Kapitel 20

 

Der Gesang klang nach Latein oder einer anderen alten Sprache, und die Klänge mittelalterlicher Instrumente begleiteten ihn. Die Musik schwebte durch die Flure und zog mich an. Die Melodie hallte durch die unterirdischen Räume wie ein gespenstischer Lockruf, und die Stimmen machten mich nervös.

Delilah lehnte sich zu mir herüber. Ihr Atem ging schnell und flach. »Das gefällt mir nicht. «

»Festhalten, Kätzchen. Wir können es uns nicht leisten, dass du dich hier verwandelst«, flüsterte ich. »Du würdest davonlaufen, und ich würde dich nie wiederfinden.« Sie sah aus, als würde sie sich jeden Augenblick verwandeln, und die Vorstellung, mit einem sechs Kilo schweren, goldenen Tigerkätzchen an meiner Seite in irgendeinen Kampf zu geraten, war nicht sehr angenehm.

»Ich weiß. Das ist die Musik. Sie dringt richtig in meinen Körper ein, wie Nebel in einer Herbstnacht.« Sie zitterte.

Ich nahm ihre Hand und drückte sie. Delilah lächelte schwach. »Gehen wir nur noch ein Stückchen weiter den Flur entlang und sehen nach, was wir da finden«, schlug ich vor.

Ab hier gab es kein Versteck mehr. Wir konnten nur hoffen, dass uns niemand sah, wenn wir den Flur entlangflitzten. Ich deutete auf die erste Tür auf der linken Seite. »Versuchen wir mal, da reinzukommen. Hier könnten wir uns verstecken, falls wir jemanden kommen hören.« Ich hoffte nur, dass der Raum leer war, denn sonst würde jemand gleich eine Riesenüberraschung erleben.

Wir huschten leise zu der Tür. Ich drückte das Ohr an den Stahl und hörte nichts. Also schob ich die Tür auf. Als wir eintraten, war die Dunkelheit so vollständig, dass selbst ich nichts mehr sah, aber zumindest spürte ich auch niemanden hier drin oder sah irgendwelche Wärmequellen. Der Raum roch muffig, alt und unbenutzt.

Ich schloss leise die Tür, sobald Delilah sich hinter mir vorbeigeschoben hatte, und wartete einen Herzschlag lang ... und noch einen. Kein Laut war zu hören. »Hast du eine Taschenlampe?«

Sie antwortete nicht, aber binnen Sekunden schnitt die winzige Taschenlampe, die sie an ihrem Schlüsselbund hängen hatte, eine Schneise in die Finsternis. Das war keine richtige Taschenlampe, aber immerhin stärker als die ganz billige Variante. Wir blickten uns im Raum um. So weit, so gut. Nichts rührte sich.

Und dann erstarrte Delilah, als ihr dünner Strahl die gegenüberliegende Wand erfasste. Drei Paar Handschellen waren an der Wand befestigt, und in einem Paar hing eine Gestalt. Die anderen waren leer, doch unter dem zweiten Paar lagen ein Häufchen Staub und ein paar Kleidungsstücke.

»O Scheiße. O nein«, sagte ich, als wir langsam näher traten. Ich kniete mich vor die leeren Klamotten, und Delilah leuchtete vor mir auf den Boden. Jeans und eine hübsche rote Bluse. Frauenkleidung, etwa Größe 38. Als ich sie anhob, rieselte Asche aus den Falten des Stoffs. Ich wusste ganz genau, was das für Asche war.

»Vampir. Sie hatten eine Vampirin hier drin angekettet, und sie haben sie zu Staub zerfallen lassen.« Und ich hätte meine Reißzähne darauf verwettet, dass ich schon wusste, wer das getan hatte.

