Kapitel 25

 

Ich wich zurück und fragte mich, ob er wusste, was das Geistsiegel war. Stand er mit Schattenschwinge im Bunde? Er kam immer näher, und sein Blick huschte von Camille zu Morio. Offenbar spürte er die Todesmagie, mit der die beiden gearbeitet hatten. O Scheiße, wenn er sie für eine Gefahr hielt - und das waren sie -, könnte er sie zuerst angreifen. Ich rannte auf Camille zu und wollte mich zwischen sie und den Nekromanten werfen. Er machte eine Handbewegung, und plötzlich konnte ich nicht mehr rennen.

Ich fiel zu Boden und schlug hart auf den Knien auf. Wenn ich noch lebendig gewesen wäre, hätte ich mir dabei vermutlich eine Kniescheibe zertrümmert. Falls jetzt etwas gebrochen sein sollte, würde es bis morgen Abend verheilt sein. Während ich darum kämpfte, wieder auf die Füße zu kommen, erkannte ich, dass mich irgendeine magische Macht unten hielt. Ich stemmte mich gegen diese Kraft, aber sie ließ mich nicht aufstehen.

Ein Blick zu den anderen zeigte mir, dass auch Camille und Delilah von dem Zauber erfasst worden waren. Rozurial wehrte sich dagegen und versuchte, sich langsam vorwärtszubewegen. Vanzir war verschwunden. Hatte der Zauber ihn getötet? Morio hatte seine menschliche Gestalt wieder angenommen und hatte wie Roz - große Mühe, sich auch nur mit halber Geschwindigkeit zu bewegen.

Und der Mann, der uns alle festhielt, ging direkt auf Camille zu. Scheiße. Verdammt! Ein ängstlicher Ausdruck trat in ihre Augen. Morio schaffte es, sich ein paar zähe Schritte vorwärtszuschieben, doch der Nekromant wedelte nachlässig mit der Hand, und auch Morio fiel auf die Knie. Nur Roz bewegte sich noch. Einen schrecklich langsamen Schritt nach dem anderen.

Der Mann marschierte ohne jeden Widerstand durch die magisch wabernde Luft. Er packte Camille am Handgelenk, holte mit der anderen aus und schlug ihr ins Gesicht. Hart. Sie japste - zumindest hätte sie das getan, wenn einer von uns einen Laut herausbringen könnte -, und dann fiel ihr Kopf leblos nach vorn. Er warf sie sich über die Schulter, machte kehrt und ging die Treppe hinunter.

Während ich ihm nachsah, schwoll eine Flut aus Wut und Durst in mir an, und ich spürte, wie meine Reißzähne ausführen. Er war so gut wie tot, aber ich würde dafür sorgen, dass er jeden Schritt dorthin deutlich zu spüren bekam.

Roz kroch weiter vorwärts und schob sich Handbreit um Handbreit auf die Stufen zu. Delilah und Morio bemühten sich, waren aber immer noch festgenagelt. Sämtliche Teufelskerle schienen ebenfalls gelähmt zu sein.

Gleich darauf löste sich die Kraft. Jedenfalls von Roz, Delilah, Morio und mir. Dantes restliche Teufelsbraten lagen immer noch auf dem Boden. Als ich mich endlich aufrappelte, hörte ich Camille schreien.

Morio bäumte sich auf, warf die letzten Nachwirkungen des Zaubers ab und nahm seine Dämonengestalt an - volle zwei Meter vierzig seines wunderbar furchterregenden wahren Selbst. Er stürmte auf die Treppe zu, als Roz aus seinem Zeitlupenlauf losbrach. Morio prallte gegen ihn und hätte Roz beinahe die Treppe hinuntergestoßen, schaffte es aber noch, den Incubus aufzufangen, ehe der mit dem Kopf voran die Stufen hinunterflog.

