Kapitel 23

 

Und, hat irgendjemand Trytian gefunden?« Ich saß mit fest eingewickeltem Oberkörper in der Küche. Sharah hatte mir sechs bis sieben Wochen strengste Ruhe verordnet. Meine Knochen würden schneller heilen als die eines VBM, aber sie brauchten dennoch ihre Zeit. Die Küche war immer noch ein Trümmerhaufen, praktisch alles war zerstört worden. Aber die schlimmste Sauerei war schon beseitigt, und die Männer waren fleißig dabei, die Schäden zu reparieren.

Iris kochte Tee, Menolly schwebte unter der Decke. Die Jungs ruhten sich im Wohnzimmer aus, bis auf Vanzir, Trillian und Shade, die zu uns in die Küche gekommen waren.

Camille schüttelte den Kopf. »Nein, und offen gestanden bin ich bereit, ihn in Ruhe zu lassen, solange er uns in Ruhe lässt. Er hat es nicht darauf abgesehen, Schattenschwinges Platz einzunehmen, so wie Stacia. Ich wünschte, wir könnten ihm das irgendwie mitteilen.« Sie lehnte sich an Trillian, der die Arme um sie schlang und sie auf den Kopf küsste.

»Dafür kann ich sorgen«, sagte Vanzir. »Ich bringe die Nachricht im dämonischen Untergrund in Umlauf, und sie wird sich bis zu ihm herumsprechen. Ich kann den Scheißkerl nicht leiden, seit er versucht hat, uns in die Luft zu jagen, aber wenn er bereit ist, uns unsere Arbeit machen zu lassen und sich um seinen eigenen Kram zu kümmern ... von mir aus.«

»Was ist mit Van und Jaycee?« Ich fand es grässlich, die Liste der Feinde durchzugehen, die noch frei herumliefen, aber wir durften sie nicht vergessen: Sie waren irgendwo da draußen, und sie hatten es auf uns abgesehen.

Schulterzuckend antwortete Camille: »Ich weiß es nicht. Wir halten eben die Augen offen. Wir sollten die Zauberläden infiltrieren und alle wissen lassen, dass wir nach ihnen suchen. Dann können wir nur hoffen, dass sie sobald wie möglich weiterziehen werden. Stacias Trainingslager wird sich vermutlich auflösen, oder Trytian übernimmt es. Wir sollten auch in dieser Richtung die Ohren offen halten.«

Iris brachte mir eine Schüssel Cheetos und ein Glas Milch. »Aus Mitleid, wegen deiner Rippen«, erklärte sie.

»Du hast mir deine Geschichte noch gar nicht erzählt«, entgegnete ich.

Sie zuckte mit den Schultern. »Du wirst in den kommenden Wochen reichlich Zeit haben, sie dir anzuhören. Und bei Vollmond werden wir dich mit deinen gebrochenen Rippen irgendwo einschließen, wo du auf nichts hinaufspringen oder dir sonstwie wehtun kannst. Also gewöhn dich schon mal daran, die nächsten sechs Wochen Wohnungskatze zu spielen.«

Es klopfte an der Tür, und Menolly machte auf. Gleich darauf führte sie Luke, Amber und Chase in die Küche. Chase sah erschöpft aus.

»Ruft mich an und sagt mir Bescheid, was passiert ist«, bat er. »Jetzt werde ich dringend im Hauptquartier gebraucht.« Ich fing seinen Blick auf und lächelte, und Chase lächelte zurück. Und in diesem Moment war alles in Ordnung. Wie er reagieren würde, wenn er von Shade erfuhr, konnte ich nicht einmal raten, aber darüber würde ich mir ein andermal Gedanken machen.

Als er gegangen war, setzten Amber und Luke sich zu mir. Luke biss sich auf die Lippen, als er die steifen Verbände um meinen Brustkorb sah. »Das tut mir sehr leid. Aber ich danke dir - ich danke euch allen dafür, dass ihr meine Schwester gerettet habt. Ich weiß nicht, was ich ohne Hilfe getan hätte.«

»Dabei fällt mir ein - was machen wir jetzt mit den Kojoten?« Ich steckte mir ein Cheeto in den Mund, genoss den Käsegeschmack und das Knuspern, und leckte mir die Finger ab.

»Ich finde, wir sollten die Koyanni bei der nächsten Sitzung, des ÜW-Gemeinderats offiziell anklagen.« Menolly tätschelte Luke die Schulter - bei ihr kam das schon einer Umarmung gleich. »Immerhin brechen sie das Abkommen, indem sie die Werwölfe angreifen, und da spielt es keine Rolle, ob sie selbst dem Rat angehören oder nicht. Die Wolfsrudel sind im Rat vertreten.« Sie presste die Lippen zusammen, und ich sah ihr an, dass sie wütend war.

