Er hielt ein Tütchen mit einigen Splittern hoch. »So wie es aussieht, handelt es sich dabei aber nicht um irgendein Geschirr oder um Sanitärporzellan, sondern um Fliesen. Eigentlich hat das Zeug da nichts zu suchen, oder? Wie wenn sie damit irgendwas probiert oder gearbeitet hätten. Anscheinend hat die Putzfrau beim Zusammenkehren nicht alles erwischt. Mit Zahn haben wir schon geredet, der kann sich mal wieder keinen Reim drauf machen.«
»Zwischen Klinik und Friedhof, das nenn ich mal das Prinzip der kurzen Wege«, merkte Kluftinger an, als Strobl auf den Parkplatz vor dem wuchtigen Bau einbog, einem der größten Altersheime in Kempten. Auch wenn dies mittlerweile beschönigend »Seniorenresidenz« hieß, hatte sich in den zehn Jahren, die seit Kluftingers letztem dienstlichen Besuch hier vergangen waren, auf den ersten Blick nicht viel getan. Der Kommissar betrat mit Strobl die Halle und nahm sofort den stickigen Geruch, eine Mischung aus Desinfektionsmitteln, Umkleidekabine und Mottenkugeln, wahr. Ein flaues Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit: Bald würde er auch zum alten Eisen gehören. Bald würde er einen verheirateten Sohn haben, würde zum Großvater, zum Pensionär werden und früher oder später hier landen. Na ja, vielleicht waren Erika, Markus und Yumiko ja so gütig, ihn ins Altusrieder Heim einzuweisen …
Die Frau an der Pforte schickte sie in den dritten Stock. Kluftinger sah sich um, als sie die Halle mit strammen Schritten durchmaßen. Ein paar alte Menschen saßen in Krankenstühlen oder Sesseln, lasen etwas oder starrten einfach in die Luft. Die beiden Polizisten nahmen den Fahrstuhl und traten in einen dunklen Korridor, der etwa so heimelig wirkte wie der Heizungskeller eines Finanzamts. Links und rechts gingen Türen ab. Sie klopften an Röslers Zimmer, dessen Tür ein Apothekenplakat für Kinder mit einer riesigen Katze zierte.
Von drinnen schallte ein überraschend munteres »Herein«. Kluftinger und Strobl betraten ein schlichtes, helles Zimmer mit je einem Bett auf der linken und der rechten Seite, dazu ein kleiner Esstisch mit zwei Stühlen, zwei dunkelgrüne Sessel und zwei Kommoden. Ein Mann saß am Tisch, während ein zweiter in einem der Sessel zu schlafen schien. Im Fernseher lief eine Reportage, in der sich ein Paar gerade aufs Übelste beschimpfte.
»Grüß Gott!«, rief der kleine, schmächtige Mann mit dichtem grauen Haar und Stoppelbart, dessen wache Augen Kluftinger sofort auffielen. Er trug eine dunkelgrüne Strickjacke, eine braune Hose und Filzpantoffeln. »Sie wollen zum Sepp, oder? Der schläft. Hat keinen guten Tag heut! Kommen Sie vom Sozialamt?«
»Nein«, erklärte der Kommissar, »wir wollen zu Heinz Rösler, das müssten dann ja Sie sein, oder?«
»Das bin ich, ja. Was kann ich denn für Sie tun?«
»Kluftinger, Kripo Kempten – mein Kollege Eugen Strobl.«
Dem Kommissar entging nicht, dass sich Rösler nervös die Hände rieb und mit der Zunge über seine Lippen leckte: »Ich … ich hab nichts mehr auf dem Kerbholz. Ich hab für alles gebüßt. Oder, um ehrlich zu sein, es ist verjährt.«
Kopfschüttelnd präzisierte Strobl: »Es geht nicht um Diebstahl oder Raub, Herr Rösler. Es geht um Mord!«
»Mord?«, entfuhr es dem Alten, der nun seltsamerweise beruhigt wirkte. »Ich hab mein Leben lang nie Hand an einen Menschen gelegt. Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse. Ich war kein Vorbild für die Jugend, aber ich hab nie gegen meinen Ehrenkodex verstoßen.«
Der andere Mann im Sessel fuhr kurz hoch und begann zu husten. »Herr Rösler, sollen wir nicht lieber rausgehen? Ich weiß ja nicht, ob Ihr Zimmergenosse hier das alles mitbekommen soll.«
»Ach was«, winkte Rösler ab, »der kriegt nix mehr mit, der Möhwald. Ein armer Hund. Aber was will man machen? Wir sind jetzt schon seit drei Jahren ein Team. Letzten Sommer haben wir zusammen noch die Spieleabende aufgemischt und den Damen Komplimente gemacht. Denken Sie sich nichts. Worum geht es denn jetzt genau?«
»Sie haben sicher in der Zeitung gelesen, dass der Kaldener Burgschatz wieder ins Allgäu zurückkehrt, oder?«, wollte Strobl wissen.
