Kapitel 21

 

Menolly! Hier rüber, mach schnell.« Ich kniete mich neben den Zauberstab und strich mit den Fingern über den verbrannten Boden daneben. Als ich mir die Finger unter die Nase hielt, konnte ich Dämonen wittern ... Blähmörgel. Eindeutig. Hatten die sie getötet? Wenn ja, wo war ihre Leiche?

»Was hast du - o Scheiße.« Menolly starrte auf den Zauberstab. »Der Boden ist ganz verkohlt.«

»Hol Camille und sag ihr, dass sie sofort einen Findezauber sprechen muss. Vanzir habe ich schon angerufen, damit er Amber zurückbringt.« Ich setzte mich auf einen umgestürzten Baumstamm, ohne mich darum zu scheren, wie kalt mein Hintern wurde, und dass mir von den tropfenden Zweigen Wasser in den Kragen rann.

Wo bist du, Iris? Was ist dir zugestoßen?

Die ganze Geschichte wurde immer schlimmer. Wie zum Teufel sollten wir mit allem fertig werden, was da auf uns einstürmte? War dies die Vergeltung für unsere Aktion gegen Jaycee und Van? Wir hatten ihr Labor und ihren Laden zertrümmert und - zumindest vorerst - verhindert, dass sie weiterhin den lukrativen Wolfsdorn herstellten. Während ich dasaß und den Zauberstab anstarrte, klingelte mein Handy. Ich klappte es auf.

»Delilah, komm sofort zurück ins Haus. Carter ist da. Wir haben noch ein Problem.« Menolly legte auf.

Carter? Der verließ doch nie seine Kellerwohnung, soweit ich wusste. Stirnrunzelnd hob ich Iris' Zauberstab auf und rannte, so schnell ich konnte, zurück zum Haus. Als ich fast da war, fuhr Vanzir vor. Amber war bei ihm, sicher und wohlbehalten. Ich winkte ihm zu.

»Bring sie in den Salon und mach es ihr gemütlich, ehe du zu uns stößt.«

Er nickte. »Geht klar.«

Smoky und die Jungs hatten sämtliche Leichen beiseitegeräumt und aufgestapelt. Ich schlug einen Bogen um den Haufen und sauste ins Haus. Wilbur ging gerade und verabschiedete sich mit gebrummelten Worten über Wiederholungen im Nachtprogramm und Martin, der auf ihn warte.

Tatsächlich, im Wohnzimmer saß Carter, dessen Hörner im Schein der Lampen schimmerten. Seine Ziehtochter Kim saß neben ihm, und mir fiel auf, dass sie irgendeine Kette um die Taille trug, und ähnliche Fesseln um die Handgelenke.

Carter wies mich mit einem Nicken an, Platz zu nehmen. Wir waren alle versammelt - bis auf Iris natürlich -, und ich war frustriert, weil ich weiter nach ihr suchen wollte. Sofort.

»Ich halte euch wirklich ungern auf, aber in Anbetracht dessen, was deine Schwestern mir erzählt haben«, sagte er und nickte mir zu, »ist es leider unumgänglich.«

»Was ist los?« Ich blickte zu Kim hinüber, die reglos und mit niedergeschlagenen Augen dasaß. Ein roter Fleck auf ihrer Wange verriet, dass jemand sie ins Gesicht geschlagen hatte, und zwar kräftig.

»Weißt du noch, dass ihr den Verdacht hattet, es könnte eine undichte Stelle geben? Jemand müsse die Knochenbrecherin mit Informationen versorgen, so dass sie euch stets einen Schritt voraus ist?« Seine Lippen waren schmal, und auf einmal verstand ich, weshalb Kim in Ketten lag.