Ich wandte mich der Gestalt daneben zu. Sie war nackt und schon lange tot. Sie war teilweise mumifiziert, deshalb sah man noch, dass sie eine Elfe gewesen war. Zierlich, hübsch, und sie hatte Schmerzen gelitten - das war ihrem Gesichtsausdruck deutlich anzusehen. Ein paar ihrer Finger fehlten, sie waren grob abgehackt worden, und ein klaffendes Loch in ihrer Brust ließ mich schaudern. Während ich die verwitterte Haut und die starren Züge betrachtete, stieg Trauer in mir auf.

»Große Herrin Bast.« Delilah dachte offenbar ganz ähnlich wie ich. »Sabele?«

Ich nickte. »Ganz sicher können wir noch nicht sein. Aber ... ja, ich glaube schon. Und das da ...« Ich deutete auf das Häuflein Asche. »Das war Claudette, die vermisste Vampirin, von der Chase mir erzählt hat. Dantes Teufelskerle haben soeben die Grenze von gefährlichen Spinnern zu grausamen Mördern überschritten.« Ich betrachtete Sabeles Leichnam genauer. »Sie haben ihr das Herz herausgenommen. Es fehlt.«

Delilah verzog das Gesicht. »Verdammte Scheißkerle. Die haben aber nichts mit den Leichenzungen zu tun, oder? «

»Unwahrscheinlich.« Ich schüttelte den Kopf. »Eine Menge dämonischer Rituale erfordern irgendwelche Körperteile, vor allem das Herz oder Blut. Das hier ist übel. Richtig übel. Wenn ich das so sehe, glaube ich, wir sollten schleunigst von hier verschwinden. Wir bewegen uns auf sehr gefährlichem Terrain, und dieser Gesang hörte sich nach einer Menge Leuten an. Vielleicht spielen sie ihn ja auch von einer CD ab, aber das will ich ohne Unterstützung lieber nicht herausfinden, trotz meiner besonderen Kräfte.«

Delilah folgte mir zur Tür. Ich hätte die Überreste der beiden Frauen am liebsten mitgenommen, aber dann hätte die Gruppe gemerkt, dass jemand hier gewesen war. Also machte ich nur mit dem Handy ein paar Fotos, und dann schlichen wir uns den Flur entlang. Auf dem Rückweg durch die Tunnel hatten wir Glück. Niemand hörte uns, niemand sah uns.

Als wir in das Kämmerchen unter der Verandatreppe schlüpften, das Vorhängeschloss wieder anbrachten und uns aus dem Haus schlichen, warteten Smoky, Roz und Vanzir schon auf uns. Ich presste den Zeigefinger an die Lippen und deutete in Richtung Auto. Reden konnten wir, wenn wir zu Hause und alle zusammen waren. Camille musste von alledem erfahren. Chase ebenfalls. Wir hatten es mit VBM zu tun. Mördern, ja, mit Verbindung zu Dämonen. Aber die Burschen waren immer noch Menschen, und das bedeutete, dass wir Chase unbedingt brauchten.

Von unterwegs rief Delilah Chase an und bat ihn, zu uns nach Hause zu kommen. Ich hörte an der Art, wie sie mit ihm sprach, dass er gerade geschlafen hatte. Die letzten zwei Tage waren eine einzige Kette von Toten und immer neuen Sorgen gewesen. Die Nächte waren sogar mir ungewöhnlich anstrengend erschienen, mit der Jagd auf die Karsetii und unseren Versuchen, dahinterzukommen, was zum Teufel Harold und seine Leute vorhatten.

Nachdem sie mit Chase gesprochen hatte, rief Delilah Iris an, die offenbar auch schon im Bett gewesen war.

»Wir sind in spätestens zwanzig Minuten zu Hause. Könntest du uns eine Kleinigkeit zu essen machen? Wir sind am Verhungern. Und würdest du Camille wecken? Wir müssen ihr erzählen, was wir herausgefunden haben.«

Ich stieg aufs Gas und spürte, wie Camilles Motor brüllend die Straße fraß. Der Lexus hatte Kraft, das musste man ihm lassen. »Iris macht uns ein zweites Abendessen«, berichtete Delilah und leckte sich die Lippen.

