Kapitel 21

 

Ich fuhr hoch, denn der Sonnenuntergang hatte mich geweckt, und die Erkenntnis, dass jemand bei mir im Zimmer war. Ihr Herzschlag hallte im Rhythmus des pulsierenden Blutes in ihren Adern durch den Raum. Jeden Geruch nahm ich umso intensiver wahr, ihre Pheromone, ihre Leidenschaft, den Hamburger, den sie zu Mittag gegessen hatte.

Ungeheurer Durst erwachte in meiner Kehle, und die Gier nach Blut wirbelte meine Gedanken durcheinander. Ich wollte jagen, fangen ...

»Hallo, du bist ja wach.« Camille saß in der Ecke und las Zeitung. Sie lächelte mich breit an, und ich schüttelte mich aus meinen Gedanken, zwang mich, tief Luft zu holen und bis fünf zu zählen, um mich wieder zu beruhigen. Sie hatte es offenbar gehört, denn sie fragte: »Hast du Durst? Entschuldige - ich wusste nicht, wann du zuletzt getrunken hast. Sonst hätte ich nicht hier auf dich gewartet.«

Ich bekam mich allmählich in den Griff und lächelte sie schwach an. »Ich hätte etwas trinken sollen, ehe ich heute Morgen ins Bett gegangen bin. Mir tut es leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Ich lächelte. Ich war so mit Rozurial beschäftigt gewesen, dass ich vergessen hatte, etwas zu trinken, ehe ich schlafen ging - dabei versuchte ich immer, daran zu denken. Denn wenn ich nicht aufpasste, konnte etwas, das Vorjahren geschehen war, noch einmal passieren.

Ein Jahr, nachdem der AND mir geholfen hatte, meinen Wahnsinn zu überwinden, war man zu der Ansicht gelangt, dass ich nun genug Selbstbeherrschung gelernt hätte, um nach Hause zurückkehren zu dürfen. Vater war nicht begeistert, hatte es mir aber erlaubt. Während Delilah und er sehr vorsichtig um mich herumschlichen, nahm Camille mich wieder zu Hause auf, als sei nichts geschehen. Oder eher, als sei etwas geschehen, aber jetzt ginge das Leben eben weiter.

Als ich nach Hause kam, war noch keine von uns an all die Veränderungen gewöhnt, die immer noch in mir vorgingen. Die Übergangszeit dauerte bei Vampiren recht lang. Na ja, die anfängliche Verwandlung ging sehr schnell, aber bis man sich in seinem neuen Dasein zurechtfand, dauerte es eine Weile, vor allem wenn der eigene Meister einen hinausgeworfen und sich selbst überlassen hatte.

Eines Abends wollte Camille nachsehen, ob ich schon wach war. Sie stand direkt neben dem Bett, als ich aufwachte, durstig, gierig nach dem Geschmack von Blut in meinem Mund, und in meiner Leidenschaft und Blutgier erkannte ich sie nicht. Ich packte ihren Arm, zerrte sie zu mir und riss die schneeweiße Haut mit den Fingernägeln auf. Sie schrie, und ich presste die Lippen an ihre Wunden und saugte und schleckte ihren süßen, salzigen, köstlichen Lebenssaft.

»Menolly! Menolly!«

Nur diese zwei Schreie hatte es gebraucht, mich aus meiner Trance zu reißen. Bei ihrem Anblick, blutend und von Grauen gepackt, erstarrte ich auf der Stelle. Camille hatte mich davor gerettet, meine eigene Familie zu ermorden. Camille hatte ihr Bestes getan, um mir das Gefühl zu geben, dass ich immer noch ein Teil der Familie war. Und jetzt hielt ich Camille gepackt, lange, blutende Wunden zogen sich über ihren Arm, und ihr Blut klebte mir feucht am Kinn.

Ich ließ ihr Handgelenk los, kroch langsam rückwärts und duckte mich auf meinem Bett zusammen.

»Töte mich. Töte mich auf der Stelle, ehe ich einer von euch etwas antue.« Der Geruch ihres Blutes lockte mich immer noch, aber ich schob ihn entschlossen beiseite.