»O nein. Nicht du, Kim.« Ich sah sie an, doch sie wich meinem Blick aus. Ich schaute zu Camille und Menolly hinüber. Beide machten ein Gesicht, als wollten sie jemanden umbringen. »Ist das wirklich wahr?«

»Es ist wahr«, bestätigte Carter. »Ich habe sie dabei ertappt, wie sie meine Notizen kopiert hat, und außerdem hatte sie ein Tonband. Sie hat unsere Gespräche aufgezeichnet und ihrer neuen Herrin überbracht. Meine Ziehtochter hat euch in große Gefahr gebracht. Es gibt keine Wiedergutmachung für dieses Vergehen, aber zumindest kann ich euch jetzt helfen.«

»Aber warum? Wie ...? Ich dachte, Kim sei ...«

»Sie braucht nicht zu sprechen, um Informationen weiterzugeben. Sie ist hochintelligent, kann selbstverständlich lesen und schreiben ... sie ist stumm, nicht geistig behindert. Und offenbar ist das Blut ihrer Mutter stärker als das ihres Vaters, denn sie hat sich dafür entschieden, dem Weg des Dämonischen zu folgen, statt ihr eigenes Gleichgewicht, ihren eigenen Platz in der Gesellschaft zu finden.«

Carter funkelte Kim an, und sie wich mit angstverzerrtem Gesicht zurück. »Ich sollte dich auf der Stelle töten, ohne ein weiteres Wort. Du undankbare Überläuferin. Du verräterisches Miststück. Ich behandele dich all die Jahre lang wie meine eigene Tochter, und so dankst du mir meine Mühe.«

Als ich den Ausdruck in Carters Augen sah, verkrampfte sich mein Magen. Er kochte vor Zorn, und ich fürchtete, er könnte seine Drohung wahr machen. »Wir müssen wissen, was sie denen gesagt hat. Wir müssen erfahren, was sie über die Dämonen weiß. Bitte tu ihr nichts. Noch nicht.« Ich warf Kim einen Blick zu, den sie diesmal mürrisch und verächtlich erwiderte. »Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Informationen, die sie uns gibt, richtig sind. Also, was tun wir jetzt? Und sprechen kann sie auch nicht...«

Vanzir erhob sich. »Ich kann in ihren Geist eindringen. Schlagt sie bewusstlos, dann gehe ich rein und finde heraus, was sie weiß. Ich kann ihre sämtlichen Barrieren untergraben, und sie wird mich nicht daran hindern können.«

Als Traumjägerdämon war Vanzir tatsächlich dazu in der Lage. Er konnte sich auch von ihrer Lebenskraft nähren, wenn er wollte. Ich wechselte einen Blick mit Menolly und Camille. Die beiden nickten. Uns blieb keine andere Wahl - wir mussten wissen, was Kim an Stacia weitergegeben hatte. Wahrscheinlich hatte sie jedes unserer Gespräche mit Carter belauscht, jedes Telefonat, mit dem er eine unserer Fragen beantwortet hatte.

»Tu es. Und finde heraus, warum sie beschlossen hat, sich mit denen zu verbünden.« Ich stand auf und trat vor Kim, die zurückzuckte. »Menolly, kannst du sie hypnotisieren wie einen VMB?«

»Ich werde es nur zu gern versuchen.« Sie ging zu Kim hinüber, die auf einem Schemel saß, zerrte sie auf die Füße und bleckte ihre Fangzähne. »Wehr dich nicht, sonst mache ich es auf die blutige Art. Verstanden?«

Das Mädchen nickte und wirkte jetzt eher starr vor Angst als wütend und mürrisch. Menolly beugte sich vor, flüsterte ihr etwas ins Ohr, setzte ganz sacht die Fangzähne an Kims Hals. Sie ritzte langsam die Haut auf und grub die Zähne tief hinein. Kim öffnete in stummem Stöhnen den Mund, und ein Ausdruck seliger Wonne breitete sich über ihr Gesicht, während Menolly an dem Blut leckte, das aus der Bisswunde sickerte.

Gleich darauf löste meine Schwester sich von ihr. Kim war wie in Trance, und Menolly sagte: »Schlafe. Schlafe, bis ich dir befehle, aufzuwachen. Wehr dich nicht - öffne deinen Geist und schlafe.« Ihre Stimme war so hypnotisch, dass selbst ich auf der Stelle hätte einschlafen mögen, doch ich schüttelte mich und fing Kim auf, als deren Knie nachgaben. Wir legten sie aufs Sofa.

»Brauchst du dazu deine Ruhe?«, fragte ich Vanzir.

