Kapitel 2

 

Ich starrte ihn an. Belastung? Wen zum Teufel wollte er denn damit verarschen?

»Das kann nicht dein Ernst sein. Was ist aus unseren Plänen geworden? Du weißt schon - die Pläne, nach denen ich deine Stellvertreterin werden sollte, wenn du gewinnst? Und was ist mit deinem großen Gerede von einer Art Untergrund-Polizei der Vampire, die Abtrünnige und Einzelgänger unter Kontrolle bringen soll? Sind all diese Pläne plötzlich in Rauch aufgegangen?«

Wade wich meinem Blick aus. »Ich weiß, ich weiß. Aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen. Deine Mitgliedschaft bei den AB hat die ganze Gruppe gespalten. Die eine Hälfte will dich zu Staub zerblasen sehen, die andere Hälfte verehrt dich wie eine Göttin. Aber wenn man die größere Vampirgesellschaft betrachtet, ist dein Name inzwischen ein Synonym für Ärger.

Menolly, du wirst mich Stimmen kosten, die zu verlieren ich mir nicht leisten kann.«

Seine Stimmlage fiel um etwa eine Oktave, und er schlug mit der flachen Hand an die Wand neben mir. »Wenn ich es nicht schaffe, mir den Posten des Regenten zu sichern, bekommt ihn Terrance. Und dann geht alles, wofür wir so hart gearbeitet haben, den Bach runter.«

Ich starrte ihn an und fragte mich, wo er diese neue, unangenehme Seite seiner Persönlichkeit gefunden haben mochte. Wade war normalerweise sanft und höflich. Was war da passiert?

Aber im tiefsten Herzen kannte ich die Antwort. Sobald die Erdwelt-Vampire im Sog der anderen Übernatürlichen aus dem Untergrund gekommen waren, hatten sie begonnen, Gebiete einzuteilen und Anführer zu wählen, die ihre jeweilige Gruppe repräsentierten. Die Regentschaft der neuen NordwestDomäne war zu besetzen, und Wade wollte den Posten haben. Er wollte ihn so sehr, dass ich es riechen konnte.

»Schön.« Ich riss die Tür so heftig auf, dass eine der Angeln riss. »Dann verschwinde. Ich werde dich und deine beschissene Gruppe nie wieder belästigen. Ihr könnt allesamt zur Hölle fahren, wenn es nach mir geht. Aber nimm unbedingt deinen Alp träum von einer Mutter mit.«

Beim Ausdruck erschrockener Überraschung, der sich über sein Gesicht legte, fühlte ich mich schon besser. Ich hoffte, ich hatte seine Gefühle verletzt. Richtig verletzt. Niemand benutzte mich und ließ mich dann fallen, wenn ich irgendwie unbequem wurde. Und je eher dieser kleine Schlappschwanz das herausfand, desto besser.

»Menolly, nun sei doch nicht so«, sagte Wade sanft, aber im Moment hätte er in Tränen ausbrechen können, und es wäre mir scheißegal gewesen.

»Wie soll ich denn nicht sein? Du schmeißt mich aus der Gruppe, du sagst mir, dass du nicht mehr mit mir gesehen werden willst, und dann erwartest du von mir, dass ich lächle und lieb zu dir bin? Vergiss es.« Ich deutete auf die Tür. »Ich habe gesagt, du sollst verschwinden. «

»Ich habe mir schon gedacht, dass du sauer sein würdest«, erwiderte er gereizt. »Bitte versuche doch, das zu verstehen. Das ist meine Chance, Einfluss zu nehmen, solange die Domänen noch ganz am Anfang stehen. Ich weiß, wir haben darüber gesprochen, dass du meine Stellvertreterin werden könntest, aber das war, bevor du Dredge umgebracht hast. Damit hast du eine Schockwelle durch die gesamte Vampir-Gemeinschaft gejagt, und die Wogen haben sich noch lange nicht geglättet.«