Sie wollte nichts davon hören. »Nein. Du kannst lernen, dich zu beherrschen. Und das war dumm von mir«, sagte sie, durchquerte den Raum und wickelte sich ein Handtuch um den Arm. »Nächstes Mal werde ich nicht so dicht am Bett stehen, dass du mich einfach packen kannst. Wie lange brauchst du denn, wenn du aufwachst? «

»Wovon sprichst du?«, entgegnete ich dumpf.

»Wie lange brauchst du, bis dir bewusst wird, wo du bist?«

Ich dachte darüber nach und beobachtete sie genau. Sie sah nervös aus, aber nicht angewidert. Und ihr Gesichtsausdruck sagte mir, dass sie mich nicht weniger liebhatte. »Ich weiß nicht. Ein paar Minuten. Aber ich kann sowieso nicht gleich aus dem Bett springen. Bis ich so weit bin, dass ich aufstehen kann, weiß ich, wo ich bin. «

»Du merkst also rechtzeitig, dass ich es bin, wenn ich auf der anderen Seite des Raums bleibe, bis du aufstehst«, sagte sie, als sei die Sache damit erledigt. »Ich sage den anderen, dass der AND uns instruiert hätte, so sei es am sichersten. Dann brauchen wir nicht zu erklären, wie wir es herausgefunden haben.«

Ich wollte protestieren, doch sie winkte ab.

Von da an stand nie wieder jemand zu nah an meinem Bett, wenn ich aufwachte. Und ich verletzte nie wieder jemanden, den ich liebte.

Camille trug immer noch die Narben am Unterarm, aber sie hatte mich nie verraten. Sie hatte Vater erzählt, sie hätte sich die Wunden an dem Zaun zugezogen, den er gerade baute, um das Wild vom Garten abzuhalten. Der Zaun wurde am nächsten Tag eingerissen. Delilah wusste Bescheid, aber Camille drohte ihr damit, ihr sämtliche Katzenminze wegzunehmen, falls sie jemandem etwas sagte. Und bis heute wusste Vater nichts davon, dass ich Camille angegriffen hatte.

»Was machen deine Brandwunden?«, fragte ich.

Sie zuckte mit den Schultern. »Sie heilen schon. Die Verbrennungen waren fast nur oberflächlich, und das tut zwar weh, aber ich werde bald wieder. Sharahs Tegot-Tinktur wirkt Wunder.«

Dabei hob sie den Rock, damit ich ihre Beine sehen konnte. Sie waren immer noch hellrosa, verheilten aber tatsächlich schnell. »Nerissa hat angerufen«, fügte sie hinzu.

Ich blickte mit pochendem Herzen zu ihr auf. Ich wartete auf heftige Gewissensbisse, aber es kam nichts. Was Roz und ich miteinander getrieben hatten, änderte nichts an meinen Gefühlen für Nerissa - und ich wusste, was auch immer sie mit Venus Mondkind oder sonst einem männlichen Liebhaber tat, würde nichts an ihren Gefühlen für mich ändern.

»Was hat sie gesagt? «

»Sie lässt dich herzlich grüßen und möchte wissen, ob du morgen in einer Woche abends zu ihr ins Revier kommen kannst. Sie nimmt sich den nächsten Tag frei, damit ihr die ganze Nacht zusammen verbringen könnt.« Camilles Augen blitzten.

Ich grinste wie eine Idiotin. Nerissa nahm sich nie einen Tag frei, und mir wurde ganz wohlig warm ums Herz, weil sie das tat, nur um die ganze Nacht mit mir verbringen zu können. Beunruhigt - wohlig warm und so, war eigentlich nicht mein Ding - versuchte ich, das Gefühl beiseitezuwischen, aber es gelang mir nicht.

»Sie ist eine ganz besondere Frau«, sagte ich leise.