Delilah und ich rannten los, den Männern dicht auf den Fersen. Als wir das Amphitheater betraten, blieb ich abrupt stehen. Das Dämonentor, das sich bei meinem ersten Blick hier herunter gerade erst gebildet hatte, schimmerte nun mit einer manischen, rabenschwarzen Energie. Ein Wirbel blitzender Sterne schoss durch diese Finsternis, und einer davon wurde größer und flog auf uns zu.

»Verflucht! Da kommt was durch das Tor!« Ich sah mich verzweifelt nach Camille um. Da war sie - auf dem Altarstein neben der Elfe. Der Nekromant hatte sie mit eisernen Schellen gefesselt. Sie stöhnte, und dünner Rauch stieg kräuselnd von ihrer Haut auf.

Morio und Roz eilten die Treppe hinunter. Ich nahm eine Abkürzung, sprang über das Geländer und landete geduckt am Fuß des Altars.

»Lass sie frei. Sofort.« Ich richtete mich auf und starrte den Nekromanten an, der lachte.

»Willst du die Hexe? Oder die Elfe? Du kannst nur eine von beiden retten, und bis dahin wird Schattenschwinge sich an der anderen gelabt haben, und das Opfer wird vollzogen sein.«

Schattenschwinge? Nein - er kam doch nicht etwa durch das Tor! Nicht der Fürst der Unterirdischen Reiche.

»Du bist ja wahnsinnig - er wird uns alle töten!« Ich merkte, dass ich ihn anschrie, weil blinde Panik in mir aufstieg. Wir waren alle nur noch Staubkörnchen, wenn das da tatsächlich der Dämonenfürst war. Er würde seine Armee durch das Tor führen und die Welt in Stücke reißen.

Morio machte sich nicht erst die Mühe, irgendetwas zu sagen. Ehe ich mich versah, stand er neben dem Nekromanten und schlug ihm mit voller Kraft ins Gesicht, ein Schlag mit der Rückhand, der jedem anderen VBM das Genick gebrochen hätte. Doch nichts geschah. Der Mann taumelte ein paar Schritte rückwärts, fing sich aber sofort. Er wandte sich Morio zu, und ein finsterer Ausdruck breitete sich über sein Gesicht.

»Du bist lästig.« Er hob eine Hand und begann, etwas auf Latein zu murmeln. In diesem Moment trat Vanzir hinter einem der Regale hervor, sprang ihn an und riss ihn zu Boden. Ich stürzte vor und packte die Eisenschellen, die meine Schwester gefangen hielten. Ich konnte sie aufbiegen. Ich würde mir die Hände verbrennen, aber da ich ein Vampir war, würden sie leicht verheilen. Camille hingegen würde dauerhaften Schaden davontragen, wenn sie zu lange damit in Berührung blieb. Reiner Stahl war nicht so schlimm, Gusseisen und Schmiedeeisen hingegen die reinste Folter.

Camille bemühte sich, nicht zu weinen, aber ich sah die zornigen Brandblasen auf ihrer Haut, als ich die Schellen auseinanderbog und sie befreite.

Vanzir rang mit dem Nekromanten. Er schaffte es, dem Mann einen saftigen Schlag auf die Nase zu verpassen, und der brach plötzlich zusammen. Ich lächelte Vanzir zu.

»Dafür liebe ich dich!«, rief ich hinüber, während ich Camille auf die Beine half.

»Daran werde ich dich erinnern!«, schrie er zurück.

Ich drehte mich zu der Elfe um, um auch sie zu befreien, doch ein lautes Geräusch aus dem Dämonentor ließ mich innehalten. Ich wollte eigentlich nicht hinschauen, aber es musste sein. Wenn tatsächlich Schattenschwinge da durchkam, konnten wir nur noch beten, denn dann war die Welt zum Untergang verdammt.