»Ich wäre lieber allein, ja. Ich sage euch Bescheid, wenn ich fertig bin. Es dürfte nicht allzu lange dauern.« Er errötete, und ich erinnerte mich daran, wie gern er anderen die Lebenskraft aussog, und wie sehr er sich bemühte, es nicht zu tun. Lebenskraft machte süchtig, und Vanzir war ein Dämon, der sich selbst und das, was nun einmal in seiner Natur lag, nicht besonders mochte.

Während wir Carter in die Küche geleiteten, blieb Menolly zurück, um Vanzir zu bewachen, nur für den Fall, dass irgendetwas schiefgehen sollte.

Ich legte Iris' Zauberstab auf den Tisch. Er sah verloren aus, und ich verzog das Gesicht und ließ den Kopf hängen. »Ich ertrage es nicht, dass sie in Gefahr ist. Dass die sie womöglich haben.«

»Nicht zu glauben, dass Kim eine Verräterin ist.« Camille beugte sich vor und zog Iris' Zauberstab zu sich heran. »Ich hoffe, wir irren uns. Ich hoffe, Iris versteckt sich nur irgendwo, wo sie uns nicht hören kann. Carter, wie ist es Kim gelungen, dich zu täuschen?«

Er errötete und starrte auf seine Hände auf dem Tisch. »Ich kann nur noch einmal um Verzeihung bitten. Ich dachte, Kim sei glücklich. Ich dachte ...« Der Dämon zuckte mit den Schultern, beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Heute kam ich nach Hause und überraschte Kim dabei, wie sie sich ein Tonband anhörte. Sie erwartete mich erst viel später, und es lagen alle möglichen Dokumente auf dem Schreibtisch ausgebreitet - private, vertrauliche Dokumente.

Nicht nur über euch, sondern auch über andere Mitglieder des dämonischen Untergrunds hier ... der Dämonen, die hoffen, dass Schattenschwinge scheitern wird. Als sie mich sah, versuchte sie, alles zu verstecken, doch trotz meiner Schiene bin ich schnell, und ich bin mächtig. Ich ließ sie erstarren, und als ich mir die Unterlagen ansah, war für mich offensichtlich, dass sie meine Klienten und mich ausspioniert hatte. Zunächst war ich nicht sicher, in wessen Auftrag, doch dann fand ich das hier in ihrer Geldbörse.«

Er ließ eine Kette auf den Tisch fallen. Aus Gold, mit einer Schlange daran. »Das ist das Symbol von Stacias Truppen - die goldene Schlange. Nur ihre engsten Vertrauten dürfen das Zeichen tragen, ihre Spione und Kompagnons. Ich erkannte es sofort, dank meiner Recherchen über Stacia. Kim spioniert seit... nun, ich weiß nicht genau, seit wann sie für Stacia spioniert. Jedenfalls lange genug, um euch in Schwierigkeiten zu bringen.«

»Wir haben vor Kim über die Ley-Linie gesprochen, die Harold Youngs Haus und den Friedhof miteinander verbindet - nachdem du das Grundstück gekauft hattest. Stacia weiß also ziemlich sicher, dass wir diejenigen waren, die ihren Zauber gebrochen haben.« Ich rieb mir stöhnend den Kopf. »Du hast uns jedes Mal Bescheid gesagt, wenn du etwas Neues über Stacias Aufenthaltsort hattest, aber bis wir dort ankamen, war sie weg. Kim hat sie gewarnt.«

»Kein Wunder, dass wir an dieses Miststück nicht herangekommen sind!«, knurrte Morio und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Was hast du mit Kim vor, wenn wir erst unsere Informationen von ihr bekommen haben?« Camille sah Carter forschend an.

