Kapitel 13

 

Yssak war noch genau da, wo wir ihn zuletzt gesehen hatten. Er beobachtete gelassen, wie wir aus dem Astralraum herübertraten. Delilah lag zusammengekauert auf dem Sofa, sie war wach und sah verängstigt aus.

Ich eilte zu ihr. »Wir haben das Ding vorerst verjagt. Aber wir müssen das Mutternest finden, das diese Biester hervorbringt.« Sie schauderte und seufzte tief. »Wird es denn wiederkommen? Ich bin so furchtbar müde. «

»Was können wir tun?« Ich drehte mich zu den anderen um. »Wie schützen wir sie, bis wir das Ding gefunden haben? Es kann die Banne um unser Land durchbrechen. Wir können es nicht sehen, es uns aber schon. Die Karsetii könnte sie heimlich angreifen, ehe wir sie aufhalten können. Und wenn sie sich auf die Astralebene zurückzieht - wie sie es jetzt getan hat -, sind wir hilflos, bis wir es schaffen, da hinüberzugelangen. «

»Mir fällt nur eine Lösung ein«, sagte Camille stirnrunzelnd und strich Delilah sanft das Haar aus der Stirn. »Das wäre nicht gerade lustig, aber du wärst wahrscheinlich vorerst sicher. «

»Was meinst du?« Delilah setzte sich auf. »Ich will dieses Ding nicht wieder in meinem Kopf haben. Es fühlt sich an, als würde es meine Seele vergewaltigen.« Sie brach in Tränen aus, und binnen Sekunden zitterte ein verängstigtes goldenes Tigerkätzchen an der Stelle, wo sie eben noch gesessen hatte.

Ich hob sie hoch und drückte sie an mich, und sie kuschelte sich an und verbarg den Kopf in meiner Armbeuge.

»Armes Kätzchen, du hattest eine schlimme Nacht, nicht wahr? Und so eine schnelle Verwandlung macht es nicht besser - ich weiß, dass es sticht und brennt, wenn du die Gestalt so plötzlich wechselst.« Während ich sie sanft murmelnd beruhigte, begann sie schließlich zu schnurren. Ich kraulte ihr noch ein wenig die Ohren, und Camille suchte den Schuppen ab, bis sie etwas Katzenfutter fand, das Delilah gierig verschlang. Nach etwa zehn Minuten spürte ich das vertraue Summen in ihrem Körper, das mir sagte, dass sie sich gleich wieder verwandeln würde.

Sobald Delilah ihre menschliche Gestalt wieder angenommen hatte, lächelte sie verlegen in die Runde. »Entschuldigung. Ich bin nur so gestresst, und dass ein Dämon in meinem Kopf herumwühlt, war auch nicht gerade angenehm.«

Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. Ich wusste genau, wie sie sich fühlte - dank Dredge. Solche Misshandlungen vergaß man nicht einfach so.

»Was wolltest du vorschlagen?«, fragte Delilah Camille. Camille zuckte mit den Schultern. »Vielleicht liege ich damit falsch, aber wie wäre es mit dem geschützten Raum unten im Wayfarer? Wo wir Vanzir untergebracht haben, bis wir das Knechtschaftsritual durchführen konnten? Überlegt doch mal. Der Raum ist gegen alle astralen, ätherischen und dämonischen Kräfte gesichert. Wenn Vanzir nicht rauskonnte, dann dürften die Karsetii nicht rankommen. «

»Das ist keine üble Idee.« An den Bunker, wie wir den Raum inzwischen nannten, hatte ich gar nicht gedacht.

Camille nickte begeistert. »Was meinst du, Delilah? Wir könnten dir eines von den Sofas oben herunterbringen, und Decken, Essen und ein paar Bücher. Ich weiß, das ist nicht gerade verlockend, aber da drin müsstest du sicher sein«, fügte sie hinzu.