»Gelesen? Ich hab mir alle Berichte aus der Zeitung ausgeschnitten und aufgehoben«, sagte Rösler, hob das gemusterte Wachstuch auf dem Tisch an und zog eine kleine Schublade auf. Er entnahm ihr eine Klarsichthülle mit einigen Zeitungsausschnitten und schwenkte sie in der Luft.
Strobl sah Kluftinger skeptisch an, ein Blick, den Rösler sofort bemerkte: »Nein, nein, da liegen Sie völlig falsch. Ich bin nicht mehr im Geschäft! Ich klau Ihnen den Schatz nicht. Rein nostalgisches Interesse, wirklich. Weiter nichts. Ich bin schon zu tattrig für so eine Aktion. Und ich hab auch keine Lust, das Heim wieder gegen eine Zelle einzutauschen. Auch wenn es nicht so viel anders aussieht – die Türen stehen offen hier. Und das soll so bleiben, in den paar Wochen oder Monaten, die ich noch habe!«
Mit gerunzelter Stirn sahen die Beamten den Mann vor ihnen an.
»Ja, ich bin unheilbar krank. Aber ich will kein Mitleid deswegen – ich habe mein Leben gelebt, glauben Sie mir!«
»Das glauben wir Ihnen gern, Herr Rösler«, erklärte der Kommissar. »Sie könnten uns aber trotzdem helfen. Bitte erzählen Sie uns ein bisschen von dem Raub damals. Sie können uns damit weiterbringen in einer Mordermittlung.«
»Mordermittlung! Ich hab keine Ahnung, was ich Ihnen dazu beisteuern könnte, aber bitte: Was möchten Sie wissen?«
»Also, der Schatz ist ja verschwunden auf einem Transport von München, wo er restauriert und genau untersucht worden ist. Man hat ihn da verpackt, und als man die Transportkisten wieder ausgepackt hat, war alles leer. Man hätte Sie wohl nie erwischt, wenn Sie nicht auf den Lockvogel reingefallen wären, der Ihnen das Zeug abkaufen wollte. Sie haben aber nie gesagt, wie Sie es angestellt haben.«
»Wenn Sie das wissen wollen, dann muss ich Sie gleich enttäuschen. Falls Sie mir die richtige Version präsentieren, dann sag ich Ihnen, dass Sie das Geheimnis gelüftet haben, so ehrlich bin ich. Aber draufkommen müssen Sie schon selber.« Röslers Augen funkelten, er schien richtig aufzuleben. Und es tat ihm sichtlich gut, dass sich jemand für ihn interessierte. Und noch etwas glaubte der Kommissar zu spüren: Der alte Mann, den er da vor sich hatte, war nicht der Drahtzieher eines erneuten Raubes. Es sei denn, er war ein sehr guter Schauspieler. Aber als »Experte« könnte er nützlich sein.
»Warum haben Sie eigentlich ausgerechnet den Schatz gestohlen und nicht … eine Bank überfallen oder so?«, fragte Strobl. »Solche Wertgegenstände sind doch viel schwerer loszuschlagen.«
Rösler lächelte, drehte sich dann langsam zum Fenster und blickte hinaus. Nach einer Weile sagte er: »Wissen Sie, Herr Kommissar, erstens bin ich kein Bankräuber, sondern ein Dieb. Das mag sich für Sie jetzt komisch anhören, aber Diebstahl ist … war halt mein Spezialgebiet. Sie sind ja auch Kriminalkommissar und nicht manchmal auch noch Zollfahnder. Das ist das eine.«
Der Mann machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Dann fuhr er fort: »Was mich an dem Burgschatz fasziniert hat, möchten Sie wissen? Na ja, das liegt ja eigentlich auf der Hand: Er ist halt wahnsinnig wertvoll, noch dazu kam er aus dem Allgäu. So eine Gelegenheit direkt vor der eigenen Haustür, das lässt man sich nicht entgehen. Aber ich hab oft darüber nachgedacht in all den Jahren. Es gibt viele Faktoren, die da mitgespielt haben. Ich schreibe gerade mein Leben nieder, jetzt, wo es aufs Ende zugeht, und da stellt man sich so seine Fragen.«
»Sie schreiben Ihre Memoiren?«, hakte Kluftinger nach.