»Finde ich auch«, sagte Camille. »Wir übergeben alles dem Rat, soll der sich darum kümmern.«

»Gute Idee. Ich ... ich wünschte nur, wir hätten sie alle erwischt.« Es gefiel mir nicht, diese Sache nicht zu Ende zu bringen, aber wir hatten keine andere Wahl. Ich war außer Gefecht, und Sharah hatte mir unmissverständlich klargemacht, dass sie mich an ein Krankenhausbett fesseln würde, wenn ich etwas Anstrengenderes unternahm, als auf der Fernbedienung herumzudrücken.

Luke zuckte mit den Schultern. »Ich bin nur froh, dass ich meine Schwester wiederhabe.«

Camille warf mir einen nachdenklichen Blick zu. »Ach ja... Luke, Amber kann nicht hierbleiben, solange sie die Kette trägt.«

»Was für eine Kette?« Er warf einen Blick auf seine Schwester und runzelte die Stirn. »Warum? Was ist mit dem Ding? Nicht schick genug?«

Ich seufzte leise. »Wir müssen dir etwas sagen. Deiner Schwester haben wir schon einiges erklärt, sie weiß Bescheid. Du darfst mit niemandem sonst darüber sprechen, aber jetzt musst du erfahren, was hier läuft.«

Während der nächsten Stunde weihten wir die beiden Werwölfe in unsere eigentliche Mission ein und erzählten ihnen alles von Anfang an - von Bad Ass Luke, Schattenschwinge und den Geistsiegeln bis hin zu den Keraastar-Rittern. Wir sagten natürlich nicht, dass wir an Königin Asteria und ihren Plänen für die Geistsiegel zweifelten - unserer Meinung nach konnte ihr Vorhaben nur zu leicht in einer Katastrophe enden.

Die beiden saßen mit offenen Mündern da und schüttelten die Köpfe. Dass sie Bruder und Schwester waren, war unverkennbar, so sehr ähnelten sie sich.

»Das ist also das Geheimnis meiner Kette.« Amber seufzte leise. »Und wie wird sich das auf mein Baby auswirken?« Sie legte schützend einen Arm um ihren Bauch.

»Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Königin Asterias Ärzte können dir vielleicht helfen, aber hier darfst du mit niemandem darüber sprechen, außer mit Sharah.« Ich ließ den Kopf hängen. »Amber, du wirst uns entweder die Kette geben oder dich bereit erklären müssen, selbst in die Anderwelt zu gehen und dich Königin Asteria auszuliefern. Ich glaube, du besitzt die besondere Natur, von der sie gesprochen hat - die Anlagen, ein Keraastar-Ritter zu werden.«

»Das kommt so plötzlich ... Ich weiß nicht, was ich tun soll. Aber ich kann die Kette nicht ablegen.« Sie blinzelte, als, ihr Tränen in die Augen stiegen. »Ich habe noch nie irgendwo anders als zu Hause gelebt ... sogar hierherzukommen war völlig neu für mich.«

»Ich gehe mit dir.« Luke stand auf.

Sie blickte mit großen Augen zu ihm auf.

»Ich bin dein großer Bruder. Ich konnte nicht verhindern, dass Rice dich misshandelt, aber jetzt kann ich mich um dich kümmern. Ich reise mit dir in die Anderwelt und sorge dafür, dass dir nichts geschieht. Hier hält mich nichts außer meiner Arbeit, und Menolly findet sicher Ersatz für mich. Aber du ... du brauchst dort eine Familie. Du brauchst mich.«

»Ich danke dir, aber - bist du sicher?« Amber wirkte überglücklich, aber ihre Miene drückte immer noch ein wenig Angst aus.

»Ja. Wenn Menolly und ihre Schwestern sich bereit erklären, meine Wohnung zu räumen und alles einzulagern, was wir dort drüben nicht brauchen werden ...« Er warf Menolly einen Blick zu, und sie nickte sanft.

»Wir werden uns um alles kümmern, Luke. Du bist ein mutiger Mann, und du stehst zu deiner Schwester. Wie es sich für eine Familie gehört.« Menolly lächelte. »Wir sprechen mit Königin Asteria und sorgen dafür, dass ihr alles bekommt, was ihr braucht. Und wir kommen euch besuchen, sobald es geht.«

Wie es sich für eine Familie gehört...

»Luke, du bist ein gutes Vorbild«, sagte ich und fing Menollys Blick auf. »Und wir müssen deinem Beispiel folgen. Morgen überlegen wir uns, was wir Vater sagen wollen. Wir müssen mit ihm darüber reden, was er Camille angetan hat. Wir sind doch hier die drei Musketiere ... wir stehen zusammen.«

Camille sagte nichts, doch ihre Unterlippe zitterte, als sie mich anlächelte.

