Kapitel 18

 

Wieder einmal betraten wir den medizinischen Flügel des Gebäudes. Wir hatten in den vergangenen paar Tagen viel zu viele Leichen gesehen, viel zu viele Opfer. Ich wollte die Karsetii nur noch finden und in tausend Stücke blasen. Seit zwölf Jahren lebte ich nun in einer Welt aus Blut und Tod. Als wir Erdseits gekommen waren, hatte ich gehofft, sie würden uns irgendeinen lächerlichen Posten ohne großen Stress zuweisen. Jetzt wurde mir klar, dass das Gemetzel erst begonnen hatte. Die Angriffswelle, die auf uns zurollte, schwoll ständig weiter an. Die Dämonen hämmerten schon an die Tür, und wir konnten sie nicht mehr lange verbarrikadiert halten.

Die Opfer, darunter auch Tiggs, der überlebende Polizist, waren alle in einem großen Zimmer untergebracht. Tiggs, ein Elf aus Elqaneve, lag im tiefen Koma und wurde rasch schwächer. Die anderen Opfer waren sämtlich Feen. Fünf waren zu diesem Zeitpunkt noch am Leben. Über die Toten hatte ich schon den Überblick verloren.

Leise ging ich zwischen den Betten herum und dachte an ihren bevorstehenden Tod, an die Lebensenergie, die ihnen abgesaugt wurde. Ihre Seelen würden zu ihren Ahnen gehen, aber sie sollten noch gar nicht sterben. Ihre Zeit war nicht gekommen. Der Kampf war weder ihre Entscheidung gewesen, noch war dies ein ehrenhafter Tod.

Ich wandte mich an die anderen. »Sehen wir zu, dass wir da rüberkommen und diesem Monster in den Arsch treten. Wie wir letztlich mit dem Dämon fertig werden, überlegen wir uns, wenn wir da sind.« Smoky nickte, trat zurück und breitete die Arme aus. Camille und ich gingen zu ihm. Roz und Vanzir nahmen sich bei den Händen. Wir sahen Chase und Sharah an, die uns ernst anstarrten.

»Wenn wir nicht zurückkommen ... zum Teufel. Sollten wir aus irgendeinem Grund nicht zurückkommen, geh zum Wayfarer und sag Tavah, dass sie Delilah sofort heim in die Anderwelt schicken muss. Sag ihr, was los ist. Das war's dann, denke ich«, erklärte ich.

Er blinzelte. »Ihr kommt doch zurück. Der Dämon kann euch unmöglich alle töten.«

Camille seufzte. »Sieh dich doch mal um, Chase. Die Opfer - sie sind alle Feen. Na ja, Feen und ein Elf. Sieh den Tatsachen ins Auge. Wir sind ein Sonderangebot in blinkender Leuchtreklame für die Karsetii. Eine Auswahl Köstlichkeiten. Aber mit etwas Glück wird sich diese Unterhaltung als überflüssig erweisen. Zumindest wissen wir recht gut, womit wir es zu tun bekommen. Morio, bleib hier und beschütze sie. Wir können es nicht riskieren, alle rüberzugehen.«

Morio sah aus, als wollte er protestieren, doch auf ein Nicken von Smoky hin nahm er die ihm zugewiesene Aufgabe an und trat zu Sharah und Chase.

Im Schutz von Smokys Mantel streckte Camille den Arm quer über seinen Bauch und nahm meine Hand, als ich mich an seine andere Seite drückte. Camille holte tief Luft und schloss die Augen. Ich tat es ihr gleich - zumindest, was die Augen anging -, und Smoky hüllte uns in seinen wallenden Trenchcoat. Binnen Sekunden verschob sich die Welt, wir waren unterwegs, und ich konnte die eisige Kälte spüren, die immer entstand, wenn man Schichten der Realität durchdrang. Als wir auf der Astralebene landeten, öffnete Smoky die Arme, und Camille und ich traten hervor, sie links, ich rechts von ihm. Vanzir und Rozurial erschienen ein paar Meter weiter rechts. Roz ließ diesmal die Schusswaffe im Halfter, öffnete jedoch seinen Staubmantel und zog eine Schriftrolle hervor. Ich runzelte die Stirn. »Was ist denn das? «

»Spurzauber. Zumindest können wir dem Ding eine Markierung verpassen und der dann bis zum Mutterwesen folgen.« Er wollte noch etwas sagen, da zeigte Vanzir plötzlich nach links. Dort waren drei Schemen auszumachen: die Karsetii-Klone. Zwei nährten sich von je einem Opfer, die dritte fraß gleich von dreien, darunter auch Tiggs.