»Memoiren ist vielleicht zu viel gesagt. Ich bin ja kein Schriftsteller oder so«, gab sich Rösler bescheiden. »Ich schreib halt Erinnerungen auf. Vielleicht interessiert sich ja mal jemand dafür, wenn ich da drüben lieg.«
Rösler wies mit einem knochigen Finger zum Fenster. Kluftinger ahnte, dass es zum Friedhof hinausging.
»Und welche Beweggründe hatten Sie noch für den Raub?« Strobl gab sich mit Röslers Antwort noch nicht zufrieden.
»Na ja, ich hatte mich ein wenig auf sakrale Kunst spezialisiert damals«, erklärte Rösler voller Stolz. Dann klopfte er auf die Schublade unter dem Tisch und grinste. »Aber das können Sie alles mal nachlesen!«
»Was haben Sie mit den gestohlenen Gegenständen gemacht?«, wollte Kluftinger wissen.
»Ich hab nichts behalten, wenn Sie das meinen. Das bringt nur Unglück. Nur Bares ist Wahres, das gilt halt auch in unserer Branche. Mit der Zeit hatte ich einen Kreis von Interessenten. Denen konnte ich das Zeug anbieten, die haben gute Preise bezahlt.«
»Waren das Endabnehmer, also Sammler, oder einfach nur Hehler?«
»Teils, teils. Die Sammler gab es schon auch. Mir waren die sogar fast noch lieber. Die sind so verrückt nach dem Zeug, die zahlen alles, wenn sie erst einmal irgendeine seltene alte Madonna gesehen haben. Die meisten sehen auch nur die Kunst, die fragen nicht nach der Herkunft der Sachen, das ist denen scheißegal. Nicht umsonst ist das der drittgrößte Schwarzmarkt nach Drogen und Waffen, wussten Sie das? Aber man muss trotzdem aufpassen, grad beim Kontakt mit Sammlern, da kann man schnell in die Falle gehen. Wie man an mir gesehen hat.«
»Wenn Sie heute noch … sagen wir … arbeiten würden, gäbe es diese Strukturen noch, oder würde das anders ablaufen?«, fragte Kluftinger den Alten.
»Hm … im Prinzip würd ich sagen, ja. Wobei der Markt unübersichtlicher geworden ist. Heutzutage funktioniert die Kommunikation anders, das ist ja klar. Früher hatten Sie ein paar Abnehmer vor Ort oder vielleicht noch in München oder in Stuttgart. Aber heute können Sie ja theoretisch der ganzen Welt Ihr Zeug anbieten.«
»Heißt das«, hakte Strobl ein, »dass auch Onlineauktionen für so etwas benutzt werden?«
»Kaum, würd ich sagen. Dabei ist die Gefahr zu groß, aufzufliegen. Sie wissen doch besser als ich, dass die Polizei und eine Menge von Versicherungsangestellten diese ganzen Auktionen durchforsten nach Hehlerware. Mir wär das jedenfalls zu heiß. Noch dazu, weil da ohne Foto gar nichts mehr geht. Nein, im Netz muss man verdammt vorsichtig sein. Es gibt ein paar Chatforen, da bleibt das Ganze anonym, und Sie bieten mal vorsichtig was an. Aber trotzdem: Man weiß nicht, mit wem man es im Endeffekt zu tun hat. Persönliche Kontakte sind noch immer das A und O. Und eine gute Menschenkenntnis, aber an der fehlt’s mir wohl ein bisschen.«
Rösler lachte kurz und bitter auf.
