Kapitel 9

 

Es kam mir seltsam vor, mit Nerissa und Luke loszuziehen, weil ich es gewohnt war, solchen Fällen zusammen mit meinen Schwestern nachzugehen. Iris winkte uns von der Haustür aus nach, und als ich zurückwinkte, überkam mich plötzlich ein Gefühl der Einsamkeit.

Der Himmel war finster, neuer Regen drohte, und es wehte ein kühler Wind. Ich beobachtete einen Schwärm Krähen, die sich auf der hohen Eiche hinter dem Haus niederließen. Hatte Morgana sie geschickt, damit sie uns ausspionierten? Ich schob den Gedanken beiseite - jetzt wurde ich auf meine gar nicht so alten Tage schon paranoid!. Ich atmete tief ein. Dem Duft von Holzrauch in der Luft, die von den glitzernden Regentropfen frisch gewaschen war, folgten die satten, würzigen Gerüche von Zedern und Kiefern, Moos und Moder. Dies war Hi'rans Jahreszeit. Uber diese Monate herrschte der Herbstkönig, und wieder einmal sehnte ich mich danach, ihn zu mir zu rufen und mit ihm zu sprechen. Seine Nähe hatte inzwischen eine eigenartig tröstliche Wirkung auf mich, und ich fühlte mich beruhigt, wenn ich an ihn dachte.

Aus dem Augenwinkel nahm ich eine plötzliche Bewegung wahr, doch da war niemand. Eine Sekunde später spürte ich, wie eine Hand meinen Ellbogen umfing. Hi'ran? Ich konnte seine Hitze fühlen, aber ... aber auch diesmal war das nicht er. Ich schüttelte den Kopf, fühlte mich aber schon weniger einsam, als ich den Jeep aufschloss und den anderen bedeutete, einzusteigen.

Nerissa setzte sich vorn neben mich. Sie trug eine Jeans,

ein langärmeliges Top und Stöckelschuhe, in denen sie so groß war wie ich. Ihr goldenes Haar ringelte sich in Locken über ihren Rücken, die mich zum Lächeln brachten. Sie war wirklich sehr schön - ich konnte gut verstehen, dass Menolly sich in sie verliebt hatte. Luke stieg hinten ein, und seine Miene war vor Sorge verzerrt. Er ließ sich nach vorn sinken, die Ellbogen auf die Knie gestützt.

»Würdest du dich bitte richtig hinsetzen und dich anschnallen? Ich will dich nicht auf dem Gewissen haben, falls wir mit dem Wagen verunglücken oder so.«

Er blinzelte, gehorchte aber kommentarlos. Als ich vorsichtig auf die Straße eingebogen war, merkte ich, dass ihm irgendetwas zu schaffen machte.

»Stimmt was nicht, Luke? Egal, was es ist, uns kannst du es sagen.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ach, es ist nur ... so sehr ich Rice auch hasse, ich hoffe trotzdem, dass er nicht der Drecksack ist, der das getan hat. Jedes Mitglied des großen Rudels, das Wolfsdorn gegen ein anderes Mitglied einsetzt, gehört erschossen. Ich will nicht glauben, dass Rice mutig genug sein könnte, es zu benutzen, schon gar nicht bei meiner Schwester. Eines hat Sharah euch offenbar nicht gesagt - vielleicht weiß sie es auch nicht, denn wir halten solche Informationen möglichst unter der Decke. Eine zu hohe Dosis Wolfsdorn kann zur Domestikation führen. Absoluter Unterwürfigkeit. Wolfsdorn kann sogar einen ranghohen Werwolf zu einem kriecherischen Sklaven machen. Für immer.« Seine Stimme troff vor Abscheu.

Ich verzog das Gesicht. »Übel. Das wusste ich nicht, und ich glaube auch nicht, dass Sharah es weiß. Ich nehme an, es wäre dir lieber, wir behalten das für uns?«

Er räusperte. »Ja, wenn du und Nerissa so freundlich wärt ... Wenn das irgendwie in die Öffentlichkeit durchsickern würde - könnt ihr euch vorstellen, was ÜW-Hasser damit anrichten könnten? Oder sonst irgendjemand, der mit einem Werwolf im Clinch liegt?«

Ich verstand, was er damit meinte. Was, wenn die Freiheitsengel irgendwie an diese Information kamen? Diese Leute hatten die Grenze zwischen Hasstiraden und Gewalttaten überschritten und würden sich nicht scheuen, Wolfsdorn produzieren zu lassen und zu benutzen. Die waren zu allem fähig, wenn es darum ging, das loszuwerden, was sie fürchteten und verabscheuten.

»Also, warum wohnt deine Freundin Katrina in Seattle, obwohl ihr Rudel drüben auf der Halbinsel ist?« Ich bog auf die Greenwood Avenue ab.