Delilah stieß einen langgezogenen Seufzer aus. Sie sah Vanzir an. »Bei der Strafe des Symbionten, den du um den Hals trägst, sag mir die Wahrheit. Konntest du aus diesem Raum wirklich nicht ausbrechen oder Kontakt zu jemandem aufnehmen?«

Vanzirs Blick flackerte leicht, und ich fragte mich, woran er dachte. Doch er sagte nur: »Ich habe es nicht richtig versucht, um ehrlich zu sein, aber ja - der Raum hat meine Fähigkeit gedämpft, irgendetwas außerhalb wahrzunehmen. Ich bezweifle, dass Dämonen der Tiefe seine Banne durchbrechen könnten.«

Er lächelte sie besorgt an. »Aber es ist unheimlich da drin - das muss ich schon sagen. Sehr still. Ich hatte das Gefühl, von der ganzen Welt abgeschnitten zu sein. «

»Ich werde euch nicht viel nützen, wenn ich da drin eingeschlossen bin«, sagte Delilah. »Laptops und Handys werden wegen der magisch-atmosphärischen Störungen nicht funktionieren. Und ich muss bis Dienstagabend wieder draußen sein. Am Mittwoch ist Vollmond, und wenn ich dann eingesperrt bin, werde ich wahnsinnig.«

Ich warf Camille einen Blick zu. »Das heißt also, wir müssen herausfinden, wo das Ding herkommt, warum zum Teufel es nach zweitausend Jahren plötzlich erwacht ist, und dann müssen wir es töten. Das alles innerhalb von zwei Tagen. Glaubst du, wir schaffen das?«

Camille wedelte mit den Armen. »Wir haben schon andere Dinge geschafft, die eigentlich unmöglich waren. «

»Dann los. Wir sollten uns beeilen, ehe dieses Wesen zurückkehrt. Da es Delilah jederzeit aufspüren kann, scheint sie sein Lieblingsopfer geworden zu sein.« Alle setzten sich in Bewegung, Yssak eingeschlossen, und folgten uns zurück zum Haus.

Yssak blickte sich vorsichtig um, als er die Küche betrat.

»Ihr wart noch nie Erdseits, nicht wahr?«, fragte ich ihn und gab Iris einen Wink. »Iris, bitte hilf Delilah, ein paar Kleider einzupacken. Außerdem Bücher, Spiele, ein, zwei Decken, ein Kissen ... was noch? ... Ein paar Flaschen Wasser, Essen und Süßigkeiten. Ach, und Toilettenpapier und Seife dürfen wir nicht vergessen. Der Bunker im Wayfarer hat ein kleines Bad, aber ich glaube nicht, dass da irgendetwas drin ist.«

Iris blinzelte nur einmal, drehte sich um und hastete hinaus, gefolgt von Delilah. Eines musste man dem Hausgeist lassen sie konnte sehr schnell sein, wenn es nötig war.

Yssak starrte den Kühlschrank an. »Die Kiste brummt. «

»Ja, aber das ist normal. Wir erklären es Euch später. Übrigens, warum hat Vater Euch eigentlich hierhergeschickt? Wir waren so mit dem Dämon beschäftigt, dass wir ganz vergessen haben, Euch danach zu fragen.« Ich schnappte mir die Schlüssel vom Brett neben dem Telefon.

Er nahm Haltung an. »Euer Vater schickt mich mit Neuigkeiten. Erstens: Man vermutet, dass Lethesanar ins Südliche Ödland geflohen ist, aber niemand weiß das mit Sicherheit, deshalb bittet Lord Sephreh euch, besonders vorsichtig zu sein. Er bezweifelt zwar, dass die entthronte Königin durch die Portale herüberkommen würde, aber man weiß ja nie.«

Es war seltsam, dass jemand von unserem Vater als »Lord« sprach. So viele Jahre lang hatte es immer »Hauptmann« geheißen, während er in der Garde Des'Estar gedient hatte. Bedeutete das, dass der Adel, der Hof und Krone umschwärmte wie die Geier einen Kadaver, uns drei jetzt eher akzeptieren würde?