Als die Sternschnuppe durch das Tor geschossen kam, sprang Camille mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. Morio eilte an ihre Seite, Roz zu mir. Vanzir riss dem Nekromanten das Geistsiegel vom Hals und warf es Camille zu, die es in ihren BH stopfte und das Einhorn-Horn hervorzog. Delilah nahm ihre Panthergestalt an, und ich fragte mich, ob der Herbstkönig auch an unserer Seite kämpfen würde.

»Ruf Smoky!«, schrie ich Camille zu.

Sie nickte und schloss die Augen. Das magische Band, das sie mit Morio und Smoky teilte, erlaubte ihr, ihn zu erreichen und ihm die Botschaft zu schicken, dass sie in Schwierigkeiten steckte und ihn brauchte.

Ich ließ erwartungsvoll die Knöchel knacken. Lärm vom Flur oben sagte mir, dass die ersten Teufelskerle den Zauber abgeschüttelt hatten. Ein paar liefen davon, andere pressten sich an das große Fenster. Mann, stand denen ein Schock bevor. Wenn das tatsächlich Schattenschwinge war, waren sie der erste Gang seiner gewaltigen Mahlzeit.

Ich wappnete mich und fragte mich, ob dies das Ende war. Delilah rieb sich an meinem Bein, und Camille drückte sich an meine andere Seite. Ich schlang ihr den Arm um die Taille.

»Haben wir eine Chance? Wenn er es ist?«, flüsterte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Nicht allein. Nicht ohne Hilfe. Und es müssten schon ... die Götter selbst an unserer Seite stehen. He.« Sie schluckte sichtlich, wandte sich mir zu und drehte mein Kinn sacht herum, so dass ich ihr in die Augen sah.

»Wir haben uns gut geschlagen. Wir haben lange gekämpft. Und hart. Vater ist stolz auf uns. Und wenn wir schon umkommen, warum dann nicht im Kampf gegen den Bösen Boss persönlich?«

Und dann hallte ein donnerndes Krachen durch das Amphitheater, und das Tor tat sich weit auf. Wir starrten in den Abgrund und warteten.

Die tintenschwarze Leere bekam einen Riss wie Humpty Dumptys Ei, und mit einer Woge gleißenden Lichts, das eigentlich gar kein Licht war, sondern reine Energie, glitt die Karsetii-Mutter hervor. Sie war riesig, vollständig geheilt, und ich konnte ihren schrecklichen Hunger in der Energie spüren, die um sie herum züngelte. Aber all das war mir gleich. Sie mochte riesig sein, fit und hungrig, aber sie war nicht Schattenschwinge, und das war das Einzige, was zählte.

Ein lautes Geräusch hinter uns erschreckte mich. Verdammt. Der Nekromant war zu sich gekommen und stand eben auf. Vanzir stürzte sich auf ihn, doch diesmal war der Mann vorbereitet und wich dem Traumjäger aus.

»Großer und mächtiger Schattenschwinge, nimm meine Gabe an! Ich bringe dir ein Opfer dar. Ich bringe dir die strahlende Seele einer Elfe.« Er stürmte an mir vorbei und zielte mit erhobenem Dolch auf das Herz der Elfe.

»Nein!« Ich setzte ihm nach, packte ihn um die Taille und schleuderte ihn auf die Karsetii zu. Er kreischte, als er den Mutterdämon vor sich in der Luft schweben sah, und ein Klon spaltete sich ab und reckte die langen Tentakel nach seinem Kopf. Als das Dämonenkind nach ihm griff, verschwand der Nekromant.

Ich fuhr herum und suchte nach ihm. Wohin war er verschwunden? Ich konnte ihn nirgends sehen. Doch dann riss mich die Erkenntnis, dass wir einem gesunden, hungrigen Dämon gegenüberstanden, für den jetzt Essenszeit war, wieder in die andere Richtung herum. Wir mussten sie endgültig ausschalten, sonst standen wir alle auf der Speisekarte. Als ich mich der wartenden Karsetii zuwandte, spürte ich, wie sie uns beobachtete und überlegte. Ein zischendes Tosen hallte durch das Amphitheater, und ein paar Nebelwölkchen erschienen mit Smoky, der aus dem Ionysischen Meer hervortrat. Er warf einen einzigen Blick auf Camilles Wunden und kniff die Augen zusammen.

