19

Lauf, !Koga! Lauf!

 

Lauf schneller als der Schatten, der über die Erde rast, wenn die Sonne stirbt.

 

Max’ Worte kreisten wie ein Mantra in !Kogas Kopf. Und er lief und lief, schneller und weiter als jemals zuvor. Der Himmel wechselte die Farbe, das Land wurde kühler, die Tiere begannen zu jagen, aber ! Koga machte nur halt, um ein paar Schlucke Wasser zu trinken. Er ignorierte das Knurren der Löwen, die sich an einem erlegten Tier labten, er scheuchte eine Herde Springböcke auseinander und er störte die Elefantenhorde, die sein Herannahen und Verschwinden mit Trompetenstößen begleiteten.

Erst als die morgendlichen Sonnenstrahlen ihre belebende Wärme verbreiteten, stoppte !Koga. Er roch den Rauch von brennendem Holz, ehe er ihn aus dem Schornstein des Polizeipostens aufsteigen sah. Der quaderförmige Bungalow mit zwei Räumen, rotem Blechdach und verstaubtem Mauerwerk stand genau in der Mitte eines ausgedörrten Gebiets, das von Maschendraht umzäunt war. Davor stand ein Fahnenmast. Schlaff wie ein Schal hing daran die Flagge Namibias.

Er wartete eine Stunde, bis sich dort etwas bewegte. Dann sah ! Koga zwei Polizisten, die gerade aufgestanden waren und sich an ihre tägliche Arbeit machten. Er entdeckte eine Stange aus Metall, die in den Himmel ragte: eine Funkantenne, mit der Hilfe geholt werden konnte.

Als er sich vorsichtig auf die Polizisten zubewegte, roch er den Duft von frischem Kaffee und gebratenem Fleisch. Sein grummelnder Magen erinnerte ihn daran, wie wenig er in den letzten Tagen gegessen hatte. Die Polizisten waren vermutlich vom Herero-Stamm, aber er würde Afrikaans mit ihnen sprechen, die gemeinsame Sprache der einst unterdrückten Völker Namibias. Ein Polizist in Unterhemd und Boxershorts stand an dem Gasflaschenherd vor dem Bungalow und bemerkte !Koga, ehe der etwas sagen konnte. ! Koga blieb wie angewurzelt stehen. Das konnte einen feindseligen Empfang geben. Die Behörden hier waren Buschmännern gegenüber nicht immer freundlich gesonnen.

Der Mann aber bewegte die Bratpfanne hin und her, als wollte er ein Tier anlocken. »Willst du nicht zu mir kommen und etwas essen, Junge?«

!Koga lief das Wasser im Mund zusammen, denn in der Pfanne lag ein dickes saftiges Steak. Er schüttelte den Kopf, rückte aber näher. Vielleicht war diese freundliche Geste ein gutes Zeichen. Der Polizist lächelte zwar nicht, sah aber auch nicht allzu aggressiv aus. Er drehte das Steak um, und dann kam der zweite Mann nach draußen und wischte sich mit einem Handtuch Reste von Rasierschaum aus dem Gesicht. Er sah seinen Kollegen kurz an, der daraufhin mit den Schultern zuckte.

»Alles in Ordnung, Junge?«, rief der Rasierte. Beide Polizisten wirkten allerdings nicht sonderlich besorgt. ! Koga trat näher. Er hob die Hand und zeigte ihnen die Armbanduhr.

»Es geht um den weißen Mann, der vermisst wird. Ich habe seinen Sohn getroffen. Er schickt mich zu Ihnen, damit ich Hilfe hole.«

Die Männer horchten auf. »Wir haben von dem vermissten Mann und seinem Sohn gehört. Die Zentrale hat schon nach ihm gesucht«, sagte der Polizist mit der Bratpfanne.

»Viele Leute aus meinem Volk sind gestorben. Und dieser Junge … Max … mein Freund … ist auch tot.«

Wieder sahen die beiden Männer sich an. Da tauchte hier mitten in der Wildnis jemand auf und brachte Neuigkeiten von genau den Leuten, wegen denen ihr Boss in Walvis Bay alle alarmiert hatte. Wenn sie jetzt keinen Fehler machten, konnten sie sicher mit einer Beförderung rechnen.

