Kapitel 13

 

Ausnahmsweise einmal fiel am nächsten Morgen ein Sonnenstrahl durch mein Fenster herein. Ich wachte auf, blinzelte geblendet und stellte fest, dass ich nicht nur mich, sondern auch die fast leere Schüssel Cheetos, einen halb gegessenen Snickers-Riegel und eine Flasche Wasser unter dem nagelneuen Quilt begraben hatte, den ich erst vor einem Monat gekauft hatte. Der Schokoriegel war auf meinem Kissen geschmolzen. Wunderbar. Die Wasserflasche war nicht ganz zu gewesen, und ich lag in einem feuchten Fleck. Entzückend. Die Cheetos hatten Flecken auf dem Bettlaken hinterlassen, doch auf den Erdtönen der Kuscheldecke fiel das Orange kaum auf. Na immerhin.

Da ich einen wasserdichten Matratzenschoner unter dem Laken liegen hatte - meine Haarballen stellten eine ständige Bedrohung dar -, war nur das Laken nass und fleckig. Ich erinnerte mich nur zu gut daran, dass Iris mir erst neulich eine Lektion erteilt hatte, indem sie den Inhalt meines Katzenklos auf mein Bett gekippt hatte. Also zog ich das Laken ab und steckte es ordentlich in den Wäschekorb. Iris hatte nichts dagegen, die Betten zu machen, aber sie und meine Schwestern versuchten mir schon lange in den Schädel zu hämmern, wie schlampig ich war, und eine Zumutung für Iris. Ich bemühte mich ehrlich, im Haushalt mehr zu helfen.

Ich öffnete das Fenster und knallte es sofort wieder zu. Die Sonne schien vielleicht, aber draußen konnte es höchstens vier Grad warm sein. Ich kramte in meinem Kleiderschrank herum und zog eine braune Cordhose und einen grünen Pulli heraus.

Dazu schlüpfte ich in Cowboystiefel, zupfte mit ein wenig Gel mein zipfeliges Haar zurecht und putzte mir die Zähne. Die Erdwelt war der Anderwelt haushoch überlegen, was moderne Zahnhygiene anging, so viel stand fest. Und da wir halb menschlich waren, waren unsere Zähne nicht so stark wie beim Volk meines Vaters üblich.

Als ich fertig war, schnappte ich mir meine Handtasche und ging nach unten. Der Duft von Speck und Eiern trieb die Treppe herauf, und mit knurrendem Magen sog ich ihn ein. Wir hatten heute eine Menge zu tun, und mich ließ der Gedanke nicht los, dass Amber mit jedem Moment in der Hand ihrer Entführer in größerer Gefahr schwebte.

Iris und Camille saßen am Küchentisch, Maggie in ihrem Laufstall. Ansonsten war die Küche leer. Ich blickte mich um.

»He, wo sind denn alle?« Zum Frühstück war der Tisch normalerweise voll besetzt. Ich schaute zur Spüle und sah einen Stapel abgewaschener Teller. »Sieht so aus, als hätten schon alle gegessen.«

Camille lächelte. Sie sah viel besser aus. »Trillian, Smoky und Morio haben Roz und Vanzir dazu überredet, das Gästehaus zu mehreren Räumen auszubauen. Das Wetter ist nicht ideal für so etwas, aber ich denke, sie müssten heute eine Menge schaffen, wenn es nicht regnet. Die Jungs könnten wirklich mehr Platz brauchen, und hin und wieder will ich mein Schlafzimmer für mich und alle drei aus dem Haus haben. Ehemänner hin oder her, sie können einem ziemlich auf den Keks gehen.« Sie tupfte sich die Mundwinkel mit einer Serviette ab. »Wann fahren wir zu Mary Mae?«

Iris reichte mir ein Sandwich aus Eiern und Speck auf Toast. Ich schlang es hinunter und fühlte mich erstaunlich energiegeladen. Meine seltsame Begegnung gestern Abend hatte mir mehr gebracht als ein wenig Trost.

»Sie hat gesagt, wir sollten gegen zehn bei ihr vorbeikommen.«

Das Telefon klingelte, und Camille ging dran. Gleich darauf reichte sie es an mich weiter.