Ich lächelte. Alle Feen hatten einen gewaltigen Appetit, zumindest im Vergleich zu Menschen, und die meisten von uns nahmen trotzdem nie ein Gramm zu. Ich hatte das Essen nach meiner Verwandlung natürlich aufgeben müssen, aber ich vermisste die Mahlzeiten, die Mutter für uns gekocht hatte, bis heute. Obwohl sie nur zur Hälfte Feen waren, verdrückten meine Schwestern Unmengen von Essen, und ich wusste genau, dass Camille nicht davor zurückscheute, ihren Glamour zu benutzen, um dem Metzger oder Lebensmittelhändler ein paar tolle Steaks oder besonders teure Beeren zu einem Spottpreis abzuschwatzen.

Die Banne schimmerten klar und ungebrochen, als wir die Einfahrt entlangfuhren. Im Haus brannten sämtliche Lichter, ein willkommener Anblick nach unserer Reise durch Harolds seltsame Unterwelt. Iris hatte die Veranda mit Lichterketten geschmückt, deren bunte Lämpchen einen kleinen Tanz aufzuführen schienen. So etwas war typisch für sie. Die Wärme der bunten Lichter war so ganz anders als das kalte, weiße Licht im Tunnel.

Als wir durch die Tür kamen, schlug mir Essensduft entgegen. Wir stürmten die Küche, wo Camille im Schaukelstuhl saß, die locker verbundenen Beine auf einen weiteren Stuhl hochgelegt. Iris sauste in einem dünnen schwarzen Nachthemd herum, über das sie einen leichten Morgenrock aus Leinen gezogen hatte. Ihr Haar floss offen und schimmernd bis zu den Knöcheln an ihr herab, und sie glühte. Na hallo -was hatten wir denn hier? Das war ein echtes Nach-dem-Sex-Glühen, wenn mich nicht alles täuschte.

Die Tür zu ihrem Schlafzimmer, das direkt neben der Küche lang, ging auf, und Bruce, der Leprechaun, kam heraus und setzte sich zu uns. Er war süß, das stand außer Frage: Er war kaum größer als Iris und schlank, und sein wuscheliges Haar war schwarz wie Onyx. So hellblaue Augen wie seine hatte ich noch nie gesehen, und er trug ein Hemd über etwas, das aussah wie eine Schlafanzughose. Aha, Iris und Bruce hatten sich also wieder versöhnt. Ich lächelte sie an, und sie lächelte zurück.

»Was gibt's denn zu essen?«, fragte Delilah, die unseren Gast gar nicht bemerkt hatte.

Roz zwinkerte Iris zu. »Du kleines Luder. Betrügst du mich etwa?«, fragte er, winkte aber lächelnd Bruce zu.

Smoky räusperte sich. »Pass auf, Bruce - sonst drängt sich der da noch in dein Revier hinein.« Er wies mit dem Daumen auf Roz. »Falls er mal eine ordentliche Tracht Prügel brauchen sollte, sag mir einfach Bescheid. Das übernehme ich immer gerne.«

Obwohl er dabei lächelte, sagte mir ein gewisser Ausdruck in den Augen des Drachen, dass das kein Scherz war.

Es klingelte an der Tür, Delilah lief hin und kam mit Chase wieder herein. Ich wies auf den Tisch. »Macht es euch gemütlich. Wer etwas essen will, hebt die Hand, damit Iris Bescheid weiß. Wir haben einiges zu besprechen, was nicht so schön ist.«

Alle setzten sich rasch an den Tisch. Smoky und Morio nahmen Camille in die Mitte, Delilah setzte sich auf Chases Schoß. Roz und Bruce halfen Iris, die rasch einen großen Topf Spaghetti kochte, und ich nahm meinen üblichen Platz ein, knapp außer Reichweite über dem Tisch. Vanzir und ich waren die Einzigen, die nichts essen wollten, und er hockte vor Maggies Laufstall. Maggie selbst war nirgends zu sehen - sicher schlief sie noch in Iris' Zimmer.