Er begegnete ihrem Blick ruhig und fest. »Verräter sind schlimmer als Feinde. Für einen solchen Verrat gibt es nur eine Strafe. Man kann sie schnell vollziehen oder lange andauern lassen. Ich habe für Folter nichts übrig, aber wenn ich Stacia sagen würde, dass Kim ihre Spionage gestanden hat, dann hätte die Knochenbrecherin ihren kleinen Maulwurf sicher gern zurück. Aber das Volk meiner Mutter hat ein altes Sprichwort: Lasse keinen Feind am Leben. Er kehrt zurück und beißt dich. Kim gehört jetzt zu unseren Feinden. Wenn ich sie gehen ließe, würden wir das bald bereuen. So schmerzlich diese ganze Angelegenheit für mich auch ist, ich fürchte, ich werde sie hinrichten müssen.«

Die Worte klangen kalt, aber wahr. Wenn wir sie am Leben ließen, würde sie sich rächen wollen, und sie würde schnurstracks zu Stacia laufen und ihr helfen, uns zu vernichten. »Wie ...« Ich wusste nicht recht, wie ich die Frage formulieren sollte, die ich stellen wollte.

Carter lächelte kalt. »Ich verfüge über verschiedenste Kräfte sowohl meines Vaters Hyperion als auch meiner Mutter. Vergiss nicht, ich stamme selbst von Dämonen ab. Ich werde ihr ein besseres Los schenken, als sie verdient - ein schnelles und schmerzloses Ende. Aber eines ist gewiss: Kim hat ihr Schicksal selbst besiegelt.«

Als Morio gerade Maggie auf den Schoß nahm, schimmerte plötzlich die Luft in der Küche. Ich zückte meinen Dolch und sprang auf, doch Arial, die in ihrer Geistergestalt um uns herumstreifte, knurrte mir eine Warnung zu.

Nein, greif nicht an.

»Arial sagt, nicht angreifen.« Ich ließ die Waffe sinken und wartete ab, was da erscheinen mochte. Die Männer machten sich bereit. Der Schimmer wurde heller, ein leichter, sepia- farbener Nebel quoll in der Mitte auf, und dann erschienen in einem gleißenden Blitz zwei Gestalten im wabernden Rauch.

Aus dem Nebel trat ein Mann, und eine Woge von Energie ließ die Küche erbeben. Er blieb stehen, den Blick fest auf mich gerichtet.

Shade.

Und hinter ihm eilte eine viel kleinere Gestalt herbei. Iris. Als die beiden im Raum materialisierten, schlich Arial leise davon und streifte mich ein letztes Mal mit ihrem geisterhaften Schwanz. Ich lächelte zufrieden, denn jetzt wusste ich ja, wo ich sie jederzeit finden konnte.

Iris stieß einen Freudenschrei aus und stürzte sich in Camilles Arme.

Smoky trat Shade mit einem leisen Knurren entgegen, doch ich drängelte mich an ihm vorbei. Bevor ich irgendetwas anderes tat, riss ich Iris an mich und küsste sie auf die Stirn.

»Den Göttern sei Dank, dass du am Leben bist. Wir hatten solche Angst, Stacia hätte dich erwischt. Was ist passiert? Wo kommst du her?«

»Ich habe sie gefunden, als ich auf der Suche nach dir hierherkam.« Shades Stimme, süß und weich wie Honig auf Pfirsichen, liebkoste mich, und ich drehte mich um und schmiegte mich in seine Arme, als sei es das Natürlichste auf der Welt. »Ich habe gespürt, dass du meinen Ring angesteckt hast.«

Mit lauterer Stimme, so dass alle ihn hören konnten, sagte er: »Ich bin gekommen, so schnell ich konnte. Ich hatte keine Ahnung, dass ich mitten in einer Invasion landen würde. Eure Freundin ist vor einer der Bestien in den Wald geflohen. Ich habe sie auf die Arme genommen und bin mit ihr in die Schattensphäre hinübergewechselt, ehe diese Karikatur einer Lebensform ihr etwas antun konnte.«

»Du bist Shade«, sagte Camille und trat vor. »Delilahs neuer... ihr...« Sie brach ab und errötete. »Herzlich willkommen, und bitte mach dir nichts daraus, wenn ein paar von uns ein wenig rüpelhaft sind.« Sie warf Smoky einen durchdringenden Blick zu. »Als wir nach Hause gekommen sind, war Iris verschwunden, und Dämonen haben in unserem Haus randaliert. Wir haben eine schlimme Nacht hinter uns, deshalb erregt alles und jeder erst einmal unser Misstrauen.«

Die anderen versammelten sich um uns, begrüßten Shade und umarmten Iris, während ich ein paar Schritte zurücktrat und mich fragte, wie sich diese Situation wohl entwickeln würde.