»Wenn sie sich mit dir einlässt? Allerdings.« Camille raschelte mit ihrer Zeitung und faltete sie zusammen. »Andy Gambit hat sich wieder mal etwas geleistet. «

»Scheiße, was hat er diesmal geschrieben?«, fragte ich und glitt in eine Jeans und eine weite, langärmelige, rosarote Bluse. Der Seattle Tattler war ein Schmierblatt, Boulevard-Journalismus vom allerübelsten, aber da Feen und ÜW oft als Zielscheiben der Storys herhalten mussten, hatten wir ihn abonniert und lasen ihn regelmäßig. Andy Gambit war bei weitem der schlimmste Schreiber des Blättchens. Er zielte grundsätzlich unter die Gürtellinie und mit Vorliebe auf uns. Es schien sein erklärtes Lebensziel zu sein, einer der großen Reporter zu werden, aber irgendwie schaffte er es nie ganz bis in die Reihen der hellsten und besten Schnüffler der Welt. Camille warf mir einen langen Blick zu. »Willst du das wirklich wissen? Es ist nicht schön. Genau genommen ist es eine Breitseite gegen Vampire. Ach, und gegen Werwesen. «

»Na wunderbar. Was stört ihn denn jetzt schon wieder?« Bei Andy konnte das alles Mögliche sein.

Camille verzog den Mund auf diese ulkige Art, wie sie es immer tat, wenn ihr etwas nicht passte. Sie reichte mir die Zeitung. »Lies und weine.«

Ich warf einen Blick auf die Schlagzeile. »Freiheitsengel decken auf: Schmutzige Sex-Spielchen mit UW und Vamps.« O-oh. Ich setzte mich in die Ecke und las, während Camille mein Bett machte, meine dreckige Wäsche aufhob und sie in den Wäschekorb warf.

Die Freiheitsengel, die wichtigste Stimme der Moral in diesem Land, haben die Öffentlichkeit mit einer neuen, schockierenden Enthüllung auf die schmutzigen Geheimnisse der »Geschöpfe der Nacht« aufmerksam gemacht. Dr. Shawn Little, ein Psychologe, der die Gruppe ehrenamtlich unterstützt, hat eine Botschaft an jene Erdgeborenen, die vielleicht daran denken, sich auf eine intime Beziehung mit einem dieser dämonischen Wesen einzulassen: »Ehe Sie zulassen, dass einer der Unnatürlichen Sie berührt, denken Sie daran, dass Sie sich streng genommen - der Nekrophilie schuldig machen, wenn Sie intim mit einem Vampir verkehren. Juristisch sieht man das zurzeit noch anders, aber moralisch betrachtet haben Sie Geschlechtsverkehr mit einem Leichnam, der auf dämonische Weise reanimiert wurde.

Und falls Sie sich auf eine Beziehung mit einem Werwesen einlassen, ist das nichts anderes als Sodomie. Wir können allen wahren Erdgeborenen nur dringend raten, solchen Versuchungen zu widerstehen, sich rein zu halten und den Tempel ihres Körpers nicht dadurch zu entweihen, dass sie mit diesen unnatürlichen Kreaturen herumspielen.«

Zudem haben die Freiheitsengel die offizielle Anerkennung als gemeinnützige Religionsgemeinschaft beantragt. Sie planen den Bau eines Tempels, der zehntausend Gläubigen Platz bieten und in Nevada entstehen soll. Die Kirche trägt den Namen Bruderschaft der Erdgeborenen, und der Bau des Tempels soll noch dieses Jahr abgeschlossen werden, trotz der Verschwörung von Seiten der Regierung, die Wahrheiten zu verschleiern, die von den Gründern der Organisation bereits enthüllt wurden.

»Heilige Scheiße.« Ich starrte die Zeitung an. »Warum überrascht mich das nicht? Die glauben tatsächlich, sie könnten genug Leute zusammenbringen, um so ein Riesending zu füllen? «

»Natürlich können sie das«, entgegnete Camille kopfschüttelnd. »Wir sind hier relativ sicher, aber es gibt eine Menge Leute da draußen, die glauben, wir alle wären mit einem Sonderzug schnurstracks aus Hels Reich hierhergekommen. Und sie würden nichts lieber tun, als uns wieder zurückzuschicken. Oder uns gleich auf einen Scheiterhaufen zu stellen und selbst das Streichholz dranzuhalten. «

»Hm ... Ich frage mich, ob sie noch versuchen werden, Rehabilitationskliniken für die Bluthuren zu gründen. Ich hätte ja an sich nichts dagegen, wenn das irgendeine andere Religionsgemeinschaft machen würde. Irgendeine vernünftige Religion.«

Während die ultrarechten Christen uns für Ausgeburten des Teufels hielten, hatten die meisten Mainstream-Glaubensrichtungen irgendeinen Weg gefunden, Waffenstillstand zu schließen und mit uns zu koexistieren.