Kluftinger spürte, dass er jetzt am Ball bleiben musste – Röslers Gesprächigkeit könnte nur allzu schnell ein Ende finden. Darum fragte er: »Haben Sie jemals auf einen Auftrag hin etwas gestohlen?«
»Natürlich, das war immer eine komfortable Sache! Sie mussten sich keine Gedanken machen, was Sie als Nächstes besorgen, und noch dazu konnten Sie sich sicher sein, dass Sie einen Abnehmer haben! Und das hat heutzutage noch zugenommen. Diese extremen Sammler wissen genau, was sie haben wollen, aber keiner von denen macht sich die Finger schmutzig.«
»Wer ist denn heute so aktiv? Sie kennen die Leute sicher noch, oder?« Kluftinger wagte die Frage, obwohl er wusste, wie gefährlich sie für den weiteren Gesprächsverlauf sein konnte. Es wäre gut möglich, dass Rösler von nun an gar nichts mehr sagte.
Kluftingers Gegenüber zögerte. Er schlug die Augen nieder, schien eine Weile zu überlegen, mit sich zu ringen, doch schließlich blickte er die Beamten kopfschüttelnd an. »Nein, meine Herren, das können Sie nicht von mir erwarten. Die haben mir nichts getan. Warum sollte ich sie jetzt ans Messer liefern?« Nach einer letzten Pause fügte er hinzu: »Und ich bin nicht mehr so recht auf dem Laufenden, glauben Sie mir das!«
Kluftinger glaubte ihm kein Wort, hatte aber auch nicht erwartet, dass Rösler so schnell die Seiten wechseln würde. Darum versuchte er nun, ihn anders zu knacken. Schließlich schien der ein Dieb vom alten Schlag zu sein, ein echter »Ganove«, und er hatte offenbar einen regelrechten Ehrenkodex, nach dem er sein Verhalten ausrichtete. »Aber schauen Sie, diese Leute sind nicht mehr wie Sie. Die gehen über Leichen. Wir haben eine zweiundachtzigjährige Frau tot aufgefunden, die ein paar von denen in die Quere gekommen ist – eine hilflose Person, die sie einfach aus dem Weg geräumt haben. Das können Sie doch nicht gutheißen, oder? Die bringen Ihren ganzen …«, Kluftinger suchte nach dem richtigen Ausdruck, denn »Berufsstand« wäre nun doch ein wenig vermessen gewesen, »… Ihre ganze Zunft in Misskredit«, fuhr er schließlich fort.
Rösler legte die Stirn in Falten. Ein erster Etappensieg, den der Kommissar für sich verbuchen konnte.
»Ich find das nicht gut, was die machen. Aber ich kann Ihnen da auch nicht helfen. Wen ich noch kenne, der würde das nie tun. Und mit diesen kaltblütigen Schweinen, die jeden Erstbesten über die Klinge springen lassen, hab ich nie etwas zu schaffen gehabt.«
»Es wäre ja sicher auch ein komisches Gefühl, wenn denen jetzt mit so schmutzigen Mitteln gelingen würde, was Sie bisher als Einziger geschafft haben. Die sind nämlich auch hinter dem Burgschatz her, das habe ich, glaub ich, noch gar nicht erwähnt.«
Rösler bekam große Augen, und Kluftinger konnte sehen, wie es in ihm arbeitete. »Hören Sie«, entgegnete er schließlich, »ich werde jetzt nicht auf einmal zur Polizei überlaufen, und ich werde auch keinen von den alten Kollegen ans Messer liefern. Aber ich kann Ihnen schon mein Fachwissen zur Verfügung stellen. Nachdem ich es nicht mehr anwenden werde, hat es so wenigstens noch einen gewissen Wert.«
»Sie würden uns also helfen, einen Fall aufzuklären und möglicherweise eine weitere Straftat zu verhindern?«
»Unter einer Bedingung helf ich Ihnen: Sie müssen nach meinem Tod dafür sorgen, dass meine Erinnerungen irgendwie veröffentlicht werden.«
Kluftinger überlegte kurz, dann nickte er zustimmend. »Geht in Ordnung.«
»Mal angenommen«, setzte Strobl an, »Sie würden versuchen, den Burgschatz noch einmal zu stehlen: Wie würden Sie vorgehen? Wo ist die Schwachstelle?«
Rösler schürzte die Lippen. »Schwer zu sagen, so aus der Ferne. Heutzutage gibt es jede Menge ausgefeilter Sicherungssysteme zu überwinden. Alles ist jetzt miteinander vernetzt, die Sensoren, sei es Bewegung, Wärme, Licht oder Schall, sind irrsinnig sensibel heute. Und der ganze Laserkram dazu! Aber lassen Sie sich gesagt sein: Jeder geht das anders an. Jeder hat seine eigene Handschrift, von den Guten zumindest, und ein Dilettant wagt sich an so etwas nicht heran. Nach wie vor sagt die Methode einiges über den Täter aus.«
Kluftinger horchte auf. »Wie kommt es denn, dass Sie immer noch so gut informiert sind?«
Rösler blies die Luft aus. »Mei, Herr Kommissar, Sie nehmen auch mal an einem Seminar teil, oder?«
Der Kommissar nickte – dass seine letzte Fortbildung schon gut und gern fünf Jahre zurücklag, tat im Moment ja nichts zur Sache. »Und wie machen Sie das?«
»Kontakte. Man muss auf dem Laufenden bleiben. Schließlich hab ich meine ganze Laufbahn damit zu tun gehabt.«
Bei dem Wort »Laufbahn« stutzte der Kommissar. Dennoch traf er spontan einen Entschluss: »Würden Sie mit uns kommen? Sich mal anschauen, was wir gefunden haben?«
Strobl blickte ihn entgeistert an.