Smoky und Shade umkreisten einander argwöhnisch und starrten sich an wie zwei Löwenmännchen. Camille warf mir einen Blick zu, packte meine Hand und zog mich mitten zwischen die beiden Drachen.

»Hört zu, Jungs, wir haben keine Zeit für euer Imponiergehabe. Wir stecken mitten in einer Krise, und falls ihr beiden irgendetwas miteinander auszumachen habt, könnt ihr das verdammt noch mal später tun. Verstanden?« Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Smoky an.

Sein Mundwinkel zuckte, obwohl er Shade über unsere Köpfe hinweg nicht aus den Augen ließ. Gleich darauf seufzte er tief und trat zurück.

»Meine Gemahlin bittet uns, die Angelegenheit ruhen zu lassen. Was sagst du, Herr der Schatten?«

Shade betrachtete Camille, dann mich. »Ist ihre Schwester ebenso anspruchsvoll?«

»In anderer Hinsicht gewiss. Zumindest verwandelt meine Frau sich nicht in ein Tigerkätzchen und spielt des Nachts mit meinen Zehen, wie Delilah es zu tun pflegt, soweit ich gehört habe.« Smoky grinste mich dreist an, setzte sich dann abrupt wieder hin und zog Camille auf seinen Schoß.

Shade nickte ihm zu, nahm Platz und bedeutete mir, mich neben ihn zu setzen. »Hast du es ihnen gesagt, meine Liebste?«

»Ja, ich fand es besser, sie nicht im letzten Moment damit zu überraschen.« Ich lachte. »Natürlich habe ich es ihnen gesagt.«

»Schon geht es los«, bemerkte Shade. Dann wandte er sich an Iris. »Lady Iris, ist Euch auf der Reise durch den Astralraum etwas geschehen?«

Roz rückte Iris einen Stuhl zurecht, und sie ließ sich darauf nieder. »Nein, mir fehlt nichts. Aber bitte, nicht so förmlich. Und noch einmal vielen Dank dafür, dass du mir das Leben gerettet hast.«

»Erzählst du uns, was hier passiert ist?« Ich musterte sie von oben bis unten. Sie schien nicht verletzt zu sein. Erschüttert? Ja. Aber Iris war wesentlich zäher, als sie aussah.

Sie nahm ihren Zauberstab vom Tisch, vergewisserte sich, dass er nicht beschädigt war, und strich ehrfurchtsvoll über den Kristall. »Ich war mit Maggie in der Küche, als ich vor dem Haus ein Geräusch gehört habe. Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl dabei, also habe ich Maggie schnell in ihren Laufstall in Menollys Unterschlupf gebracht. Dann wollte ich nachsehen, was da los war. Ich bin nach draußen gegangen, und da habe ich die Treggarts gesehen. Ich bin zurück ins Haus gelaufen, um meinen Zauberstab zu holen und dich anzurufen. Da habe ich schon gehört, wie sie die Haustür aufbrachen, also bin ich aus dem Fenster in meinem Zimmer gesprungen - und ich kann euch sagen, das ist ziemlich hoch für jemanden wie mich - und in den Wald gelaufen.« Sie holte tief Luft und verzog das Gesicht. »Ich dachte, ich sei so gut wie tot. Eine von diesen anderen Bestien hat mich gesehen. Sie ist mir gefolgt, und ich habe mich ins Unterholz geschlagen. Der Blähmörgel war immer noch hinter mir her und hat Feuer gespien, aber ich habe ihm einen Schuss Eissplitter aus meinem Zauberstab verpasst, das hat ihn aufgehalten. Ich wollte weiterlaufen, bin aber über irgendetwas gestolpert und habe meinen Zauberstab verloren. Inzwischen hatte er mich schon eingeholt, und ich habe den Zauberstab liegen lassen und bin durch den Wald gerannt. Ich konnte ihn hinter mir hören, während ich versucht habe, wieder den Pfad zu erreichen, damit ich schneller laufen konnte.«

Ich sah es vor mir - Iris, die durchs Unterholz rannte und über die umgestürzten Baumstämme hinwegkletterte, die fast so hoch waren wie sie selbst, mit einem feuerspeienden Dämon auf den Fersen. Die Vorstellung ließ mich schaudern. Wir hatten schon Freunde verloren. Wir konnten auch sie verlieren.

