Einige Wochen zuvor
»Ihr wisst«, begann der kräftige, durchtrainierte Mann mit der auffallend tiefen Stimme, »dass ich euch heute hierhergebeten habe, weil ihr auf eurem Gebiet die Besten seid. Verlasst euch drauf, ich werde euch fürstlich entlohnen für eure Arbeit. Aber bildet euch nicht zu viel ein – ihr alle seid nur kleine Rädchen in einem großen Getriebe – allein könnt ihr überhaupt nichts ausrichten!«
Er ging in der alten Werkstatt auf und ab, die nur durch eine einzige Neonröhre an der Decke schwach beleuchtet wurde. Vor ihm saßen sechs Männer und eine junge Frau auf hölzernen Werkbänken mit ölverschmierten alten Maschinen.
Irgendwie passte er nicht so recht in dieses Ambiente. Hätte man ihn auf der Straße gesehen, man hätte ihn für einen biederen Beamten halten können, mit seiner braunen Tuchjacke, der Bundfaltenhose und seinen schwarzen Halbschuhen. Wären da nicht diese wachen, blitzenden Augen in seinem zerknitterten Gesicht gewesen. Die anderen hingen an seinen Lippen, wirkten angespannt: Einer kaute nervös auf den Fingernägeln herum, ein anderer, ein besonders groß gewachsener, kräftiger junger Mann, leckte sich unablässig über die Lippen. Sie wussten alle, mit wem sie es hier zu tun hatten, auch wenn sie ihn zuvor nicht alle persönlich gekannt hatten.
»Für diejenigen, mit denen ich zum ersten Mal zusammenarbeite: Es gibt ein paar Prinzipien, die mir sehr wichtig sind. Verschwiegenheit ist oberstes Gebot und Grundvoraussetzung, ich erwarte außerdem Disziplin, Fleiß, Präzision, Einsatz, Ehrlichkeit.« Beim letzten Wort lachten sie, doch er blieb ernst. »Und nicht zuletzt Respekt. Vor mir und meinen Entscheidungen, über die ich nicht diskutieren werde, und untereinander. Ich möchte, dass wir als Team arbeiten, und dazu gehört ein respektvolles Miteinander. Wir haben eine schwierige Aufgabe vor uns, aber dazu später. Zuerst müsst ihr wissen, mit wem ihr es im Team zu tun habt. Ich bringe jedem von euch dasselbe Vertrauen entgegen, also enttäuscht mich nicht. Ihr würdet es ohnehin bitter bereuen.« Er sagte das alles kühl, sachlich, und wirkte tatsächlich ein bisschen wie ein Beamter.
Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen und einen nach dem anderen anzublicken. »Sollten sich einige von euch untereinander schon kennen, dann vergesst eure richtigen Namen. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, bei jedem Projekt neue Pseudonyme zu verwenden – und bin immer gut damit gefahren. Eure erste Aufgabe wird es sein, euch die neuen Namen einzuprägen – und zwar so, dass sie euch in Fleisch und Blut übergehen. Mich werdet ihr ab sofort nur noch Sankt Magnus, euren Schutzpatron, nennen.«
Sie blickten sich überrascht an. Einer kicherte, doch ein eisiger Blick des imposanten Mannes ließ ihn sofort verstummen. »Wenn wir uns besser kennen, dürft ihr das ›Sankt‹ vielleicht weglassen«, fuhr er spöttisch fort. »Magnus ist der Schutzpatron des Allgäus – das werdet ihr nicht wissen, denn besonders religiös wirkt ihr nicht gerade. Ich werde euch jetzt einem nach dem anderen die Namen zuordnen, gleichzeitig stelle ich euer Fachgebiet vor. Echte Identitäten habt ihr ab sofort nicht mehr, kapiert?«
Die Männer und die Frau nickten eifrig, einige murmelten »Verstanden« oder ein leises »Ja«.
»Also, dann passt gut auf. Ladys first«, sagte Magnus und nickte der attraktiven Frau zu, die nun ihre Wollmütze abnahm und so den Blick auf kurz geschnittene dunkle Haare freigab. Ihre Bewegungen wirkten geschmeidig, und sie zog die Blicke ihrer männlichen Kollegen auf sich.
»Unsere Santa Lucia hier ist die Elektrik- und Elektronik-Fachfrau. Lucia ist die Schutzpatronin der Elektriker – und der wenigen Frauen, die es auf diesem Gebiet gibt. Unsere Lucia ist eine absolute Koryphäe, und ich erwarte, dass ihr euch zotige und dumme Sprüche spart, ja?«
Lucia nickte in die Runde. Zwei der Männer sahen sich grinsend an, was ihnen jedoch sofort einen tadelnden Blick des Anführers einbrachte.
Dann sah Magnus zu dem blassen, schmächtigen, fast jungenhaften Mann von vielleicht dreißig Jahren, der neben Lucia saß. Er kaute auf den Fingernägeln, seine Haare waren kurz geschoren, und mit seinen übertrieben langen Koteletten sah er ein wenig aus wie ein Relikt aus den Siebzigerjahren. Unruhig wippte er immer wieder vor und zurück, als sein Name genannt wurde.
»Gut. Unser Sankt Christophorus, Schutzpatron der Fährmänner, wird dafür sorgen, dass wir immer heil und schnell ans Ziel kommen. Er wird sich auch um die unauffällige Beschaffung eines kleinen Fuhrparks kümmern und notfalls Reparaturen oder Modifikationen vornehmen.«
Christophorus grinste kurz, dann kaute er wieder an seinen Nägeln.