»Wer war das?«

Roz war damit beschäftigt, die Fesseln der Elfe zu lösen. Sie war in Ohnmacht gefallen, und im Moment konnten wir nicht viel für sie tun. »Ein Nekromant - einer von den Teufelskerlen. Die Karsetii ist wieder da, und wir werden sie verfolgen müssen. «

»Wo ist er? Der Totenzauberer.« Smoky wollte jemanden umbringen, das war ihm deutlich anzusehen.

Camille berührte ihn am Arm. »Zuerst den Dämon, sonst greift er womöglich wieder Delilah an. Bitte.«

Er warf einen Blick auf die Karsetii, führte dann zärtlich Camilles Hand an die Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. »Wie du wünschst, meine Liebste.« Mit einem Blick auf uns übrige sagte er knapp: »Ich kann drei von euch in den Astralraum bringen. Roz, schaffst du mit Vanzir zusammen Delilah?«

Ehe sie antworten konnten, schoss die Karsetii plötzlich nach rechts davon und durch eine Tür, die tiefer in das unterirdische Labyrinth hineinführte.

»Scheiße! Wo will die denn hin?« Ich rannte ihr nach. »Kommt, schnell! Wir dürfen das Ding nicht aus den Augen verlieren. Am Ende setzt es noch einen Haufen Klone ab.« Ich raste durch die Tür, die anderen mir dicht auf den Fersen.

Der gewundene Gang führte uns in einer Spirale abwärts. Wer auch immer diesen Komplex erschaffen hatte, hatte reichlich Zeit und Geld investiert, vermutlich lange bevor das Haus unmittelbare Nachbarn gehabt hatte, die sich gefragt hätten, was da vor sich ging.

Ich konnte kaum mehr die letzten Tentakelspitzen der Karsetii sehen, die durch die Luft sauste wie ein Tintenfisch durchs Wasser, den spitz zulaufenden Kopf auf ein unbekanntes Ziel gerichtet. Unterwegs bemerkte ich mehrere Türen, die anscheinend in verschiedene Labors führten. Ich kam mir allmählich vor wie in einem der billigen Science-Fiction-Streifen aus den Fünfzigern, die Delilah sich gern im Spätprogramm anschaute - Robot Monster, In der Gewalt der Riesenameisen, Formicula -, alles alte Filme, die ich zu lieben gelernt hatte.

Ich rannte so schnell, dass eine plötzliche Biegung mich überraschte. Ich kriegte die Kurve nicht und knallte an die gegenüberliegende Wand. Dabei bemerkte ich, dass die Wände nicht mehr aus verfestigter Erde bestanden, sondern von Steinen und Ziegeln gestützt wurden. Ich prallte von der Mauer zurück, schüttelte mich und rannte weiter.

Etwa drei Meter vor mir verbreiterte sich der Gang. Mit gesenktem Kopf schoss ich durch den Eingang und fand mich in einer großen Kammer wieder, die anscheinend aus solidem Fels herausgehauen worden war.

Die künstlich geschaffene Höhle war so riesig, dass ich das andere Ende kaum sehen konnte. Säulen aus Naturstein hat te man in der Kammer verteilt stehen lassen, zweifellos aus statischen Gründen. Wie viele Höhlen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, wurde sie von Lampen an der Decke erhellt, und in der Mitte der Höhle tat sich offenbar ein Loch im Boden auf, aus dem Dampf aufwallte.

In der Höhle verteilt, standen Tische voller Messbecher, Bunsenbrenner und allen möglichen verschiedenen Glasbehältern.