»Hier ist Luke. Ich habe gerade von Jason gehört.«

»Und?«

»Rice ist in Arizona gesehen worden. Er ist sicher nicht hier. Und da ist noch etwas - Jason hat mir erzählt, dass da unten in der Wüste ein Riesenaufruhr herrscht.«

Verdammt - Rice hatte also wahrscheinlich nichts mit dem Verschwinden seiner Frau zu tun, und wir konnten wieder bei null anfangen. »Was für ein Aufruhr?«

»Bei einem der kleineren Werwolf-Rudel gab es eine Reihe von Todesfällen. Fünf Beta-Männchen, und alle wurden verstümmelt aufgefunden. Duftdrüsen und andere Organe fehlten. Alle rivalisierenden Wolfsclans konnten ihre Unschuld beweisen. Aber es kommt noch schlimmer. Bei einer der Leichen wurde die Witterung von Magie aufgenommen - Trickster-Energie. Finstere Trickster-Energie.«

Trickster. Es gab ein paar Werclans, die Trickster-Energie nutzten. Kaninchen, Schakale, Hyänen ... Kojoten. »Kojoten. Kojote-Gestaltwandler. Wilbur hat uns erzählt, dass die Kojote-Wandler im südamerikanischen Dschungel Wolfsdorn benutzen, um fremdes Territorium zu übernehmen und ihre Rivalen auszuschalten.«

»Scheiße. Revierkämpfe?« Luke schwieg kurz, dann sagte er: »Kojoten - die guten - sind wahnsinnig hilfsbereit. Aber die üblen ... sie sind gefährlich und skrupellos. In der Hinsicht könnten sie es glatt mit Dämonen aufnehmen.«

»Wir müssen uns über die Kojotenrudel hier in der Gegend schlaumachen. Obwohl es mir ein Rätsel ist, was die von Amber wollen könnten. Nichts gegen deine Schwester, Luke, aber sie ist ein einzelnes, trächtiges Weibchen und nicht die Frau eines Alpha.«

»Ja, du hast völlig recht. Wie geht es Camille heute? Hat der Wolfsdorn-Kater schon nachgelassen?«

»Sie fühlt sich besser. Wir besuchen heute Paulos Verlobte, und dann wollen wir bei Marion im Superurban Café vorbeischauen. Vielleicht kann sie uns noch etwas sagen. Versuch du inzwischen herauszufinden, was zum Teufel eine Gruppe Kojote-Wandler von deiner Schwester will.«

»Die Millionen-Dollar-Frage. Ich habe keine Ahnung. Ich habe in den letzten Jahren nicht viel Kontakt zu ihr gehabt, bis sie mich angerufen und mir gesagt hat, dass sie unbedingt hierherziehen will. Sie klang ein bisschen verrückt, aber ich dachte, das liege an den Hormonen, weil sie schwanger ist. Okay, wir hören uns später.« Er legte auf, und ich starrte auf das Telefon hinab, ehe ich es Iris wiedergab.

»Das ist so schlimm wie damals bei den Werspinnen. Da wussten wir auch nicht, was sie wollten, aber zum Schluss war es nichts Gutes.« Ich fasste kurz zusammen, was Luke mir über die Trickster-Energie und die toten Werwölfe in Arizona erzählt hatte.

»Dann stellt also jemand in Arizona Wolfsdorn her«, schloss Camille. »Und hier ebenfalls. Wir müssen heute drei Adressen abklappern: Marion, Francos Verlobte, und Madame Pompey's Magical Emporium. Grässlich, dass wir noch überhaupt keine Spur zu Amber haben.« Camille trug ihren Teller zur Spüle, wusch ihn ab und stellte ihn zum Trocknen zu den anderen. »Ich denke immerzu daran, dass sie sie womöglich foltern oder dass sie schon tot sein könnte. Und es gibt einfach keine Möglichkeit, das herauszufinden.«

»Könntest du sie irgendwie magisch aufspüren?«

Camille runzelte nachdenklich die Stirn. »Vielleicht. Mein Findezauber würde mir nur den Weg zu ihr zeigen, wenn sie irgendwo gefangen gehalten wird. Außer er geht daneben, und wir landen in der Höhle des Löwen.«

»Mann, darauf würde ich mich beinahe einlassen - aber nicht ohne Verstärkung. Ein Hauch von dem Wolfsdorn, und wir wären beide außer Gefecht.«

»Ach ja, wo du's gerade erwähnst, Sharah hat heute angerufen. Sie hat mir geraten, sehr vorsichtig zu sein, weil ich jetzt gegen das Zeug sensibilisiert bin. Wenn ich noch mal damit in Kontakt komme, könnte das eine allergische Reaktion auslösen - von milde bis tödlich.«

»Wunderbar. Okay, wie wäre es mit Wahrsagen oder Pendeln oder so?«

»Bring mir eine Schüssel Wasser. Nimm eine von den Kristallschalen.« Sie setzte sich wieder an den Tisch, schloss die Augen und atmete tief und langsam, während ich mich um das Wasser kümmerte. Wir hatten mehrere Schüsseln aus Silber und Kristall, die sowohl Camille als auch Iris für magische Zwecke benutzten, und ich holte die klarste Kristallschale hervor. Dann hatte ich eine geniale Idee. Ich rannte nach oben in ihr Arbeitszimmer und holte eine Flasche Tygeria-Quellwasser, das aus der Anderwelt stammte. Es konnte nicht schaden, dem Ganzen mit einem Schuss heiligem Wasser etwas mehr Pfiff zu geben.

