Kapitel 28

 

Drei Nächte später, in der Nacht nach dem Vollmond, putzten wir uns alle so richtig heraus und fuhren zu Tims und Jasons Hochzeit im Woodbriar Park.

Das Verbindungshaus war Geschichte. Es war vollständig niedergebrannt, nichts war davon übrig geblieben. Sämtliche Zugänge zu der unterirdischen Anlage waren so gründlich versiegelt worden, dass die Feuerwehr keine Spur davon entdeckt hatte. Natürlich gab es Fragen - wie hatte das Feuer so heiß werden können, dass nicht mal ein Knochensplitter von den Bewohnern übrig geblieben war? Aber Antworten gab es wenige, und der Fall würde als ungelöst zu den Akten gelegt werden.

Chase hatte sich die Videos angesehen. Er wusste, wogegen wir hatten kämpfen müssen, und stellte keine Fragen. Vanzir hatte Wort gehalten. Was auch immer er und seine Dämonen getan haben mochten, führte die Ermittler nur in eine Sackgasse.

Während wir auf die Stühle zugingen, die auf der breiten, kurz gemähten Rasenfläche standen, hakte ich mich bei Camille unter.

Sie trug ein pflaumenblaues Neckholder-Kleid, das kaum ihre Brüste bedeckte, aber sie war absolut perfekt gekleidet für eine sommerliche Hochzeit, bei der eine Drag-Queen-Revue für Unterhaltung sorgen würde - ein Geschenk von Tims ehemaligen Kollegen. Camille trug einen schwarz-silbernen Spitzenschal um die Schultern und hochhackige Schnürpumps.

»Wie sehe ich aus?«, fragte ich nervös. Ich trug zum allerersten Mal in der Öffentlichkeit etwas, das meine Narben sehen ließ, und mir war ein bisschen schlecht.

»Ich habe es dir schon fünfmal gesagt. Du siehst hinreißend aus. Was hat Nerissa denn gesagt?«

Nerissa drängte mich schon lange, mich meiner Narben wegen nicht zu schämen, also hatte ich mich für ein hübsches grünes Kleid entschieden, knapp knielang. Ich trug zwar ein passendes Bolero-Jäckchen und kniehohe Stiefel, aber trotzdem zeigte das Kleid mehr von mir, als ich gewöhnt war.

»Nerissa findet, dass sie bezaubernd aussieht«, sagte der Werpuma, eilte von hinten um mich herum und küsste mich ausgiebig auf den Mund. Ich ließ mich in ihre Umarmung sinken und genoss die Wärme und Geborgenheit. »Camille, Delilah, ihr seht phantastisch aus. Ich werde Menolly einen Moment entführen, wenn ich darf.« Sie zog mich beiseite. »Du fehlst mir«, sagte sie.

»Ich vermisse dich auch«, entgegnete ich. Gleich darauf fügte ich hinzu: »Ich habe mit Roz geschlafen.« Wir hatten es einander versprochen - keine Geheimnisse.

»Ich weiß«, sagte sie. »Er hat es mir erzählt. Er wollte mich wissen lassen, dass er nicht versucht, sich in mein Territorium zu drängen. Und, war er gut?«

Ich lächelte. »Ja. Du solltest ihn irgendwann auch mal ausprobieren. Er ist nett«, sagte ich und fügte dann zögernd hinzu: »Aber er ist nicht du.«

Nerissas Augen blitzten. »Nein, er ist nicht mein Typ. Zu extrem. Aber, Baby, du bist genau mein Typ.« Hastig stieß sie hervor: »Ich brauche dich so sehr, Menolly. Ich will dich die ganze Nacht lang lieben. Darf ich heute bei dir bleiben? Ich habe ein paar neue Spielsachen mitgebracht, die dir bestimmt gefallen werden. «

»Ja, natürlich kannst du bleiben.« Ein Schauer der Vorfreude lief mir über den Rücken. »Die ganze Nacht - nur du und ich.«

Beim Gedanken an ihre goldene Haut unter meinen Fingern wurde mir beinahe schwindlig, und am liebsten hätte ich sie sofort ausgezogen und die Zunge in das goldene Nest versenkt, das mir so vertraut war. Ich starrte auf ihre Brüste, die sich unter dem dünnen Sommerkleid bei jedem Atemzug hoben, und es juckte mir in den Fingern, sie zu liebkosen.

»Ich kann es kaum erwarten, diese Hochzeit hinter mich zu bringen«, murmelte ich. »Ich freue mich sehr für Jason und Tim, aber du hast keine Ahnung, was du mir antust, Frau. «

»Gut.« Sie lächelte und bog leicht den Rücken durch. »Dann sind wir quitt. Ich kann dich nämlich kaum ansehen, ohne dir die Kleider vom Leib reißen zu wollen. Komm, setzen wir uns, sonst fangen sie noch ohne uns an.«

Als wir den Gang zwischen den Stuhlreihen entlang auf den Altar zugingen, sagte ich: »Ich überlege, ob ich mir eine neue Frisur zulegen sollte. Zumindest für besondere Gelegenheiten.«

Ich erwähnte nicht, wie nervös mich die Vorstellung machte. Ich hatte mein Haar an dem Tag geflochten, nachdem ich aus dem AND-Therapiezentrum nach Hause gekommen war - ein Jahr nach meiner Verwandlung. Seither hatte ich meine Locken nie wieder offen getragen.