»Es tut mir so leid - wir hätten dich nicht allein lassen dürfen.« Wut packte mich. »Stacia bekommt nicht noch einen unserer Freunde. Sie hat Henry getötet, und das wird sich nicht wiederholen. Ich verspreche dir, dass das Haus ab sofort immer bewacht wird. Und wir werden es gegen die Dämonen besser sichern.« Ein Fauchen stieg in mir empor, und am liebsten hätte ich mich wieder in den Panther verwandelt, um den nächsten Feind zu zerfleischen - der zufällig Kim war.

Shade legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich sah ihm in die Augen und verlor mich in der geschmolzenen Schokolade. Seine Berührung wirkte wie warme Karamellsauce an einem kühlen Herbstabend.

Ich holte tief Luft, schüttelte den Drang ab, jemanden zu zerfetzen, und atmete tief und langsam aus. »Was ist dann passiert?«

Iris biss sich so heftig auf die Lippe, dass Blut hervorquoll. »Ich habe es zum Pfad geschafft, und als ich aus dem Wald rannte, bin ich mit Shade hier zusammengestoßen. Ich wusste sofort, wer er war - du hast ihn sehr gut beschrieben.« Sie errötete und lächelte ihn schüchtern an. »Und er hat mich hochgerissen und in die Schattensphäre gebracht. Also, der verehrte Shade hier hat mir den Hintern gerettet, und dafür werde ich ihm ewig dankbar sein.«

»Es war mir ein Vergnügen, verehrte Ar'jant d'tel.« Ihren scharfen Blick erwiderte er mit einem sanften Lächeln. »Täusche dich nicht - natürlich sehe ich den Mantel, den du einst getragen hast und noch in deiner Aura trägst. Wer über solche Macht verfügt, darf nicht hoffen, sie vor Drachen verbergen zu können, oder sie zu leugnen. Nicht wahr, verehrter Smoky ?«

Smoky gab ein Hüsteln von sich und räusperte sich. »Ich habe das Thema bisher nicht zur Sprache gebracht, weil ich glaube, dass schmerzliche Erinnerungen damit verbunden sind. Aber ja, was du sagst, ist wahr. Ich habe in den Nordlanden gelebt, Iris. Du bist von der Energie von Eis und Schnee durchdrungen, und jeder, der einmal auf den Höhen gelebt hat, kann das spüren.«

In diesem Moment kam Vanzir herein, gefolgt von Menolly. Wir verstummten erwartungsvoll.

»Ich weiß, wo Stacia sich verbirgt.« Er wies auf Menolly, die daraufhin einen Notizblock auf den Tisch fallen ließ. »Wir kriegen sie zu packen, wenn wir sofort aufbrechen. Wir können sie besiegen, weil sie mit so etwas überhaupt nicht rechnet.

Sie hat keine Ahnung, dass Kim aufgeflogen ist. Zwischen den beiden besteht keinerlei übersinnliche Verbindung. Und ich kenne ihre Schwäche - Kim hat sie erkannt, aber Stacia scheint nicht zu ahnen, dass irgendjemand davon weiß.«

»Warum ... warum hat meine Ziehtochter das getan?« Carter wollte sich erheben, sank aber auf seinen Stuhl zurück, und seine Stimme brach. Kims Verrat zerriss ihm das Herz. Das sah ich ihm an, und am liebsten wäre ich zu ihm gegangen, hätte ihn in den Arm genommen und ihm zugeflüstert, dass alles wieder gut werden würde. Das stimmte natürlich nicht, aber der Drang war dennoch da.

