17

Max schwebte wie auf einem Luftkissen. Er sah !Koga verschwinden, spürte mehr, als dass er es hörte, wie das Wasser brausend unter ihm aufstieg, und stürzte in der nächsten Sekunde in eine graue Suppe aus Gischt und Nebel. Dunkler und dunkler wurde der bizarre Strudel aus Gedanken und Panik in seinem Kopf.

Sie hatten das große Schwimmbad in der Stadt besucht, und das Fünfzehnmeterbrett stellte den Mut auf eine harte Probe. Es gab ein paar Jungen, die von da oben sprangen, aber die meisten fanden eine Ausrede, um gar nicht erst die dreistöckige Treppe hinaufzusteigen. Aber Max konnte einer Herausforderung einfach nicht aus dem Weg gehen, besonders wenn sie von Baskins und Hoggart kam. Solltet ihr das hinkriegen, kann ich das auch, hatte er auf Hoggarts Aufforderung geantwortet.

Baskins hatte sich beim Rugby an der Schulter verletzt und durfte nicht springen. Also waren Max und Hoggart alleine hinaufgeklettert. Oben angekommen, war Max überrascht, wie hoch fünfzehn Meter tatsächlich waren. Von unten hatte es gar nicht so schlimm ausgesehen, aber als er jetzt auf dem zwei Meter breiten Sprungbrett stand und sich am Geländer festklammerte – Gott, das ging ja unglaublich tief runter! Wahnsinn! So hatte er sich das nicht vorgestellt. Er bekam weiche Knie, und die Knochen seiner Hände traten weiß hervor. Max sah, dass Hoggart offenbar noch mehr Angst hatte als er selbst, denn ihm stand der Mund offen, und er starrte angestrengt nach oben, als versuche er, den Abgrund unter sich gar nicht erst wahrzunehmen. Zum Glück hatte Max seine Angst besser unter Kontrolle.

Diese beiden älteren Jungen würden ihn nie in Ruhe lassen, die waren nun mal so, und Max nahm an, wenn er jetzt buchstäblich den Sprung ins kalte Wasser wagte, wäre er sie wahrscheinlich ein für alle Mal los.

Er nahm die Hände vom Geländer, drehte sich zu Hoggart um und sagte: »Wer als Letzter springt, ist ein Feigling.« Und ohne weiter nachzudenken, sprang er hinunter.

Er ruderte mit den Armen und strampelte mit den Füßen und fiel und fiel, sein Magen zog sich zusammen, immer und immer wieder, und dann schlug er auf …

Das Wasser saugte ihn ein. Der Atem des Teufels war jetzt ein schäumendes Gebrodel, durch das er immer weiter in die Tiefe sank. Kurz sah er den Tunneleingang und dann wieder Felsgestein. Zwanzig Meter war er bestimmt schon gefallen, als das aufsteigende Wasser seine Abwärtsbewegung stoppte.

Instinktiv hatte er die Luft angehalten, als das Wasser von allen Seiten nach ihm griff; es schien in verschiedene Richtungen zu strömen und drückte und zerrte an ihm mit gewaltiger Kraft.

Von oben drangen einzelne Lichtstrahlen zu ihm durch, als er wie in einer riesigen Waschmaschine hin und her geworfen wurde, und nach einigen Sekunden meldete ihm sein Gehirn, dass es keinen Sinn hatte, gegen die Urgewalt dieser Wassermassen anzukämpfen. Er musste sich ihnen ergeben. Er durfte sich nicht dagegen wehren. Je mehr er um sich schlug, desto geringer waren seine Überlebenschancen.

Überleben? Schon explodierte seine Lunge, der Schmerz, den der Druck auf seinen Ohren verursachte, war kaum auszuhalten, und er wurde herumgeschleudert wie eine Ratte im Maul eines Terriers. In der Hoffnung, dem Wasser weniger Angriffsfläche zu bieten, rollte er sich zusammen, aber das machte alles nur noch schlimmer, denn als er die Knie an die Brust zu ziehen versuchte, drückte er auch noch den letzten Rest Luft aus seiner Lunge. Max biss die Zähne zusammen und schluckte krampfhaft, um das Verlangen zu unterdrücken, einfach tief Luft zu holen, aber das lenkte ihn auch nur vorübergehend von den stechenden Schmerzen in seiner Brust ab. Das war das Ende.