»Ja«, sagte Rösler sofort, »wenn es nicht auf die Wache geht und nicht ins Gefängnis. Das sind zwei Orte, die ich in meinem Leben nicht mehr betreten will!«
Kluftinger hätte sich fast schon zugetraut, mit geschlossenen Augen durch den Ausstellungsraum in Altusried zu gehen, so gut kannte er den Nachbau hier in der Werkstatt mittlerweile. Diesmal war er es aber, der einen anderen bei der Erkundung des Zimmers beobachtete. Rösler schlurfte langsam umher, und auch wenn er auf einen Stock gestützt ging, so verrieten seine blitzenden Augen doch, dass sein Geist hellwach war. Er murmelte immer wieder vor sich hin, genauso wie es der Kommissar gestern selbst getan hatte. Kluftinger war froh, dass Strobl nicht dabei gewesen war, denn dessen Blick verriet eindeutig, was er von diesem seltsamen Gebaren hielt.
»Wird denn ein Laserlichtvorhang installiert?« Röslers belegte Stimme hallte plötzlich von den Wänden wider.
»Bitte?«
»Ob ein Laserlichtvorhang installiert wird, will ich wissen.« Der Alte seufzte. Man merkte ihm an, wie mühsam es für ihn sein musste, sich mit Menschen zu unterhalten, die von der Sache nicht annähernd so viel verstanden wie er.
Kluftinger kratzte sich am Kopf. »Moment, wie war das noch …«
»Ja, ist installiert«, fiel Strobl ihm ins Wort.
Erstaunt sah ihn Kluftinger an und fragte leise: »Ja?«
Sein Kollege nickte.
»Wusste ich es doch«, jubilierte Rösler.
Strobl beugte sich zu seinem Vorgesetzten und flüsterte ihm ins Ohr: »Das ist übrigens keine öffentliche Information.«
»Geheim?«
»Geheim … Das klingt so nach James Bond. Aber: ja, geheim.«
»Und woher weiß der das dann?«
»Der hat noch ganz gute Ohren, meine Herren. Sie sollten nicht dem Vorurteil erliegen, dass alle alten Menschen schlecht hören.«
»Also, woher wussten …«
»Was in Altusried installiert wird? Bitte, beleidigen Sie mich nicht. Das war wirklich eine leichte Übung. Sehen Sie hier dieses Schnurgeflecht? Das lässt nur diesen Schluss zu. Aber ich weiß noch mehr. Falls es Sie interessiert: Ich weiß auch, wer Sie in Altusried überfallen will.«
Die Beamten sahen sich mit offenen Mündern an. Strobl fing sich als Erster: »Bitte?«
»Ja«, sagte der Mann und stimmte ein kehliges Lachen an. Es schien ihm Vergnügen zu bereiten, die Polizisten in Staunen zu versetzen. Die hatten allerdings bedeutend weniger Spaß daran.
»Entweder, Sie sagen jetzt sofort, was Sache ist, oder ich geb Sie wieder in Ihrem Heim ab«, fuhr Kluftinger ihn an.
Das Lachen des Alten verstummte. Er winkte die beiden zu sich und setzte sich auf eine der Kisten, die in dem Raum standen. Dann stützte er seine Hände auf seinen Stock, sah sie ernst an und begann leise zu sprechen: »Ich werde euch jetzt eine Geschichte erzählen. Es handelt sich genau genommen um eine Art Mythos. Es ist die Geschichte eines Mannes, der über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt. Niemand weiß genau, wie er aussieht. Es schwirren nur Gerüchte herum, er habe einen dunklen Lockenkopf und ein kantiges Gesicht.«
»Wie der aus der ›Schwarzwaldklinik‹«, murmelte Kluftinger.