!Koga, der ein paar Meter von ihnen entfernt stehen geblieben war, nahm die Uhr ab und warf sie ihnen zu. »Das ist die Uhr seines Vaters, zum Beweis, dass ich seinen Sohn getroffen habe. Hintendrauf steht sein Name.«

Einer der Polizisten fing die Uhr auf, kontrollierte die Inschrift und reichte sie seinem Partner. Und wieder sahen sie sich an. Die Uhr war echt, kein Zweifel.

!Koga hielt die hydrologische Karte hoch. »Ich muss mit Kallie van Reenen sprechen. Sie ist auf Brandts Farm. Nur sie kann jetzt helfen. Auf diesem Papier kann man sehen, wo die Leute gestorben sind.«

Die Polizisten besprachen sich leise und nickten schließlich. »Wo ist die Leiche des Jungen?«

»Er ist in das Ungeheuer gestürzt und wurde verschlungen. Das Ungeheuer hat ihn unter die Erde geholt.«

Das war das Problem mit diesen Buschmännern, dachten die beiden Männer: ihre verrückten Vorstellungen von bestimmten Orten draußen in der Wildnis. Spukgeschichten von Orten, wo Menschen sich in Tiere verwandelten oder wo der Erdboden einen verschlingen konnte. Rationales Denken gehörte nicht gerade zu ihren Stärken, und das war einer der Gründe, warum die Regierung solche Schwierigkeiten mit ihnen hatte, wenn es darum ging, wo sie jagen durften und wo nicht. Es war besser für alle Beteiligten, wenn sie einfach dort blieben, wohin man sie umgesiedelt hatte.

!Koga war so müde wie noch nie in seinem ganzen Leben. Der duftende Kaffee und das Essen ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Die Polizisten lächelten, und der Koch nahm mit einer Gabel das Steak aus der Pfanne. »Komm, Junge, wir kümmern uns darum. Du brauchst jetzt erst mal was zu essen, nicht wahr?«

Ja, !Koga brauchte etwas zu essen und er brauchte Schlaf, auch wenn die Trauer um Max noch immer wie ein schwerer Felsen auf ihm lag. Er hatte getan, worum Max ihn gebeten hatte, und vielleicht gab es jetzt eine Chance, Max’ Vater zu retten. Er ging ein paar Schritte vor und hockte sich hin. Einer der Männer stellte ihm den Teller mit dem Steak hin.

»Du solltest mir das Papier für diese Kallie van Reenen geben, dann kann ich meinen Leuten sagen, dass sie sie suchen sollen.«

»Das geht nicht, ich muss es ihr selbst geben, hat Max gesagt.« Er griff nach dem Steak, aber der Polizist hielt ihn am Handgelenk fest.

»Gib mir das Papier«, sagte er kalt und lächelte plötzlich nicht mehr. Dieser Bursche oder seine Leute könnten den weißen Jungen getötet haben, vielleicht auch seinen Vater. Die Uhr war ein Beweis dafür, und das Papier könnte sich als enorm wichtig herausstellen.

!Koga ging zu Boden und wälzte sich im Sand, aber der Mann hielt ihn mit eisernem Griff fest. Der andere kam dazu, warf ihn auf den Bauch und rammte ihm ein Knie in den Rücken. !Koga ächzte vor Schmerzen und hielt die Faust fest um die Karte geschlossen, aber der Mann war zu stark und bog seine Finger mühelos auseinander.

»Na schön, bring ihn in die Zelle, bis wir alles geregelt haben.«

Sobald sie die Karte hatten, lockerte einer der Polizisten seinen Griff und nahm das Knie von !Kogas Rücken. !Koga wand sich wie eine Schlange. Seine Hand fand die Gabel, und er rammte sie dem anderen in den nackten Fuß. Mit einem Schmerzensschrei ließ der Polizist ihn los, aber nur wenige Augenblicke später stürzten sie sich beide auf ihn. Doch ! Koga war schneller. Er rannte durchs Tor und blieb nicht mehr stehen. Die Männer gaben nach wenigen Metern auf. So schnell, wie er lief, konnten sie ihn sowieso nicht einholen, und bis sie ihren Jeep gestartet und die Verfolgung aufgenommen hätten, wäre er längst im Gelände verschwunden. Wozu die Mühe? Sie hatten die Karte und die Uhr, und ihr Boss, Mike Kapuo in Walvis Bay, würde sehr zufrieden sein.

Der Polizist mit der Gabel im Fuß war allerdings nicht so glücklich. Er hatte höllische Schmerzen und großen Hunger – der Buschmann-Junge hatte sein Steak geklaut.