»Also, es sieht folgendermaßen aus«, begann ich, während die anderen Spaghetti und Baguette herumreichten - beides triefte nur so von Butter und Parmesan. Aus Rücksicht auf mich hatte Iris auf den Knoblauch weitgehend verzichtet, es war nur ein Hauch davon zu riechen.

»Delilah und ich haben Sabeles Leichnam gefunden. Und«, sagte ich an Chase gewandt, »wir haben auch erfahren, was Claudette zugestoßen ist. Harolds Bande hat beide ermordet - zumindest sieht es so aus. «

»Scheiße«, brummte Chase, legte sein Stück Weißbrot beiseite und griff nach dem Notizbuch.

»Iss. Notizen kannst du dir später machen«, mahnte Iris, beugte sich vor und gab ihm einen Klaps auf die Finger. Sie und Bruce saßen auf Barhockern und damit hoch genug am Tisch, um nicht von allen anderen weit überragt zu werden. Chase lächelte sie an, legte den Stift weg und griff stattdessen zur Gabel. Wir beschrieben den anderen unseren Ausflug in das unterirdische Labyrinth. »Dieser Komplex wurde ganz sicher nicht in den paar Jahren gebaut, seit Harold dort wohnt«, sagte ich. »Die Anlage ist viel älter. Wir hatten keine Zeit, uns alles anzusehen, aber ich glaube, es muss da drin einen Raum für Rituale geben. Irgendwo müssen sie die Dämonen ja beschwören, aber ich wüsste gern mehr, ehe wir da reingehen. «

»Wir können aber kaum etwas anderes tun, als ins kalte Wasser zu springen«, erwiderte Camille. »Du kannst darauf wetten, dass die Baupläne für eine geheime Dämonen-Anrufungs-Kammer nicht im Stadtarchiv herumliegen. Aber ich frage mich ... Delilah, könntest du deinen Computer hochfahren und schauen, ob du irgendetwas über das Haus selbst in Erfahrung bringen kannst? Wenn es alt ist, findest du vielleicht Informationen darüber, wem es vor Harolds Onkel gehört hat. Irgendetwas, das uns sagen kann, wer die Vorbesitzer waren und ob sie auch etwas mit Dantes Teufelskerlen zu tun hatten. Vielleicht irgendwelche Vorgänger der jetzigen Gruppe.«

Delilah nickte mit vollem Mund. Sobald das Essen herumgereicht worden war, hatte sie sich neben Chase auf einen Stuhl gesetzt. Eines hatte er über Kätzchen ziemlich schnell gelernt: Sie verteidigte ihr Essen. Wenn sie jemandem anbot, sich zu bedienen, kein Problem, aber vorher stibitzte auch Camille niemals etwas von ihrem Teller. Chase hatte das auf die harte Tour gelernt - ich war selbst dabei gewesen und hatte die Kratzer gesehen, die er sich eingehandelt hatte, ehe Delilah sich hatte zurückhalten können.

»Das ist eine gute Idee«, sagte ich. »Chase, kannst du in euren Akten nachsehen, ob schon irgendwelche Mitglieder von Dantes Teufelskerlen außer Harold je verhaftet wurden? Schau auch bei den Eltern nach. Vor allem nach den Vätern und Brüdern. «

»Das müsste ich spätestens bis morgen Abend für euch herausfinden können«, sagte er.