Im Schwimmbad konnte er, wenn er sich Zeit ließ, um seine Lunge ordentlich mit Luft zu füllen, und dann mit einem kraftvollen Kopfsprung startete, mit aller Mühe eine komplette Fünfzigmeterbahn tauchend zurücklegen. Hier aber wurde er zusätzlich von einer Art mächtiger Brandung umhergeworfen. Die wilde Strömung zerrte ihn unablässig hin und her. Seine Beine fühlten sich an, als würden sie aus ihren Gelenken gerissen, und seine Arme schlackerten umher wie lose Taue.

Totale Finsternis. War sie in seinem Kopf oder da draußen? Er wusste es nicht. Die letzten Reste seines Bewusstseins wandten sich an Gott, an seine Mutter und seinen Vater und verdichteten sich schließlich zu einem verzweifelten inneren Hilferuf an alle, die ihn womöglich hören konnten – egal wer, Hauptsache, ihm wurde geholfen. Und hinter dem flackerte die Erinnerung daran auf, dass er fliegen konnte. Er konnte das doch. Einfach aus dem Wasser in die Höhe schießen und fliegen. Dann wäre er frei. Dann könnte er wieder atmen.

Aber die Kraft hatte ihn verlassen.

Er musste den Mund aufreißen und Wasser schlucken. Würgen und Erbrechen wären die Folgen, und dann würde er sterben, aber er hatte keine Wahl, seine brennende Lunge würde ohnehin gleich platzen.

Plötzlich veränderte sich etwas. Schaumflocken schlugen ihm ins Gesicht – und das hieß, da war Luft. Es war fast völlig dunkel, aber über ihm schimmerte es grau, und er stieß die Arme durch das brodelnde Wasser nach oben. Er war sich sicher, dort oben war Luft! Er krümmte den Rücken und versuchte strampelnd hochzukommen. Als sein Kopf durch die Wasseroberfläche stieß, schlug ihm donnernder Lärm entgegen, ein Brausen wie von einem Wasserfall, und er schoss mit rasender Geschwindigkeit dahin, aber immerhin war sein Gesicht ganz aus dem Wasser heraus. Er atmete gierig, verschlang die Luft. Der Schmerz in seinem Brustkorb ließ nach, und sosehr seine Lunge auch brannte, er sog die Luft in hastigen Zügen ein.

Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass er dahingetrieben wurde wie auf einer Wasserrutsche. Er befand sich in einer gewölbten Höhle, die zur Hälfte mit Wasser gefüllt war, das ihn mit sich fortriss. Hauchdünne Lichtstrahlen drangen durch Ritzen über ihm. Er schoss weiter wie auf einer Wildwasserbahn, und wenn er sich in eine halbwegs stabile Lage brachte, konnte er vielleicht verhindern, wieder nach unten gezogen zu werden. Wie weit die rasende Strömung ihn schon getragen hatte, war unmöglich abzuschätzen, aber das bisschen Licht, das von dem schäumenden Wasser reflektiert wurde, erlaubte ihm immerhin, ein paar Hundert Meter nach vorn zu sehen.

Das Brausen des Wassers, verstärkt durch die Tunnelwände, betäubte ihn, dennoch konnte er seine Gedanken so weit ordnen, dass er begriff, was mit ihm geschah und wo er jetzt war. Die Fluten hatten ihn genau in den Eingang geschwemmt, der das Ziel seiner Kletterpartie gewesen war. Und jetzt zog ihn die Strömung durch den Tunnel, an dessen Ende die rotierenden Schaufeln einer Turbine auf ihn warteten. Selbst wenn er nicht abgestürzt und hinuntergeklettert wäre, hätte die unerwartete Sturzwelle ihn erwischt und fortgerissen. Wahrscheinlich hätten ihn die mit ungeheurer Wucht in den Tunnel einschießenden Wassermassen sogar zerschmettert. Durch seinen Sturz aber war er zu einem Teil dieser Massen geworden und mit ihnen getrieben, und das war seine Rettung gewesen.

So schnell es ging versuchte er, sich in seiner Umgebung zu orientieren. Eine gewölbte Höhle – gut zwanzig Meter hoch? Darüber unregelmäßige Gesteinsschichten mit vielen Ritzen und Spalten, aus denen von sehr weit oben einzelne Lichtstrahlen drangen. Die Wände glatt geschliffen vom Wasser, das seit Jahrtausenden hindurchströmte, und da er bis jetzt noch keinen Boden unter den Füßen gespürt hatte, war das Wasser offenbar ziemlich tief. Sonst würde es auch sicher nicht eine solche Wucht entwickeln.