Ich blinzelte. Wir waren tatsächlich über das Labor des wahnsinnigen Wissenschaftlers gestolpert. Auf einem großen Metalltisch in der Nähe der größten Forschungsstation lagen mehrere Leichen festgebunden. Ich sah sofort, dass sie tot waren, denn diese blaue Färbung sollte kein Mensch je annehmen, außer er war Pikte und hatte sich mit Waid beschmiert. Elektroden saßen an verschiedenen Stellen einer Leiche, der einzigen, die noch relativ normal aussah.

Die anderen Kadaver befanden sich in verschiedenen Stadien des Zerfalls. Ein indigofarbener Schleim bedeckte einen von ihnen - ach du Scheiße!

»Viromortis-Gallerte! Die aggressive Sorte. Passt auf«, rief ich den anderen zu. Der Schleim war in Wahrheit eine Kolonie von Wesen, die auch lebendes Fleisch angriffen und zersetzten. Delilah stieß ein »Igitt!« aus und bremste ab.

»Wo ist der verfluchte Dämon? Und dieser Magier?« Smoky stapfte durch die Höhle und suchte nach seiner Beute. Wenn er an einem Tisch vorbeikam, kippte er ihn zornig um, so dass Messbecher, Phiolen und Gläser zu Bruch gingen. Dämpfe stiegen auf, als Chemikalien in Pfützen auf dem Boden vor sich hin zischten.

»Hoffentlich macht es nicht Bumm, wenn sich da etwas vermischt«, sagte ich, doch auf seinen finsteren Blick hin ließ ich es gut sein. Der Nekromant sollte wirklich beten, dass ich ihn zuerst erwischte. Ich hatte nichts Hübsches mit ihm vor, aber wenn er Smoky in die Hände fiel, würde es ihm weitaus schlimmer ergehen.

»Da - da ist noch eine Tür!«, rief Camille. Delilah und ich liefen ihr nach, gefolgt von den Jungs.

Wir betraten eine weitere Höhle, ebenso groß, aber ohne Tische oder sonstige Anzeichen menschlicher Aktivität. Ich spürte ein Kribbeln an der Schulter, schrak zusammen und wirbelte herum. Da war niemand außer Delilah, und die stand eine gute Armeslänge entfernt.

»Irgendetwas hat mich berührt«, sagte ich.

»Ein Schatten? Ein Geist?« Delilah blickte sich nervös um. »Ich spüre die Karsetii nicht. Entweder habe ich das Gefühl für sie verloren, oder sie ignoriert mich einfach. Vielleicht habt ihr es tatsächlich geschafft, ihre Verbindung zu meiner Seele zu durchtrennen. «

»Ich weiß nicht.« Wieder streifte mich etwas, diesmal links, und ich schrak zusammen. Ich wich zu Delilah zurück. »Irgendetwas ist hier drin bei uns. Camille, spürst du etwas?«

Sie schloss die Augen, flankiert von Smoky und Morio. »Dämon. Die Karsetii ist ganz in der Nähe. «

»Da ist noch mehr«, sagte Smoky. »Ich spüre hier etwas aus der Welt der Schatten. Untot - und was auch immer es sein mag, es ist nicht glücklich.«

Scheiße. Wir hatten es also mit einem seelensaugenden Dämon aus dem Astralraum zu tun, mit einem Nekromanten, der genug Macht besaß, um uns alle erstarren zu lassen, und jetzt auch noch mit irgendetwas, das offenbar frisch aus der Schattenwelt angereist war. Entzückend.

»Wir sollten es einfach hinter uns bringen und das ganze unterirdische Ding in die Luft sprengen«, brummte ich, als wieder etwas an mir vorbeistrich. »Das reicht jetzt!« Ich wirbelte herum und schlug in die Richtung, aus der die Berührung gekommen war.