»Neben ihm Servatius, der Mann für Schlüssel und Schlösser. Übrigens einer der Eisheiligen. Ihr wisst vielleicht: Pankraz, Servaz, Bonifaz. Aber das nur am Rande. Ein absoluter Experte. Wundert euch nicht, wenn ihr mal einen Schlüsseldienst ruft, und er kommt – Sankt Servatius ist tagsüber unbescholtener Geschäftsmann und Handwerker!«
Der dunkelhaarige Südländer sah mit zusammengekniffenen Augen in die Runde und nickte nacheinander jedem der Anwesenden zu.
»Neben ihm sitzt unser Goldschmied, Sankt Agatha. Zu seiner genauen Aufgabe später mehr.«
Der untersetzte Mann, den man eher für einen Huf- als einen Goldschmied gehalten hätte, fuhr hoch. Seine Augen funkelten, die Lippen begannen zu beben, und sein Kopf nahm binnen Sekunden eine rötliche Färbung an.
Magnus hob beschwichtigend die Hände: »Leider ist der Patron deiner Berufsgruppe eine Patronin. Nix für ungut, aber das ist jetzt halt so.«
Grinsen machte sich auf den Gesichtern breit, einige lachten kurz auf.
»Alles klar! Kann mir mal einer sagen, was dieses Kinderspiel hier soll? Dieses Heiligengedöns?« Dem Mann fiel es sichtlich schwer, nicht endgültig die Beherrschung zu verlieren. »Ich lass das nicht mit mir machen!« Schnaubend stand er vor Magnus.
Der sah ihn mit stoischer Ruhe an und sagte: »Entweder Sankt Agatha, oder du spielst nicht mit bei unserem kleinen Krippenspiel. Aber ich kann dir schon jetzt prophezeien, dass du es bereuen würdest.«
Agatha schien eine Weile mit sich zu kämpfen. Noch immer atmete er schwer, ballte die Fäuste, um schließlich eine wegwerfende Handbewegung zu machen und sich wieder auf die Werkbank zu setzen. »Schon gut, von mir aus! Aber wenn eine von euch Missgeburten lacht, dann Gnade euch Gott!«
»Gut«, fuhr der Schutzpatron fort, »schön, dass wir das so schnell klären konnten. Kommen wir also zum Nächsten. Ein Mann mit unfassbarer Körperbeherrschung. Auch wenn sein Spitzname sonst ›Die Spinne‹ ist, lernt ihr ihn heute als heiligen Georg, den Märtyrer, kennen, Schutzpatron der Artisten.« Der drahtige Mann, von dem Magnus gesprochen hatte, sah freundlich lächelnd in die Runde und nickte dem Schutzpatron anerkennend zu. Er war so klein, dass er gut und gerne als Jockey hätte arbeiten können.
»Kommen wir zu den letzten beiden.«
Alle sahen nach rechts, wo noch ein grauhaariger, stämmiger Mittfünfziger und ein muskelbepackter, hellblonder Hüne saßen. »Zunächst unser Fachmann für alle Baufragen: Sankt Wunibald.« Magnus grinste, als er merkte, wie wenig begeistert der Grauhaarige über seinen Namen war. Aber nach der Episode von eben hielt der es offensichtlich für klüger, den Mund zu halten. »Er wird nicht nur alle baulichen Fragen klären – er kennt sich auch mit der Praxis aus.«
»Kann man so sagen«, bestätigte der Grauhaarige.
»Und schließlich gilt es noch einen umzutaufen, den die meisten von euch als ›Das Viech‹ kennen dürften. Für seine … nun ja, Tätigkeit gibt es nicht direkt einen Schutzpatron. Deswegen wollen wir ihm der Ordnung halber den Namen des Schutzherrn der Verbrecher und Diebe geben: Nikolaus von Myra.« Der grobschlächtige Blondschopf schien zufrieden. Er lächelte und gab dabei eine lückenhafte Zahnreihe preis.
»Eine Frage«, meldete sich Lucia. »Wieso das mit den Heiligennamen? Hat das was mit unserem Projekt zu tun?«
Magnus sah sie lange an, und die anderen erwarteten bereits einen Wutausbruch von ihm, da entgegnete er sanft: »Ja und nein. Ja, es hat was mit unserem Projekt zu tun. Und nein, weil ich das mit den Heiligen immer so mache.«
Lucia legte die Stirn in Falten. »Aha. Und warum?«
Magnus’ Gesicht wirkte plötzlich hart und grau. Er seufzte: »Fragen zu stellen ist nicht eure Aufgabe, jedenfalls nicht solche. Aber lasst mich so viel sagen: Ich habe meine Gründe. Die liegen lange zurück. Zu lange, um darüber zu reden. Ich hab der Kirche viel zu verdanken.« Bei dem letzten Satz nahm sein Gesicht wieder freundliche Züge an. »Aber nicht so, wie ihr denkt. Die Kirche hat mich unfreiwillig reich gemacht. Dank der Schätze, die dieser niederträchtige Zusammenschluss bigotter, macht- und sexgeiler Männer über die Jahrhunderte zusammengerafft hat und die ich ihr weggenommen habe …«
Magnus wischte sich über den Mund. Er hatte mehr gesagt, als er eigentlich wollte. »Nun gut. Kommen wir also zur Vorstellung unseres kleinen gemeinsamen Projekts.«