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Wie ich wurde, was ich bin

»Werde, der du bist!«, forderte Nietzsche ebenso tiefgründig wie widersprüchlich. Was wir sind, ist verschüttet, untergegangen in Erwartungen, Konventionen und falschen Überzeugungen. Wir befreien es, indem wir unserer Berufung folgen und der leisen Stimme in uns, die sich immer wieder meldet.

Als ich klein war, träumte ich davon, Tänzerin, Ärztin, Stewardess oder Pilotin zu werden. Beim Tanzen hieß es, ich sei zwar begabt, aber für eine Profitänzerin schon als Kind viel zu groß. Da ich leider kein Blut sehen kann, schied auch der Berufswunsch Ärztin bald aus. Doch der Wunsch, mich um andere Menschen zu kümmern und sie »gesund zu machen«, blieb, und so war mir bereits mit etwa zwölf Jahren klar, dass ich Seminare geben und Menschen |17|beraten wollte. Aber ich wollte auch die Welt sehen. Die Berufsberaterin in der Schule »überzeugte« mich, dass Stewardess nichts für eine Abiturientin sei; für eine Pilotenausbildung wiederum reichte meine Sehkraft nicht aus. Ich ignorierte meine innere Stimme, die lauthals protestierte, und entschied mich für einen »vernünftigen« Beruf – ich ging zu einer Bank. Die starren Strukturen und die undurchschaubaren Hierarchien eines Großunternehmens waren mir bald sehr zuwider, also suchte ich mir doch noch einen Job bei einer Fluggesellschaft und machte damit zumindest einen Teil meines Kindertraums wahr. Da mir aber die intellektuelle Herausforderung fehlte, entschied ich mich, Psychologie zu studieren. Mein Leben lang hatten sich andere Menschen bei mir Rat geholt und mich in Krisen um Hilfe gebeten. Ich fand, es war an der Zeit, das zu professionalisieren. Ich nutzte meine Studienjobs, um in die Berufe und Unternehmen reinzuschnuppern, die mich interessiert haben. Danach wusste ich nur sicher, was ich alles nach Abschluss meines Studiums nicht tun wollte. Eines Tages fiel mir das Programm eines ganzheitlichen Seminaranbieters in die Hände und ich wusste sofort: Das will ich! Programme schreiben, organisieren, Referenten und Teilnehmer betreuen, das machte mir riesigen Spaß. Ich lernte alles über das Seminargeschäft und kam mit vielen »Gurus« dieser Welt zusammen. Es war eine spannende, lebendige Zeit.

Nach Abschluss meines Studiums fand ich eine Stelle in einem großen Weiterbildungsunternehmen, wo ich Personalentwicklungsprogramme konzipierte, plante, organisierte, verkaufte und Trainer dafür auswählte – ein anspruchsvoller, herausfordernder Job, der mich ganz in Beschlag nahm. Ich machte weitere Ausbildungen in Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung und Projektmanagement, immer in der Hoffnung, das zu finden, was mir wirklich entsprach. Die grobe Richtung stimmte, doch ständig hatte ich das Gefühl, dass ich meinen Weg noch nicht ganz gefunden hatte. Statt in Ruhe darüber nachzudenken, stürzte ich mich aber in noch mehr Arbeit. Die Quittung ließ zwar auf sich warten, aber sie kam – |18|ich wurde krank. Dann wurde die Abteilung, in der ich arbeitete, aufgelöst. Ich wechselte die Firma und war begeistert von meinem neuen Job. Es dauerte eine Weile, bis mir wirklich klar wurde: Ich war erfolgreich, aber unglücklich. Ich hatte zwar immer noch Spaß daran, Kunden zu beraten und Konzepte zu entwickeln, aber meinen eigenen Anspruch, Menschen individuell in ihrer Entwicklung zu begleiten und selbst Seminare zu geben, konnte ich in der Position nicht erfüllen. Eine erneute Umstrukturierung nutzte ich, um zu gehen und endlich dem Ruf meiner inneren Stimme zu folgen.

Seitdem bin ich als Coach und Trainerin selbstständig – und glücklich. Jetzt lebe ich meine Berufung. Anderen Menschen beim Aufspüren ihres Weges und ihrer eigenen Berufung die richtigen Fragen zu stellen, sie zu inspirieren, ihnen Mut zu machen und Impulse zu geben, ist das, was ich in meinem Innersten schon immer wollte. Ich begleite Menschen dabei, den Beruf und die Lebensumstände zu finden, die sie glücklich machen und kann mir nichts Schöneres vorstellen. Noch immer arbeite ich viel und gerne, jetzt aber entspannt, in schöner Umgebung und auf meine Art.

Dass auch Sie den Job finden, der Sie glücklich macht, dass Sie werden, wer Sie sind, das wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen. Nur Mut, es ist leichter, als Sie denken!