Angewidert fauchte ich ihn an und kniff die Augen zusammen. »Idiot. Dredge war ein Ungeheuer, er hätte jegliche Chance verdorben, dass Vampire je wieder offen unter Menschen leben könnten, ohne gejagt zu werden. Was ich getan habe, war schwerer als alles, was du jemals wirst tun müssen. Du weißt genau, was er mit mir gemacht hat. Ist dir eigentlich klar, wie verdammt schmerzhaft es war, meine Folter, meine Vergewaltigung und meinen Tod noch einmal durchleben zu müssen, damit ich das Band zu meinem Meister durchtrennen konnte? «

»Ja, ich weiß ... «

»Einen Scheiß weißt du!« Ich schnitt ihm das Wort ab und stieß ihn weg, weil ich ihn nicht so nah bei mir haben wollte. »Mach erst mal ein Zehntel dessen durch, was ich ertragen habe, und dann schau mir in die Augen und sag mir, dass das, was ich getan habe, nicht gerechtfertigt war. Aber das könntest du niemals aushalten, nicht wahr, Jüngelchen? Du wärst vor Dredge auf dem Bauch gekrochen, du hättest ihm den Schwanz gelutscht und ihn angefleht, dich zu verschonen. Du hättest den Speichellecker an seinem Hof gespielt, um der Folter zu entgehen.« Es war mir inzwischen egal, wer mich hörte. Es gab keinerlei Spielraum für irgendwelche Interpretationen, was Dredge anging. Nicht für mich.

Wades Augen funkelten rot. Er beugte sich vor und starrte auf mich herab, und seine langen Wimpern flatterten vor seiner blassen Haut. »Stell dich nicht so an. Ich weiß, was du durchgemacht hast. Ich weiß, dass du ihn vernichten musstest. Aber, Menolly, denk doch mal logisch. Wenn ich nicht gewinne, gewinnt Terrance. Und Terrance wird irgendwann ein zweiter Dredge werden. Er will dem Dasein der Vampire wieder den geheimnisvollen Nimbus der Angst verleihen.«

Terrance, der Besitzer des Fangzabula, war ein Vampir der alten Schule. Er war knallhart und arrogant, und er dachte sich nichts dabei, Sterbliche als seine privaten Saftspender zu benutzen und einfach wegzuwerfen, wenn sie leergetrunken waren. Aber verglichen mit Dredge war der Kerl ein Chorknabe.

»Blödsinn.« Ich starrte an ihm vorbei. So ungern ich es auch zugab, ich wusste, dass er recht hatte. Ich war zu einer wandelnden Kontroverse geworden, einem Streitpunkt unter Vampiren. Ich belastete seinen Wahlkampf tatsächlich, außer er entschied sich dafür, offen zu mir zu stehen und mich zu verteidigen. Und das konnte er tun - wenn er wollte. Aber Wade war nicht gern der böse Junge. Wade gewann lieber mit Hilfe seines Charmes, statt seine Qualitäten als Anführer zu beweisen. Ich spürte, wie blutige Tränen in mir aufstiegen, und rang sie nieder. Er würde mich nicht zum Weinen bringen. »Scheiß auf dich. Ich habe verdammt viel für die Anonymen Bluttrinker getan, und jetzt einfach so abgeschoben zu werden, ist ein Schlag ins Gesicht. «

»Menolly ... «

»Komm mir nicht so. Wenn du ein bisschen mehr Rückgrat hättest, wäre Terrance gar nicht erst so weit gekommen, wie er jetzt ist. Aber du scheust jede Konfrontation, du versuchst immer noch, es jedem recht zu machen, obwohl du weißt, dass das unmöglich ist. Wenn du dir Terrance vorgenommen hättest, sobald er anfing, Ärger zu machen, dann hätten wir dieses Problem jetzt gar nicht.« Wade packte mich bei den Schultern.

Ich hob langsam die Hand, ergriff sein Handgelenk und drückte so fest zu, dass ich spürte, wie sich die Knochen verschoben.