Vampire hatten es aber definitiv schwerer als die ÜW und Feen. Die großen Kirchen subsumierten Feen und ÜW jetzt unter Geschöpfe des Universums... die Phrase wurde von vielen Religionen neuerdings anstelle von Menschheit benutzt.

Aber was Vampire anging, gaben sie sich immer noch sehr nebulös. Solange wir nicht allzu viel Ärger machten, waren die meisten großen Glaubensrichtungen allerdings damit zufrieden, zu leben und uns leben zu lassen.

»Du und Roz hattet also eine kleine Party heute Morgen«, bemerkte Camille, als ich die Zeitung auf meinen Tisch warf und zur Treppe ging. Ich blieb stehen und drehte mich um. Sie feixte geradezu.

»Ich hätte wissen müssen, dass du es merken würdest«, sagte ich. »Ja, wir haben es getan, und ja, es war toll, und ja, er ist wirklich so großartig, wie man es von Incuben immer hört. Sogar noch besser.« Und dann, weil ich nicht anders konnte -und wusste, dass sie mich verstehen würde - flüsterte ich: »Er hat Stehvermögen, so viel ist mal sicher.«

Sie kicherte. »Also, ziehst du Nerissa vor oder ihn? «

»Äpfel und Birnen. Oder von mir aus Blutgruppe A und Blutgruppe B. Kann man nicht miteinander vergleichen. Und ich habe weder vor, einen von beiden dem anderen zuliebe aufzugeben, noch werde ich sie zu einem flotten Dreier überreden. Ich habe nämlich keinen Harem«, fügte ich vielsagend hinzu und setzte mich auf die Treppe. Wenn sie Bescheid wusste, wusste es vermutlich das ganze Haus. »Hat Roz es dir gesagt? «

»Nicht gleich.« Camille schüttelte den Kopf. »Ich habe Sex gerochen, sobald ich ins Wohnzimmer kam. Seine Pheromone sind wirklich sehr stark, und als Smoky reinkam, war er sicher, dass Roz es gerade bei mir versucht hatte und ich das nur abstritt, um ihn zu schützen. Es war nicht leicht, meinen Hitzkopf davon zu überzeugen, dass Rozurial sich bei mir nichts herausgenommen hatte. Schließlich habe ich ihn gezwungen, die Wahrheit zu gestehen, zu seiner eigenen Sicherheit.«

O ihr guten Götter. Diese übergroße Eidechse zog zu oft voreilige Schlüsse, genau wie Chase. Allerdings war Smoky wesentlich gefährlicher. »Toll. Dann wissen es wohl inzwischen alle. «

»Ah ... ja. Das Geschrei war ziemlich laut, und das eine ganze Weile, bis ich Rozurial klarmachen konnte, dass er mit der Wahrheit herausrücken musste, wenn er sich eine gewaltige Tracht Prügel ersparen wollte. Er ist übrigens wirklich sehr diskret. Hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Aber inzwischen kamen alle angelaufen und haben versucht, Smoky zu beruhigen. Manchmal glaube ich, er brauchte hin und wieder eine ordentliche Dosis Elefanten-Tranquilizer.« Aber sie lachte, als sie das sagte.

»Er will dich eben beschützen«, sagte ich, obwohl ich es besser wusste. Smoky besaß Camille. Ja, er hatte hingenommen, dass er sie zeitweise mit Morio und Trillian teilen musste, aber weiter ging seine Großzügigkeit nicht. In Smokys Augen gehörte Camille ihm, ohne Wenn und Aber. »Schön, dann wissen jetzt alle, dass wir miteinander geschlafen haben. Es sollte also niemanden überraschen, wenn ich nicht darüber reden will, oder? Es ist mir einfach unangenehm, offen über mein Sexualleben zu plaudern, außer mit dir und Kätzchen. Und Iris.«

Sie wollte gerade etwas erwidern, als wir Lärm von oben hörten. Wir liefen die Treppe hinauf und warteten kurz, um sicher zu sein, dass die Küche leer war, ehe wir hinter der Geheimtür zu meinem Keller hervorschlüpften. Es hörte sich so an, als käme der Lärm aus dem Wohnzimmer.