»Zeig dich, du Idiot! Wenn du kämpfen willst, dann komm raus!«

Aber es war kein Dämon oder Schatten, der nun aus der Dunkelheit hervorglitt. Nein, wir standen einem Pulk von mindestens dreißig jungen Frauen gegenüber. Die meisten von ihnen waren Feen, einige anscheinend auch Menschen. Jede von ihnen hatte einen gequälten Gesichtsausdruck, und alle waren nackt, mit einem klaffenden Loch über der Stelle, wo das Herz sein sollte.

»Ach du meine Güte«, sagte Camille. »Das sind die Opfer dieser verdammten Perversen. Sieht so aus, als wären Dantes Teufelskerle im Lauf der Jahre sehr fleißig gewesen.« Sie biss sich auf die Lippe und starrte die traurigen Geister an, die uns umringten.

»Was jetzt?«, fragte Delilah mit bekümmerter Miene. »Können wir irgendetwas für sie tun? «

»Wir können ihre Mörder töten«, knurrte ich.

»Dadurch würden wir sie möglicherweise befreien, ja«, sagte Morio. »Aber vorher müssen wir den Nekromanten und die Karsetii ausschalten. «

»Also gut«, sagte ich. »Suchen wir zuerst die Karsetii und machen sie endgültig fertig.«

Vanzir deutete auf einen dunklen Fleck an der gegenüber liegenden Wand. »Schaut - der Nekromant. Er versteckt sich hinter einem Tarnzauber.«

Morio kniff die Augen zusammen. »Du hast recht.« Er hob die Arme, stieß ein lautes Kläffen aus, sagte etwas, das ich nicht verstand, und ein grüner Lichtstrahl schoss aus seinen Fuchsfingern. Das Feuer schloss den dunklen Umriss in den Schatten vor der Granitwand ein. Als es sich in einem Funkenschauer auflöste, verschwand auch der Schatten, der den Nekromanten verbarg. Er kauerte an der Wand, und als er merkte, dass wir ihn direkt anstarrten, straffte er die Schultern und begann verzweifelt in seinen Taschen herumzuwühlen.

»Ich weiß zwar nicht, wo der Dämon ist, aber mein Abendessen habe ich gefunden«, sagte Smoky und rauschte mit einem lauten Brüllen an uns vorbei. Ehe der Zauberer auch nur stolpern oder schreien konnte, hatte der Drache ihm mit einer klauenbewehrten Hand Brust und Bauch aufgeschlitzt und ihn säuberlich mit nur einem Schlag ausgeweidet. Der Zauberer krallte die Hände in den Bauch, die Gedärme quollen ihm zwischen den Fingern hervor, und er blickte zu der zornigen weißen Gestalt auf, die über ihm aufragte. Er stieß ein kurzes Grunzen aus und fiel langsam zu Boden.

Smoky schob einen Fuß vor und drehte ihn mit einem Tritt herum. Der Nekromant reagierte nicht, und ich konnte das frische Blut riechen; meine Reißzähne fuhren aus.

»Und jetzt zu dem Dämon«, sagte Smoky, der zu uns zurückkehrte und den Leichnam des Zauberers ignorierte. »Ich kann das Wesen fühlen. Es ist hier, in dieser Höhle, aber auf der Astralebene. Es wartet auf uns.« Er streckte die Arme aus. »Ich kann die Mädchen mitnehmen. Rozurial, schaffst du gemeinsam mit Vanzir Morio?«

Sie nickten. Delilah, Camille und ich drängten uns in Smokys offene Arme, und wieder schloss ich die Augen, teils, um den Dimensionssprung nicht mitzubekommen - von dem mir irgendwie mit jedem Mal noch übler wurde -, und teils, um mich zu beherrschen, weil der Blutgeruch eine ganz andere Reaktion in meinem Magen auslöste. Übelkeit und Durst vertrugen sich nicht so gut.