»Nimm die Hände von mir, oder du fliegst gegen die Wand.«

Meine Reißzähne fuhren aus, und Wut vernebelte mir die Sinne. Er ließ abrupt los. Ich versetzte ihm noch einen Stoß, gerade fest genug, um ihm zu zeigen, dass es mir ernst war.

Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, fing er sich wieder. »Ich bestreite nicht, dass du sehr viel für die Anonymen Bluttrinker getan hast, aber vergiss niemals, dass die Gruppe mein Baby ist. Ich habe sie gegründet, und ich habe sie zu dem gemacht, was sie heute ist. Es hat außerdem andere gegeben, die ebenso viel Zeit da hineingesteckt haben wie du, wenn nicht noch mehr. Sassy Branson beispielsweise. Könnten wir diese Unterhaltung also in höflichem Tonfall fortsetzen?« Er beute sich herab, so dass seine Lippen die meinen nur um Haaresbreite nicht berührten.

Ich fauchte leise. »Wag es nicht, mir mit roten Augen zu kommen.« Kein Atem, kein Lufthauch bewegte sich zwischen uns.

Sein Blick hing an meinem Gesicht. »Ich dachte, du magst Männer, die die Führung übernehmen. Jedenfalls verbringst du reichlich Zeit mit diesem Incubus. Und der ist noch ein Atmer, Dämon hin oder her.« Und dann küsste Wade mich plötzlich und stieß mich hart gegen die Tür.

Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, rammte ich ihm das Knie zwischen die Beine, und er erschauerte und wich zurück. Ein Tritt in die Eier tat Vampiren zwar nicht so weh wie VBMMännern, aber angenehm war es nicht.

»Wenn du mich noch einmal anrührst, töte ich dich. Erst wirfst du mich mit einem Tritt in den Hintern aus allem raus, und dann versuchst du, mich zu küssen. Das reicht jetzt. Ich widerrufe meine Einladung. Wade Stevens, du bist in meinem Haus nicht länger willkommen. Du darfst meine Schwelle nicht überschreiten. Und überleg dir gut, ob du je wieder in meiner Bar erscheinen möchtest.« Ich konnte ihn nicht daran hindern, die Bar zu betreten - immerhin war das gewissermaßen ein öffentlich zugänglicher Ort - aber ich würde dafür sorgen, dass er nie wieder einen Fuß in unser Haus setzte.

Er besaß doch tatsächlich den Nerv, schockiert dreinzuschauen.

»Menolly - nicht! Wir finden eine andere ... «

»Zu spät. Raus. Sofort. Wenn es sein muss, rufe ich Tavah zu Hilfe, und wir machen dich fertig. Gegen uns beide hast du keine Chance.« Die Blutlust dröhnte mir in den Ohren. Ich wollte jagen, aufspüren, etwas zerreißen. »Du gehst jetzt besser. Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch beherrschen kann.«

Er warf mir einen letzten Blick zu, war klug genug, zu erkennen, dass ich kurz vor dem Ausrasten stand, und verschwand blitzschnell aus meinem Büro. Ich beherrschte mich nur noch mühsam, ich war stärker als er, und das wusste er auch.

Ich versuchte, mich zu sammeln. So sah es also aus. Wade hatte mich aus politischem Ehrgeiz verraten. Er hatte unsere Freundschaft gebrochen, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen. Ich hatte Verständnis dafür, dass er zum Regenten aufsteigen wollte, aber ich hegte auch den Verdacht, dass er überreagierte, um vor seinen Kumpels eine bestimmte Rolle zu spielen. Er hatte schon immer den guten Bullen geben wollen. Und dazu musste er mich zum bösen Bullen machen.

Typisch Mann.

Ich schlich hinaus in die Bar. Der Geruch von Schweiß und Bier überwältigte mich beinahe. Herzschläge trommelten einen aufpeitschenden Puls und drohten mich in einen Blutrausch zu stürzen. Ich gab Luke einen Wink.

