Etwa eine Stunde später begrüßte Kluftinger im großen Besprechungsraum neben René Preißler, dem Chef des mit der Absicherung der Altusrieder Ausstellung beauftragten Unternehmens AllSecur, auch Eva Brandstätter von der Stuttgarter Versicherung. Sie hatte ihren Abteilungsleiter mitgebracht, einen unscheinbaren Mann mittleren Alters namens Rolf Kuffler. Er sei ohnehin gerade im Museum in Kalden gewesen und deswegen gleich mitgekommen. Der Kommissar stellte kurz seine Mitarbeiter vor, und die Anwesenden setzten sich, wähend Maier noch auf einem Laptop tippte. Auf jeden Platz hatte Sandy bereits Kopien der Pläne gelegt, die sie vorher per Fax aus Wien bekommen hatte.
Eine Weile blätterten die Gäste die Unterlagen durch: Pläne des Ausstellungsraums, Beschreibungen der Alarmanlagen und Überwachungssysteme, Tabellen mit Wandstärken von Vitrinen und Gebäuden, Dienstpläne und Arbeitsanweisungen der Wachmänner. Immer wieder war ein Seufzen oder Schnauben der Experten zu vernehmen, Kuffler schüttelte gelegentlich den Kopf und zeigte seiner Mitarbeiterin mit abschätzigem Lächeln etwas auf den Unterlagen.
Kluftinger verstand das als Reaktion auf die schlechte Druckqualität und die schwere Lesbarkeit einiger Pläne. »Sie müssen schon entschuldigen«, begann er sich fast ein wenig verlegen zu rechtfertigen, »die Kollegen aus Wien haben uns die Sachen vor Kurzem erst gefaxt. Aber als Überblick sollte es doch gehen.«
Preißler sah den Kommissar lächelnd an. »Ach was, das reicht fürs Erste. Was uns, glaub ich, alle ein bisschen verwundert, ist die Art und Weise, wie unsere Nachbarn die Sache angehen.«
»Heißt das, Sie finden, dass die Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind?«, hakte Strobl nach.
»Unzureichend würd ich jetzt gar nicht mal sagen: Wie gesagt, sie haben halt eine andere Art, so etwas zu organisieren. Sie machen vieles nach alter Manier. Schauen Sie, während wir uns eher einer hochtechnischen Überwachungselektronik bedienen, lassen die halt den guten alten Nachtwächter patrouillieren – extrem ausgedrückt. Außerdem ist es ja der letzte Tag der Ausstellung, und bis jetzt ist es gut gegangen. Oder was meinen Sie dazu?«, wollte Preißler an die beiden Versicherungsexperten gewandt wissen.
»Im Prinzip, denke ich, trifft es das ganz gut, was Sie sagen«, stimmte Kuffler zu. »Es gibt – immer aus unserer Sicht – schon einige Schwachstellen. Aber das mag auch Ansichtssache sein, das heißt nicht, dass dieser Schatz in Wien leichter zu stehlen wäre oder prinzipiell das Risiko dafür höher wäre.«
»Was wären denn solche Schwachstellen?«, fragte Kluftinger nach.
Diesmal war es Eva Brandstätter, die die Antwort gab: »Nun, die Alarmanlage und an sich die Überwachungstechnik sind nach unserem Dafürhalten … sagen wir … ein wenig ungewöhnlich. Schwachstellen sehe ich vor allem im Fehlen des Laserlichtvorhangs. Aber das Gebäude ist ja schon älter. Interessant wäre es natürlich, mal ein Kamerabild zu sehen, um die Gegebenheiten vor Ort genauer einschätzen zu können …«
»Das dürfte eigentlich kein Problem sein«, unterbrach sie Kluftinger. »Richie, bist du schon so weit?«
Maier nickte eifrig und verkündete, er habe nur noch auf das Startsignal gewartet, um den Beamer einzuschalten. Was die Kameras in Wien in der letzten halben Stunde aufgenommen hätten, habe er zudem auf Festplatte gespeichert.
»Bitte zeig uns doch einfach mal, wie es da im Moment aussieht.«
Maier drückte auf die Fernbedienung, woraufhin die elektrischen Jalousien herunterfuhren, dann schaltete er den Beamer ein, und allmählich gewann das zunächst fahle Rechteck auf der Leinwand an Kontur: Nach kurzer Zeit waren nebeneinander schwarz-weiße Bilder von insgesamt sechs Überwachungskameras zu sehen.