»Gierige Biester, was?« Ich beobachtete die drei einen Moment lang. »Sie haben uns noch nicht bemerkt. Sind wohl ganz aufs Aussaugen konzentriert. Ich finde, Roz sollte ihnen als Allererstes seinen Spurzauber verpassen. Falls sie uns dann entkommen, ehe wir sie fertiggemacht haben, können wir ihnen zumindest folgen. Ich würde sowieso vorschlagen, dass wir nicht versuchen, sie zu töten, sondern sie nur verscheuchen. So ist es einfacher, ihnen zu folgen, als wenn sie sich in Luft auflösen und erst an der Quelle wieder erscheinen. «

»Gute Idee«, sagte Camille und gab Roz einen Wink. »Nur zu.« Er murmelte etwas vor sich hin, das wie Griechisch klang. Gleich darauf flackerte ein kurzer Blitz auf und erstarb sofort. Roz kniff die Augen zusammen und starrte die Dämonen an. »Ich glaube, er sitzt.«

Camille nickte. »Ja, ich kann ihn in ihrer Aura sehen. Also, wie jagen wir sie jetzt nach Hause, ohne dabei umzukommen? «

»Mit deiner superpraktischen Blendgranate, wie denn sonst?« Ich lächelte sie an. »Irgendwann wirst du den Zauber so oft benutzt haben, dass du selber glühst wie die Sonne. «

»O ja, das wäre schön«, sagte sie. »Gut, versteck dich hinter irgendwem und schütze dich, so gut es geht. Ich habe das Horn mitgebracht, also werde ich ihnen eine volle Ladung verpassen.«

Sie schob die Hand in eine Seitentasche, die sie eigens in ihren Rock eingenäht hatte, und holte das Horn des Schwarzen Tiers hervor. Die Kristallspitze schimmerte, und die Gold- und Silberfäden, die sich durch das polierte Horn zogen, glitzerten hell. »Okay, Leute, es geht los.«

Mir ging auf, dass meine Schwester solche Kämpfe allmählich mehr zu genießen schien, als gut für sie war - aber, he, was sollte ich da sagen? Schließlich war ich auch immer für ein schönes Blutbad zu haben. Ja, während ich den anderen bei ihren Vorbereitungen zusah, wurde mir etwas bewusst: Ganz gleich, was auch geschehen mochte, wir würden niemals zu unserem vorherigen Leben zurückkehren. Wir konnten nie wieder die sein, die wir gewesen waren, ehe wir hier in der Erdwelt gelandet waren. Wenn wir den Frieden für alle erkämpften, würde es dann noch einen Platz für uns geben? Oder würden wir uns zurückziehen müssen, um andere Schlachten an anderen Orten zu finden, wo wir gebraucht wurden?

Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden, und blickte zu Smoky auf, der seinen Trenchcoat aufhielt. »Komm her«, sagte er mit lüsternem Grinsen. Ich wich zuück, aber er lachte nur. »Bilde dir bloß nichts ein. Ich mache dich nicht an. Schlüpf unter meinen Mantel, dann kann ich dich vor dem Licht schützen.«

Camille schnaubte. »Hinfort mit dir, Weib. Mein Mann bietet dir seinen Schutz an. Ich rate dir dringend, ihm zu gehorchen. «

»Hinfort, Weib? Übst du für einen Stand auf dem nächsten Mittelaltermarkt oder was? «

»Nichts gegen Mittelaltermärkte. Da findet man tolle Klamotten.« Sie streckte mir die Zunge heraus. »Nun mach schon. «

»Ja, ja.« Ich starrte zu der übergroßen Eidechse auf und schüttelte den Kopf. Aber natürlich schlüpfte ich in den Schutz von Smokys makellos weißem Trenchcoat. Er schloss mich in seine Arme, und da stand ich dann, isoliert von der Welt und mit seinem Moschusgeruch in der Nase.

Er war tatsächlich ein hinreißend knackiges Kerlchen, aber er war außerdem hochtrabend und pompös und neigte zu Eifersuchtsanfällen, die ich mir nie gefallen lassen würde. Camille nahm sie mit einem Lächeln hin, und er ließ ihr wesentlich mehr durchgehen als jedem anderen. Ich beschloss, ihn für die »Bilde dir bloß nichts ein«-Bemerkung nicht gleich zu beißen.

»He, ihr durchgedrehten Kraken! Setzt eure hässlichen Hintern in Bewegung und kämpft!«

Während ich in der Dunkelheit seines schützenden Mantels stand, hörte ich Camille rufen und verzog das Gesicht. Warum musste sie die Biester noch auf sich aufmerksam machen? Warum konnte sie nicht einfach ihren Blitz loslassen, und gut? Es entstand plötzliche, heftige Bewegung, die ich sogar unter Smokys Trenchcoat spüren konnte, und dann war ein lautes Krachen zu hören, wie ein Donnerschlag.

Ein greller Blitz blendete mich auch im Schutz des schweren Stoffs, und ein heulender Windstoß pfiff vorbei. Unwillkürlich begrub ich den Kopf an Smokys Brust. Er schlang die Arme um mich und brummte befriedigt.