Als ich zurückkam, sah ich, dass Camille Ambers Foto in der Hand hielt. Ein Anhaltspunkt. Ich gab eine Tasse Tygeria- Wasser in das Leitungswasser in der Schale. Es breitete sich darin aus wie Öl, vermengte sich dann damit, und die Wassermischung wurde verblüffend klar. Vorsichtig schlang ich die Arme um die wuchtige Schüssel und trug sie zum Tisch.

Camille ließ langsam den Atem ausströmen, und ich sah zu, wie sie sich über die Schale beugte und die Augen öffnete. Mit nachdenklicher Miene blickte sie forschend in das Wasser und suchte nach etwas - wonach, wusste ich nicht. Magie verwirrte und erstaunte mich, aber vor allem machte sie mir Angst.

Wenn Camille in ihre magische Energie eingehüllt war, dann war es, als gehörte sie zu einer anderen Welt, die sie davonfegte und verschlang. Ich konnte dort nicht hin. Aber sie konnte mir ja auch nicht in die Welt folgen, die ich als Tigerkätzchen oder Panther betrat. Jede von uns hatte ihr privates Königreich, das galt auch für Menolly und ihren Blutdurst. Dennoch waren wir gemeinsam stärker als jede für sich allein.

Ein Nebelfähnchen stieg kräuselnd von dem Wasser auf, und sie wich keuchend zurück. »Schau«, flüsterte sie und deutete auf die Schale.

Ich blickte auf die stille Wasserfläche und wartete, bis der Nebel sich lichtete. Da war sie - Amber. Sie stand in einem Käfig, umklammerte mit flehender Miene die Gitter, und ... Augenblick mal.

»Was trägt sie da um den Hals?«

Camille beugte sich vor und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Schale. Gleich darauf riss sie den Kopf hoch und sah mich erschrocken an. »Das ist doch nicht das, wofür ich es halte, oder?«

Um den Hals der verängstigten Werwölfin hing eine goldene Kette mit einem Anhänger aus makellos klarem Topas, leuchtend gelb und funkelnd. Die Fassung war prächtig und sah sehr alt aus. Und der Edelstein funkelte, obwohl Ambers Gefängnis nur trüb erleuchtet zu sein schien.

»Es sieht so aus wie die anderen, nicht?« Ich sog scharf den Atem ein. War es wirklich möglich, dass Amber trug, was wir vermuteten? Und wenn ja, wie zum Teufel war sie in den Besitz eines Geistsiegels gekommen?

»Mist, Mist, Mist.« Camille suchte erneut hektisch das Bild ab. »Ich kann nur erkennen, dass sie anscheinend in einer Zelle ist - einem Käfig -, in trübem Licht. Ich habe keine Ahnung, wo sie ist, und ich kann nichts sehen, das uns einen Anhaltspunkt geben könnte.« Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wenn sie eines der Siegel hat, müssen wir sie finden, ehe sie getötet wird.«

»Was meinst du, was die Kojote-Wandler mit den Geistsiegeln anfangen sollten? Können sie überhaupt wissen, was das ist?«

Camille schnappte sich ihren Mantel. »Iris, wir fahren jetzt zu Marion. Sie müsste inzwischen in ihrem Café sein.«

Ich holte meine Jacke und die Handtasche. »Bin schon da. Am besten nehmen wir meinen ...«

»Nicht deinen Jeep. Die Sonne scheint, aber es ist kalt, und es soll heute noch kälter werden. Wir fahren mit meinem Lexus.« Sie hielt ihren Autoschlüssel hoch. Ich zuckte mit den Schultern, sparte mir die Mühe, ihr zu widersprechen, und wir gingen aus dem Haus.

Das Superurban Café lag an der East Pike Street und war ein beliebter Treffpunkt aller möglichen Übernatürlichen, aber vor allem der Werwesen. Marion, die Besitzerin, war eine Kojote-Wandlerin, und wir hatten sie bei einem Treffen der ÜW-Gemeinde kennengelernt. Vor ein paar Wochen hatte sie

Camille und unserer Freundin Siobhan geholfen, einem irren Stalker zu entkommen, der es auf die Werrobbe abgesehen hatte.