Vanzir, Roz, Delilah und Morio liefen durcheinander und sammelten ihre Waffen ein. Iris hielt Maggie im Arm, und Smoky war nirgends zu sehen. Zu meiner großen Erleichterung sagte niemand ein Wort, als Roz mir einen warmen Kuss auf die Stirn drückte. Ich küsste ihn flüchtig auf den Mund.

»Was ist denn los? «

»Ein paar Ghule mischen den Wedgewood-Friedhof auf.« Morio schob sich den Gurt seiner Umhängetasche über den Kopf. »Chase hat eben angerufen. Er braucht unsere Hilfe. Macht schon!«

Wedgewood Cemetery lag neben dem Salish Ranch Park, wo wir in diesem Jahr bereits zwei Dubba-Trolle hatten erledigen müssen. Die Gegend schien alle möglichen Biester irgendwie anzuziehen. In dem Park stand ein wunderschönes altes Gewächshaus, das sich als Zielscheibe für Zerstörungswut geradezu anbot.

»Ghule?« Ich dachte an Wilbur und seinen Ghul Martin. »Meint ihr, unser neuer Nachbar könnte etwas damit zu tun haben? «

»Weiß nicht«, sagte Delilah, »aber wir sollten uns wirklich beeilen, denn in dem Park machen viele Leute Picknick, er ist immer noch gut besucht, und du kannst dir ja vorstellen, was für ein Fest das für diese Ungeheuer ist. Nicht gerade ein paar Ameisen, die es auf den Korb abgesehen haben. Picknick, allerdings - fragt sich nur, wer da was zu fressen bekommt!«

Ich warf einen Blick nach draußen. Die Sonne war untergegangen, aber es war mild und noch so hell, dass sicher noch viele Spaziergänger, Skateboarder und Teenager unterwegs waren. »Na, dann los. Wo ist Smoky? «

»Der musste raus zu seinem Bau. Er versucht, mit der Drohenden Dreifaltigkeit Frieden zu bewahren. Kommt, wir nehmen dein Auto und meins.« Camille schnappte sich ihren Schlüsselbund. »Kätzchen, du und Roz fahrt bei Menolly mit und erzählt ihr unterwegs, was wir heute herausgefunden haben. Vanzir, du und Morio fahrt mit mir. «

»Moment mal! Was ist mit deinen Brandwunden? «

»Die sehen gut aus - keine offenen Stellen oder so, also komme ich mit.« Sie warf mir einen Blick zu, der mir sagte, dass Widerspruch zwecklos war.

Nachdem ich Maggie noch rasch auf den Kopf geküsst hatte, ging es los.

Während der Fahrt saß Roz hinten und schwieg so höflich, dass ich ihn hätte schlagen mögen, während Delilah mir in allen Einzelheiten erzählte, was sie erreicht hatten, während ich geschlafen hatte.

»Vanzir lässt Carter nach anderer dämonischer Aktivität forschen. Carter hat ihm gesagt, er dürfe gern mit uns vorbeikommen. Wir fahren hin, wenn wir mit diesen Ghulen fertig sind.«

Irgendwie klang es nicht gerade angenehm, den Kumpel unseres dämonischen Knechts kennenzulernen, aber ich ließ es gut sein. Carter war vermutlich auch nicht schlimmer als Vanzir, und er lieferte uns wertvolle Informationen.