»Gut zu wissen«, sagte ich. »Das Südliche Ödland ist genau der richtige Zufluchtsort für jemanden wie Lethesanar. Dort kann sie sich verstecken und in der Einöde unter dem restlichen Abschaum verschwinden.«

Die riesige Wüste war in uralter Zeit während eines Krieges zwischen den Zauberergilden und den Städten entstanden - in dem sich ein mächtiger Nekromant besonders hervorgetan hatte -, und sie war reich an wilder Magie. Sie zog widerwärtige Geschöpfe und Söldner an, die sich in der gewalttätigen Anonymität verlieren wollten. »Was habt Ihr sonst noch für uns? «

»Ich habe eine Nachricht für Camille.«

Camille stellte die Wasserflasche weg, aus der sie gerade trank. »Von Trillian?«, fragte sie atemlos. Trillian hatte den Auftrag erhalten, nach unserem Vater zu suchen, und war dabei angeblich von einer Goblin-Brigade gefangen genommen worden. Später hatten wir festgestellt, dass die Entführungsgeschichte eine Finte war: Trillian war in geheimer Mission für Tanaquar unterwegs.

Unser Vater, der tatsächlich von einer Gruppe scheuer Bergfeen entführt worden war, hatte den Goldensön entkommen können. Wir hatten erwartet, dass Trillian wieder auftauchen würde, sobald Vater in Sicherheit war, aber bisher war das nicht geschehen. Jetzt machten wir uns alle Sorgen um ihn. Seine Seelenstatue war intakt, aber wir hatten kein Wort von ihm gehört, obwohl er vor nicht allzu langer Zeit im Wald von Finstrinwyrd gesehen worden war.

»Nein, aber über ihn - eine inoffizielle Botschaft.« Er warf ihr einen langen Blick zu, als wollte er sagen: Hör zu und stell keine Fragen.

»Wie lautet sie?« Camille legte eine Hand an die Kehle, und ich rückte näher an sie heran und hoffte, dass es keine schlimme Nachricht war.

»Euer Vater hat mir aufgetragen, Euch auszurichten, dass Ihr kurz vor der Tagundnachtgleiche ins Windweidental reisen sollt. Bis dahin schiebt Eure Sorgen auf.«

Verwundert neigte sie den Kopf zur Seite. »Und wo genau soll ich hingehen, wenn ich das Tal erreicht habe? «

»Reist nach Dahnsburg.« Yssak hob die Hand, ehe sie noch mehr Fragen stellen konnte. »Das ist alles, was ich Euch sagen kann.«

Camille holte langsam tief Luft. »Danke sehr«, flüsterte sie.

»Da ist noch etwas«, sagte Yssak und sah nun wieder mich an, einen grimmigen Zug um den Mund.

Ein Kloß stieg mir vom Magen in die Kehle hinauf. Noch mehr? Ich wollte nicht noch mehr Neuigkeiten hören. Mehr war nicht immer gut.

»Was denn? «

»Ich fürchte, ich habe eine schlimme Nachricht für Euch.« Er sah nicht glücklich aus, aber Sekretäre - vor allem die im Dienst von Hof und Krone -, wurden dazu ausgebildet, sowohl gute als auch schlechte Nachrichten zu überbringen, also straffte er die Schultern und strich sich das Haar zurück.

»Ich bedaure sehr, euch dies mitteilen zu müssen. Eure Tan te Olanda wurde auf der Reise durch den Finstrinwyrd von einem Zauberer ermordet. Sie war unterwegs nach Y'Elestrial, um euren Vater zu besuchen. Alle sind umgekommen: eure Tante, ihre Diener und ihre Wachen. Das ist der Hauptgrund, weshalb ich hier bin. Euer Vater hat mich hergeschickt, damit ich euren Cousin Shamas zu den Begräbnisriten nach Hause hole. Olanda te Tanus Ehemann und Kinder müssen vor der Zeremonie, die beim nächsten Dunkelmond stattfinden wird, das Trennungsritual vollziehen. «

»O nein«, sagte Camille mit verzerrtem Gesicht. Tante Olanda war eine liebe, wenn auch distanzierte Frau gewesen. Vater stand Tante Rythwar näher, aber Olanda war immer eine warme Präsenz im Hintergrund gewesen. Wir hatten kaum Kontakt zu ihr gehabt, sie aber gut genug gekannt, um zu wissen, dass sie stets versuchte, das Richtige zu tun.