In dem Café herrschte bereits reger Betrieb, fast jeder Tisch war besetzt. Großformatige Fotografien der Umgebung bedeckten die Wände - Landschaftsaufnahmen vom Mount Rainier und der Stadt Seattle, Bilder von der Space Needle, dem Hafen, dem Stadtzentrum. Urbane Szenen mischten sich mit der Wildnis. Die Tische waren aus glänzend poliertem Holz, die Stühle schlicht, aber solide, aus Holz mit grünem Leder bezogen.

Es roch nach heißem Kaffee, Hühnersuppe und frisch gebackenem Brot, und obwohl wir gerade erst gefrühstückt hatten, knurrte mir von diesen Düften der Magen. Wir setzten uns an einen Tisch und winkten Marion zu, die gerade hinter dem Tresen stand und einem Gast Wechselgeld herausgab.

Sie schlängelte sich zwischen den Tischen zu uns durch, die Kaffeekanne in der Hand. »Kaffee? Honigbrötchen? Zimtschnecken?«

Camille lächelte. »Ach, was soll's. Eines von deinen Riesenbrötchen mit Honig, bitte. Und eine Sprite.«

»Ich hätte gern eine Zimtschnecke. Und ein paar Minuten deiner Zeit, wenn das ginge. Wir könnten deine Hilfe bei einigen wichtigen Fragen gebrauchen.«

Marion nickte. »Ich gebe schnell eure Bestellung durch, dann bin ich sofort für euch da, Mädels.« Sie trat an die Durchreiche zur Küche und gab unsere Bestellung weiter. Dann kehrte sie mit der Sprite zurück und setzte sich zu uns an den Tisch.

Die Frau war hager, aber nicht etwa deshalb, weil sie hungerte. Kojote-Wandler schienen alle eher dünn zu sein, schlank und drahtig, und die meisten wirkten zäh. Marion hatte lockiges rotes, beinahe mahagonifarbenes Haar, das sie ordentlich zu einem Pferdeschwanz gebunden trug. Ihre Augen blitzten haselnussbraun. Sie trug eine Jeans, ein T-Shirt und eine grüne Schürze, in die das Logo des Superurban Café eingestickt war. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte.

Eine Kellnerin kam mit unserer Bestellung. Sie reichte mir eine gigantische Zimtschnecke und Camille das riesigste, fluffigste Brötchen, das ich je gesehen hatte, dazu ein schönes großes Stück Butter und einen kleinen Krug Honig. Als die Kellnerin gegangen war, ermunterte Marion uns, erst zuzugreifen.

»Was kann ich für euch tun?«

Camille warf mir einen Blick zu und nickte, während sie ihre erste Brötchenhälfte mit Butter und Honig bestrich.

Ich räusperte mich. »Das ist eine heikle Angelegenheit, Marion. Wir möchten nicht den Eindruck erwecken, als würden wir irgendjemanden beschuldigen, aber es gibt da ein Problem, und wir würden gern deine Meinung dazu hören.«

Marion blickte sich um, doch alle Gäste schienen mit ihrem Essen, ihrem Kaffee, ihren Büchern und Gesprächen beschäftigt zu sein. »Okay, was ist los?«

Ich beugte mich vor und senkte die Stimme. »Möglicherweise haben wir ein Problem mit ein paar ... Kojote-Wandlern, die Wolfsdorn herstellen. Oder zumindest kaufen.«

»Scheiße. O Scheiße.« Sie wurde blass - so blass jemand mit sonnengebräunter Haut eben werden konnte. »In mein Büro. Sofort. Nehmt eure Teller mit.«

Wir folgten ihr an der Küche mit ihren dampfenden Töpfen und Pfannen vorbei zu ihrem Büro in einem Hinterzimmer. Sie sank auf den Sessel hinter ihrem Schreibtisch und bat uns, davor Platz zu nehmen. »Jetzt sind wir unter uns. Raus damit.«

Ich berichtete ihr, was passiert war, und ließ nur unsere Spekulationen über das Geistsiegel aus. Marion hörte zu und spielte dabei mit einem Stück Holz, aus dem sie offenbar gerade eine Figur schnitzte. Als ich davon erzählte, wie die Wolfsdorn-Falle Camille erwischt hatte, beugte sie sich vor.

»Ich werde euch etwas erzählen, worüber mein Volk selten spricht. Erstens bleiben die Kojoten-Stämme eher unter sich, und wir haben es nicht gern, wenn unsere Geheimnisse nach außen dringen. Aber vor allem haben wir ein paar finstere Cousins in der Familie, und von ihnen zu sprechen ... man fürchtet, dass man sie dadurch herbeiruft.« Sie öffnete eine Schublade und holte eine kleine Figur heraus. Es war ein aufrecht stehender Kojote mit einer Maske vor dem Gesicht und einem Beutel über der Schulter. »Der Herr der Kojoten höre unsere Worte und halte sie geheim«, flüsterte sie und berührte ehrfurchtsvoll die kleine Statue.