»Ich würde dich zu gern mit offenem Haar sehen«, sagte Nerissa. »Eine kupferrote Mähne ... ja, das sähe bestimmt sehr schön aus.«

Wir schlüpften auf unsere Plätze neben Delilah und Chase. Delilah lächelte uns an. Sie trug ein rosafarbenes Seidentop mit Spaghettiträgern, eine hellrosa Leinenhose, und ausnahmsweise hatte sie ihre derben Stiefel gegen elfenbeinweiße Ballerinas getauscht. Chase grüßte mich mit einem Winken, immer noch ein wenig gedämpft. Er trug Armani. Camille, Smoky und Morio saßen eine Reihe weiter vorn, zusammen mit Iris und Maggie. Die übrigen Plätze waren mit VBM besetzt, obwohl ich auch Sassy und Erin ganz am Rand entdeckte. Ich bekam leise Gewissensbisse. Ich sollte dort drüben bei ihnen sein, aber andererseits - je mehr Situationen Erin in den kommenden Monaten ohne mich bewältigte, desto schneller würde sie allein zurechtkommen.

Sich an der Seite eines anderen Vampirs im neuen Leben zurechtzufinden, war eine Sache. Mit dem Meister zusammenzubleiben, konnte ein ungesund enges Band erzeugen, wenn diese Phase zu lange anhielt.

Ein Raunen lief durch die Reihen, als Jason seinen Platz vor dem Altar einnahm. Er trug einen exquisit geschnittenen Smoking mit rosafarbener Weste und sah umwerfend aus. Rechts von ihm stand noch ein Mann, so dunkelhäutig wie Jason, aber ein paar Jahre jünger, und ich vermutete, dass das sein Bruder war.

Die Pastorin betrat das Podium. Die Musik setzte ein -Jim Croce schmachtete »Time in a Bottle« -, und Tim kam langsam den Mittelgang entlang. Er trug einen schwarzen Smoking, und sein Hemd war so blau wie seine Augen. Drei Brautjungfern folgten ihm - es war schwer zu sagen, ob sie Frauen waren oder verkleidete Männer, aber sie trugen sehr geschmackvolle silberne Kleider und Sträuße aus roten Rosen und weißen Nelken.

Als Jim zu Jason vor den Altar trat, dachte ich über die Liebe nach. Ich dachte über all die möglichen Verbindungen auf der Welt nach, und wie selten und wunderbar es war, jemanden zu finden, mit dem man sein innerstes Selbst teilen konnte. Ich wusste zwar nicht, ob ich das jemals haben würde, aber fürs Erste war Nerissa meine Gefährtin. Und fürs Erste war das, was wir hatten, genug.

Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder der Zeremonie. Die Pastorin sprach gerade.

»... Liebe - es geht nur um Liebe. Wir tun uns zusammen, wir gestalten unsere Familien, wir wählen unsere Weggefährten in dem Wunsch, ein gemeinsames Leben zu schaffen. Die Liebe nimmt viele Formen an, trägt viele Gesichter, aber wenn sie echt ist, wenn sie dein Herz berührt, wirst du sie erkennen und voller Hoffnung annehmen. Liebe ist stärker als Hass, Liebe ist stärker als Zorn. Liebe ist stärker als alle künstlichen Trennungen in dieser Welt. Aber die Liebe muss genährt und sorgsam gepflegt werden ...«

Meine Gedanken wandten sich wieder nach innen. Harish hatte Sabele geliebt, und sie war ihm genommen worden. Ich hatte seine Hand gehalten, während er weinte, nachdem wir ihm von ihrem Schicksal berichtet hatten. Rozurial hatte geliebt, und auch diese Liebe war auf tragische Weise aus seinem Leben gerissen worden. Mutter war um der Liebe willen in eine fremde Welt gezogen. Camilles Liebe umfasste drei Männer - so weit und offen war ihr Herz. Delilah war zwischen ihren Liebhabern hinund hergerissen.

Als Jason Tim küsste, sprangen wir alle auf und jubelten, und ich spürte, wie mir blutige Tränen in die Augen stiegen. Ich wischte sie hastig mit dem roten Stofftaschentuch weg, das Sassy mir für heute geliehen hatte, und wandte mich Nerissa zu. Sie beugte sich vor und küsste mich.

»Ein Kuss für die Liebe«, flüsterte sie. »Und jetzt gehen wir und gratulieren den Bräutigamen.«