Er warf einen einzigen Blick auf mich und wies sofort mit einem Nicken zur Tür. »Du musst jagen.«

Luke war ein Werwolf. Er verstand Instinkt und Trieb, vor allem, da er nicht in einem Rudel lebte wie die meisten anderen Werwölfe. Er war ein einsamer Wolf, nur auf sich gestellt, und musste ständig wachsam sein. Luke hatte mir nie erzählt, warum er mit seinem Rudel gebrochen hatte, aber ich hatte ihn natürlich überprüft, und er hatte keinerlei Vorstrafen. Allerdings bewies die Narbe, die sich seitlich sein ganzes Gesicht hinabzog, dass er schon einiges erlebt hatte.

»Ja. Dringend. Würdest du Camille sagen, dass ich bald wieder da bin? Wenn ich nicht sofort hier verschwinde, werde ich explodieren, und das wäre nicht gut. Und falls Wade zurückkommt, richte ihm von mir aus, er solle sich gefälligst aus meiner Bar verpissen und nie wieder herkommen.«

Luke konnte sehr gut zwischen den Zeilen lesen. Er stellte keine Fragen, sondern warf sich nur das Geschirrtuch über die Schulter und ging in Richtung Treppe. Ich sah ihm kurz nach und schlüpfte dann zur Tür hinaus.

So schnell, dass mich niemand bemerken würde, raste ich an der Gasse hinter dem Wayfarer vorbei. Ich wollte Chit und seine Jungs nicht in Gefahr bringen. Nein, ich wusste genau, wohin ich wollte.

Wenn ich jagte, folgte ich den Spuren des Abschaums: den Vergewaltigern und Junkies und Zuhältern und Dealern, die durch das nächtliche Seattle streiften. Wenn ich doch einmal gezwungen war, von einem Unschuldigen zu trinken, achtete ich sehr darauf, mir nie mehr zu nehmen, als derjenige verkraften konnte, und löschte hinterher die Erinnerung an mich aus - ich hinterließ nur die angenehme Vorstellung, dass mein Opfer einen schönen, langen Spaziergang gemacht hatte und jetzt ein Nickerchen und ein anständiges Steak zur Stärkung brauchte. Die Stadt selbst schien Dunst auszuschwitzen, Abgase, die Hitze, die vom Asphalt aufstieg, und das vermischte Parfüm einer guten halben Million Menschen. Ich schlich durch Seitengassen von einem Viertel zum nächsten, bis ich den Central District erreichte, eine Gegend, in der besonders viele Verbrechen geschahen und in der ich oft auf die Jagd ging. Fast immer fand ich hier die richtige Beute, und es kam selten vor, dass ich hungrig wieder wegging.

Ich schloss die Augen und sandte meine Fühler in die Stadt aus, die sich um mich herum bewegte. Da - am Ende einer Seitengasse ganz in der Nähe. Aufgeregtes Grölen kam von ein paar Gang-Mitgliedern auf der Suche nach Ärger.

Früher wurden die Straßen Seattles von den Crips und den Bildfläche erschienen. Die Zeets verdankten diesen Namen ihrer beherrschenden Stellung am Markt für Z-fen - aktuell die Sexdroge überhaupt. Vor allem Zuhälter nutzten das Zeug, um ihre Ware gefügig zu machen, denn es machte stark abhängig, und der Drogenhandel war fest in der Hand der Zeets. Die Wings, eine Gang, die sich aus dem asiatischen Milieu rekrutierte, hatte das Schutzgeld-Geschäft an sich gerissen.

Ich konzentrierte mich auf die Gruppe. Es waren zehn oder elf Zeets. Die Energie ihres mit Drogen angeheizten Testosterons schoss durch ihre Körper wie eine Funkenspur. Ich schlich durch die Schatten und drückte mich dicht an die Backsteingebäude. Die Seitenstraße entpuppte sich als Sackgasse mit einem etwas breiteren Platz am Ende. Ich lauschte den Gesprächsfetzen, die von dort herantrieben.