 

Max ging auf Schernastyn los. Auch wenn es zu spät war, er musste es wenigstens versuchen. Irgendwo hörte er ein Tier knurren. Schernastyn machte eine hastige Bewegung und blieb mit seinem weißen Kittel in den Griffen des Rollstuhls hängen. Es gab einen Ruck, der Rollstuhl schleuderte herum, Schernastyn stolperte darüber, und gerade als er sich wieder gefangen hatte und auf den Alarmknopf schlagen wollte, stürzte sich Max auf ihn. Der Mann geriet in Panik. Max war so entschlossen, ihn aufzuhalten, dass alles andere vergessen war. Er hatte den Tunnelblick. Und das Knurren, das er gehört hatte, kam von ihm selbst. Zähnefletschend starrte er Schernastyn an. Der Mann wurde ohnmächtig.

Max kniete sich vor seinen Vater. »Dad, ich bin’s. Max. Ich habe dich gefunden.«

Tränen brannten ihm in den Augen, und er wischte sie weg. Tom Gordon sah seinen Sohn endlos lange an, aber schließlich lächelte er.

»Max?«, flüsterte er kaum hörbar.

»Ja, Dad, ich hole uns hier raus. Und Hilfe ist unterwegs.« Auch wenn er selbst nicht allzu überzeugt davon war.

»Max?«, sagte Tom Gordon, der noch nicht ganz begriffen hatte, dass sein Sohn jetzt plötzlich bei ihm war. »Was machst du hier?«

»Ich habe deine Nachricht bekommen. Ich habe die Zeichen gefunden, die du für mich hinterlassen hast.«

»Max … ich verstehe nicht.«

Max, bestürzt darüber, wie schwach sein Vater schien, berührte ihn am Arm. Er war immer so stark und voller Energie gewesen, und jetzt war er so hilflos. Max lächelte ermutigend. »Wir müssen etwas finden, wo wir uns für eine Weile verstecken können. Das ist alles«, sagte er und packte die Griffe des Rollstuhls. Aber Tom Gordon langte nach hinten und fasste seinen Sohn am Handgelenk.

»Noch nicht.«

»Was? Dad, wir müssen hier raus!«

Sein Vater schüttelte den Kopf. »Noch nicht«, wiederholte er ernst.

Max sah in die Richtung, in die Tom Gordon mit zitternder Hand zeigte. Die Tür hatte sich bei Max’ Angriff geschlossen. Konnte er diesen Arzt zu dem Sensor schleifen, mithilfe seiner Handfläche die Tür öffnen und seinen Vater rechtzeitig herausbringen?

»Du brauchst ihn«, sagte sein Vater und schüttelte den Kopf, als versuche er, sich an etwas zu erinnern.

»Dad, was ist? Was haben die mit dir gemacht?«

»Gedächtnis«, sagte sein Vater unsicher. »Ich … ich habe … Kräuter und so was … geschluckt … Zeug … das die Buschmänner mir gegeben haben … musste …«

Er verstummte. Max wartete, er wusste nicht, was er tun oder sagen sollte, aber die Zeit lief ihnen davon. »Dad, wir müssen hier weg, es gibt keine andere Möglichkeit.«

Sein Vater nickte und suchte mühsam die Worte zusammen, die er brauchte. »Musste mein Gedächtnis löschen … so gut es ging … habe sie reingelegt … Pass auf, Junge … Hör zu … Die wollen das … Beweismaterial. Alles … Ich habe es versteckt … Es ist hier … mein Landrover.«

»Dein Landrover ist hier?«

Max’ Vater war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Was auch immer sie mit ihm gemacht hatten, es behinderte seine Wahrnehmungs- und Sprachfähigkeiten sehr.

»Dad! Wo? Wo ist er?«

Tom Gordon schwitzte, die Anstrengung, wach zu bleiben, zehrte gewaltig an seinen Kräften.

»Großer Hangar … nicht weit … bei einem Ventilator … vielleicht ein Generator …«

Das musste auf der nächsthöheren Ebene sein. Max erinnerte sich an die Wasserrohre, die vom Überlaufbecken im Keller nach oben geführt hatten. Das klang irgendwie logisch. Hier waren sie noch unter der Erde, und die nächste Etage lag vermutlich ebenerdig. Von da könnten sie dann nach draußen. Sollte es ihm gelingen, dort hinzukommen, seinen Vater zu verstecken und das Beweismaterial zu finden, hätten sie immerhin etwas zum Verhandeln, falls sie geschnappt wurden. Zumindest konnten sie etwas Zeit herausschinden.