Rösler sah ihn entgeistert an. »Wie meinen?«
»Ach nix, ich hab nur laut gedacht. Weil doch der Pizzabote gesagt hat, er sieht aus wie der aus der ›Schwarzwaldklinik‹ …«
»Prof. Vollmers?«
Jetzt war es Kluftinger, der entgeistert guckte. »Keine Ahnung, ich hab mir den Schmarrn nie angeschaut.«
Strobl schaltete sich ein. »Ja, genau der.«
Rösler schien zu überlegen: »Ja, das könnte passen. Wie auch immer. Jedenfalls ist der Mann in, ich will mal sagen, meinen ehemaligen Kreisen, eine gewisse Berühmtheit. So wie ich es einmal war, wenn ich das in aller Bescheidenheit hinzufügen darf. Er hat einige der spektakulärsten Raubzüge der letzten Jahre durchgeführt. Erinnern Sie sich noch an den Einbruch in Schloss Hohenschwangau im Jahr 2005? Da sind die Diebe einen Tag zuvor als Touristen reinmarschiert und haben alles ausgekundschaftet. In der nächsten Nacht sind sie dann wiedergekommen und haben aus den Vitrinen im Billardzimmer über hundert kunsthistorisch wertvolle Orden gestohlen. Oder der Kunstdiebstahl in Zürich 2008, wo die van Goghs und Monets flöten gingen? Ich will Sie nicht weiter langweilen, schauen Sie einfach in Ihren Computern nach. Da werden Sie schon was über ihn finden. Sicher nicht alles, denn das haben Geschichten und Mythen nun mal so an sich, dass vieles ein bisschen ausgeschmückt wird. Wobei ich damit nicht sagen will, dass es weniger wahr ist. Er arbeitet nach der alten Art, wenn Sie so wollen. Der Mord allerdings passt nicht ins Bild. Für uns kamen früher solche Grobheiten nicht infrage. Unsere, nun ja, geschäftlichen Transaktionen haben wir akribisch geplant, einen perfekten Plan ausgearbeitet, und dann haben wir trainiert, als wollten wir einen Achttausender besteigen. In aller Regel hat das gereicht. Ich vermute, er hatte einen guten Lehrmeister.«
Die Worte klangen lange in der Stille nach. Es dauerte eine Weile, bis die Beamten sie verdaut hatten. Kluftinger fand als Erster seine Sprache wieder: »Sie … also, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen banal, aber: Sie wissen nicht zufällig, wie er heißt?«
Erneut stimmte der Alte ein kehliges Lachen an: »Selbst wenn, würde euch das nix nutzen. Es ist ja nicht so, dass er einen festen Wohnsitz hätte, mit einer Klingel, wo sein Name draufsteht und drunter ›Meisterdieb‹ oder so was.«
Kluftinger ließ seine Schultern hängen. Wäre auch zu schön gewesen.
»Aber etwas kann ich euch schon noch sagen«, fuhr der Alte fort.
Ruckartig hob Kluftinger den Kopf. »Doch einen Namen?«
»Na ja, so ähnlich. Alles, was ich hier gesehen habe, lässt nur einen Schluss zu. Ihr Mann hat einen Spitznamen in der Branche. Man nennt ihn auch den … Schutzpatron.«
Die Männer blinzelten, als sie aus der dunklen Werkstatt in das goldgelbe Licht dieses herbstlichen Vormittags hinaustraten.
»Schutzpatron, hm?«, sagte Kluftinger mehr zu sich selbst.