»Die werden die Hosen gestrichen voll haben, wenn wir mit ihnen fertig sind ... «

»Mann, gib's weiter. Ich bin dran ... «

»Also, ich bin reingekommen und hab Lana erwischt, wie sie's gerade mit irgendeinem Arsch getrieben hat, den sie von der Schule kennt. Das macht die nie wieder. «

»Was hast'n mit ihr gemacht, Mann? «

»Sie so verprügelt, dass sie's nie wieder vergisst... «

»Können wir? Sonst muss ich mir wieder das Gemecker anhören, weil ich ständig so spät komme ...«

Ich wandte meine Aufmerksamkeit ganz dem Mann zu, der seine Freundin verprügelt hatte. Ja, der passte. Er war groß und schlank, und ein langer Zopf hing ihm über den halben Rücken. Sein Bart und Schnurrbart waren blond, seine Augen aber so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten. Er trug ein blaues Unterhemd und eine Cargohose, die mit Ketten behängt war. Mir fiel ein Bleirohr auf, das aus einer tiefen Tasche seitlich an seiner Hose ragte. O ja, der war genau richtig.

Ich starrte ihn an, konzentrierte mich auf ihn und befahl ihm, zurückzubleiben. Vampire der alten Schule benutzten diesen Trick sehr oft, aber ich machte mir für gewöhnlich nicht die Mühe. Es kam mir immer ein bisschen wie Schummeln vor, aber heute Nacht war mir das egal. Für mich hatte er die menschliche Grenze überschritten, als er mit der Misshandlung seiner Freundin geprahlt hatte.

»Ich komm gleich nach«, sagte er, als die anderen die Gasse entlangkamen. Während sie hinter mir verschwanden, blickte meine Beute sich nervös um, als sei er nicht sicher, warum er eigentlich zurückgeblieben war. Er erschauerte. Ich konnte seine Anspannung bis in mein Versteck spüren. Als er seinen Freunden nachlaufen wollte, trat ich aus den Schatten und versperrte ihm den Weg.

»Wohin so eilig?«, fragte ich leise und hielt den Kopf gesenkt, damit er meine rot leuchtenden Augen nicht sah.

»Aus dem Weg, Miststück«, sagte er verächtlich. Ich hob den Kopf und lächelte mit vollständig ausgefahrenen Reißzähnen.

»Was zum ...« Er wich einen Schritt zurück.

»Ach, Süßer, nicht weglaufen. Ich verspreche dir, ich werde dir nicht weh tun, so wie du deiner Freundin weh getan hast.« Dann stieß ich ein leises Fauchen aus und ging auf ihn zu, mit langsamen, festen Schritten, die noch mehr Angst auf sein Gesicht zauberten. O ja, manchmal fühlte es sich richtig gut an, ein Vampir zu sein. Die Macht, andere einzuschüchtern, jemanden, der so dreist war und sich für den König der Welt hielt, in die Knie zu zwingen, war köstlich. Das war ein besserer Kick, als ihn irgendeine Droge bieten könnte.

Er wich einen weiteren Schritt zurück, warf sich dann herum und rannte auf den Drahtzaun zu, der das Ende der Gasse versperrte. Ich ließ ihn ein paar Meter weit kommen, holte dann mit zwei Sätzen auf und landete vor ihm.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?« Der Kerl wich zurück, und seine Stimme zitterte. »Sie sind kein Mensch, oder? «

»Nur zur Hälfte«, flüsterte ich. »Jedenfalls war ich zur Hälfte ein Mensch. Ehe ich gestorben bin. «

»Ein Vampir!« Begreifen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, und er versuchte, sich an mir vorbeizuwinden.

»Nicht so schnell, Freundchen. Die große Pause ist vorbei.« Ich packte ihn am Kragen und stieß ihn gegen die Wand. »Sieh mich an«, sagte ich.

Er gehorchte mit vor Angst fast glasigen Augen.