»Wo ist der Beweis, Dad? Wo ist er?«

»Landrover …«

»Okay, verstanden. Aber wo? Hinter einer Abdeckung? Im Ersatzrad? Wo?«

Der Kopf seines Vaters sank nach vorn, seine Lippen bewegten sich kraftlos. Max hielt sein Ohr ganz dicht daran. »Wasserdicht … Wasser … dicht …«

Max nahm das Gesicht seines Vaters in beide Hände. »Dad, meinst du dicht am Wasser? Ich weiß, dass es vergiftet ist, ich habe die hydrologische Karte gefunden. Aber wo, wo ist der Beweis?«

Aber sein Vater hatte das Bewusstsein verloren.

Also, was jetzt? Wo konnte er seinen Dad verstecken, bis er ihn abholen konnte? Am besten gleich hier. Hier, wo er die ganze Zeit gewesen war, und wenn jemand nachsehen kam, läge er in seinem Bett.

Er schob seinen Vater in das Zimmer und schaffte es mit einiger Mühe, ihn auf das Krankenhausbett zu legen. Er schlich zurück auf den Korridor und kam zu einem Raum, der offensichtlich das Büro des Arztes war. Max sah sich um. Er entdeckte eine Kaffeemaschine, einen halb vollen Becher mit kaltem Kaffee, der einen kreisrunden Fleck auf dem Schreibtisch hinterlassen hatte, sowie einen kleinen Kühlschrank. Darin befanden sich zwei Becher Joghurt, eine Schale Reis und eine Packung Milch. Max verschlang alles mit ungebührlicher Hast und stieß zum Abschluss einen dröhnenden Rülpser aus. Zeit zu verschwinden.

»Dr. Ilja Schernastyn verlässt den Kontrollbereich«, sagte die Frauenstimme.

So heißt du also, dachte Max, als er die Hand des immer noch bewusstlosen Mannes in dessen Schoß zurücklegte und ihn durch die Tür schob, denn er hatte Schernastyn mit Pflasterstreifen an den Rollstuhl gefesselt und ihm auch noch den Mund zugeklebt.

Der Aufzug kam, die Tür glitt auf, und Max rollte seine Ladung hinein. Es gab vier Etagen, wie er der Anzeigetafel entnahm. Vom Keller bis zur vierten Etage waren die Knöpfe eindeutig beschriftet, und dann gab es noch einen fünften Knopf, an dem stand: Privat: codierter Zugang. Das waren sicher Shaka Changs Räume. Max drückte auf den ersten Knopf. Der Aufzug bewegte sich mit schwindelerregendem Tempo. Wieder glitt die Tür auf. »Erdgeschoss. Fahrzeugwartung. Fahren Sie vorsichtig, Dr. Schernastyn. Auf Wiedersehen.«

Max schob den Rollstuhl langsam in eine Höhle, die ein Hangar zu sein schien. Offenbar hatte man sie aus dem massiven Felsgestein herausgesprengt und zu einem hochmodernen Arbeitsbereich ausgebaut. Von irgendwoher kamen Musik und das Klappern eines Schraubenschlüssels. Die Schiebetore des Hangars standen offen. Das gleißende Sonnenlicht spiegelte sich im polierten Fußboden und sorgte für halbwegs ausreichende Beleuchtung.

Inder Mitte des Hangars stand ein zweimotoriger Jet. Staubschutzhüllen bedeckten die Lufteinlässe. An dem glänzenden schwarzen Rumpf entlang zog sich eine Zierlinie bis zur Heckflosse, wo sie in Shaka Changs Firmenlogo überging – Stoßspeer und Kobra. Die hochstehenden Flügelspitzen ließen das Flugzeug hochmodern erscheinen. Max schätzte die Spannweite auf gut zwanzig Meter. Trotzdem war noch jede Menge Platz für andere Fahrzeuge. Skeleton Rock hatte was von einem Eisberg, dachte Max. Die meisten Dinge sind erst unter der Oberfläche zu erkennen. Und wenn man die technische Ausrüstung hier sah, war das Fort bestimmt auch so tödlich wie es ein Eisberg für so manchen Seefahrer sein konnte.