»Sie arbeitet hier, und für ihr Rudel ist es leichter, im ÜW- Gemeinderat mitzumischen, wenn ein Mitglied ganz nah dran ist.«

Wir fuhren nach Norden am Bitter Lake vorbei, dann nach rechts auf den Westminster Way und links auf die Dayton Avenue. An der Kreuzung Carlyle Hall Road bog ich nach links ins Viertel um das Shoreline Community College ab, wo die Stadt dank der vielen Bäume grünlich schimmerte. Seattle trug den Beinamen »Smaragdstadt« schließlich nicht, weil irgendjemand so auf Der Zauberer von Oz stand. Irgendwann traf die Carlyle Hall Road auf die Third Avenue, und bald danach bogen wir nach links auf die 175th Street ein.

»Sie wohnt ziemlich weit draußen, was?«, bemerkte Luke.

»Katrina wohnt nah am Wasser, in der Sixteenth Street.« Ich bog auf die 10th Street ein, und wir schlängelten uns durch weitere grüne Vorortviertel, bis wir die 167th Street erreichten. Von dort aus kamen wir schnell in die richtige Straße, die letzte vor dem Puget Sound. Langsam rollte ich die Sackgasse entlang und hielt vor einem schlichten Haus, das offenbar erst kürzlich ganz am Ende der Straße erbaut worden war.

Ich bewunderte die Aussicht und dachte mir, dass dieses Anwesen - schlichter Baustil hin oder her - die Werwölfin eine hübsche Stange Geld gekostet haben musste. Immobilien an der Küste - und dazu gehörte alles, was auch nur eine ferne Aussicht aufs Wasser bot - waren megateuer.

Der Wind peitschte Gischt auf die Wellen in der Bucht, als wir aus meinem Jeep stiegen. Der salzige Geruch des Meeres drang schwer herüber, und das Kreischen der Möwen machte mich nervös. Ich mochte Wasser nicht, wie die meisten Werkatzen. Obwohl hier keinerlei Gefahr bestand, dass ich hineinfallen könnte, verstörte mich allein der Anblick einer so riesigen Fläche voll silbriger Wellen. Ich hatte noch nie verstanden, was die Leute am Meer so entspannend fanden. Für mich war es nur eine einzige, große, schreckliche Badewanne.

Luke hingegen reckte die Nase in die Luft, atmete tief ein und schloss die Augen, als der Wind an uns vorbeipfiff.

»Ich liebe dieses Wetter«, sagte er. »Und diese Gegend. Ich würde niemals nach Arizona zurückgehen, selbst wenn das Rudel mich darum bitten würde.«

»Gehen wir«, sagte Nerissa. »Katrina erwartet uns. Ich weiß nicht, ob Luke dir das schon erklärt hat, Delilah, aber ein paar Hinweise: Starre einem Werwolf niemals in die Augen. Das ist eine Herausforderung, und obwohl Katrina kein Alpha-Weibchen ist, würde sie sich bedroht fühlen. Wenn du sie gleich begrüßt, kannst du lächeln und nicken, aber schau ihr nicht in die Augen.«

»Richtig«, sagte Luke. »Ich habe diesen Impuls ganz gut im Griff, aber eine Menge Werwölfe kommen nie darüber weg.«

»Ich bin froh, dass du mir das gesagt hast, denn in der Katzenwelt, vor allem bei Werkatzen, ist es genau andersherum.«

Wir gingen durch den leicht ansteigenden Vorgarten zu dem frisch gestrichenen Haus, und Nerissa klingelte an der Tür. Der Geruch der Farbe war fast verflogen und vermischte sich mit dem Duft nach feuchter, frisch aufgeworfener Erde - was bedeutete, dass Katrina vermutlich hinten einen Garten hatte. Es roch außerdem nach Holzrauch, und als ich zum Dach aufblickte, sah ich, dass sie einen Kamin hatte, der munter rauchte.

Die Tür ging auf, und eine dunkelhaarige Frau stand vor mir, die ein wenig einschüchternd wirkte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber jedenfalls keine Frau im korrekten Kostüm mit streng hochgestecktem Haar und Drahtgestellbrille. Sie war schlank und zierlich, kaum eins fünfundsechzig, schätzte ich, mit einem kräftigen, entschlossenen Kinn. In früheren Zeiten hätte man sie als »adrett« bezeichnet. Ihre Augen jedoch waren berückend, samtig dunkelbraun wie geschmolzene Schokolade mit einem topasfarbenen Ring um die Iris.

Als sie Nerissa sah, breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht, und die strenge, förmliche Ausstrahlung wich einer herzlichen Schönheit. »Nessa! Wir haben uns lange nicht mehr gesehen. Sind das deine Freunde?« Sie sah Luke und mich an. »Ihr seid beide Werwesen, aber du ...« Sie deutete auf mich. »Bei dir mischt noch etwas anderes mit. Du bist keine typische Werkatze.«

In diesem Moment krachte über uns ein Donnerschlag, und die Wolken brachen auf und durchweichten uns mit riesigen, dicken Regentropfen. Nerissa stieß einen leisen Schrei aus und hielt sich die Hände über den Kopf. Katrina wich von der Tür zurück und bat uns hastig herein.