»Gut. Je mehr Informationen wir zusammenbekommen, desto besser.« Ich überlegte kurz. »Vanzir - könntest du uns ein Treffen mit deinem Dämonenfreund Carter vermitteln? Ich will ihn fragen, ob er noch von anderen Dämonen weiß, die unabhängig von Schattenschwinge in den vergangenen ... sagen wir mal ... hundert Jahren in der Nähe von Harolds Haus aufgetaucht sind. Vor allem sehr ungewöhnliche Dämonen.« Er nickte. »Er wird sicher bereit sein, mit euch zu reden. Soll ich gleich zu ihm gehen? «

»Nein, warte bis morgen.« Ich runzelte die Stirn. »Was noch? Haben wir irgendetwas übersehen? «

»Wie wäre es mit einem zweiten Besuch bei Harish? Wenn wir genau feststellen können, wann Harold angefangen hat, Sabele zu verfolgen, würde uns das vielleicht etwas nützen. Und wo hat Harold eigentlich Claudette kennengelernt? Die Teufelsbrüder haben ganz sicher keine Einladung vom Clockwork Club bekommen.« Camille richtete sich auf. »Chase, wenn du schon dabei bist, sieh doch mal nach, ob noch mehr weibliche ÜW oder Feen als vermisst gemeldet wurden. Oder sogar VBM, die in der Nähe von Harolds Haus wohnen. Geh in den Akten über ein paar Jahre zurück. Die Handschellen an der Wand lassen für die weibliche Bevölkerung nichts Gutes ahnen.«

Ich schnippte mit den Fingern. »Das Mädchen - Larry und Duane haben davon gesprochen, dass sie einer jungen Frau Zfen in den Drink gemixt haben. Meint ihr, wir könnten sie aufspüren? «

»Unwahrscheinlich, außer sie wird vermisst, aber das verschafft uns immerhin eine Vorstellung davon, wie sie arbeiten. Aber die Vampirin - Drogen wirken bei Vampiren nicht, und sie trinken sowieso nur Blut, also wie haben sie Claudette in die Finger bekommen?« Chase biss in sein Brot und wischte sich Butter vom Kinn.

»Es gibt durchaus Möglichkeiten, uns zu unterwerfen«, sagte ich. »Silberne Ketten, mit Knoblauch präparierte Seile ... möglich ist es.«

Camille seufzte tief. »Wir haben zu viele Fragen und nicht genug Antworten.«

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon fast vier Uhr früh. Nicht mehr genug Zeit für mich, um auf die Jagd zu gehen, und Camille und Delilah sahen schon ziemlich fertig aus. »Wir müssen das auf morgen verschieben. Delilah, wir haben die Karsetii zwar verjagt, aber ich finde trotzdem, dass du die restliche Nacht im Bunker verbringen solltest ... «

»Nein.« Sie schluckte den letzten Bissen Spaghetti hinunter und trank ein Glas Milch hinterher. »Ich lasse mich nicht wegschließen wie ein Porzellanpüppchen. Es kommt der Punkt, wo wir uns nicht weiter zurückziehen können, und ich stelle mich ihr lieber hier. Ihr habt sie ziemlich schlimm verwundet. Ich schätze, das Ding muss sich erst regenerieren, ehe es zurückkommen kann.«

Camille räusperte sich. »Wir können sie nicht dazu zwingen.« Konnten wir schon - oder vielmehr, ich konnte es -, aber ich würde es nicht tun. Ich nickte. »Also schön, das ist deine Entscheidung. Aber schlaf nicht zu tief. «

»Ich bleibe bei ihr«, sagte Chase. »Falls irgendetwas pas siert, wecke ich Camille und ...« Er warf Morio und Smoky einen Blick zu, die beide neben ihr saßen. »Und euch beide. «

»Mir wäre wohler, wenn wir jemanden bei ihr im Zimmer hätten, der sofort in den Astralraum wechseln kann. Vanzir, würdest du vor Delilahs Tür schlafen? Wir machen dir ein Bett zurecht. Dann kann Chase dich sofort zu Hilfe holen, ohne dass er erst durchs halbe Haus rennen muss. «

»Ich brauche kein Bett«, sagte er. »Ein Schlafsack genügt mir. «

»Ich habe einen bei mir oben«, erklärte Delilah. »Der ist sehr weich gepolstert.«

Sobald alles geklärt war, verzogen sich Bruce und Iris, die alles stumm mit angehört hatten, in ihr Schlafzimmer. Smoky nahm Camille auf die Arme und trug sie hinauf zu ihrem Schlafzimmer, gefolgt von Morio. Delilah und Chase gingen ebenfalls nach oben, und Vanzir begleitete sie.