Er trieb an einem Höhlensystem vorbei. Links und rechts öffneten sich kathedralenartige Gewölbe, doch in ihnen verlief sich nur ein geringer Teil der Wogen, die Max mit sich trugen. Das war kein Touristenausflug. So fantastisch und beeindruckend diese Höhlen sein mochten, er kämpfte immer noch ums Überleben. Sein Gehirn funktionierte wieder, und er unternahm jetzt den Versuch, Einfluss auf die Richtung zu nehmen, in die er sich bewegte. Ein Bein nach unten gestreckt, konnte er ein wenig steuern, und wenn er dazu kontrolliert mit den Armen arbeitete, konnte er sich fast im Kreis drehen. Etwas zuversichtlicher, weil er diese turbulente Tour jetzt wenigstens ein bisschen beeinflussen konnte, spähte er durch das Dämmerlicht nach vorne. Früher oder später würde er eine lebenswichtige Entscheidung zu treffen haben, denn unabhängig davon, wohin dieses Wasser strömte und verschwand, er würde es höchstens hundert Meter vorher zu sehen bekommen. Und die Wände waren so glatt, dass er praktisch keine Chance hatte, aus diesem unterirdischen Strom herauszuklettern, und schon gar nicht bei diesem Tempo.

Er spannte die Muskeln in Armen und Beinen an. Einen nach dem anderen. Alles schmerzte, funktionierte aber noch. Nichts gebrochen, nichts gerissen. Mit Schmerzen konnte er fertig werden. Er hatte Glück gehabt.

Das Tosen des Wassers ließ nach, je weiter er ins Innere der Erde vordrang, und jetzt registrierte er auch, dass er sich gar nicht abwärtsbewegte, sondern dass ihn allein die Wucht und Masse des Wassers voranspülte. Es war immer noch so tief, dass er keinen Boden unter den Füßen spürte. Sein Atem ging wieder ruhig, das Schwindelgefühl hatte sich gelegt. Sein Kopf war klar, aber dann geriet er plötzlich in stockdunkle Finsternis, in die kein Licht von oben fiel, und er atmete tief durch. Es war unheimlich, und es dauerte eine Weile, bis es wieder hell genug wurde, sodass er die Felsen und die weiß schimmernden Reflektionen der Wasseroberfläche sah.

Die Geräuschkulisse hatte sich verändert: Er hörte ein Summen – ein tiefes Brummen, das sich in das Gurgeln des Wassers gemischt hatte. Max spähte besorgt nach vorn. Da das Geräusch von den Wänden zurückgeworfen wurde, war es unmöglich festzustellen, wie nah er der Quelle dieses Summens war. Aber er wusste, am Ende des Tunnels waren die rotierenden Turbinenschaufeln des Generators, der den Strom für Skeleton Rock erzeugte, und wenn er da hineingeriet, würde er zu Hackfleisch verarbeitet werden.

Vor ihm machte der Tunnel eine Biegung, um die das Wasser strudelnd herumschoss wie um die Haarnadelkurve einer Rennstrecke. Max wurde mitgerissen und versuchte, sich über Wasser zu halten, als sich der Strom in der Kurve überschlug. Jetzt hatte er einen schwarzen Tunnel vor sich, und ganz weit vorne zeichnete sich ein grünlicher Lichtschimmer ab. Ein blinzelndes Auge. Von oben kam kein Licht mehr; das grüne Leuchten am Ende des Tunnels war äußerst schwach und das Summen hatte sich zu einem kräftigen Brummen gesteigert. Jetzt war es so weit. Dieses sich rasch nähernde Licht musste von den Maschinen kommen. Ihm blieben höchstens noch dreißig Sekunden, um aus dieser Achterbahn auszusteigen.

Er zog und schob sich von einer Seite zur anderen, glitt aber immer wieder an den Wänden ab. Der Tunnel verengte sich, sodass die Strömung, die auf die Turbinenschaufeln zuführte, immer stärker wurde. Max versuchte verzweifelt, die Größe des Generators am Ende des Tunnels abzuschätzen, vielleicht war da ja eine Lücke, ein Zwischenraum, irgendetwas, auf das er zuhalten konnte, aber das grün leuchtende Monster verschlang alles.

Das blinzelnde Auge kam immer näher, und jetzt erkannte er auch, was es war: Die Schaufeln rotierten so schnell, dass das Licht dahinter flackerte. Ein hypnotisierender Anblick – nicht nur die rasende Rotation, sondern auch die riesige Maschine selbst, die die ganze Höhle ausfüllte. Groß wie ein Frachtcontainer. Das Leuchten wurde von den Tunnelwänden auf die Wasseroberfläche reflektiert und schimmerte dort in mattgrünen Fäden.