Kluftinger kniff die Augen zusammen, um zu identifizieren, was auf den einzelnen Filmchen zu erkennen war: ein Kassenbereich, die Halle eines repräsentativen Baus, ein Garderobenbereich, von dem aus ganz offensichtlich die Besuchertoilette abging, dann die Totale eines weitläufigen Ausstellungsraums mit mehreren Vitrinen und schließlich eine Nahaufnahme eines mächtigen gläsernen Kubus, in dem Kluftinger die Reliquienmonstranz des heiligen Magnus, das Kern- und Prunkstück der Schau, erkannte.
»Wenn es gewünscht wird, kann ich auf jede einzelne Kamera direkt zugreifen und die vergrößern – kein Problem«, erklärte Maier. »Wobei ich mit dem Rechner hier schon ein wenig an der Grenze der Kapazität bin. Dennoch erstaunlich, wie das alles vernetzt ist.«
Eine Weile starrten sie alle angestrengt auf die Leinwand und schwiegen.
»Was meinen Sie, Frau Brandstätter, ist das alles ausreichend?«, erkundigte sich Kluftinger. »Können wir vielleicht sogar noch was für Altusried lernen?«
»Wenn ich mich da einmischen darf«, ergriff nun wieder ihr Vorgesetzter das Wort. »Also, ich denke nicht, dass wir was davon lernen können. In Altusried wird ja, wie Sie schon wissen, der Prototyp einer neuen Alarmsicherung eingesetzt. Sonst wäre das für den Ort wohl kaum bezahlbar gewesen.« Sein trockenes Lachen ging in ein nervöses Hüsteln über. »Jedenfalls kann man das nicht mit dem vergleichen, was wir hier sehen. Sie müssen die Sicherheitsvorkehrungen in Österreich ja auch als Teil eines Gesamtkonzeptes sehen. Das Museum für Völkerkunde ist eingebunden in den riesigen Komplex, zu dem auch das Kunsthistorische Museum gehört. Einer der meistbesuchten Plätze des ganzen Landes. Ständig voller Touristen. Während wir in Altusried ja eher eine solitäre Stellung haben, die es ganz anders abzusichern gilt.« Er fuhr sich über seine perfekt sitzende Krawatte. »Ich bin mir sicher, dass bei unseren Nachbarn keine Gefahr droht. Es ist auch nichts bekannt, dass da in den letzten Jahren was weggekommen wäre. Wir sollten uns also auf unsere Aufgabe hier konzentrieren.«
Auf einmal unterbrach Kluftinger die Erläuterungen von Rolf Kuffler und fuchtelte mit der rechten Hand in der Luft herum, wobei er vage auf eines der Kamerabilder zeigte. »Stopp! Entschuldigen Sie, aber ich glaub, ich hab da gerade etwas Interessantes entdeckt. Da war was. Richie, schalt doch mal auf die Kamera ganz rechts unten, die mit der Vitrine.«
»Kamera sechs, kein Thema«, tönte Maier eifrig, und schon erschien auf der Wand überdimensional groß die Ausstellungsvitrine.
Der Kommissar schüttelte den Kopf. »Nein, jetzt ist es schon wieder weg. Spul doch bitte mal ein bisschen zurück und lass es noch mal laufen.«
Wieder war das Kamerabild zu sehen, und auf einmal befahl Kluftinger, das Bild anzuhalten. Die anderen sahen ihn fragend an, doch der Kommissar wies sie schließlich auf eine Spiegelung im Glas der Vitrine hin: Sie zeigte ziemlich schemenhaft das Gesicht eines Mannes.
»Respekt, Herr Kluftinger«, sagte Eva Brandstätter, die Augen angestrengt auf das Bild gerichtet, »ich hätte da nichts erkannt. Aber wer ist denn dieser Mann?«
»Wenn ich Ihnen das bloß sagen könnte«, antwortete Kluftinger zögerlich. »Aber ich hab das Gefühl, ich hab den schon einmal gesehen. Und zwar im Zusammenhang mit unserem Fall. Richie, den müsste man doch auf der Überblickskamera von dem Raum auch sehen. Schalt doch mal auf die, bitte.«
Maier nickte, stellte die gewünschte Überwachungskamera ein und spulte auch hier zurück.