»Was ist mit dir? Hast du etwas über Harolds Haus herausgefunden?«

Sie nickte. »Es ist über hundert Jahre alt. Ursprünglich gehörte es einem Dr. Grout, der Witwer war. Er hatte eine Tochter namens Lily, und das Mädchen hat Trent Young ge heiratet, einen wohlhabenden jungen Mann frisch aus England. Trent hat dem alten Mann das Haus abgekauft, der danach irgendwo verschwunden ist. Jedenfalls konnte ich weiter nichts über ihn herausfinden. Zufällig gehörte Trent zu Hause in England einer ziemlich unheimlichen Loge an - dem Achten Kreis. «

»Achter Kreis«, sagte ich. »Lass mich raten - der achte Kreis von Dantes neun Kreisen der Hölle?«

Delilah nickte. »Eben der. Die Loge war angeblich in Hexerei verstrickt. Noch interessanter ist, dass Trent, kurz nachdem er sich hier angesiedelt hatte, einen privaten Club gründete, den er Dantes Teufelskerle nannte. «

»Dieselben Teufelskerle, zu denen auch Harold gehört? «

»Sieht so aus.«

Der Club war also viel älter, als wir vermutet hatten. »Ich nehme an, Trent Young ist mit Harold Young verwandt? «

»Ja«, antwortete sie. »Trent war Harolds Urgroßvater. Lily und Trent hatten zwei Söhne. Einer von ihnen - Rutger - hat das Anwesen übernommen, als das Ehepaar in den frühen Vierzigern in ein kleineres Haus gezogen ist. Da war er Anfang zwanzig. «

»Und was war damals mit dem Club los? «

»Ich glaube, das lief eher unter Geheimbund. Rutger hat den Vorsitz des Ordens übernommen, kurz nach seiner Hochzeit mit einer Frau namens Amanda. Sie hatten vier Kinder. Zwei Töchter und zwei Söhne - Jackson und Orrin. «

»Lass mich raten. Einer der Söhne ist Harolds Vater. «

»So ist es. Jackson. Als Harold noch zur Schule ging, starb seine Großmutter, und sein Großvater - Rutger - folgte ihr bald nach. Rutger hinterließ das Haus Harolds Onkel Orrin. Interessanterweise hatte der alte Mann Jackson und seine Schwestern enterbt.« . »Ich frage mich, warum. «

»Ich weiß es nicht, aber Rutger hat den Großteil seines Besitzes Orrin vererbt, bis auf einen satten Treuhandfonds, den er für Harold eingerichtet hatte. Jackson hat sein Geld schließlich von seiner Großmutter mütterlicherseits geerbt. Orrin hat in dem Haus gewohnt, bis Harold ans College kam. Dann ist er in eine Wohnung umgezogen und hat das Anwesen Harold überschrieben, der die schöne alte Villa zu dem Verbindungshaus gemacht hat, das wir heute sehen.«

Delilah lächelte selbstzufrieden.

»Du warst ja fleißig. Also, was hast du sonst noch über die Vergangenheit von Dantes Teufelskerlen herausgefunden?«

Ich schaute aus dem Fenster. Wir waren noch etwa zehn Minuten Fahrt vom Salish Ranch Park entfernt, der an der Grenze zwischen Belles-Faire und der Innenstadt von Seattle lag. Der Park stieß direkt an den Wedgewood-Friedhof, wo unsere Ghule sich anscheinend einen netten Abend machten.

»Ich finde überhaupt nichts mehr über den Club von dem Zeitpunkt an, als Orrin das Haus übernommen hat. Entweder ist er in den Untergrund gegangen oder einfach eingeschlafen, bis Harold auf die Idee kam, ihn wiederzubeleben.« Sie seufzte.

»Harold war offenbar eine schwere Enttäuschung für seine Eltern. Er hat es nicht geschafft, nach Yale, Princeton oder an sonst eine prestigeträchtige Uni zu kommen, und zwar wegen seiner Persönlichkeit, nicht etwa wegen seiner Noten. Er hatte wirklich schon eine Menge Ärger. «

»Und Chase - hat er die Jungs überprüft, die da wohnen? «

»Ja, ich habe gerade mit ihm darüber gesprochen, als die Zentrale uns mit dem Notruf wegen der Ghule unterbrochen hat. Er wird uns berichten, was er herausgefunden hat, wenn wir mit dem Untoten-Picknick fertig sind.« Sie deutete auf den Parkplatz, der sowohl zum Friedhof als auch zum Park gehörte. »Da - da sind ein paar Plätze frei, ganz nah beim Tor.«

Ich ließ den Jaguar elegant auf einen freien Platz rollen, und Camilles Lexus hielt links von mir. Wir eilten über den Rasen. Das Labyrinth aus gepflasterten Wegen auf dem Friedhof wurde von Nachbildungen alter Gaslaternen beleuchtet, die in Wahrheit so hochmodern waren wie Delilahs Laptop. Die Lampen verliehen der traurigen Umgebung eine friedvolle Atmosphäre.