Rozurial blieb sitzen und sah zu, wie sich die Küche leerte. Gleich darauf waren nur noch wir beide da. Ich hatte gehofft, dass es so laufen würde. Ich schaute zu ihm hinüber. Wortlos stand er auf und zog seinen Staubmantel aus. Er hängte ihn über einen Stuhl und legte dann seinen Hut auf den Tisch.

Er sah so gut aus - er war nicht besonders groß, aber dunkle Locken fielen ihm bis auf den Rücken, und auf dem blassen Gesicht zeigte sich ein leichter Bartschatten. Seine Muskeln unter dem schwarzen Tanktop schimmerten, und die Jeans saß eng an Oberschenkeln, die versprachen, mich festzuhalten wie sonst keine.

Roz breitete die Arme aus, und ich ging zu ihm. Er beugte sich hinab, küsste mich sacht und hielt mich fest.

»Nimm mich«, flüsterte ich, denn ich wollte die Bilder von der toten Sabele und dem Häuflein Asche, das einmal Claudette gewesen war, aus meinem Kopf tilgen.

»Nimm mich, bring mich fort von mir. Hol mich raus aus meinem Kopf. «

»Mit Vergnügen«, flüsterte er und führte mich ins Wohnzimmer. Obwohl Rozurial von meinen Narben wusste, fragte ich mich, wie er darauf reagieren würde, als ich meine Jeans und das Top auszog. Würde er auf diese höfliche, leicht bekümmerte Art das Gesicht verziehen, wie andere, wenn sie die Spuren sahen, die Dredge in meine Haut geritzt hatte? Würde er mich noch wollen? Ich legte die gefaltete Jeans über die Sofalehne und drehte mich um, gewappnet dafür, dass er es sich möglicherweise noch einmal anders überlegen würde.

Aber da stand er und starrte mich an, und auf seinem Gesicht spiegelten sich Freude und Begehren. Langsam fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen, und ein Glitzern in seinen Augen sagte mir, dass er - o ja - trotz meiner Narben die Hände nicht von mir lassen würde. Und ich wollte seine Hände an mir spüren. Ich wollte, dass er mich berührte.

Er trat einen Schritt vor und zögerte dann. »Gibt es irgendetwas, das ich wissen sollte?«, fragte er leise. »Ich habe noch nie mit einer Vampirin geschlafen. Und noch nie ... Ich weiß nicht, womit ich vielleicht schlimme Erinnerungen wecken könnte. Sag mir, was ich nicht tun soll. Oder was ich tun soll.«

Seine Zurückhaltung überraschte mich. Der Duft seiner Pheromone war stark, überwältigend. Am liebsten hätte ich ihn angesprungen und umgeworfen, um ihn zu reiten. Ich tastete mit der Zunge nach meinen Reißzähnen, aber sie wa ren kein bisschen ausgefahren - da waren nur ganz normale Zähne. Hatte Vanzir vielleicht doch recht? Würde ich den Instinkt, meinen Partner zu beißen, leichter beherrschen können, wenn ich mit Dämonen schlief? Roz hatte ich schon geküsst, und ich erinnerte mich daran, dass ich bei ihm hatte trinken wollen, aber irgendetwas hatte sich verschoben -etwas war anders.

Ich dachte über seine Frage nach. Wenn ich mit Nerissa zusammen war, wusste sie instinktiv, was sie tat, und ihr Instinkt war sehr, sehr gut. Aber seit Dregde hatte ich nur mit einem einzigen Mann geschlafen, und das bei einem Ritual, deshalb war dies hier Neuland für mich. Beinahe so neu wie mein allererstes Mal.