»Wie heißt du? «

»Jake. «

»Okay, Jake. Ich will, dass du mir etwas sagst. Hast du deiner Freundin weh getan?«

Er nickte, offensichtlich gegen seinen Willen. »Ja, ja ... «

»Hast du sie so richtig verprügelt?« Wieder das unwillige Nicken. »Ja. «

»Hast du sie blutig geschlagen? «

»Ja. «

»Und warum hast du das getan?« Er sollte es sagen. Ich wollte seine Geschichte hören. Das machte es mir leichter, zu tun, was ich tun musste.

»Sie wollte mich verlassen. Sie hat gesagt, ich würde sie zu oft verprügeln. Sie hat sich einen anderen gesucht.« Seine Stimme klang erstickt, leise und zittrig. Ich roch die Angst, die er ausdünstete.

»Also hast du ihr eine Lektion erteilt? Ich wette, das hat dir sogar Spaß gemacht, was? Du siehst mir aus wie einer von den Männern, die Spaß daran haben, ihre Frauen zu schlagen. Und, was hast du mit ihrem Liebhaber gemacht?« Katz und Maus. Wie Delilah spielte auch ich gern mit meinem Essen, ehe ich es fraß.

Er schloss die Augen. »Ihn aufgeschlitzt. Ihn getötet. Und sie musste mir helfen, die Leiche verschwinden zu lassen. «

»Dachte ich mir«, sagte ich. »Ihr seid doch alle gleich.

Erbärmlicher Abschaum.« Eine Woge von Abscheu durchlief mich. Wenn ich ihn gehen ließ, würde er sich weiterhin auf Kosten der Allgemeinheit durchs Leben schnorren, und irgendwann würde er seine Freundin umbringen. Er würde sie umbringen, wenn sie ihn verließ, aber letztendlich, irgendwann, würde er sie auch umbringen, wenn sie bei ihm blieb. Frauen, die einmal in der Falle eines gewalttätigen Mannes steckten, kamen nicht so leicht davon.

»Was haben Sie mit mir vor?«, fragte er heiser. »Ich will nicht sterben. Töten Sie mich nicht. Bitte. «

»Wie oft hat deine Freundin dich angefleht, ihr nicht weh zu tun? Wie oft hast du sie trotzdem geschlagen?«, flüsterte ich ihm ins Ohr und knabberte dabei am Ohrläppchen.

Er murmelte etwas, aber ich ignorierte es und schmiegte mich an ihn, um ihn in den Hals zu beißen. Als meine Reißzähne durch die Haut drangen, quoll das köstliche, frische Blut hervor, und meine Rastlosigkeit schlug in Euphorie um. Ich stöhnte leise, saugte fester, sog das Blut aus seinen Adern und begann dann, das hervorsickernde Rinnsal aufzulecken. Ich erschauerte, als es meine Kehle hinabrann.

Jake stöhnte, sein Schwanz wurde in der Hose steif, und er rieb sich an mir. Ich ignorierte seine Erektion, bis er die Arme um mich schlang und seinen Hals an meine Lippen presste.

»Hör nicht auf«, flehte er. »Hör nicht auf, bitte ...«

Meine Gier verpuffte. Ich löste mich von ihm und starrte den Mann an, der nun vor mir auf die Knie fiel, noch immer hingerissen und betört von meinem Charme. Voller Abscheu vor ihm und wütend auf mich selbst beugte ich mich über ihn. »Hör zu. Ich will, dass du ins Fangzabula gehst. Weißt du, wo das ist?«

Er nickte.

»Gut. Geh da hin und sag ihnen, dass du eine Bluthure werden willst. Sag ihnen, dass du es hart magst.«

Jake rappelte sich mühsam auf. Als er davontaumelte, wusste ich, dass ich ihn in den Tod schickte. Er würde schnurstracks zum Club laufen, kein Zweifel. Er war zu betört, um mir nicht zu gehorchen. Und Terrances Schläger würden ihn einlassen. Noch vor dem Morgen würde es auf dieser Welt einen Widerling weniger geben.