Die Rollstuhlreifen quietschten, als Max sich nach rechts wandte. Er schlich sich dicht an der Wand entlang und ging hinter zwei schwarz lackierten Hummern in Deckung, auf denen ebenfalls das Wappen Shaka Changs prangte. Ein Strandbuggy und ein glänzender Helikopter, ebenfalls schwarz, standen weiter vorne. Das Ganze war vermutlich Shaka Changs Spielzimmer, und sein Spielzeug war teuer. Nicht weit von den Toren des Hangars entfernt wischten sich zwei Mechaniker die Hände ab und traten von der offenen Motorhaube eines Segelflugzeugs zurück. Offenbar machten sie Pause. Einer der beiden schaltete das Radio aus, dann verschwanden sie nach draußen. Das kleine Flugzeug, dessen Flügel auf Stützblöcken lagen, wirkte wie eine vom Licht geblendete Motte.

Vom Landrover seines Vaters war nichts zu sehen. Max schlich weiter und erblickte am Ende eines zehn Meter langen, in den Felsen gehauenen Gangs, der breit genug für einen Lastwagen war, einen kleineren Raum mit einem Durchgang. Von dort kam er in einen Hangar, der so makellos sauber war wie der große, aber eher für den Alltag gedacht schien; hier gab es Regale mit Ersatzteilen, einen Flaschenzug, schweres Hebegerät und zwei Inspektionsgruben. In der Ecke gegenüber, etwas außer Sichtweite, schimmerten die dunklen Monitore einer riesigen Motordiagnoseeinheit – so etwas kannte Max nur aus den Boxen bei der Formel 1. Ein großer Ventilator, vergittert und an die Wand geschraubt, drehte sich träge und füllte den Raum mit gekühlter Luft. Ein halbes Dutzend Motorräder und zwei Pick-ups standen ordentlich aufgereiht an der hinteren Wand, daneben noch mehrere Quads und zwei sehr elegante Strandsegler, Klasse 3. Ultramodern und mit lenkbarem Vorderrad und zwei festen Hinterrädern. Das spitz zulaufende Segel nutzte jede Brise und konnte den schlanken Kevlarrumpf auf rund hundertzwanzig Kilometer die Stunde beschleunigen.

Ein Freund hatte Max einmal als Helfer zu einem Strandrennen in North Devon mitgenommen und ihn auch selbst fahren lassen. Das berauschende Gefühl, nur vom Wind getrieben so dicht über dem Erdboden dahinzurasen, hatte er nie vergessen. Aber diese Erinnerung störte jetzt nur. Er musste sich darauf konzentrieren, den Landrover seines Vaters zu finden.

Am Ende dieses Hangars war wieder eine Öffnung, und Max lief darauf zu. Sie führte ins Freie und konnte ebenso wie der andere Hangar sein Fluchtweg sein. Er blieb im Schatten und spähte hinaus. Vom großen Hangar aus sah man die weite Ebene, aber diese Seite des Forts stand am Rand eines Plateaus, das zum Fluss hin abfiel. Das passte. Der Fluss wurde offenbar vom Atem des Teufels gespeist, denn Max sah Sumpfgras und Sandbänke, auf denen Krokodile lagen. Aus der Öffnung führte ein schmaler Schienenstrang eine Rampe hinunter, an deren Ende ein Motorboot festgemacht war. Doch in dem Rumpf aus mattiertem, hauchdünnem Fiberglas klaffte dicht über der Wasserlinie ein hässliches Loch, und wie es aussah, hatte bereits jemand damit begonnen, es zu reparieren. Den Schaden musste etwas sehr Scharfes, das über enorme Kraft verfügte, angerichtet haben. Man konnte sich leicht vorstellen, was das gewesen war.

Zur Reparatur musste das Boot zweifellos die Rampe hochgezogen werden; da unten daran zu arbeiten, war viel zu gefährlich – die Krokodile konnten verdammt unangenehm werden. Als Fluchtweg blieb Max demnach nur die Wüste, in voller Sichtweite des Forts.