»Lass mich oben sein, bis ich mich an dich gewöhnt habe«, sagte ich. »Und drücke nie meine Hände herunter. Ich darf mich nicht gefangen fühlen. «

»Okay«, sagte Roz und trat langsam einen weiteren Schritt auf mich zu. »Und wie ist es mit Berührungen? Soll ich dich irgendwo nicht anfassen?«

Ich neigte den Kopf zur Seite und schluckte, als er den Blick über mich schweifen ließ. »Zeichne nicht Dredges Namen nach, den er in meine Haut geritzt hat. Verleih dieser Narbe keine Bedeutung.«

Und ich zeigte ihm, wo Dredge mit einem messerscharfen Fingernagel seinen Namen in die Haut auf meinem Venushügel geschrieben hatte. Er hatte dabei gelacht und gesagt: »Du gehörst mir. Du bist mein Besitz«, und ich hatte gewusst, dass ich nie wieder frei sein würde, frei von ihm. Die Narbe würde mir ewig bleiben, und es gab keine Möglichkeit, sie loszuwerden. Wenn ich noch lebendig gewesen wäre, hätte mir viel leicht eine Operation helfen können, aber bei einem Vampir funktionierte so etwas nicht. Nerissa hatte eine Tätowierung vorgeschlagen, und ich ging der Idee nach, um herauszufinden, wie Vampire auf Tattoos reagierten.

Roz betrachtete die Narbe einen Moment lang und schüttelte dann den Kopf. »Er ist Staub und Asche, hilflos im Griff seines Meisters. Jetzt gehörst du niemandem mehr. Ganz gleich, was für Narben du trägst, ganz gleich, in welcher Welt du wandelst. Du gehörst nur dir selbst, Menolly. Das ist eines von den Dingen, die ich an dir liebe. Du bist eine Kriegerin. Du scheust nie davor zurück, zu tun, was getan werden muss, und du rechtfertigst dich dafür bei niemandem.«

Dann schlüpfte er aus seinen Stiefeln und zog sich das Tanktop über den Kopf. Seine Brust schimmerte hell, und ein Streifen lockiger, dunkler Härchen zog sich mitten darüber bis über seinen Bauch. Ich hatte ihn noch nie mit nacktem Oberkörper gesehen, und seine breiten Schultern waren wie poliert, fest und muskulös gerundet.

Er griff nach seiner Gürtelschnalle und schüttelte den Kopf, als ich ihm helfen wollte. »Ich will mich für dich ausziehen.« Er löste die silberne Schnalle und zog den Gürtel aus den Schlaufen, und das Geräusch von Leder, das über Stoff glitt, ließ mich erschauern. Der Gürtel fiel neben sein Top auf den Boden. Dann zog er sich den Reißverschluss herunter, schob die Jeans über die Oberschenkel, ließ sie auf den Boden rutschen und trat heraus.

Plötzlich wurde ich schüchtern. Wenn es möglich gewesen wäre, wäre ich wohl rot geworden. Doch stattdessen riskierte ich nur einen Blick aus den Augenwinkeln. Rozurial stand vor mir, ein Bodybuilder ohne Extreme oder Ubertreibun gen.

Seine schlanke Taille stand in vollkommener Harmonie zu seinen Schultern und Oberschenkeln, und sein Schwanz ragte dick und pulsierend hervor, aufrecht und bereit. Wie gebannt glitt mein Blick aufwärts und begegnete dem seinen. Er verströmte Leidenschaft wie das Versprechen von süßem Honigwein in einer lauen Nacht.