Menolly nickte mir ernst zu. Dann rief sie Morio und Smoky herein. »Camille darf zwar Y'Elestrial nicht betreten, aber nach Elqaneve reisen kann sie. Für mich ist es zu spät, bald geht die Sonne auf. Wie wäre es, wenn ihr drei Luke und seine Schwester mit dem Geistsiegel zu Königin Asteria begleitet? Wir schicken dir deine Sachen noch diese Woche nach, Luke.«

»Ich danke euch«, sagte Luke, als sich alle zum Aufbruch bereitmachten. »Wir werden euch nicht enttäuschen. Wir werden unseren Teil beitragen ... denn ihr kämpft darum, unsere Welt zu retten.«

Camille durchbrach die ernste Stimmung, indem sie sich mir zuwandte. »He, was machst du jetzt mit deinen Haaren? Willst du sie wieder rauswachsen lassen?«

Ich runzelte die Stirn. Mir das Haar abschneiden zu lassen war eine traumatische Erfahrung gewesen, aber wie bei allem, was in letzter Zeit geschehen war, hatte ich meinen Frieden damit geschlossen. Inzwischen gefiel es mir sogar. Die kurze, zerzauste, freche Frisur verlieh mir ein Gefühl von Kraft und Freiheit.

»Nein, ich lasse sie so. Die verfärbten Stellen werden herauswachsen, und das ist mir nur recht - auf diese orangeroten Flecken kann ich gut verzichten. Aber die Frisur werde ich behalten. Sie passt zu, na ja, zu der Frau, die ich jetzt bin. Und die, die ich gerade werde, gefällt mir allmählich richtig gut.«

Shade rieb mir die Schultern. »Meine Liebste«, flüsterte er. »Du bist wunderschön. Innerlich wie äußerlich.«

Iris blickte zu ihm auf. »Vergiss nicht, was Sharah gesagt hat - kein Sex, mindestens zwei Wochen lang. Delilah hat mehrere gebrochene Rippen, die in Ruhe heilen müssen. Vorerst schläfst du drüben im Gästehaus mit dem Dämonischen Duo und Cousin Shamas.«

»Aber das ...«, begann ich zu protestieren, doch Shade legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Wir haben reichlich Zeit, und ich werde wohl noch eine ganze Weile hier sein.« Er beugte sich hinab und küsste mich zärtlich auf den Mund, und wieder verlor ich mich in der warmen Glut seines Körpers. Das Mal auf meiner Stirn summte, und plötzlich fand ich mich vor Hi'ran wieder.

»Bist du glücklich?« Er umfasste sacht mein Kinn und hob mein Gesicht ein wenig an.

Ich sah ihn mit überquellendem Herzen an. »Er ist ein Teil von dir, nicht wahr?«

Hi'ran lächelte zärtlich, während der Nordwind uns umtoste. »Er entstammt meiner Jahreszeit, aber er ist ein ganzer Mann, eine eigenständige Persönlichkeit. Ich habe dir ja gesagt, dass ich kein eifersüchtiger Herr und Meister bin, solange du nicht vergisst, dass du mir gehörst. Wenn du ihn berührst, werde ich es spüren ... Wenn er dich berührt, werde ich auch dabei sein. Und wenn es an der Zeit ist, wird er derjenige sein, durch den ich dich schwängern werde.«

Ich holte tief Luft - im Astralraum tat das zum Glück nicht weh - und schmiegte mich an ihn. Doch diesmal hielt er mich nur in den Armen, und damit war ich zufrieden. Neue Leidenschaft war in mein Leben eingekehrt, und ich wünschte mir nichts so sehr, wie Shade und unsere Beziehung neugierig zu erkunden. Ich kannte ihn. Er war jetzt schon ein Teil von mir, und zum ersten Mal in meinem Leben glaubte ich daran, dass es so etwas wie Seelengefährten gab. Auch für mich.

Chase und Zachary waren wunderbare Männer gewesen, aber ich war eine Jägerin, die mit der wilden Jagd über die Baumwipfel hetzte, und meine Seele gehörte dem Herbstkönig. Und mein Herz ... mein Herz gehörte nun ebenfalls dem Herbst.

Ich hätte nie erwartet, mein wahres Selbst im Spiegel von Tod und Zerstörung zu finden, reflektiert von Feuer und flammend rotem Laub, aber ich war so viel reifer geworden. Dies war ich - so würde ich immer sein, und endlich konnte ich meine Raubtiernatur annehmen und mich darüber freuen.

»Ich liebe dich, mein Herr und Meister«, flüsterte ich ihm zu.

Hi'ran lächelte. »Ich liebe dich auch, Delilah.«

Ich nickte. Einen Wimpernschlag später war ich wieder in meinen Körper zurückgekehrt, für den Augenblick sicher und geborgen mit meinem Liebsten an meiner Seite.

 

 

Ende - Schwestern des Mondes 08 - Katzenjagd