Der Friedhof war noch geöffnet, aber es sah aus, als seien die meisten Besucher - jene, die noch atmeten, jedenfalls - schon geflohen. Die toten Bewohner blieben tot, oder zumindest hoffte ich das. Falls ein Nekromant in der Nähe war, der gern Auferstehung spielte, hatten wir ein gewaltiges Problem.

Chase kam uns entgegen. Er hatte einige Officers zur Verstärkung mitgebracht, vorwiegend Feen und Elfen. »Was hast du Schönes für uns?«, fragte ich.

»Ghule. Anscheinend war bei einem der Picknicks ein Hausgeist dabei, der sie erkannt hat. Er hat uns angerufen. Ihm zufolge waren es nicht wenige.« Chase wies auf seine Leute. »Was brauchen wir? Womit tötet man einen Ghul? Und was ist der Unterschied zwischen einem Totenmann und einem Ghul? Keiner meiner Männer weiß sonderlich viel über Untote.«

Ich runzelte die Stirn. Erst vor einer Weile hatten wir gegen mehr Totenmänner gekämpft, als ich je im Leben hatte sehen wollen, aber Ghule ... Ghule waren einfach nur grässlich.

»Totenmänner verzehren sowohl Geist als auch Körper. Ghule fressen nur Fleisch, aber sie sind verschlagen, und wenn man sie nicht verbrennt oder buchstäblich in ihre Einzelteile zerlegt, kämpfen sie immer weiter. Sogar ein abgetrennter Arm wird dich noch angreifen, wenn du ihn nicht zerhackst. «

»Wunderbar«, sagte Chase, und sein Tonfall entsprach genau Camilles. Ich musste lachen, und er sah mich finster an. »Was ist? «

»Nichts. Ich glaube nur, wir färben allmählich auf dich ab. Also, wie tötet man einen Ghul: Silber funktioniert immer, aber es muss schon ein großes Stück Silber sein. Keine kleine Münze, kein silbernes Teelöffelchen oder so. Eine richtig große Waffe aus Silber. Das Metall saugt ihnen die magische Energie ab, durch die sie wiederbelebt wurden. Ansonsten kann man als Waffe einen Hammer benutzen. Keulen oder Morgensterne gehen auch. Aber um sie gründlich zu vernichten, braucht man eine scharfe Klinge, mit der man sie in winzige Stückchen hacken kann. «

»Was ist mit Magie?«, fragte er, entschieden grün im Gesicht.

»Feuer wirkt gut, magisch oder nicht. Eis nicht so richtig, es sei denn, man gefriert sie so, dass sie sich nicht mehr rühren können. Die meisten anderen Zauber nützen gegen Ghule nicht viel. Ach, Blitze funktionieren auch. Ertrinken können sie nicht, denn sie brauchen nicht zu atmen, also kann man sie auch nicht erwürgen. Aber wenn man ihnen den Kopf abreißt oder abhackt, sehen sie wenigstens nicht mehr, was sie tun, und geben leichte Ziele ab, auf die man dann einschlagen kann, bis sie wirklich ... tot sind.«

Chase starrte mich an, als sei ich völlig durchgeknallt.

»Was? Du hast schließlich danach gefragt.« Warum hatte ich immer das Gefühl, dass er immer noch fürchtete, ich könnte mich jeden Moment in einen dreiköpfigen Menschenfresser oder ein ähnliches Monstrum verwandeln?