Gegen die Wucht der hinter ihm drängenden Wassermassen konnte Max nichts ausrichten. Ihm blieben nur noch Sekunden, und sein Gehirn akzeptierte einfach nicht, dass er absolut keine Überlebenschance mehr haben sollte. Dann sah er einen der grünen Fäden nach rechts abgleiten, als laufe er, vier Meter vor den alles zermalmenden Schaufeln, direkt in die Wand hinein. War das nur eine Sinnestäuschung? Nein, das Wasser verschwand tatsächlich in einer Ritze, die sich von oben nach unten durch die Wand zog – ein enger Spalt, kaum breit genug, dass er dort hindurchpasste, aber er musste es versuchen!

Er stieß den rechten Arm ins Wasser, spürte, wie es an ihm zerrte, und kämpfte mit aller Kraft gegen die Strömung an; versuchte – auch wenn es ihm nicht völlig gelang – den Lärm der rotierenden Klingen zu ignorieren, die wie ein gewaltiger Schiffspropeller in das Wasser droschen, und schrie so laut er konnte, was neue Energie in seinem Körper freisetzte. Er trudelte wild umher und krachte mit der Schulter an die raue Wand der Felsspalte. Binnen Sekunden wurde das Wasser ruhiger. Eine Gesteinswand dämpfte das Brausen hinter ihm, der reißende Strom verlief sich, und jetzt spürte er zum ersten Mal groben Sand und Kiesel unter seinen Füßen. Und dann war das Wasser plötzlich so still wie ein Dorfteich.

Er gelangte auf etwas, was sich wie ein schmaler Strand anfühlte. Es war stockdunkel, bis auf das matte Leuchten aus dem Haupttunnel, das aber kaum bis zu ihm durchdrang. Hauptsache, er war aus dem Wasser heraus! Die Luft hier stank wie in einem feuchten Keller, aber verglichen mit dem brüllenden Lärm zwanzig oder dreißig Meter hinter ihm war dies ein geradezu lauschiges Plätzchen.

Er versuchte, auf dem knirschenden Kies aufzustehen, doch seine Beine trugen ihn nicht. Sein Magen krampfte sich zusammen, er würgte und erbrach sich, hauptsächlich Wasser. Er musste das Zeug literweise geschluckt haben – jedenfalls kam es ihm so vor. Besser, so viel wie möglich davon loszuwerden. Im Sitzen massierte er seine Beine, bis sie allmählich warm wurden, dann richtete er sich langsam auf. Diesmal blieb er stehen. Die Schulter tat ihm weh, aber das war wohl nur eine Prellung. Er wartete, starrte in die Dunkelheit, aber da war nicht viel zu erkennen. Das Wasser stand hier nahezu unbewegt, während es im Haupttunnel mit donnerndem Getöse in den Generator brandete. Er spürte einen leichten Luftzug, offenbar von der rotierenden Turbine verursacht.

Max starrte noch angestrengter in die Finsternis, irgendwo musste doch wenigstens ein bisschen Licht aus dem Tunnel hereinfallen. Aus einem Spalt ragte etwas heraus, was wie spitze krumme Äste aussah. Wahrscheinlich waren sie aus den Tiefen des Kraters nach oben geschwemmt und vom Wasser hierhergespült worden und hatten sich schließlich am Eingang dieser Nebenhöhle verfangen. Vielleicht konnte er einen dieser Äste benutzen, um sich darauf zu stützen, während er das Wasser nach einem Ausweg absuchte. Er tastete sich an der Wand entlang ins Wasser zurück. Als er in die Höhle geschleudert worden war, hatte er diese Äste nicht gesehen. Sie waren lang und gebogen und spitz genug, ihn zu durchbohren, wenn sie ihn getroffen hätten. Er griff nach einem davon und spürte an der glatten Oberfläche – das war gar kein Holz. Das waren Knochen! Das war der Brustkorb eines großen Tiers, die Rippen eines Gnus oder Spießbocks. Offenbar war das Tier in den Atem des Teufels gestürzt, hatte dieselbe schreckliche Reise wie Max durchlebt, war hier hängen geblieben und ertrunken. Nur der Brustkorb war zurückgeblieben, und die meisten Rippen waren abgebrochen und spitz wie tödliche Dolche. Vielleicht konnten sie ihm noch nützlich sein. Er zerrte an der Rippe, die am wenigsten gebogen war. Sie löste sich, und er tastete sich damit zur Kiesbank zurück.