Als wir auf die Astralebene sprangen, fühlte ich die Energie des Dämons viel intensiver. Smoky hatte recht; die Karsetii wartete schon auf uns. Sie musste schlau sein, dachte ich. Oder zumindest hinterhältig. Ich hatte mich schon gefragt, ob das Mutterwesen einen Verstand hatte oder nur irgendein Scheusal aus der Tiefe war. Jetzt konnte ich eine Art von Bosheit spüren, die nur mit Intelligenz und Bewusstheit einhergehen konnte. Wir würden sofort zum Angriff bereit sein müssen, dachte ich. Sobald wir den Astralraum betraten, würden wir das Biest am Hals haben, und wenn das dieselbe Karsetii war, gegen die wir schon zuvor gekämpft hatten, dann war sie größer und stärker zurückgekehrt.

Wir landeten. Ich konnte den Boden spüren, ehe ich irgendetwas sah. Dann breitete Smoky die Arme aus, und der Nebel des Astralraums wallte um uns auf. Ich sprang zur einen Seite weg, Camille zur anderen.

Rechts von uns erschienen Vanzir und Roz. Morio stand zwischen ihnen und sah entschieden beunruhigt aus. Er war ein erdgebundener Dämon, ein Naturgeist, und die Reise in andere Dimensionen, die nicht auf der physischen Ebene lagen, war sehr schwierig für ihn.

Wir fächerten uns auf und gingen wortlos in Position. Ca mille zückte das Einhorn-Horn. Ich fragte mich, wie oft sie es noch würde einsetzen können, ehe es wieder aufgeladen werden musste. Als hätte sie meine Gedanken aufgeschnappt, warf sie mir einen Blick zu.

»Letzte Ladung. Noch ein großer Zauber, und ich muss bis zum Neumond warten, ehe ich es wieder aufladen kann. «

»Dann ziele sorgfältig«, flüsterte ich und sah mich nach dem Dämon um.

Wo war sie? Ich konnte sie spüren. Die Energie der Krakenmutter war überall um uns herum. Die Luft des Astralraums stank wie nach einer elektrischen Überladung. Ich rückte näher an Roz heran, der rechts von mir stand. Delilah und Vanzir taten zögerlich ein paar Schritte nach links. Camille, Morio und Smoky gingen vorwärts. Wir bildeten ein Dreieck, so dass wir in alle Richtungen Ausschau halten konnten.

»Diesmal darf sie uns nicht entkommen. Sie ist stärker als vorher. Was bedeutet, dass ihre Macht weiter wächst.« Morios Stimme klang in seiner Dämonengestalt tiefer.

»Aber passt gut auf Camille auf«, warnte Vanzir. »Der Dämon wird das Geistsiegel spüren und sich darauf stürzen. Das Ding wirkt hier draußen wie ein Leuchtfeuer und schreit geradezu Komm und hol mich!. Wenn wir es hätten wagen können, die Hexe Erdseits zurückzulassen, wäre das vielleicht klüger gewesen. «

»Nicht, solange ich dabei bin«, grollte Smoky.

Und dann schnappte Camille nach Luft und streckte den Zeigefinger aus. Im Nebel erschien ein Netz aus funkelnden, orangeroten Lichtern. Sie umgaben die tintenschwarze Gestalt der Karsetii wie ein Schleier, als sie mit dem Kopf voran durch die wallenden grauen Wolken direkt auf uns zuflog.

»Da ist sie! «

»Sind alle bereit?« Ich ging locker in die Knie.

Delilah streckte ihren Silberdolch aus, Morio zog ein silbernes Schwert, Vanzir hob die Hände, und zuckende Fäden wanden sich daraus hervor. Smoky trat beiseite und nahm binnen eines Augenblicks seine Drachengestalt an. Rozurial zückte zwei Gegenstände, die wie Schlagringe aussahen, aber aus Silber waren.

»Okay«, flüsterte ich. »Bringen wir es zu Ende. Komm nur her.« Die Karsetii stürmte auf uns los, und der Kampf begann.