»Du meine Güte, wo bleiben meine Manieren? Herein mit euch. Kommt.« Sie führte uns ins Wohnzimmer, das einen offenen Kamin hatte. Ich schnappte nach Luft, als ich die riesige Fensterfront zum Puget Sound sah. Der dichte Wald war ein wenig gelichtet worden, so dass wir auf die riesige Wasserfläche hinausstarrten, an die Seattle sich schmiegte. Der Anblick war atemberaubend, wie gemalt.

»Wunderschön«, flüsterte ich und sank auf die Sitzbank des breiten Erkers, dessen Fenster einen Panoramablick boten. Mit Glas und Felsen und einer Kluft zwischen mir und dem Wasser konnte ich den Anblick genießen. »Du hast ein sehr schönes Haus«, fügte ich hinzu und sah mich um.

Seidiges, dunkles Parkett hob die cremefarbenen Wände hervor, und die eingebauten Bücherregale bestanden aus demselben Holz. Die Möbel waren dunkel und schwer in Leder und Holz und passten perfekt zu dem Backsteinkamin. Die Einrichtung erinnerte ein wenig an ein Jagdhaus, aber edel und angenehm ruhig.

Ich atmete tief ein und sah genauer hin. Julzeit, dachte ich. Es roch nach Mittwinter. Und tatsächlich, auf einem Beistelltisch neben einem überdimensionierten Sessel stand eine Schale mit einem Potpourri aus Blautannennadeln. Zimtstangen ragten daraus hervor, und ich erkannte Nelken und etwas, das wie eine getrocknete Vanilleschote aussah.

»Danke«, sagte Katrina und setzte sich in einen Schaukelstuhl, über dem eine Patchwork-Decke hing. Ich hatte das Gefühl, dass Katrina die selbst gemacht hatte.

Nerissa wies auf Luke. »Das ist Luke. Er ist der Werwolf, der ...« Sie verstummte, sah ihn an und wurde flammend rot.

»Was Nerissa zu sagen versucht, ohne mich zu beleidigen: Ich bin der Werwolf, der bei seinem Rudel als Geächteter gilt. Ich wurde vor vielen Jahren exkommuniziert, und es ist mir bei Todesstrafe verboten zurückzukehren.« Er strich sein Haar zurück, und ich schnappte nach Luft, als sein tief eingekerbtes Ohr zum Vorschein kam. »Ich trage das Mal der Parias.«

Falls Katrina überrascht war, sah man es ihr nicht an. Stattdessen streckte sie ihm die Hand hin. »Luke, es freut mich, dich kennenzulernen. Willkommen in meinem Haus.«

Es schien, als hätten die beiden eine Art unausgesprochenes Annahme-Ritual vollzogen. Der erleichterte Ausdruck, der sich über Lukes Gesicht breitete, verriet mir, dass mein Eindruck stimmte.

»Und das ist Delilah«, sagte Nerissa. »Menollys Schwester.« Als sie Menollys Namen aussprach, schwang ein Hauch von Stolz in ihrer Stimme mit, und ich unterdrückte ein Lächeln. Nerissa war eindeutig schwer verliebt in meine kleine Schwester.

Katrina musterte mich. »Du hast recht, sie ist unbestreitbar hübsch, aber nicht so flamboyant, wie du sie mir geschildert hast.«

»Das ist Camille, Menollys andere Schwester«, sagte Nerissa und wurde erneut knallrot. Verlegen schaute sie zu mir herüber. »Bitte glaub mir, ich rede nicht mit jedem über euch«, stammelte sie. »Nur mit guten Freundinnen. O nein, so war das auch nicht gemeint...«

Ich räusperte mich. »Ist schon gut. Solange du nicht sämtliche Einzelheiten unseres Privatlebens breittrittst, ist alles in

Ordnung.« Ich wandte mich Katrina zu und erklärte: »Also, ja, ich bin eine Doppelwerkatze und halb Fee, halb menschlich. Außerdem bin ich eine Todesmaid. Kein Wunder, dass du noch andere Energien an mir wahrnimmst.«

Wir setzten uns, und ein paar Sekunden lang war nur der Regen zu hören, der aufs Dach trommelte und an die Fensterscheiben zischelte. Dann stieß Nerissa ein tiefes Seufzen aus.

»Wir möchten dir ein paar heikle Fragen stellen. Bitte glaub mir, dass wir das nicht tun würden, wenn es nicht wichtig wäre.«

»Das klingt sehr ernst«, sagte Katrina.