Was jetzt? Eigentlich müsste er die Höhle genauer erforschen, aber je länger er darüber nachdachte, desto weniger reizvoll erschien ihm diese Idee. Es war viel zu dunkel, und wenn er ausrutschte und sich verletzte, war es aus mit ihm. In seiner rechten Schulter pochte jetzt schon ein heftiger Schmerz, und sein ganzer Rücken war von der wilden Fahrt durch den Tunnel aufgeschürft.

Ursprünglich hatte er vorgehabt, zum Eingang des Tunnels hinunterzuklettern und auf diesem Weg zum Fort zu gelangen. Und das war immer noch sein Ziel, aber solange das Wasser diese tödlichen Klingen rotieren ließ, hatte er keine Chance. Doch irgendwann musste sich das Wasser wieder zurückziehen, schließlich brach der Atem des Teufels nur in verhältnismäßig weiten Abständen aus, und zwischendurch gab es bestimmt eine ruhige Phase, in der nur sehr wenig Wasser durch den Tunnel strömte. Er würde sich in den Haupttunnel zurücktasten und nachsehen, ob es möglich war, sich durch die Turbinenschaufeln zu zwängen. Zufrieden mit seinem Plan, auch wenn dieser sehr gefährlich war, hatte Max auf einmal furchtbaren Durst, aber das dreckige Wasser roch zu widerlich, und er hatte bereits alles erbrochen, was er zuvor davon geschluckt hatte. Also würde er sich jetzt zusammenreißen und einfach abwarten, bis die Strömung nachgelassen hatte.

Das grüne Leuchten wurde immer schwächer und schwächer. Das entsetzliche Chaos im Tunnel verebbte, und das Summen legte sich. Plötzlich war alles still. Die strömende Flut schlug nicht weiter gegen die Tunnelwände, und der Fluss verbreitete nicht mehr Schrecken als ein englischer Kanal an einem schönen Sommertag.

Zum ersten Mal bemerkte er jetzt, wie feucht es in der Höhle war, und lauschte dem Plätschern von Kondenswasser, das in den stillen Teich tröpfelte. Er wagte nicht, sich jetzt auszuruhen. Er fürchtete nicht nur, in dieser Finsternis einzuschlafen, sondern wusste auch, dass seine Muskeln, wenn er sich jetzt nicht von seinen letzten Adrenalinresten vorwärtstreiben ließ, bald völlig schlappmachen würden. Und dann würde er es niemals schaffen, noch irgendwo hindurchzukriechen. Nein, er musste sich dieser Turbine stellen, denn dahinter konnte nur der Generatorraum sein und darüber das Fort und in dem Fort sein Vater.

Er wollte gerade wieder in den Teich steigen, als er im Wasser eine Bewegung wahrnahm. Eine winzige Welle. Jetzt schon deutlicher. Diese Welle konnte nur bedeuten, dass sich etwas im Wasser bewegte. Etwas, was das Wasser vor sich herschob und zielstrebig auf ihn zukam.

Er strengte seine Augen an, um zu erkennen, ob auf dem Strand irgendetwas zu sehen war, aber er sah nichts. Dann aber regte sich in dem schwachen Licht doch etwas. Es war etwas Glitschiges. Wie eine riesige weiße Schnecke. Dann sah Max noch eine. Und noch eine.

Die Wellen im Wasser nahmen zu. Was auch immer das für Wesen waren, sie hatten sich vor den wütenden Wassermassen hierher verkrochen, und jetzt, da sich alles wieder beruhigt hatte, kamen sie aus den schwarzen Tiefen hervor.

Verzweifelt versuchte er zu erkennen, was das für Tiere waren. Erst als mit nun schon lauterem Platschen eine weitere dieser weißen Riesenmaden ins Wasser glitt, erkannte er, was da auf ihn zukam.

Albinokrokodile. Sie hatten noch niemals Tageslicht gesehen, blinde Nachkommen gewöhnlicher Krokodile, die irgendwann hier nach unten geschwemmt worden sein mussten. Sie hatten überlebt und sich vermehrt, ihre Körper hatten sich an die dunkle Umgebung angepasst, sie hatten Sehvermögen und Farbe verloren und lebten von Kadavern, die durch den Tunnel angespült wurden.

Sie mussten nicht sehen können; sie konnten Fleisch riechen, und sie konnten die Bewegungen eines verzweifelten Lebewesens wahrnehmen.

Und Max war beides.