Tatsächlich war nun derselbe Mann dabei zu sehen, wie er um die Vitrine mit der Reliquienmonstranz herumlief. Neben ihm gingen einige andere Besucher, aber der Kommissar konnte ihn sofort der Spiegelung zuordnen. Immer wieder blickte der Fremde auf und sah sich im Raum um. Nach einer Weile erklärte Kluftinger: »Es tut mir leid, ich kann’s nicht genau sagen. Ich bin mir aber sicher, dass … irgendwie …«
Maier fror das Bild ein und vergrößerte den Ausschnitt mit dem Unbekannten.
»Also, ich möchte mich nicht einmischen«, meldete sich Kuffler wieder zu Wort, »aber ich glaube nicht, dass das jetzt sonderlich zielführend ist, oder? Es geht uns doch heute um die Sicherheit in Wien. Vielleicht sollten wir einfach noch einmal resümieren, welche Schwachpunkte wir sehen, und die Ausstellungsbesucher außen vor lassen. Sie haben uns ja dafür hergebeten.«
In diesem Moment öffnete sich lautlos die Tür, und Sandy kam mit einem Tablett herein, auf dem zwei Isolierkannen Kaffee und Tee sowie Milch, Zucker und Süßstoff standen. Sie stellte alles neben Roland Hefele auf den Tisch und bat, man möge sich doch selbst einschenken.
»Oh«, flüsterte sie Hefele mit Blick auf die Leinwand zu, »ich dachte, ihr habt hier zu arbeiten, und nun schaut ihr euch die ›Schwarzwaldklinik‹ an? Director’s Cut? Oder Making-of?«
Kluftinger richtete sich in seinem Stuhl auf. »Was haben Sie da gesagt, Fräulein Henske?«
Sandy fuhr mit gerötetem Kopf herum.
»Ich … wieso? Ich meine … nichts, ich … wollte nur einen Scherz machen!«
»Herrschaft, was Sie eben gesagt haben, will ich wissen!«, herrschte Kluftinger sie heftiger an, als er beabsichtigt hatte. »Ich mein, Sie haben doch was von der ›Schwarzwaldklinik‹ gesagt, oder?«
Sandy nickte mit geröteten Wangen.
»Warum?«
»Ach, ist doch egal«, sagte sie kühl, »ich gehe einfach wieder raus. War nur ein blöder Kommentar.«
»Kennen Sie denn die Serie überhaupt?«
»Kennen? Ich war wahrscheinlich einer der größten Sascha-Hehn-Fans jenseits der Saale!«
»Haben Sie das drüben denn sehen können?«
Die Köpfe all seiner Kollegen ruckten gleichzeitig herum und sahen besorgt zur Sekretärin. Deren Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt. »Wissen Sie, Chef …«, setzte sie an, hielt dann inne und winkte ab, »ich dachte nur, weil der Mann da auf der Leinwand aussieht wie dieser Prof. Vollmers aus der Schwarzwaldklinik. Ich sag ja, ein blöder Kommentar. Aber Sie, Sie kommen mir gleich wieder mit diesem verdammischen Ossigelaber. Ach, lassen wir das am besten, es hat doch keinen Sinn mehr«, presste sie schließlich hervor, als sie sich schon zur Tür wandte. Dabei machte sie eine wegwerfende Handbewegung, und Kluftinger konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre Stimme schon wieder einen weinerlichen Klang hatte.
»Jetzt, Frau Henske, warten Sie halt, Sie haben uns doch geholfen damit …«, rief ihr der Kommissar hinterher, doch da fiel bereits die Tür ins Schloss.
»Meine Güte, ist das eine Mimose, seit sie … ach egal!«, brummte er und sah in die Runde. Alle sahen ihn verwundert an.
»Unsere Sekretärin ist … in anderen Umständen und hat gerade ein wenig Stimmungsschwankungen«, erklärte Strobl an die Gäste gewandt.
»O weh, davor ist keine Schwangere gefeit!«, erklärte Frau Brandstätter schmunzelnd.