»Ich weiß, ich weiß.« Er schüttelte den Kopf. »Es erstaunt mich nur, wie viele Möglichkeiten dir einfallen, Leute umzubringen. Oder Dinger. Dinger, die nicht mehr herumlaufen sollten. Was ist eigentlich mit dir? Kannst du ihnen das Blut abzapfen?« Ich verzog das Gesicht. »Wofür hältst du mich, eine Kanüle? Erstens - bäh, wie eklig. Hast du irgendeine Ahnung, wie diese Biester schmecken?«

Er machte ein angewidertes Gesicht. »Nein, und ich habe auch keine Lust, das herauszufinden. «

»Schön. Also, ihr Blut schmeckt nach Dreck und Fäkalien und Würmern - nein, danke. Zweitens: Das Blut, das sie noch in sich hatten, als sie gestorben sind, ist längst nicht mehr da, es ist vertrocknet. Stell dir einen Sack voll beweglicher Knochen vor, an denen fauliges Fleisch hängt. Die Flüssigkeiten, die bei der Zersetzung von Leichen entstehen, bekommen meinem Magen nicht so gut. Und wie ist das bei dir?«

Das hatte offenbar gesessen, denn er schloss abrupt den zur nächsten Frage halb geöffneten Mund und kehrte zu Delilah zurück.

»Nehmt, was immer ihr habt, um sie ordentlich zu vermöbeln. Taser nützen euch nichts. Wenn man Blitze oder elektrischen Strom benutzt, muss man sie damit schon knusprig grillen können, statt sie nur ein bisschen zu kitzeln«, rief ich ihm nach.

Als wir den Pfad entlangeilten, stießen wir auf mehrere Teenager, die den Aufruhr entweder nicht mitbekommen oder ignoriert hatten. Chase schickte einen seiner Männer hinüber, der die Jugendlichen entschlossen zum Tor führte. Wir folgten dem Weg durch ein kleines Wäldchen aus Trauerweiden, so alt wie die Sünde und mit schweren, langen Zweigen voller prächtiger Blätter. Ich schob mich gerade durch einen solchen Vorhang, als ich vor uns lautes Knurren hörte.

Wir kamen um die Wegbiegung, und ich erstarrte und bedeutete den anderen, stehen zu bleiben. Vor uns kauerte eine Gruppe von etwa zwanzig Ghulen.

Sie stanken zum Himmel. Manche waren schon lange tot, andere noch fruchtig frisch. Zumindest aus dieser Entfernung sah keiner von ihnen so aus, als sei er für längere Zeit wiederbelebt worden. Nein, das hier war Kanonenfutter, nur für eine Schlacht von den Toten auferweckt. Oder um Chaos zu verbreiten. Ghule wie Martin - der unserem Nachbarn Wilbur gehörte - waren viel robuster.

Die Ghule ganz vorn, die uns den Rücken zugekehrt hatten, drehten sich langsam um. Ich stöhnte. Sie waren gerade beim Abendessen, das aus einem älteren Herrn bestand, der nun gründlich ausgeweidet war. Camille sog scharf die Luft ein, Kätzchen fluchte leise. Chase räusperte sich und wartete anscheinend auf mein Kommando.

»Okay, wir gehen rein. Denkt daran - die werden so lange kämpfen, bis ihr sie zerlegt habt. Es reicht nicht, ihnen einen Arm oder ein Bein abzuhacken. Sie kämpfen, bis sie in kleine Stücke zerfallen sind oder jemand den Zauber, der sie belebt, 3°282 mit einem anderen Zauber aufhebt. Und falls Morio nicht zufällig so einen Spruch in seiner praktischen Tasche mit sich herumschleppt, müssen wir wohl leider ran, Leute.« Ich warf ihm einen Blick zu, und obwohl ich mir eigentlich nicht viel erwartete, blitzte doch ein wenig Hoffnung in mir auf. Morio jedoch lachte nur. »Bedaure. Aber ich habe ein silbernes Schwert, und Camille auch. «

»Dann auf in den Kampf. Aber seid vorsichtig. Die kauen gern auf jeglichem Körperteil, das sie zu fassen kriegen.« Während ich versuchte, die Kraft der Ghule einzuschätzen, kam mir der Gedanke, dass ich nur zur Abwechslung gern mal wieder gegen einen Feind kämpfen würde, der nicht aus fauligem Fleisch bestand oder wenigstens ein Deo benutzte. Dann verdrängte ich solche Launen aus meinen Gedanken und ging zum Angriff über.