Die Frage nach dem aktuellen Aufenthaltsort des Schatzes stand ein paar Sekunden im Raum, dann sagte Hefele: »Freilich. Das ist ja im Moment noch eine Wanderausstellung. Ich weiß aber nicht, wo.«

»Das wird nicht schwer rauszufinden sein«, sagte Strobl. »Google es doch schnell mal«, forderte er seinen Chef auf.

Kluftingers Augen verengten sich. Wollte Strobl seine PC-Kenntnisse vor den anderen testen? Das konnte er haben. Google war eine Suchmaschine, das wusste er längst. Und er kannte sogar die Adresse: »Wewewe, guggl Punkt de eh«, sagte er langsam, während er die Buchstaben mit zwei Fingern in die Adresszeile tippte. Als die Seite erschien, überlegte er eine Weile, welches Schlagwort er in das Suchfeld eingeben sollte. Sein Sohn hatte ihm erklärt, dass man die besten Ergebnisse erziele, wenn man vollständige Fragen stellte. Also schrieb er: Wo ist der Schatz gerade?

Sekundenbruchteile später erschienen die Suchergebnisse, doch schon beim ersten Überfliegen stellte der Kommissar fest, dass die ihm wohl kaum weiterhelfen würden, auch wenn ihn »die dümmsten Antworten auf die Frage: Schatz, was denkst du gerade?« durchaus interessiert hätten. Schnell war ihm klar, warum die Ergebnisse so nutzlos waren: Er hatte in der Eile vergessen einzugeben, um welchen Schatz es eigentlich ging. Also ergänzte er die Suchfrage: Ich meine den Altusrieder. Doch auch das brachte bis auf den Hinweis auf eine abendliche Gesangsveranstaltung in seinem Heimatdorf und das Angebot, Mitglied der Pilzfreunde e.V. zu werden, keinen Informationsgewinn.

»Und?«, fragte Strobl nach einer ganzen Weile.

»Mei, so direkt jetzt nix«, antwortete Kluftinger. »Scheint, als hätten die das noch gar nicht aufm Netz.«

Seine Kollegen nickten sich mit geschürzten Lippen und hochgezogenen Augenbrauen zu. »Ja, genau. Das wird’s sein«, spottete Hefele.

»Probier doch mal folgende Eingabe«, schaltete sich Maier ein, »Reliquienschatz, heiliger Magnus, Wien.«

»Das ist doch kein ganzer Satz«, konterte der Kommissar.

»Ja, und?«

»Ich mein ja bloß.«

»Soll das heißen, du weißt, dass das Zeug grad in Wien ist?«, fragte Hefele.

»Ha, ich hab’s«, rief Kluftinger plötzlich erfreut aus. »Da steht’s: Ausstellung im Museum für Völkerkunde Wien noch bis 22. September. Legendärer Schatz aus der bayerischen Provinz … aufsehenerregender Zufallsfund aus den Achtzigerjahren … Letzte Station vor der endgültigen Rückkehr in die Heimat. Sogar eine Telefonnummer steht da. Na also.« Er grinste die Kollegen zufrieden an.

»Wir sollten uns wohl mal mit denen in Verbindung setzen«, schlug Strobl vor. »Nicht, dass euch Altusriedern der einzige Schatz, den ihr jemals hattet, ausgerechnet in Österreich geklaut wird. Wobei, das würd ja eigentlich schon irgendwie …«

»Geschenkt, Eugen, geschenkt«, bremste Kluftinger seinen Kollegen. »Also, ich ruf da nachher gleich mal an. Allerdings sollten wir …«, er kratzte sich am Kopf, um die richtigen Worte zu finden, »… auch die Sache mit den Autoschiebern nicht ganz aus den Augen verlieren. Wer weiß, vielleicht gibt es da doch Verbindungen.«

Die Blicke seiner Kollegen verrieten ihm, dass die diesen Vorschlag reichlich seltsam fanden. Sie artikulierten ihre Einwände jedoch nicht, was Kluftinger fürs Erste genügte. Als sie das Büro verließen, klingelte sein Telefon. Die Nummer auf dem Display zeigte ihm, dass sein Chef anrief, der sich sicher erkundigen wollte, wieso er nicht zur Morgenlage zugeschaltet worden war.