Ein Kribbeln lief mir über den Rücken. Magie. Ich spürte sie zwar nicht immer, aber diesmal war sie für mich greifbar, und sie fühlte sich beruhigend an - wie in ein warmes Bett unter eine dicke Decke zu kriechen. Gleich darauf lag der Raum in gedämpfter Stille.

»Jetzt können wir offen sprechen und sind vor neugierigen Lauschern sicher.« Marion warf einen Blick auf die Wanduhr. »Der Zauber hält etwa fünfzehn Minuten.«

»Ich wusste gar nicht, dass du Magie wirken kannst.« Da Werwölfe ein angeborenes Misstrauen gegenüber jeglicher Magie hegten, war ich einfach davon ausgegangen, dass es bei den Kojote-Wandlern nicht anders war. »Ich dachte, die meisten caniden Werwesen mögen keine Magie.«

»Werwölfe nicht, aber Kojote-Wandler? Wir gehören zu den magischsten Werwesen, die es gibt. Wir wirken Trickster- Magie, liebe Katzenfreundin. Der Große Kojote ist von Natur aus magisch, und ebenso jene, die seinem Pfad folgen. Aber darüber können wir später sprechen. Ich muss euch etwas sagen, das unbedingt geheim bleiben muss - und falls jemand danach fragt, habt ihr es nicht von mir erfahren. Verstanden?« Sie verschränkte die dünnen, aber muskulösen Arme vor der Brust.

»Verstanden.«

»Ich will euch eine Geschichte erzählen. Eine Legende meines Volkes. Mein Großvater hat sie mir in genau diesen Worten erzählt, und so erzähle ich sie euch. Ihr seid die ersten Nicht-Kojoten, die sie hören. Zumindest von mir.«

»Wir fühlen uns geehrt, und wir werden dein Vertrauen nicht missbrauchen«, versicherte ihr Camille.

Marion nickte. »Also beginne ich. Vor tausend und abertausend Jahren verlieh der Große Trickster seinem Volk die Macht, die Gestalt von Kojoten anzunehmen. Diese Gabe schenkte er ihnen, weil sein Volk seinem Pfad folgte, seine Lehren aufnahm und dadurch weise wurde. Und für diese Klugheit belohnte der Trickster Nukpana, den Anführer des ersten Gestaltwandler-Rudels, mit einem besonderen Geschenk. Dieses Geschenk war ein Edelstein, der wie die Sonne leuchtete. Nukpana trug den Stein an einer Kette um den Hals, als Zeichen für den Pakt zwischen dem Großen Trickster und den Kojote-Wandlern.«

Camille schnappte nach Luft, hielt jedoch den Mund. O ja, das lief genau in Richtung dessen, was wir hören wollten.

Der Große Trickster hatte also eines der Geistsiegel besessen. Wunderbar.

»Der Edelstein stärkte die Macht des Volkes, mit dem Chaos zu tanzen und alles Unerwartete zu meistern. Doch wie alle machtvollen Geschenke, so hatte auch der Edelstein zwei Gesichter, und bald lebte Nukpana für das Chaos, statt mit ihm zu leben.« Marion seufzte tief. »Nukpana verletzte das Gleichgewicht.«

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. »Er fing an, die Balance zwischen Ordnung und Chaos zu stören?«

»So ist es. Nukpana begann, dunkle Magie zu wirken, und seine Gier besiegte seinen Willen, in Harmonie mit anderen zu leben. Er benutzte seine Gabe für Lug und Trug nicht, um sein Volk zu fördern, sondern um Macht zu erlangen. Bald erhob sich sein Sohn gegen ihn, gemeinsam mit anderen, die diese Veränderungen nicht guthießen. Und sie vertrieben Nukpana und jagten ihn hinaus in die Wüste. Doch einige ließen sich von seiner Magie verführen. Sie folgten ihm und gründeten ein neues Dorf, wo sie sich ganz den dunkleren Künsten des Chaos widmeten. Sie nahmen Koyaanisqatsi wieder auf - ein Leben außerhalb des Gleichgewichts. Seine Nachfahren sind als die Koyanni bekannt.«

»Ich glaube, das Ende dieser Geschichte wird mir nicht gefallen«, sagte ich leise.

»Die Geschichte geht nicht gut aus.« Marion schüttelte den Kopf. »Wenn das, was ich vermute, wahr ist, dann ist eure Freundin in großer Gefahr.«

Camille und ich aßen und hörten zu, während sie ihre Geschichte wieder aufnahm.