»Herrgottzack, könnten wir uns mal wieder auf das Wesentliche konzentrieren?«, schimpfte der Kommissar. »Also Folgendes, den Mann, der da steht, wisst ihr, wo ich den gesehen hab?« Er schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Der war in dem Kombi, der damals umgedreht hat vor der Werkstatt! Das war der mit der dunklen Kappe auf! Die haben mich nach der Lackiererei gefragt! Kruzifix, das waren die Täter! Ich Rindviech! Drum wollten die auf den Hof fahren! Und dieser Typ da in Wien, der sich den Burgschatz anschaut, das ist der … der Schutzpatron! Dieser Pizzabote hat ihn doch auch mit diesem Prof. Vollmers aus der Fernsehserie verglichen.«
»Scheiße!«, entfuhr es Hefele, Maier und Strobl stießen die Luft aus, und die Gäste blickten erneut reichlich verwundert drein. »Richie, schalt mal auf die Livebilder, ob der Typ noch da ist!«
»Okay, kein Problem.«
»Wenn ich noch mal kurz einhaken darf«, sagte Kuffler reichlich verwirrt, »Sie sagen, der Mann hat Ähnlichkeit mit irgendeiner Figur aus einer Fernsehserie? Und machen deswegen so einen Aufstand? Außerdem finde ich das jetzt gerade gar nicht! Der hat ja viel längere, stark lockige Haare, der aus dem Fernsehen.« Eva Brandstätter nickte. René Preißler sah unbeteiligt in die Runde.
»Das mag schon sein, Herr Kuffler. Aber Haare kann man abschneiden, oder?«, merkte Kluftinger an. »Ich sage ja auch nur, dass er dem Mann von damals aus dem Auto und diesem Schauspieler ähnlich sieht. Aber was erkläre ich Ihnen das eigentlich? Jetzt lassen Sie uns bitte unsere Arbeit …«
»Da, der Schutzpatron ist noch da! Das ist das Livebild!«, fiel Maier seinem Chef ins Wort. Alle Blicke wanderten wieder zur Leinwand. Tatsächlich sah man den kurz geschorenen Mann jetzt, wie er sich immer wieder den Vitrinen näherte, sich dann abwandte und den Raum zu inspizieren schien.
»Eugen, die Henske soll bitte sofort beim Bydlinski auf dem Handy anrufen. Die Nummer müsste sie ja haben. Und es pressiert, sie soll nicht groß rumflirten!«
Einige Minuten später, sie hatten die Videobilder nicht aus den Augen gelassen, klingelte das Telefon, und Kluftinger hob ab. Von seinem österreichischen Kollegen erfuhr er, dass der sich im Moment sogar in der Nähe des Völkerkundemuseums befand. Er würde gleich mit ein paar Kollegen hinfahren und den vom Kommissar beschriebenen Mann überprüfen, bat jedoch darum, immer über die Videobilder auf dem Laufenden gehalten zu werden. Alle Augen waren nach wie vor auf die Kamerabilder gerichtet. Noch immer schlenderte der Schutzpatron in der Menschenmenge umher.
»Nach wie vor alles mitschneiden, bittschön, gell, Richard!«, bat Kluftinger seinen Kollegen.
»Ich hab bald den Speicher voll. Allzu lang geht das nicht mehr!«
Je länger sie die unspektakulären Bilder betrachteten, desto mehr nahm die anfängliche Aufgeregtheit ab. Kuffler stand auf, erkundigte sich nach der Toilette und verließ kurz den Raum. Kluftinger gab Bydlinski immer wieder telefonisch durch, dass sich an der geschilderten Situation nichts geändert habe. Doch auf einmal schien ein Ruck durch den Mann auf dem Überwachungsbild zu gehen. Er langte in seine Jackentasche, drehte sich ein Stück zur Seite und zog ein Handy heraus.
»Du, Valentin, jetzt telefoniert er. Ja, er gestikuliert und schaut sich immer wieder um. Nickt ab und zu, sagt aber selber kaum was … Nein, immer noch im Ausstellungsraum.«
Eva Brandstätter und René Preißler verfolgten gebannt Kluftingers Gespräch. Sie schienen beeindruckt von der Polizeiermittlung, die sie live beobachten durften.
Auf dem Bildschirm sah man nun, wie der Mann im Museum langsam sein Telefon wegsteckte, wobei immer wieder andere Besucher an ihm vorbeigingen und für einen Moment die Sicht versperrten.
»Die Zielperson geht jetzt zu den langen Vitrinen an der Seite. Ganz normales Tempo. Der schaut sich immer noch den Schatz an. Wo bist du denn jetzt?« Kluftinger hielt die Hand vor die Sprechmuschel und erklärte seinen Kollegen, dass Bydlinski und die Kollegen von der österreichischen Polizei nur wenige Minuten vom Heldenplatz entfernt seien. Dann sah er wieder auf die Leinwand. Es schienen immer mehr Besucher zu werden, die in die Ausstellung strömten. Kluftinger fragte sich ernsthaft, wie Altusried einem solchen Ansturm gewachsen sein sollte. Der Schutzpatron bewegte sich natürlich und unauffällig durch die Menschenmenge.