»Ist es auch«, entgegnete ich. »Dass wir die Informationen bekommen, die wir brauchen, könnte über Leben und Tod entscheiden. Wir wissen nicht, ob du uns irgendwie weiterhelfen kannst, aber wir müssen alles versuchen.«

»Natürlich werde ich euch helfen, wenn ich kann. Also, was möchtest du wissen?« Sie richtete sich auf, straffte die Schultern, legte die Hände züchtig auf die Knie und sah mich direkt an.

»Hast du schon einmal von Wolfsdorn gehört?«

Katrina reagierte sofort. Sie blinzelte und wich unwillkürlich zurück, und ein Ausdruck der Abscheu breitete sich über ihr Gesicht. »Ja ... ja, habe ich. Das ist eine widerliche Substanz.«

Ich stieß den Atem aus. »Hast du irgendetwas darüber gehört, dass jemand hier in der Gegend sie herstellt? Wir sind in einem Hotelzimmer auf eine Falle mit Wolfsdorn gestoßen, und meine Schwester Camille - sie ist eine Hexe - hat es böse erwischt. Zum Glück habe ich kaum etwas davon abbekommen. Wir haben eine weitere Falle gefunden, die schon ausgelöst worden war, und wir fürchten, dass jemand sie dazu benutzt hat, eine schwangere Werwölfin zu entführen. Lukes Schwester Amber.«

»O Göttin.« Katrina gab einen gedämpften Laut von sich. Luke stieß den gleichen Laut aus, und ich fragte mich, was er bedeuten mochte. Doch ich kam nicht dazu, sie zu fragen, denn Katrina blickte zornfunkelnd wieder auf. »Ich kann einfach nicht glauben, dass jemand einer Schwangeren das antun würde. Ist sie ein Alpha-Weibchen?«

Luke schüttelte den Kopf. »Nein. Ich frage mich die ganze Zeit, ob es mein Schwager gewesen sein könnte. Sie hat ihn verlassen und ist von Arizona aus hierhergekommen, und mein erster Gedanke war, dass er ihr gefolgt sein muss, um sie zurückzuholen. Aber Wolfsdorn ... Ich bin nicht sicher, ob er zu etwas so Abscheulichem fähig wäre, so mies Rice auch ist.«

»Zu welchem Rudel gehören sie? Demselben, das dich geächtet hat?« Katrina schien das nicht unangenehm zu sein.

Luke zog die Augenbrauen hoch. »Hast du schon mal von den Zone-Red-Wölfen gehört?«

Offenbar sagte das Katrina etwas. »Die Große Mutter steh dir bei. Du bist ihnen lebend entkommen? Und du sagst, deine Schwester ist mit einem von denen verheiratet?« Er nickte, und sie biss sich auf die Lippe. »Das tut mir leid. Die Zone Reds ... sie hassen unser Rudel, und wir sind schon ein paarmal von einigen ihrer Männchen angegriffen worden. Ein Glück für uns, dass sie in Arizona leben und wir hier oben.«

»Warum hassen sie euch?« Ich hatte noch so viel über die Werwesen der Erdwelt und ihre Lebensweise zu lernen. Das Rainier-Puma-Rudel, aus dem Zachary und Nerissa stammten, mochte mich nicht besonders, weil ich zur Hälfte Fee war. Sie behaupteten, ich sei kein echtes Werwesen, und in gewisser Weise hatten sie ja recht, aber ihre entrüstete Zurückweisung wurmte mich.

Luke faltete die Hände zwischen den Knien. »Das Olympic-Rudel ist matriarchal geprägt - eines von sehr wenigen matriarchalen Rudeln auf der Welt. Es wird von einem Rat aus Frauen geleitet, nicht von den Männern, und das verstößt gegen die uralte Tradition der lykanthropen Sippen, vor allem die eines ausgeprägt patriarchalen Clans wie den Zone-Red-Wölfen. Es gilt beinahe als Ketzerei, ein Verrat an unserer Rasse.«

Hastig warf er Katrina einen Blick zu. »Nicht dass ich mit dieser Haltung einverstanden wäre - mich haben sie rausgeworfen, weil ich mich der Autorität des Rudelführers nicht unterwerfen konnte. Zu oft hat bei uns das Unrecht geherrscht.«

Sie nickte. »Du bist nicht mehr aus demselben Holz geschnitzt wie die übrigen Zone Reds. In meinen Augen ist das ein Kompliment. Aber zurück zu deiner Schwester ... Die Zone-Red-Wölfe sind ebenso gewalttätig wie stur, aber du hast recht. Ich bezweifle auch, dass selbst die fähig wären, Wolfsdorn zu benutzen.«

»Wenn die Zone-Red-Wölfe als die übelsten ihrer Art gelten, dann haben wir es vielleicht gar nicht mit Werwölfen zu tun. Vielleicht hat jemand ganz anderes Amber entführt. Aber wer und warum?« Nerissa stand auf. »Hättest du etwas dagegen, wenn ich uns einen Tee koche?«

Katrina errötete. »Oje, Entschuldigung, ich habe euch gar nichts angeboten. Nur zu, Ness. Ich habe das Gefühl, dass deine Freunde noch mehr Fragen an mich haben.«