»Der Große Trickster wollte die Koyanni von ihrem Weg abbringen - es betrübte ihn, dass Nukpana sein großes Geschenk dazu missbrauchte, die Lehren des Großen Kojoten zu verdrehen. Die Jahre vergingen, Nukpana und die Koyanni verfielen dem dunklen Pfad immer mehr. Also sandte der Kojote Akai, einen der Fuchsbrüder in ihre Mitte, damit er den Edelstein stehle und verstecke. Nukpana, der inzwischen viele natürliche Lebensspannen alt war, ließ sein Volk im Stich und jagte den schlauen Akai; über Jahrhunderte hinweg. Und obwohl er längst im Staub der Zeit zerfallen ist, suchen die Erben der Koyanni nach dem Stein, der ihnen helfen soll, ihr Schicksal zu erfüllen. Sie sind den verdorbenen Lehren Nukpanas treu geblieben und haben sich so weit von ihrem Ursprung entfernt, dass der Große Trickster den verlorenen Stamm bis heute betrauert.«

»Dann sind also die ... Koyanni ... die Änhanger Nukpanas ...«

»Wir Übrigen betrachten sie als den verlorenen Stamm. Sie haben sich von den Lehren des Großen Tricksters abgewandt und dem Schatten ergeben. Die Schattenstämme sind inzwischen über das ganze Land verstreut - aber ich weiß, dass einige von ihnen hier oben leben. Und in Arizona gibt es sie auf jeden Fall. Es ist gut möglich, dass sie eurer Freundin nachgejagt sind und sie gefangen haben, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, weshalb.« Marion schüttelt den Kopf. »Die Koyanni sind böse und grausam ...Sie benutzen die Kunst des Tricksters, um andere zu verletzen. Auf ihr Wort ist kein Verlass.«

»Danke«, flüsterte ich. »Ich habe eine Frage: Du hast sagt, ein paar der Schattenstämme siedeln hier? «

»O ja«, antwortete Marion, die ihre Stimme ebenfalls zu einem Flüstern senkte. »Sie leben hier, und sie sind gefährlich, magisch und verführerisch. Sie benutzen Illusionen um zu bekommen, was sie wollen, und allerlei magische Tränke. Wenn sie eure Freundin haben wollten, dann ist sie bereits tot und unter Schmerzen gestorben, es sei denn, sie hätten irgendeinen Grund, sie am Leben zu lassen.«

Camille rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn, und der Raum fühlte sich auf einmal finsterer an, als ließe Marions schützender Zauber nach. »Weißt du, wo sie leben?«

Marion hob den Kopf und sah uns in die Augen. Sie schauderte. »Sie streifen durch die Straßen. Die Wildnis brauchen sie nicht. Sie wohnen in der Stadt und jagen in den Vororten. Ich habe keine Adresse, aber ich weiß, dass sie hier in der Stadt leben. Es gibt Gerüchte über ein Haus in Belles-Faire, aber ich weiß nicht, wo genau. Ich werde versuchen, mehr in Erfahrung zu bringen. Aber ihr könnt sicher sein, dass sie bei dem Wolfsdorn die Hand im Spiel haben.«

Ich dankte ihr, und mit dem Gefühl, dass der Feind schon unbehaglich nah an uns herangerückt war, verließen wir das Café.

 

»Fahren wir zu Mary Mae.« Camille steuerte ihren Lexus vom Parkplatz. »Wir kommen ja nur ein bisschen zu früh.«

»Klar.« Während wir die Straße entlangflitzten, blickte ich endlich zu ihr hinüber und sagte: »Amber hat also eines der Geistsiegel. Dasjenige, das Nukpana getragen hat. Und jetzt sind die Koyanni hinter ihr her. Die müssen es spüren können. Nukpana hat es sicher so lange getragen, dass noch etwas von seiner Energie daran haftet.«

»Also sind sie ihr nach Seattle gefolgt oder haben Freunde hier auf sie angesetzt und sie mit Wolfsdorn erledigt. Aber warum haben sie Amber das Ding nicht einfach abgenommen, sobald sie im Hotel bewusstlos geworden ist? Warum sollten Geschenk dazu missbrauchte, die Lehren des Großen Kojoten zu verdrehen. Die Jahre vergingen, und Nukpana und die Koyanni verfielen dem dunklen Pfad immer mehr. Also sandte der Kojote Akai, einen der Fuchsbrüder, in ihre Mitte, damit er den Edelstein stehle und verstecke. Nukpana, der inzwischen viele natürliche Lebensspannen alt war, ließ sein Volk im Stich und jagte den schlauen Akai über Jahrhunderte hinweg. Und obwohl er längst im Staub der Zeit zerfallen ist, suchen die Erben der Koyanni nach dem Stein, der ihnen helfen soll, ihr Schicksal zu erfüllen. Sie sind den verdorbenen Lehren Nukpanas treu geblieben und haben sich so weit von ihrem Ursprung entfernt, dass der Große Trickster den verlorenen Stamm bis heute betrauert.«