»Ja? Herr Lodenbacher, grüß Gott«, eröffnete Kluftinger jovial das Gespräch. »Wie? Nein, wir haben’s ja mehrmals versucht, aber es war immer belegt. Wir wollten mal mit den Kollegen in Österreich Kontakt aufnehmen, Sie wissen ja bestimmt, da wird doch der Schatz gerade ausgestellt … Jedenfalls wollte ich fragen, ob ich da irgendeinen Dienstweg einhalten muss, wegen … ja, verstehe, sehr sensibel, mhm … heikle Sache, natürlich … braucht noch keinen Amtshilfeantrag für einen solchen Informationsaustausch … auf Sie berufen, sicher, das hätte ich natürlich … ja, Pfiagott.«

Kluftinger legte auf. Er war erleichtert, dass ihm die Sache mit der Amtshilfe eingefallen war: Wenn es um solche Dinge ging, vergaß sein Chef sofort Nebensächlichkeiten wie telefonische Konferenzschaltungen.

Anschließend öffnete der Kommissar noch einmal die Internet-Suchseite und gab »Polizei Wien« ein. Die Treffer waren jedoch so zahlreich und unterschiedlich, dass er beschloss, direkt bei der Nummer anzurufen, die auf der Homepage des Völkerkundemuseums angegeben war.

Schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine Frauenstimme mit unverkennbar österreichischem Akzent, den Kluftinger – im Gegensatz zu vielen seiner bayerischen Landsleute – sehr schätzte.

»Ja, grüß Gott, ich ruf wegen dem Schatz bei Ihnen an«, begann er das Gespräch.

»Möchten Sie die Eintrittspreise wissen, oder was? Sie müssen sich eh beeilen, die Ausstellung läuft nur noch heute«, erwiderte die Stimme gelangweilt. Sie hatte diesen Satz heute wohl nicht zum ersten Mal gesagt.

»Nein, nein, danke, die Preise brauch ich nicht. Ich bräuchte nur ein paar Informationen zur Sicherheit Ihrer Ausstellung. Zur Recherche, wissen Sie? Sagen Sie mal, wie sind denn die Sachen geschützt? Ich meine, alarmmäßig?«

Am anderen Ende blieb es eine Weile still. Dann fragte die Frau: »Wie meinen Sie das?«

»Na ja, der Schatz ist ja ziemlich wertvoll. Mir geht es um Ihr Sicherheitskonzept. Bestimmt haben Sie Überwachungskameras, oder? Und was für eine Alarmanlage, wenn ich fragen darf?«

Er hörte die Frau schwer atmen, dann sagte sie plötzlich: »Moment, ich verbinde!«, und schon war sie weg. Während Kluftinger der Warteschleifenmelodie lauschte, einer Elektroorgelversion des Radetzkymarsches, wunderte er sich ein wenig darüber, dass das Gespräch so abrupt zu Ende gegangen war.

»Stadtpolizeikommando Wien«, meldete sich kurz darauf eine männliche Stimme, die um einiges unfreundlicher klang als die seiner vorigen Gesprächspartnerin.

»Kluftinger, grüß Gott, ich habe Ihrer Kollegin schon erzählt …«

»Das war keine Kollegin«, bellte der Mann ins Telefon. »Sie haben Fragen bezüglich der Sicherung der Ausstellungsgegenstände gestellt.«

»Ja, hab ich, ich wollte …«

»Und Sie wollten mehr über den genauen Wert der ausgestellten Gegenstände wissen?«

»Nein, das weiß ich schon, aber ich …«

»Ihre Personalien?«

»Bitte?«

»Ihre Personalien.«

»Also, ich hab schon gesagt, mein Name ist Kluftinger, und ich bin …«

»Wir haben hier Ihre Nummer auf dem Display. Entweder sind Sie sehr gerissen oder sehr dumm. Der Stimme nach zu schließen, tippe ich auf Letzteres. Also bitte: Ihre Personalien.«

Ein paar Sekunden verschlug es dem Kommissar die Sprache. Dann dachte er noch mal über die Gespräche nach und musste sich eingestehen, dass er nicht gerade sensibel vorgegangen war und man durchaus falsche Schlüsse aus seinen Fragen ziehen konnte. Er war einfach nicht richtig bei der Sache gewesen, hatte noch nicht einmal erklärt, wer er war. »Ach so, Entschuldigung, hören Sie, ich bin ein Kollege aus Deutschland …«