»Allerdings.« Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und lächelte. Ich mochte Katrina. Sie kam mir sehr aufgeklärt, normal und vernünftig vor. »Also weiter: Sind in den vergangenen Monaten irgendwo Werwölfe spurlos verschwunden, vor allem Männchen? Und weißt du, ob die Werwölfe hier in der Gegend Feinde haben, abgesehen von den ÜW- Hassern?«

Und dann traf es mich wie ein Schlag: Exo Reed zufolge hatten die Goblins und Treggarts versucht, ein paar Beta-Werwölfe zu verschleppen. Waren die irgendwie an der Wolfsdorn-Herstellung beteiligt ? Jetzt war es zu spät, das festzustellen, aber ich machte mir eine Notiz, damit ich nicht vergaß, den anderen von meinem Verdacht zu erzählen.

Katrina trat ans Fenster und starrte hinaus auf die stürmische Landschaft. Äste peitschten im Wind, die Kiefern bogen sich. Mutter Erde braute ein kräftiges Unwetter zusammen.

»Weißt du, wenn ich so darüber nachdenke, könnte es tatsächlich sein, dass ein paar Männchen vermisst werden. Ich gehe immer zu den Versammlungen des ÜW-Gemeinderats, und vor etwa einem halben Jahr habe ich dort ein paar Werwölfe kennengelernt. Wir haben uns immer mal wieder getroffen, etwas getrunken, ein bisschen Pool gespielt...«

»Du spielst Pool?«, warf Luke mit leuchtenden Augen ein.

Sie zuckte mit den Schultern und lächelte ihn an. »Ich sehe vielleicht aus wie eine brave Grundschullehrerin, aber das ist nur für die Arbeit. Ich fahre eine Harley, und ich fege den Filz schneller leer als du in deinen kühnsten Träumen - wetten?«

»Das klingt ja wie eine Herausforderung«, sagte er, und seine Augen glitzerten.

»Vielleicht nimmst du sie ja irgendwann mal an«, sagte sie, und ein Lächeln kräuselte ihre Mundwinkel.

Ich saß Luke nah genug, um ihn zu wittern. Er war eindeutig interessiert. Und aus dem langen Blick zu schließen, den Katrina ihm zuwarf, interessierte sie sich auch für ihn Wunderbar! Nerissa und ich konnten wohl eine Partner-Vermittlung aufziehen. Aber das half uns bei Amber nicht weiter.

»Also«, fuhr Katrina fort, »ich bin eine ganze Weile mit ihnen herumgehangen, aber als wir uns zuletzt getroffen haben, sind drei von den Jungs nicht gekommen. Doug Smith, Paulo Franco und Saz Star Walker. Moment, ich schreibe dir die Telefonnummern auf.«

Während sie in ihrer Rollkartei blätterte und auf einem Notizblock kritzelte, kam Nerissa zurück. Sie trug ein Tablett mit Teekanne, Bechern und einer Schachtel Oreos herein.

»Oh, prima!« Ich schnappte mir drei Kekse und biss sofort von einem ab. Süße, krümelige Schokolade und Cremegeschmack füllten meinen Mund. Ich hätte von Keksen leben können ... wenn Iris mich nur gelassen hätte.

»Also, hier steht alles drauf. Ich bin letzte Woche nicht dazu gekommen, sie anzurufen und zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Wir telefonieren eigentlich nicht regelmäßig miteinander. Ist eher eine lockere Bekanntschaft, weiter nichts.«

»Danke«, sagte ich, faltete das Blatt zusammen und steckte es in meine Tasche. »Und weißt du, ob die Werwölfe hier irgendwelche Feinde haben? Einen Hexer vielleicht, oder einen Magier, oder ... so jemanden?«

Katrina schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, ich konzentriere mich vor allem auf die Bedürfnisse und Anliegen meines eigenen Rudels. Wir stehen ohnehin schon von vielen Seiten unter Beschuss, und die wenigsten Werwölfe in dieser Gegend machen sich um uns Gedanken. Das kann ich dir versichern.«

Wir unterhielten uns noch ein paar Minuten über andere

Dinge und aßen Kekse, dann machten wir uns auf den Weg. Als wir beim Auto ankamen, zauderte Luke.

»Bin gleich wieder da - ich habe etwas vergessen.« Er joggte zum Haus zurück.

Nerissa und ich stiegen ein und schlössen gegen den peitschenden Regen die Türen. »Zehn zu eins, dass er sie um ein Date bittet«, sagte ich grinsend.

»Zehn zu eins, dass sie ja sagt«, erwiderte Nerissa schnaubend. Gleich darauf war Luke zurück, sprang auf den Rücksitz und schnallte sich an.