»Dann sind also die ... Koyanni ... die Anhänger Nukpanas ...«

»Wir Übrigen betrachten sie als den verlorenen Stamm. Sie haben sich von den Lehren des Großen Tricksters abgewandt und dem Schatten ergeben. Die Schattenstämme sind inzwischen über das ganze Land verstreut - aber ich weiß, dass einige von ihnen hier oben leben. Und in Arizona gibt es sie auf jeden Fall. Es ist gut möglich, dass sie eurer Freundin nachgejagt sind und sie gefangen haben, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, weshalb.« Marion schüttelte den Kopf. »Die Koyanni sind böse und grausam ... Sie benutzen die Kunst des Tricksters, um andere zu verletzen. Auf ihr Wort ist kein Verlass.«

»Danke«, flüsterte ich. »Ich habe eine Frage: Du hast gesagt, ein paar der Schattenstämme siedeln hier?«

»O ja«, antwortete Marion, die ihre Stimme ebenfalls zu einem Flüstern senkte. »Sie leben hier, und sie sind gefährlich, magisch und verführerisch. Sie benutzen Illusionen, um zu bekommen, was sie wollen, und allerlei magische Tränke. Wenn sie eure Freundin haben wollten, dann ist sie bereits tot und unter Schmerzen gestorben, es sei denn, sie hätten irgendeinen Grund, sie am Leben zu lassen.«

Camille rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn, und der Raum fühlte sich auf einmal finsterer an, als ließe Marions schützender Zauber nach. »Weißt du, wo sie leben?«

Marion hob den Kopf und sah uns in die Augen. Sie schauderte. »Sie streifen durch die Straßen. Die Wildnis brauchen sie nicht. Sie wohnen in der Stadt und jagen in den Vororten. Ich habe keine Adresse, aber ich weiß, dass sie hier in der Stadt leben. Es gibt Gerüchte über ein Haus in Belles-Faire, aber ich weiß nicht, wo genau. Ich werde versuchen, mehr in Erfahrung zu bringen. Aber ihr könnt sicher sein, dass sie bei dem Wolfsdorn die Hand im Spiel haben.«

Ich dankte ihr, und mit dem Gefühl, dass der Feind schon unbehaglich nah an uns herangerückt war, verließen wir das Café.

»Fahren wir zu Mary Mae.« Camille steuerte ihren Lexus vom Parkplatz. »Wir kommen ja nur ein bisschen zu früh.«

»Klar.« Während wir die Straße entlangflitzten, blickte ich endlich zu ihr hinüber und sagte: »Amber hat also eines der Geistsiegel. Dasjenige, das Nukpana getragen hat. Und jetzt sind die Koyanni hinter ihr her. Die müssen es spüren können. Nukpana hat es sicher so lange getragen, dass noch etwas von seiner Energie daran haftet.«

»Also sind sie ihr nach Seattle gefolgt oder haben Freunde hier auf sie angesetzt und sie mit Wolfsdorn erledigt. Aber warum haben sie Amber das Ding nicht einfach abgenommen, sobald sie im Hotel bewusstlos geworden ist? Warum sollten sie sie entführen?« Camille schüttelte den Kopf. »Irgendein Puzzleteilchen fehlt uns noch.«

»Ja, und das gefällt mir nicht. Da - das muss das Haus sein.« Ich deutete auf ein kleines Häuschen, ein Stück zurückversetzt hinter einem schmalen, ordentlich gemähten Vorgarten. Camille parkte so locker rückwärts ein, wie ich es nie lernen würde, und wir stiegen aus.

Ich musterte das Haus. Gepflegt, aber ärmlich. Mary Mae und Paulo hatten offenbar nicht viel Geld, doch das hinderte sie nicht daran, ihr Haus so anheimelnd wie möglich zu machen. Als ich das Tor im Maschendrahtzaun öffnete, hörte ich einen Hund bellen - vermutlich im Garten hinter dem Haus. Wir gingen auf das Haus zu, doch es kam mir zu still, zu ruhig vor.