»Ja, er ist so etwas wie ein Nothelfer in unserer Szene«, sagte Rösler. »Viele wissen, dass man sich an ihn wenden kann, wenn man in der Patsche sitzt.«
Kluftinger nickte versonnen, dann blieb er abrupt stehen. »Sagen Sie, Herr Rösler, würden Sie vielleicht für diesen Fall noch weiter mit uns zusammenarbeiten? Als externer Berater sozusagen? Bis die ganze Sache vorbei ist? Wir halten Sie auf dem Laufenden, und Sie versorgen uns mit Insiderwissen.«
Strobl sah seinen Vorgesetzten an, als habe der gerade gefragt, ob er ihm helfen würde, eine Bank zu berauben. Auch der Alte schien nicht recht glauben zu wollen, was er da eben gehört hatte. »Sie wollen, dass ich für Sie arbeite? Nach allem … was zwischen uns steht?«
»Man muss die Vergangenheit auch mal ruhen lassen. Und ich kenn keinen besseren Experten in dieser Sache als Sie.«
»Und was habe ich davon?«
Kluftinger dachte nach. »Eine Art … Buße?«
Rösler lachte. »Ich wüsste nicht, wofür. Ich hab schließlich gesessen. Nein, da müssen Sie sich schon was Besseres einfallen lassen.«
»Jetzt kommen Sie, lassen Sie mich nicht betteln. Am besten, wir fahren gleich nach Altusried, dann können Sie sich die Lage vor Ort anschauen. Was meinen Sie?«
»Das geht auf gar keinen Fall. Egal, wie ich mich entscheide, jetzt muss ich erst mal heim. Wissen Sie, in meinem Alter gibt es wichtigere Dinge als Geld und Ruhm und Buße und was weiß ich nicht alles.«
»Und das wäre?«
»Ein pünktlicher Mittagsschlaf zum Beispiel.«
»Du, Chef, ich hab hier einiges an Material für dich!«, empfing Richard Maier den Kommissar, als er den Flur der Abteilung betrat. Unter dem Arm hatte er einen beträchtlichen Stapel Papier. Er hielt ihn Kluftinger hin und erklärte, dies seien die neuesten Statistiken über Autodiebstahl in Bayern, die obersten beiden Seiten eine Auswertung der gestohlenen Fahrzeuge, geordnet nach Marken in den Allgäuer Landkreisen und den kreisfreien Städten.
»Kannst du mir sagen, was ich damit genau soll?«
»Ja, wie jetzt? Du hast gesagt, ich soll weiter Informationen zu den Autoschiebereien sammeln. Die Kollegen haben mir die Statistik geschickt, und ich hab sie ausgewertet. Wie du es wolltest.«
»Also gut, dann sag mir halt wenigstens, was du rausgefunden hast! Muss ich mir ja nicht auch noch alles durchlesen!«
Maiers Miene hellte sich wieder auf. »Also, wie wir schon wussten, es werden nach wie vor viele Luxuswagen geklaut, aber ganz stark im Kommen sind die Japaner!«
»Hör mir bloß mit den Japanern auf!«, blaffte der Kommissar. »Das brauchst du nicht betonen, dass die im Kommen sind!«
Maier runzelte die Stirn. Rat suchend blickte er zu seinem Kollegen Strobl, doch auch der zuckte die Achseln und sah seinen Chef verwundert an. Kluftinger nahm Maier die Unterlagen ab und wandte sich in Richtung seines Büros. »In zehn Minuten bitte bei mir zu einer kurzen Besprechung, sagt dem Roland Bescheid! Und Richie, mach uns bitte einen Kaffee, ja?«
»Ganz ehrlich: Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist!«, gab Hefele zu bedenken, als Kluftinger und Strobl von ihrem Besuch bei Heinz Rösler berichtet hatten. »Ich mein, der Mann ist immerhin ein Berufsdieb gewesen, absoluter Wiederholungstäter und im Endeffekt unbelehrbar.«
»Ich würd dem Roland recht geben«, stimmte Maier zu, »wir können doch bei unseren eigenen Experten Rat suchen. Uns steht doch die komplette Polizeiorganisation zur Verfügung, sollen wir da wirklich mit der Gegenseite gemeinsame Sache machen? Immerhin müssen wir da ja Informationen preisgeben, die die Ausstellung und unsere ganzen Ermittlungen eher noch mehr gefährden können.«
»Schon, Männer, aber wenn ihr den Rösler gesehen hättet, dann würdet ihr uns zustimmen, gell, Eugen?«, sagte Kluftinger an Strobl gewandt. »Der hat mit seiner kriminellen Karriere abgeschlossen, aber er kennt die Szene trotzdem immer noch in- und auswendig. Und er soll jetzt ja nur mal kurz mit nach Altusried fahren, mehr nicht.«
Eugen Strobl nickte.
»Mei, wenn ihr meint«, gab sich Hefele geschlagen, und auch Maier zuckte resigniert mit den Schultern.