Irgendwie verschaffte der Gedanke mir nicht die Befriedigung, die ich mir wünschte. Denn für jeden Jake, den ich wegschaffte, tauchten ein Dutzend neue Kerle auf, die seinen Platz einnehmen wollten. Gesättigt und für heute Nacht fertig mit der Jagd, wandte ich mich um und kehrte zur Bar zurück.

Mein Name ist Menolly D'Artigo, und ich bin ein Vampir. Ich bin außerdem halb Mensch, halb Fee. Meine Schwestern und ich arbeiten für den AND, den Anderwelt-Nachrichten-Dienst. Man hat uns Erdseits versetzt, damit wir möglichst wenig Schaden anrichten, aber hier sind unsere Probleme erst richtig aufgeblüht. Wir stellten nämlich schnell fest, dass ein Dämonenfürst aus den Tiefen der Unterirdischen Reiche -Schattenschwinge - plant, die Portale zu durchbrechen, die die verschiedenen Reiche voneinander trennen. Mit einer Armee seiner Dämonen will er sowohl die Erdwelt als auch die Anderwelt dem Erdboden gleichmachen und sich selbst zum Herrscher über alle Länder erklären.

Meine Schwestern und ich stehen an der vordersten Frontlinie. Eine Zeitlang haben wir allein gekämpft, dann aber allmählich Verbündete gewonnen. Die jüngst zurückgekehrten Feenköniginnen - Erdseits - stehen nun auch auf unserer Seite. Gewissermaßen.

Die Elfenkönigin und die Königin unserer Heimatstadt Y'Elestrial unterstützen uns ebenfalls nach Kräften. Und wir haben Mitglieder der Übernatürlichen-Gemeinde der Erdwelt zusammengebracht, die uns ihre Hilfe zugesagt haben. Aber ganz gleich, wie viele Verbündete wir für unsere Seite gewinnen können, unsere Feinde zählen viele Tausend. Und Dämonen sind nicht so leicht zu töten. Kugeln prallen an ihnen ab, viele sind süchtig nach Uran, also verpasst man ihnen mit Atomwaffen nur einen netten kleinen Kick. Nicht einmal Bomben können sie ohne weiteres ausradieren.

Da wären wir also, die drei Gehirne hinter der Widerstandsbewegung, die versuchen, gleich zwei Welten zu retten und ein Monster nach dem anderen zu erledigen. Karriere-mäßig keine so tolle Idee.

Camille, meine älteste Schwester, ist eine Mondhexe, deren Zauber öfter schieflaufen, als einem lieb sein kann. Und jetzt arbeitet sie sich in die Todesmagie ein, dank ihres YokaiEhemannes. Delilah, die Zweitgeborene, ist ein Doppel-Werwesen - bei Vollmond oder wenn wir uns streiten, verwandelt sie sich in ein goldenes Tigerkätzchen. Aber in jüngster Zeit hat sie noch eine zweite Tiergestalt in sich entdeckt, die eines schwarzen Panthers.

Und ich? Wie gesagt, ich bin Menolly D'Artigo. Ich war Akrobatin und Spionin des AND, bis ich von der Decke stürzte und vom sadistischsten Vampir erwischt wurde, den es in sämtlichen Reichen je gegeben hat. Aber ich habe zuletzt gelacht und Dredge einen Pflock durchs Herz getrieben. Was unter Vampiren als absolute Schandtat gilt. Mochte darüber die Stirn runzeln, wer wollte, das war ein großartiges Gefühl gewesen. Als Dredge noch kurz erkannt hatte, dass er von meinen Händen zu Asche zerblasen wurde, tja, das war der schönste Tag meines zweiten Lebens.

Hier sind wir also, eine winzige Vorhut, die einer gewaltigen Bedrohung für alle Feen und Menschen gegenübersteht. Und da die Welt Freunde wie uns hat, braucht sie eigentlich keine Feinde mehr!