Als wir unter dem Gebilde ankamen, das ein Vordach sein sollte, fiel mir auf, dass die Haustür offen stand. Ich wies Camille mit einem Nicken darauf hin, und wir wechselten einen Blick. Sie trat zurück, und ich sah ihr an, dass sie die Energie der Mondmutter herabrief, nur für den Fall, dass wir sie brauchen sollten. Normalerweise trug ich meinen Dolch nicht mit mir herum, aber ich hatte ein unauffälliges kleines Stilett an meinem Unterarm befestigt. Chase hätte mir den Kopf gewaschen, wenn er davon gewusst hätte - diese lange Klinge war absolut illegal. Aber daran hatten wir uns noch nie gestört.

Ich bedeutete Camille, aus der Schusslinie zu gehen, und sie drückte sich an die Hauswand. Ich hob einen gestiefelten Fuß, stieß krachend die Tür auf und stürmte hinein, dicht gefolgt von Camille. Ein kurzer Blick zeigte mir, dass das Wohnzimmer leer war, aber Camille zupfte an meinem Ärmel und wies in Richtung Küche.

»Ich höre da etwas«, sagte sie.

Wir schössen zu dem offenen Durchgang hinüber. Ich huschte geduckt hindurch, und mein erster Eindruck war - Blut. Überall. Die Wände waren rot gefärbt, auf dem Boden hatte sich eine große, dicke, klebrige Lache ausgebreitet. Und mittendrin lag eine Frau, hochschwanger. Und tot. Mary Mae - das musste sie sein.

Von dem Blutgeruch wurde mir schwindelig, und ich spürte den Panther in mir schwach werden. Er wollte hervorbrechen.

Camille eilte um die Blutlache herum zur Hintertür, die offen stand, und verschwand im Garten. Ich folgte ihr gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sie einen Energieblitz auf einen dünnen, hageren Mann abschoss, der zum Zaun am hinteren Ende des Gartens flüchtete. Der Blitz traf ihn, und er wirbelte knurrend herum.

Ich rannte an Camille vorbei und ließ die Klinge von meinem Unterarm hervorschnellen. »Stehen bleiben!«

Er zog etwas aus der Tasche und schleuderte es mir entgegen. Das Ding explodierte auf dem Boden. Wolfsdorn! Verflucht!

Taumelnd kreischte ich Camille zu, sie solle zurückbleiben, doch das waren die einzigen Worte, die ich noch hervorbringen konnte, ehe der Panther die Kontrolle übernahm. Ich spürte, wie ich mich verwandelte. Sobald ich auf allen vieren gelandet war, setzte ich dem Mann nach, der gerade über den Zaun kletterte. Mit einem Sprung überwand ich den Maschendraht und war ihm auf den Fersen. Ich hetzte ihn die Gasse entlang und landete einen ordentlichen Hieb. Der zweite Prankenhieb riss ihn zu Boden, und er landete mit angstgeweiteten Augen auf dem Rücken.

Ich sprang knurrend auf seine Brust. Ich wusste, dass wir ihn lebend brauchten, aber ich roch das Blut der Frau, das an seiner Jacke klebte, und ein furchtbarer Zorn wallte in mir auf. Ich raste vor Wut, weil er sie und ihr ungeborenes Kind getötet und meine Schwester in Lebensgefahr gebracht hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, schloss ich die Kiefer um seine Kehle.

»Nein, nein ...« Er versuchte sich zu befreien, rang mit meinem Hals, aber ich biss leicht zu, und er ließ los. Ein irrer Ausdruck trat in seine Augen, und darin sah ich meine eigene Blutlust gespiegelt - er war ein Killer. Ich spürte es in seiner Seele. Und ich fühlte noch etwas - er war ein Werwesen. Ein Kojote- Wandler.

Ohne zu begreifen, was ich tat oder wie das möglich war, begann ich seine Gedanken zu lesen. Ich spürte förmlich, wie er Mary Mae aufschlitzte, sah seine Erregung beim letzten tödlichen Hieb und fühlte seine Erleichterung darüber, dass sie jetzt kein Wort mehr über Paulo würde sagen können. Er hatte sie getötet, um sie zum Schweigen zu bringen, und er hatte jeden Augenblick genossen. Der Mann war wahnsinnig, ein Teufel, und seine Zeit war gekommen.

Verblüfft bemerkte ich plötzlich Greta neben mir. Sacht kraulte sie mein Fell, während ich den Mann niederhielt. Sie kniete sich neben mich und flüsterte: »Nein - für dich ist es noch nicht Zeit, das zu lernen. Delilah, lass ab.«

Doch ich ignorierte ihren Appell, stieß ein gurgelndes Knurren aus und schüttelte den Kojote-Wandler tot. Als er schlaff wie ein Putzlumpen zu Boden fiel, schnupperte ich an ihm und rollte ihn herum. Ich fühlte mich so lebendig, dass es mir Angst einjagte*