Ich warf ihm über die Schulter einen Blick zu. »Und, geht sie mit dir aus?«

Tiefe Röte kroch seine Wangen empor, was einfach nur süß aussah. Er senkte den Kopf. »War das so offensichtlich?«

»Was glaubst du denn?« Nerissa kicherte. »Also, raus damit. Hat sie ja gesagt?«

Mit einem Schlucken, das verdächtig nach unterdrücktem Kichern klang, nickte Luke. »Ja, wir haben ein Date. Nicht zu fassen, dass sie ja gesagt hat. Himmel, ich bin seit Jahren mit niemandem mehr ausgegangen, und ich habe eine Scheißangst.«

»Zu Recht«, sagte Nerissa, während ich den Wagen langsam die Straße entlangsteuerte. »Diese Frau wird dir einen Höllenritt liefern. Halt dich nur gut fest.«

Wir fuhren beim AETT-Hauptquartier vorbei, damit ich gleich die möglicherweise vermissten Werwölfe anrufen konnte. Das hätte ich natürlich auch von meinem Handy aus tun können, aber ich hielt es für klüger, Chase direkt zu informieren. Aber als wir das Revier betraten, war er nicht da.

»Yugi, könnten wir irgendwo in Ruhe telefonieren?«

Er deutete auf einen der Konferenzräume. Drinnen holte ich den Zettel hervor, und Nerissa kramte in ihrer Handtasche.

»Cola? Schokoriegel? Ich habe da draußen im Gang ein paar Automaten gesehen, und ich weiß doch, dass du Süßigkeiten nicht widerstehen kannst.« Sie wedelte mir mit einem Dollarschein vor dem Gesicht herum.

Ich holte mein Netbook hervor - eine neue Anschaffung, die ich sehr liebte -, klappte es auf und schaltete es ein.

»Böses Weib. Ganz, ganz böses Weib. Aber ich glaube, ich habe genug Kekse gegessen.« Ich wollte es nicht zugeben, aber ich war furchtbar hibbelig von dem vielen Zucker, und mein Körper mochte das Gefühl auf einmal gar nicht. »Vielleicht ein Mineralwasser, falls es so was gibt?«

Sie nickte und ging hinaus. Luke zückte sein Handy und entfernte sich ein paar Schritte. Ich hörte ihn leise raunen und erkannte, dass er mit jemandem in der Bar telefonierte. Als er das Handy zuklappte, warf ich ihm einen fragenden Blick zu, und er zuckte mit den Schultern.

»Chrysandra sagt, dass heute Abend ziemlich viel los sein wird, aber vorerst kommen sie klar. Mir bleibt noch ein bisschen Zeit, ehe ich reinmuss.«

»Gut. Ich fange bei diesem Paulo an.« Ich wählte seine Nummer und wartete. Das Telefon klingelte dreimal, dann meldete sich eine Frau.

»Hallo, ich heiße Delilah D'Artigo. Könnte ich bitte mit Paulo Franco sprechen?«

»Wer zum Teufel sind Sie? Haben Sie eine Affäre mit meinem Paulo? Dann will ich Ihnen was sagen. Ich bin schwanger von ihm, also lassen Sie ihn in Ruhe!« Dieser Ausbruch wurde von Schluchzen und verweintem Schniefen untermalt.

»Warten Sie - nein, bitte. Nichts dergleichen. Ich kenne Paulo nicht einmal persönlich, das versichere ich Ihnen, aber ich muss ihm ein paar Fragen stellen.«

Ein paar Schluchzer und ein schweres Schlucken später erwiderte die Frau: »Wirklich? Sie schnüffeln auch bestimmt nicht um meinen Paulo herum?«

»Ganz bestimmt nicht. Ehrenwort. Es geht um einen vermissten Werwolf. Ich wollte ihn nur fragen, ob er vielleicht irgendwelche Gerüchte gehört hat.«

Ich wählte lieber den sicheren Weg, als zu fragen, warum er nicht zu seinem Treffen mit Katrina und den anderen Jungs erschienen war. Nur für den Fall, dass Katrina vielleicht doch mit ihm herumgemacht hatte, wollte ich ihren Namen lieber aus dem Spiel lassen. Aber die Frau am anderen Ende der Leitung ersparte mir die Mühe.

»Tja, dann können Sie jetzt zwei vermisste Werwölfe draus machen. Paulo war schon seit fast drei Wochen nicht mehr zu Hause. Ich weiß nicht, wo er ist. Er war schon immer sprunghaft, und als er von dem Baby erfahren hat, ist er erst mal scheu geworden. Aber er wird mich heiraten, und er hat mir versprochen, sich mir gegenüber anständig zu verhalten.« Ihre Stimme klang jetzt tonlos und niedergeschlagen.

»Wie heißen Sie? Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Vielleicht kann ich ja helfen, ihn aufzuspüren. Ich bin Privatdetektivin.«

Bingo. Die Aussicht auf Hilfe zeigte Wirkung.