»Ja, sicher, und ich Kaiser Franz Joseph.«

Kluftinger seufzte. Er hatte keine Lust, sich mit dem Mann noch weiter auseinanderzusetzen. »Hören Sie«, sagte er sachlich, »ich gebe Ihnen jetzt die zentrale Nummer der Kriminalpolizei aus Kempten im Allgäu. Das ist in Deutschland, in Bayern, um genau zu sein. Sie können die Nummer gern auch überprüfen. Rufen Sie doch bitte da an und lassen Sie sich mit Hauptkommissar Kluftinger verbinden, ja? Das wird mich doch entsprechend legitimieren, denke ich.« Er gab die Nummer durch, legte auf und wartete. Nach einer Minute klingelte das Telefon erneut, und er hob mit den Worten »Kriminalpolizeidirektion Kempten im Allgäu, mein Name ist Kriminalhauptkommissar Kluftinger, was kann ich für Sie tun?« ab.

Am anderen Ende blieb es einen Moment still, dann war eine Stimme zu vernehmen, allerdings nicht wie erwartet mit österreichischem, sondern mit niederbayerischem Akzent: »Herr Kluftinga, so lob ich mir dös. Sie learnen’s ja doch no – Respekt!«

»Herr Lodenbacher, ich … ja, wir setzen eben um, was Sie uns auftragen. Sehen Sie, Sie brauchen gar nicht in unserer Nähe zu sein, es läuft trotzdem alles. Jetzt muss ich aber leider auflegen, ich erwarte noch einen Anruf von den österreichischen Kollegen.«

Der Präsident gab ihm noch den Namen eines »hochrangigen« Freundes, wie er betonte, bei der Wiener Polizei durch, bei dem Kluftinger sich notfalls auf ihn berufen könne, dann legte er zufrieden auf.

Sofort klingelte das Telefon wieder, und diesmal war es wirklich der erwartete Anruf aus Wien, allerdings meldete sich diesmal ein sehr viel freundlicher klingender Kollege, der sagte, er werde ihn mit dem Zuständigen verbinden.

Nach einer weiteren Minute in der Warteschleife, die Kluftinger diesmal von der Zithermusik aus Der dritten Mann versüßt wurde, was er angenehm selbstironisch fand, wurde der Hörer erneut abgenommen. Statt einer Begrüßung hörte er jedoch erst einmal seltsame Geräusche, die ihn annehmen ließen, die Leitung sei gestört. Dann identifizierte er sie jedoch als eine Mischung aus Husten, Schnauben und Röcheln, und er verzog angewidert das Gesicht. Erst als Kluftinger schon kurz davor war aufzulegen, sagte eine trotz des exzessiven Räusperns noch immer belegte Stimme: »Bydlinski?«

Kluftinger grinste. Das schien ein recht gängiger Name in Österreich zu sein, denn auch er hatte einmal einen Kollegen kennengelernt, der so hieß und zu dem das unappetitliche Japsen gerade eben auch gut gepasst hätte.

»Guten Tag, Herr Kollege, mein Name ist Kluftinger, ich bin Hauptkommissar bei der Kripo Kempten im Allgäu, Deutschland, ich wollte …«

»Jöh, i werd narrisch, der Klufti! Na, also so was, wirklich, heast!«

Die Irritation Kluftingers über die vertrauliche Anrede währte nur kurz, denn jetzt erkannte er die Stimme wieder, und sofort kehrten die Erinnerungen an die nicht immer ganz einfache Zusammenarbeit mit dem Kollegen zurück. Er hätte allerdings nicht mehr sagen können, ob sie sich geduzt oder gesiezt hatten, deswegen versuchte er eine Anrede elegant zu umschiffen.

»Ja, so was … wie man sich doch manchmal wiedertrifft …«

»Ich find’s leiwand, dass du dich mal wieder meldest. Wie geht’s denn allweil? Und was macht die Sandy?«

Der Kommissar erinnerte sich, dass der Österreicher nach ihrem Fall noch einige Zeit regelmäßig im Allgäu vorbeigeschaut hatte, um dort seine Sekretärin zu besuchen. Sollte er vielleicht der Vater …? Aber was ging ihn das an? An solchen Spekulationen beteiligte er sich nicht – und außerdem hatte er Wichtigeres zu tun. »Gut. Und Sandy geht es auch gut. Den Umständen entsprechend … Aber was machst … machen … was treibt einen Bydlinski nach Wien?« Schließlich hatte der österreichische Kollege damals beim Landespolizeikommando in Innsbruck gearbeitet.