Schernastyn kam zu sich, aber der Schreck darüber, an einen Rollstuhl gefesselt zu sein, wandelte sich schlagartig zu Unterwürfigkeit, als Max sich über ihn beugte und sagte: »Ein Mucks, und Sie rollen diese Rampe hinunter und können sich die Fesseln von den Krokodilen aufbeißen lassen.«

Schernastyn riss die Augen auf und nickte heftig. Er hatte gesehen, wie der Fahrer und andere Männer an diese Monster verfüttert worden waren. Max zog ihm das Klebeband vom Mund. Die Barthaare, die dabei herausgerissen wurden, machten ein Geräusch, als würde Max einen Klettverschluss öffnen. Tränen traten in Schernastyns Augen. »Was haben Sie mit meinem Vater gemacht?«

Schernastyn verzog das Gesicht und öffnete den Mund so weit, dass er aussah wie ein Baby, das gleich zu schreien anfängt. »Das war ich nicht«, jammerte er. »Ich habe nur getan, was Mr Chang mir gesagt hat.«

»Ach, dann ist es in Ordnung, das kann ich Ihnen ja nicht übelnehmen.«

»Nicht?«, sagte Schernastyn, erstaunt über die Großzügigkeit des Jungen.

»Nein, natürlich nicht. Ich hefte Ihnen einen Zettel an die Brust, damit die Krokodile wissen, dass sie Ihnen nicht wehtun dürfen.«

Für den Bruchteil einer Sekunde schien Schernastyn das tatsächlich ernst zu nehmen, aber dann überwältigte ihn wieder die Angst.

»Was haben Sie ihm gegeben?«

»Verschiedenes. Medikamente. Er hatte etwas geschluckt, was ihm die Buschmänner gegeben hatten. Das konnte ich bei den Blutuntersuchungen nicht identifizieren. Aber es schaltete offenbar Teile seines Gedächtnisses aus. Ich habe alles versucht. Doch er war sehr, sehr störrisch. So störrisch, dass ich die Dosis verdoppeln musste. Er hat einen so starken Willen, er hat solchen Widerstand geleistet, und das hat mich so ärgerlich gemacht, dass ich …« Schernastyn hatte sich von der Erinnerung an die Fähigkeit dieses Patienten, seinen Bemühungen standzuhalten, hinreißen lassen. Er sah Max’ wütendes Gesicht, spürte, wie er den Rollstuhl auf die Rampe zuschob, und holte so hastig Luft, dass er würgen musste. »Nein!«, stotterte er. »Paradyoxinalthymiat! Ein Medikament im Versuchsstadium!«

Max hielt den Rollstuhl an und trat wieder vor ihn. »Gibt es ein Gegenmittel?«

Schernastyn schnitt eine Grimasse und zuckte zusammen. »Ich könnte versuchen, eins zu entwickeln«, murmelte er in dem vergeblichen Versuch, seine Haut zu retten.

Gut, wenn Max seinen Vater hier herausgeholt hatte, gab es bestimmt irgendwo einen anderen Wissenschaftler, der ihm helfen konnte. »Wo ist der Landrover meines Vaters?«

»Dahinten durch.«

Schernastyn deutete mit dem Kinn auf eine Seitenwand des kleinen Hangars. Der Fels glänzte im Licht, das von draußen hereinfiel, so hell, dass der im Schatten liegende Eingang zu dem Nebenraum kaum zu erkennen war. Diese riesigen unterirdischen Räume konnten nur mit schwerem Gerät, wie es beim Tunnelbau verwendet wurde, ausgehöhlt worden sein, aber das war für Shaka Chang bestimmt kein Problem gewesen; durch das große Staudammprojekt im Norden verfügte er über alles, was er brauchte. Max nahm eine Rolle Klebeband von einer Werkbank und wickelte es Schernastyn um den Mund.

Max hatte Fotos und Filme von Ermittlungsarbeiten nach Flugzeugabstürzen gesehen, von Experten, die die Wrackteile wieder zusammensetzten, und genau so ein Anblick bot sich ihm – in kleinerem Maßstab –, als er Schernastyn in den Raum nebenan schob. Der Landrover war bis zur letzten Schraube und Mutter auseinandergebaut. Das Fahrzeug war komplett zerlegt. Die Einzelteile hatte man auf einer riesigen Plane auf dem Fußboden ausgebreitet. Der Motorblock, in mehrere Stücke zersägt, lag in der Mitte. Max ließ Schernastyn stehen und schritt langsam um das ausgeweidete Gerippe herum. Das war eindeutig das Werk von Fachleuten, und wenn die nichts gefunden hatten – was konnte er dann noch tun? Er ließ den Blick über das Ganze schweifen und konzentrierte sich dann auf die einzelnen Teile dieses Puzzles. Da war nichts mehr, was noch ein Geheimnis enthalten konnte.

Changs Geier hatten alles kahl gefressen.