»Echt? Sie würden mir helfen? Ich habe nicht viel Geld, aber ich versuche, etwas zusammenzukriegen ...«

Plötzlich sah ich ein heruntergekommenes Apartment vor mir und eine Werwölfin, die bald ein weiteres hungriges kleines Maul würde satt bekommen müssen. »Machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Wie gesagt, bin ich auf der Suche nach einem anderen Vermissten. Ich werde sehen, was ich für Sie herausfinden kann, aber versprechen kann ich nichts.«

»Danke«, sagte sie und atmete schon weicher. »Ich heiße Mary. Mary Mae Vegas. Ich bin Paulos Verlobte.«

Und damit standen zwei verschwundene Werwölfe auf meiner Liste. Ich machte mit Mary aus, dass ich sie morgen besuchen würde, und notierte mir die Adresse. Dann nippte ich an dem Wasser, das Nerissa mir gebracht hatte, und versuchte Doug Smith und Saz Star Walker zu erreichen, doch ich kam nicht weiter. Niemand ging dran. Ich bat Yugi, die Telefonnummern durch die Datenbank zu jagen und mir die Adressen herauszusuchen.

»Ja, sicher, Delilah. Ich bin froh, wenn ich helfen kann. Dauert etwa zehn Minuten.«

Während ich wartete, schlenderte ich zu Chases Büro hinüber. Dort blieb ich stehen, eine Hand am Türrahmen, und starrte auf den Lamellensichtschutz hinter der Scheibe. Normalerweise wäre ich hineinspaziert und hätte ihm eine Nachricht hinterlassen, aber jetzt hatte ich Hemmungen, einfach in sein Büro einzudringen. Ich war nicht mehr seine Freundin. Er war nicht mehr mein Freund. Wir waren ... nur gute Freunde. Ein Teil von mir hätte weinen mögen, während ich den Sichtschutz des verglasten Büros anstarrte.

»Alles in Ordnung?« Nerissa war hinter mir erschienen. Sanft legte sie mir eine Hand auf die Schulter.

»Nein, um ehrlich zu sein. Chase und ich haben uns getrennt. Die Wirkung des Lebenselixiers macht ihm schwer zu schaffen, und er muss erst einmal wieder zu sich selbst finden. Offenbar bin ich ihm dabei im Weg.« In meine Stimme schlich sich ein Hauch von Bitterkeit, die ich gar nicht empfinden wollte. »Ich verstehe schon, warum er Abstand braucht, ehrlich, aber es tut weh.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen. In meinen bisherigen Beziehungen war immer ich diejenige, die Schluss gemacht hat, also kann ich nicht behaupten, dass ich das auch schon durchgemacht hätte. Außer bei Venus.« Ihre Stimme klang wehmütig.

»Hast du ihn geliebt?« Venus Mondkind war der Schamane des Rainier-Puma-Rudels und in mehr als nur einer Hinsicht ein wilder Mann. Doch jetzt stand er unter Königin Asterias Schutz und wurde zum Keraastar-Ritter ausgebildet, und nach allem, was ich so mitbekommen hatte, litt das Rudel unter seiner Abwesenheit.

»Ihn geliebt? Es wäre schwierig, Venus nicht zu lieben, aber - nein, nicht im romantischen Sinne. Aber er war ... er ist ein mächtiger Mann. Und Macht wirkt anziehend, man kann süchtig danach werden.« Sie lachte leise. »Jetzt bin ich glücklicher. Menolly und ich passen einfach zusammen. Und die Männer? Die sind nur noch zum Vergnügen da. Nicht zum Festhalten.«

Ich tätschelte ihre Hand. »Ich bin froh, dass meine Schwester dich gefunden hat. Sie braucht dich. Mehr, als sie je zugeben würde.«

Auch ich brauchte jemanden, doch so schmerzlich diese Erkenntnis sein mochte: Ich wusste, dass es nicht Chase war. Ich würde ihn immer lieben, aber jetzt, da wir uns getrennt hatten, war mir klar, dass das mit uns einfach nicht hatte sein sollen. Da draußen wartete jemand auf den richtigen Zeitpunkt, um in mein Leben zu treten. Und aus irgendeinem Grund machte mir dieser Gedanke eine Scheißangst. Denn so sehr ich Chase mochte, musste ich doch allmählich erkennen, dass ich nie in ihn verliebt gewesen war. Sondern in die Vorstellung, verliebt zu sein.

»Nerissa, ich muss dich etwas fragen.«

»Was denn?« Sie seufzte leise, lehnte sich an die Scheibe, zog ein Knie an und stützte den Fuß an die Wand.

»Macht das Rainier-Rudel mich für Zachs Zustand verantwortlich? Gibt... gibt Zach mir die Schuld daran?« Ich musste es einfach wissen.