»Weiß man denn, wer es war?«, fragte ich.

Yssak schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, nein. Ihr Ehemann hat jemanden angeheuert, der die Angelegenheit untersucht, aber bisher gibt es keine einzige Spur. «

»Camille, du und Delilah solltet zur Beisetzung gehen«, sagte ich. »Vater wird eure Unterstützung brauchen. Ich bleibe zu Hause bei Maggie und halte hier alles am Laufen. Wir können die Reise für nächste Woche planen. Yssak, bitte setzt Euch doch, während wir Shamas benachrichtigen. «

»Du hast recht. Wir sollten hingehen«, murmelte Camille und griff zum Telefon. »Ich rufe Chase an und bitte ihn, Shamas herzuschicken.«

Während sie telefonierte, winkte ich Roz und Vanzir zu mir heran. »Vanzir, ich will, dass du hier bleibst. Bewache Iris und Maggie, solange wir fort sind. Falls Smoky und Morio inzwischen vorbeikommen, rufst du uns an. Roz, komm mit uns.«

Vanzir nickte knapp, ging schnurstracks zur Hintertür und schloss sie ab. »Vergiss nicht, Camille die Banne wieder aktivieren zu lassen, ehe ihr geht«, sagte er. »Und ... «

»Verdammt«, sagte Camille und legte auf.

»Was ist? Kannst du Chase nicht erreichen?«, fragte Delilah. »Doch, ich habe mit ihm gesprochen. Er schläft heute auf dem Revier, und er schickt Shamas sofort hierher. Aber das ist nicht das Problem. Es hat einen weiteren Mord gegeben. Eine Elfe. Sieht aus, als wäre sie genauso zu Tode gekommen wie die anderen. Aber Chase hat eine interessante Information für uns. Offenbar wurde das Mädchen in der Nähe von Harold Youngs Haus gefunden. Chase hat die Adresse wiedererkannt, weil er doch erst kürzlich Sabeles Fall nachgelesen hat. Diese Kleinigkeit sollten wir im Hinterkopf behalten.«

Interessant, allerdings. Was genau das zu bedeuten hatte, wusste ich allerdings nicht. »Camille, wäre es in Ordnung, wenn wir deinen Lexus nehmen? Da passen wir alle rein, und du kannst im Wayfarer ein bisschen schlafen, während ich mich um ein paar Dinge kümmere. Roz, wenn du Delilahs Sachen ins Auto bringen könntest, wäre das nett.«

Roz schob sich im Flur an mir vorbei und streifte mich leicht. Ich war immer noch so aufgedreht von dem Kampf, dass ich erschauerte, mich ihm entgegen lehnte, und meine Brustwarzen steif wurden, während er sich an mich presste.

»Ich habe den Funken zwischen dir und Vanzir da draußen im Astralraum sehr wohl bemerkt«, flüsterte er. »Glaub nicht, ich könnte ihn nicht sehen. Ich wäre die bessere Wahl für dich, und das ist dir auch klar. Bei mir weißt du, was du zu erwarten hast.«

Ich konnte ihn riechen. Sein Blut war heiß, und ausnahmsweise verkniff ich mir die automatische, scharfe Erwiderung. Er beugte sich ganz langsam hinab und küsste mich auf die Nasenspitze, dann lachte er und ging zur Tür hinaus. Ich sagte kein Wort. Nicht ein einziges Wort.