»Mei, ich hab halt Heimweh gehabt. Tirol, das ist auf Dauer nix für einen wie mich! Weißt du, wir Wiener, wir sind einfach ein besonderer Menschenschlag.«

Das ist mir nicht entgangen, dachte Kluftinger. »Ja, schon klar. Und jetzt … ist man für Ausstellungen zuständig?«

»Hm? Wer ist zuständig?«

Der Kommissar sah ein, dass es zu kompliziert werden würde, das Gespräch ohne direkte Anrede zu führen, und entschied sich deshalb, Bydlinskis vertraulichen Ton zu übernehmen. »Du bist für die Ausstellung im Völkerkundemuseum zuständig, hat man mir gesagt.«

Ein paar Sekunden blieb es still. »Das ist ja das erste Mal, dass du mich auch duzt. Bist ja gar nicht mehr so verdruckst wie früher! Ja, ich bin zuständig. Es gibt nicht so viele Polizisten, die sich für Kunst interessieren, da hat sich das ergeben. Warum, was gibt’s denn?«

Kluftinger gab ihm eine kurze Zusammenfassung der Lage. Als er fertig war, pfiff sein Gesprächspartner durch die Zähne.

»Jetzt liegt natürlich die Vermutung nahe, dass die auch bei euch vorbeischauen könnten«, schloss der Kommissar.

Bydlinski fackelte nicht lange: »Weißt was: Ich fax dir gleich die sicherheitsrelevanten Unterlagen durch. Und den Code, mit dem du dich in die Überwachungskameras einloggen kannst. Dann könnt ihr euch so zumindest mal einen gewissen Überblick verschaffen. Du hast doch in deiner Abteilung eh so einen Technikfreak, so ein penetrantes Gscheithaferl, wie hieß der gleich noch mal?«

Maier, dachte Kluftinger, sagte aber: »Keine Ahnung, wen du meinst.« Dann verabschiedete er sich herzlich, denn er war dem Österreicher für seine unbürokratische Hilfe ehrlich dankbar. Allerdings musste er sich eingestehen, dass er bei ihrer gemeinsamen Arbeit genau wegen dieser flexiblen Auslegung der Vorschriften mehr als einmal die Beherrschung verloren hatte. Wie sich die Sichtweise doch manchmal ändert, dachte er.

Als er aufgelegt hatte, rief er seine Sekretärin zu sich: »Sandy, halten Sie mir bitte das Fax frei, ich bekomme wichtige Unterlagen aus Österreich geschickt. Vom Bydlinski, den kennen Sie doch auch noch, gell?« Er grinste. Als Sandy keine Miene verzog, ergänzte er: »Na ja, mit dem haben Sie doch mal …«

»Was denn?« Ihre Augen funkelten angriffslustig.

Kluftinger schluckte. »Sie wissen schon, ge…arbeitet.« Schwangere Frauen waren tickende emotionale Zeitbomben. »Egal, war ja auch schon lange bevor Sie hier, also …«

»Was?«

Der Kommissar blickte auf die Uhr: »Oh, ich muss dann auch mal wieder weiter … dings. Und Sie müssen ja jetzt sicher auch viele neue Verwaltungs…sachen erledigen. Rufen Sie aber bitte vorher noch die die Kollegen rein.«

Einige Minuten später hatten sich alle um die gefaxten Unterlagen versammelt, darunter Pläne des Ausstellungsraumes und schematische Zeichnungen der Alarmanlage. Sie sahen sie sich lange Zeit wortlos an, bewegten ihre Köpfe hin und her, drehten die Pläne mal in die eine, dann wieder in die andere Richtung. Dabei vermieden sie jeglichen Augenkontakt.

»Vielleicht sollten wir die Spezialisten aus der Arbeitsgruppe auch hinzuziehen?«, durchbrach Kluftinger schließlich die Stille.

Sein Vorschlag wurde mit großem Hallo begrüßt: »Tolle Idee«, sagte Hefele, und Strobl schlug ihm sogar anerkennend auf die Schulter.