Wie ein Sportreporter kommentierte Kluftinger am Telefon, was er auf der Leinwand sah: »Jetzt betritt er den langen Gang mit der Fensterreihe. Moment … so, jetzt haben wir ihn vor der anderen Kamera. Schickt’s euch bitte, es schaut so aus, als würde er jetzt in Richtung Garderobe gehen.«
In diesem Bereich waren noch mehr Besucher unterwegs als im Ausstellungsraum, und Kluftinger hatte ein wenig Mühe, den Schutzpatron nicht aus den Augen zu verlieren. Doch wider Erwarten steuerte er nicht die Garderoben an, sondern bewegte sich auf die danebenliegenden Toiletten zu. Er zog die Tür zur Herrentoilette auf, dann war er verschwunden, denn hier endete die Kameraüberwachung.
»Er ist jetzt auf dem Klo«, gab Kluftinger seinem Wiener Kollegen durch.
»Eugen, lass die Garderobenkamera nicht aus den Augen, wir dürfen nicht verpassen, wenn er rausgeht.«
Dann wandte sich der Kommissar an den Chef des Sicherheitsunternehmens: »Herr Preißler, Sie haben da doch den Gebäudeplan vor sich. Gibt es einen Weg, auf dem der Mann unbemerkt entkommen kann, oder muss er denselben Weg nach draußen nehmen?«
Preißler sah stirnrunzelnd auf den Plan, schob ihn dann dem Kommissar zu und sagte: »Also, das Klo ist eine Sackgasse, zumindest sieht alles danach aus. Wenn der Plan stimmt, gibt es da noch nicht einmal ein Fenster.«
»Gut«, sagte Kluftinger nickend. Mit einem Auge hatte er noch immer die Leinwand im Blick. Eine Weile saßen sie so da, und Hefele kommentierte jeden Ausstellungsbesucher, der die Toilette verließ, mit einem »Nein, das ist er nicht!«. Markus Kuffler, der wieder in den Besprechungsraum zurückkam, sah verwundert das WC-Schildchen auf der Leinwand und ließ sich von seiner Kollegin auf den aktuellen Stand bringen.
»Hast du noch genügend Platz auf der Platte, Richie?«, fragte Strobl dazwischen.
»Es wird immer heikler, aber noch ist es im grünen Bereich.«
»Ihr kommt jetzt rein?«, rief Kluftinger plötzlich in den Hörer. »Gut, sofort aufs Klo, Männer.« Dann schaltete er den Lautsprecher ein, und die anderen konnten nun auch Bydlinskis Stimme hören. Kluftinger bekam eine Gänsehaut, als er die Polizisten, zwei Männer und eine Frau in Uniformen, gefolgt von Valentin Bydlinski in Lederjacke und mit Mobiltelefon am Ohr, durch den Kameraausschnitt vor den Kassen laufen sah. Sie riefen den Kassiererinnen etwas zu und schlugen den Weg zu den Toiletten ein. Immer wieder wurden sie von langsam schlendernden Besuchern aufgehalten und mussten sie links oder rechts überholen. Schließlich hatten sie die Toilettentür erreicht.
»So, jetzt geht die Gendarmerie aufs Häusl, und dann schnapp mer uns das Vögerl«, war aus dem Telefon zu vernehmen, und alle Polizisten verschwanden aus dem Bild.
In Kempten wagten die Anwesenden kaum zu atmen. Sie sahen sozusagen einer Live-Krimi-Übertragung zu. Undefinierbare Geräusche drangen aus dem Telefonlautsprecher. Kluftingers Nerven waren aufs Äußerste gespannt. Er hielt es nicht mehr aus, noch länger auf die unbewegte Klotür auf der Leinwand zu starren, schob seinen Stuhl ein wenig vom Tisch weg und stützte die Arme auf den Oberschenkeln auf, das Gesicht auf den Handflächen ruhend. Er fuhr hoch, als ein »Klufti?« aus dem Lautsprecher schepperte.
»Du, also, mir sind hier aufm Häusl, und bis auf den Umstand, dass es hier furchtbar stinkt, ist die Luft quasi rein. Also entweder hat er sich geschwind eingemauert oder runtergespült. Weil Fenster gibt’s eh kans. Habt’s ihr einen Knick in der Optik oder was?«
»Zefix!«, schimpfte Kluftinger. »Er muss da sein, er ist ja nicht rausgekommen seitdem!«