»Es stimmt, was man sagt. Selbst ich kann es spüren. Kein Wunder, dass andere Männer dich hassen.« Ich sah es in seinen Augen. Frauen würden sich ihm zu Füßen werfen und ihn mit gespreizten Beinen willkommen heißen. Und sie würden es nicht bereuen. »Wie viele Frauen haben sich schon nach dir verzehrt, nachdem du sie verlassen hast?«

Roz zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich will dich nicht belügen. Du weißt, was ich bin. In den vergangenen sieben Jahrhunderten habe ich mit Tausenden von Frauen geschlafen. Ich habe sie geküsst und sie gefickt, und sie haben immer nach mehr gebettelt. Ich liebe Frauen, Menolly«, sagte er leise. »Alle Frauen. Groß, klein, dünn, dick, jung, alt ... das spielt keine Rolle. Ich giere nach ihnen. Das ist es, was ich bin. Und wer ich bin. Ich habe keine andere Wahl, es liegt in meiner Natur. Die einzige Art von Frauen, die ich nicht anziehend finde, sind die Schüchternen, die auf einen Mann warten, damit er ihnen das Gefühl gibt, ein ganzer Mensch zu sein. «

»Ich weiß. Und das hier ... das ist meine Natur.« Ich öffnete leicht den Mund und schob willentlich meine Reißzähne hervor. Er sah zu, ohne Angst und regungslos. »Ich trinke Blut. Ich bezaubere und verführe, um an meine Nahrung zu gelangen. Vanzir hatte recht - alle Dämonen nehmen nur von anderen, nicht wahr? «

»Aber wir geben auch etwas«, erwiderte Roz, und dann stand er nur noch ein paar Fingerbreit von mir entfernt, und ich spürte seinen Atem ganz leicht auf meiner Haut. »Ich will dir etwas geben. Und du ... Ich will, dass du dich mir hingibst. Lass uns einfach sehen, wohin uns das führt.«

Ich nickte. Er schlang die Arme um mich, hob mich hoch, und ich presste die Lippen auf seine. Dann zog ich die Reißzähne ein und küsste ihn richtig. Meine Zunge glitt in seinen Mund, und er presste sich an mich, wobei sein Schwanz stramm stand wie ein Soldat. Roz legte mich sacht auf den Boden nieder, und die Welt verschwamm.

Er ließ die Lippen über meinen ganzen Körper flattern wie zarte Schmetterlinge, und dann drehte er sich herum, so dass ich ihn in den Mund nehmen konnte. Ich nahm ihn tief in mich auf, der warme Schaft glitt zwischen meinen Lippen hinein und heraus, und ein salziger Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Als er stöhnte, spürte ich eine Woge köstlicher Macht, und ich leckte fester und reizte die Spitze seines Penis mit der Zunge, während er sich spürbar zwang, ruhig zu bleiben. Roz küsste meinen Bauch, meine Brust, meine Brustwarzen, er schob sich zwischen meine Beine und verlockte mich mit der Zunge zum Fliegen. Er war so anders als Nerissa -nicht besser, nicht schlechter - einfach anders.

Plötzlich drehte er sich um, packte mich um die Taille und rollte uns herum, so dass er unter mir zu liegen kam. Ich setzte mich auf ihn und nahm seine Hände, um mich daran abzustützen. »Menolly«, flüsterte er. »Reite mich - tu es.«

Und ich tat es. Ich ließ die Hüfte auf ihn sinken, und er hob sich mir entgegen. In völliger Stille bog er den Rücken durch und hob mich mit hoch, und ich erlaubte mir, meine ständige Kontrolle ein wenig zu lockern. Ich konnte ihn nicht so verletzen wie Nerissa - jedenfalls nicht so leicht. Meine Reißzähne blieben aber von selbst eingezogen. Ich schloss die Augen, während wir uns auf dem Boden wiegten und meine Knie über den rauhen Teppich rutschten. Und dann waren wir da - wir schwankten am Abgrund, bereit, abzuheben und zu fliegen. Ganz gleich, was sonst noch zwischen uns sein mochte, Rozurial und ich passten großartig zusammen.

Ich schüttelte den Gedanken ab, ließ los, ließ mich abgleiten, und aus dem Gleiten wurde ein Sturz, ein Sturz in einen reißenden Fluss, der über eine Klippe hinweg in den Abgrund rauschte. Und dieses eine Mal ließ ich mich von der Strömung davontragen ohne jede Gegenwehr.