Nerissa stieß pfeifend den Atem aus. »Diese Frage habe ich erwartet. Ich habe mich schon gewundert, dass du es so lange ausgehalten hast, mich nicht danach zu fragen.« Sie wandte sich mir zu, legte mir die Hände auf die Schultern und schüttelte mich sacht. »Mädchen, an allem, was Zach passiert ist, war allein dieser verfluchte Karvanak schuld. Mach dir keine Vorwürfe. Ich gebe dir keinerlei Schuld daran, und Zach auch nicht. Er ... braucht nur Zeit für sich, um sich zu erholen und sich an sein neues Leben im Rollstuhl zu gewöhnen.«

Ich runzelte die Stirn. Meine Gedanken wirbelten wild durcheinander. Chase brauchte Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass er tausend Jahre länger leben würde, als er erwartet hatte. Zachary brauchte Zeit, um sich an das Leben in einem Körper zu gewöhnen, der nicht mehr so funktionierte wie früher. Und Camille und ich waren gezwungen, uns zu verändern, jetzt schon einen großen Wandel durchzumachen, sie mit der Dunklen Feenkönigin und der Mondmutter, und ich mit Greta und dem Herbstkönig. Dieser Strudel der Veränderungen drohte uns alle emporzureißen wie ein Tornado. Nur leider würde der uns nicht nach Oz fegen, sondern schnurstracks vor den Schlund der U-Reiche, wo Schattenschwinge nur darauf wartete, unsere Seelen zu vertilgen, und die Seele der Welt.

»Oh!« Mir wurde schwindelig, und ich schwankte. Nerissa fing mich auf.

»Was hast du?«

Ich merkte, dass ich zu Atmen vergessen hatte, und holte tief Luft. Sofort entspannten sich meine Schultern, und ich schüttelte den Kopf. »Nichts, nur ... meine Gedanken sind so durcheinandergewirbelt, dass mir richtig schwindelig geworden ist. Mir geht es gut. Ehrlich.«

Und das meinte ich auch so. Ich würde das schon schaffen - ich konnte weder Chases Weg für ihn gehen noch Zacharys. Ich konnte Camille ebenso wenig helfen, ihre Aufgaben zu bewältigen, wie sie mir etwas von meinen abnehmen konnte. Ich konnte nur eines tun: mich meinem eigenen Leben, meinem eigenen Schicksal stellen. Urplötzlich fiel eine drückende Last von meinen Schultern, und ich atmete auf. Erst jetzt wurde mir bewusst, welche Schuldgefühle ich mir aufgeladen hatte - wegen Dingen, über die ich gar keine Kontrolle hatte.

»Fehlt dir wirklich nichts?« Nerissa sah sich um. »Wir können uns einen Moment hinsetzen, wenn du möchtest.«

Ich schüttelte den Kopf und stieß einen langen Atemzug aus. »Nein, mir geht es gut, ehrlich. Alles wird gut.« Als ich Yugi herbeieilen sah, fügte ich hinzu: »Also, du hast mir noch gar nicht geantwortet. Gibt das Rudel mir die Schuld daran?«

Ihr Blick glitt zur Seite, und sie starrte die Wand an. »Das Rainier-Puma-Rudel gibt dir keine Schuld, nein. Aber Zach machen sie Vorwürfe.«

Yugi trat zu uns.

Er räusperte sich und reichte mir ein Blatt Papier. »Hier, bitte, Delilah. Die Adressen, die du haben wolltest.« Er warf einen kurzen Blick auf Chases Bürotür, sah dann wieder mich an und trat von einem Fuß auf den anderen. »Ich will mich nicht einmischen, aber ... er vermisst dich. Das weiß ich. Was auch immer geschehen sein mag, war nicht leicht für ihn.«

Ich tätschelte seine Schulter. »Yugi, ich habe Chase nicht zum Teufel gejagt. Er hat mit mir Schluss gemacht. Aber wir sind immer noch gute Freunde.«

Yugi nickte und schaute erleichtert drein. »Okay, also ... dann gehe ich wohl besser zurück an meinen Platz. Brauchst du noch etwas?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, vorerst sind wir hier fertig. Komm.« Ich gab Nerissa einen Wink. »Hol Luke, wir sollten los. Sein Pick-up steht bei uns, also müssen wir nach Hause, damit er zur Arbeit fahren kann. Wenn ich einer dieser Spuren nachgehe, will ich Menolly im Rücken haben.«

Als wir das Gebäude verließen, hob ich den Blick zum Himmel. Es goss immer noch in Strömen. Die silbrigen Tropfen prasselten auf den Parkplatz herab und verwandelten ihn in einen Teich. Ich wusste nicht recht, was ich eigentlich empfand. Traurigkeit. Erleichterung. Sehnsucht. Hoffnung. Einsamkeit.

Doch unter alledem kribbelte es in meinem Hinterkopf vor aufgeregter Erwartung. Uns stand so viel bevor, und ich hatte das Gefühl, dass sich am Horizont etwas zusammenbraute - etwas Neues wartete auf den richtigen Augenblick, um in Erscheinung zu treten.

Und das war ziemlich aufregend.