»Kim will Macht. Sie verabscheut ihre menschliche Hälfte, und sie hasst ihre Mutter dafür, dass sie sie im Stich gelassen hat. Stacia ist ein starkes Vorbild, wenn man auf richtig fiese Dämoninnen steht. Kim wollte ihre dämonische Seite erkunden, und das hast du ihr nie erlaubt. Du hast sie dazu erzogen, sich menschlich zu verhalten. Sie verabscheut das, was sie als ihre Schwächen betrachtet.« Menolly las all das von dem Notizblock ab. Jetzt blickte sie auf und zuckte mit den Schultern. »Ich habe nur aufgeschrieben, was Vanzir mir gesagt hat.«

Carter ließ den Kopf hängen. »Ich habe versucht, sie zu einer zivilisierten Person zu erziehen. Bald wollte ich sie zu ihrem Großvater bringen und ihn bitten, ihr zu helfen.«

»Weiß sie, wer du bist?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Nein ... ich habe es ihr noch nicht gesagt. Ich wollte ... Sie sollte nicht in dem Glauben aufwachsen, sie könnte alles bekommen, was sie haben will, weil sie die Ziehtochter eines Halb-Titanen ist. Die Sprache konnte ich ihr nicht zurückgeben, aber so viele andere Dinge hätte ich ihr im Lauf der Zeit geschenkt.«

»Ich fürchte, dazu ist es zu spät.« Vanzir seufzte tief - ob aus Ungeduld oder Arger, konnte ich nicht einschätzen.

»Was meinst du damit?«

»Kim hat es nicht ertragen, dass ich in ihrem Geist herumgeforscht habe. Sie ist in ein tiefes Koma gefallen, so tief, dass ich sie nicht mehr erreichen konnte. Als ich mich von ihr gelöst habe ... ist sie gestorben.«

Carter stieß einen Schrei aus und sprang vom Stuhl auf. Im ersten Moment dachte ich, er wolle Vanzir angreifen, doch er humpelte an ihm vorbei zum Wohnzimmer. Wir konnten ihn schluchzen hören.

»Er hatte sie wirklich sehr gern.« Ich schaute ihm nach. »Jemand sollte zu ihm gehen und ihn trösten, aber ich weiß nicht, wer das am besten könnte.«

»Überlass das mir«, sagte Camille. »Nach Mutters Tod habe ich mich um euch beide gekümmert. Ich bin daran gewöhnt.« Sie ging den Flur entlang, und wir hörten ihre leicht gedämpfte Stimme, als sie in beruhigendem Rhythmus zu sprechen begann.

Smoky runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts.

Trillian schüttelte den Kopf. »Verdammt, sie sollte das nicht tun müssen. Sie leidet schon genug darunter, dass ihr Vater sie verstoßen hat. Und da wir gerade davon sprechen - am liebsten würde ich dieses erbärmliche, selbstgerechte Arschloch umbringen. Es ist mir egal, was ihr beide«, er warf erst Menolly, dann mir einen finsteren Blick zu, »davon haltet. Ich werde Sephreh kein Haar krümmen, weil er euer Vater ist und Camille mir nie verzeihen würde, aber ich könnte dem Mann in den Hintern treten, dass er von hier bis Dahnsburg fliegt.«

»Anderen zu helfen ist für Camille ganz selbstverständlich«, entgegnete ich. »Ich glaube, das ist einfach Teil ihrer Persönlichkeit. Wenn sie Kummer hat, tut es ihr gut, jemand anderen zu trösten. Das ist ihre indirekte Art, sich selbst zu beruhigen. Aber über Vater können wir später sprechen. Jetzt müssen wir unseren Schlag gegen Stacia planen. Vanzir, hältst du es wirklich für möglich, dass wir sie ausschalten könnten?«

Er überlegte kurz und nickte dann. »Es wird nicht einfach, das kann ich euch gleich sagen, aber wenn wir mit so vielen Leuten wie möglich angreifen, alle voll bewaffnet, haben wir eine Chance, sie zu besiegen.«

»Dann los.« Ich zog den Notizblock zu mir heran und holte meinen Laptop hervor. »Sag uns alles, was du weißt - alles, was wir wissen müssen. Lass nichts aus. Wenn wir ihren Unterschlupf verlassen, will ich ihren Kopf auf einem Zaunpfahl sehen, und ihren Körper in Fetzen gerissen. Wir machen mit jedem da drin kurzen Prozess.«