»So ist es recht, Mädchen«, flüsterte er, und mir wurde klar, dass er von Camille sprach. Das Licht flackerte und erstarb, und er öffnete den Mantel. Ich trat zurück und lächelte ihn ein wenig schief an. Er nickte mir knapp zu und widmete dann seine ganze Aufmerksamkeit Camille. »Geht es dir gut, Liebste?«

Sie lachte, und ihr Haar flatterte in dem astralen Wind, den der Lichtblitz verursacht hatte. »Oh, mehr als nur gut«, sagte sie, und ich merkte, dass sie von dem Adrenalinstoß der Magie, die das Horn durch sie hindurch ausgesandt hatte, regelrecht high war. »Roz, funktioniert der Spurzauber?«

Er schloss die Augen und streckte die Hände aus. »Ja, er funktioniert.« Plötzlich hektisch, winkte er uns zu, ihm zu folgen. »Wir müssen uns beeilen. Sie sind auf dem Heimweg, und wir dürfen sie nicht verlieren.« Damit rannte er los wie der Wind und war auf und davon.

Smoky und Vanzir waren ihm dicht auf den Fersen. Camille nahm meine Hand, und auch wir rasten durch den Nebel. Auf der Astralebene zu rennen, war ein völlig neuartiges Gefühl. Wir waren in der physischen Welt alle ziemlich schnell, aber hier flogen wir nur so dahin.

Camille holte Smoky und Vanzir rasch ein, überholte sie und ließ mich los, damit ich bei den beiden bleiben konnte, während sie noch einen Gang hochschaltete und mit Rozurial mithielt. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich sah, wie der Boden unter meinen Füßen durchsauste. Wie zum Teufel konnte sie so schnell laufen?

Natürlich! Die Jagd! Camille war daran gewöhnt, sie rannte jeden Monat mit der Mondmutter im Astralraum herum. Sie war damit vertraut, sich auf solchen Ebenen zu bewegen, auch wenn sie nicht selbst hier herüberspringen konnte. Bei Vollmond riss ihre Göttin sie mit sich in den Astralraum.

Als die beiden vor uns in der Ferne verschwanden, verzog Smoky das Gesicht. »Wir müssen mithalten. Sie dürfen nicht allein dort ankommen, ohne Unterstützung. «

»Ich schaffe ihre Geschwindigkeit, aber ihr beide vermutlich nicht«, sagte Vanzir.

»Doch - wenn ich fliege«, entgegnete Smoky, und ohne Vorwarnung nahm er seine Drachengestalt an. Als er zu dem gewaltigen Tier anschwoll, das er eigentlich war, wich ich nach rechts aus, um nicht von seinen Flügeln eine verpasst zu bekommen.

Ohne zu zögern, sagte Smoky: »Steigt auf.« Sein milchig weißer Körper bewegte sich in der astralen Brise wellenförmig wie der einer Schlange.

Ich schluckte meine Angst herunter. Er war riesig. Man vergaß so leicht, wie groß er in seiner natürlichen Gestalt war. »Komm schon, Liebste«, sagte Vanzir mit einem Schnauben, packte mich und sprang auf Smokys Rücken. Er zerrte mich hoch, setzte mich vor sich und schlang die Arme um meine Taille.

Smoky gluckste vor Lachen, seine Flügel fanden den Aufwind der Brise, und plötzlich hoben wir uns in die Luft und rasten schneller dahin, als ich es mir je hätte vorstellen können. Ich war noch nie auf dem Rücken eines Drachen geritten. Verdammt, ich war noch nicht einmal in einem Flugzeug geflogen. Smoky würde meinen Jaguar jedenfalls mit Leichtigkeit stehen lassen.

Ich starrte auf den wirbelnden Nebel hinab, der die Astralebene bedeckte, und fand das Ganze plötzlich ungeheuer absurd. Hier saß ich, eine Vampirin, auf dem Rücken meines Schwagers, der ein Drache war, mit einem Dämon, der sich an meine Taille klammerte, und wir verfolgten irgendeinen durchgeknallten Tintenfisch, der die Lebensenergie von Leuten schlürfte. Ich brach in Lachen aus, aber das verging mir gleich wieder, als ich an Delilah dachte, die im Bunker eingeschlossen war, weil wir sie nur so schützen konnten - und an die vielen Toten, die die Karsetii bereits hinterlassen hatte.

Vanzir packte mich fester, und ich spürte seinen Atem an meinem Ohr, als er sich nach vorn beugte. »Wir sind uns so ähnlich, Süße. So ähnlich«, sagte er mit rauher Stimme.

Ich wusste, dass er mich damit necken wollte, aber ich ging nicht darauf ein. Was hätte ich auch sagen sollen? Er hatte recht. Wie konnte ich mich wegen etwas streiten, das einfach nur die Wahrheit war?

Smoky sank herab und glitt tiefer. Jetzt konnten wir Rozurial und Camille über den in Nebel gehüllten Boden rasen sehen. Sie waren wie programmierte Maschinen, keiner von ihnen bemerkte uns oder schaute zu uns auf. Sie rannten nur weiter und hielten miteinander Schritt. Von hier oben aus konnte ich erkennen, dass Camille einen wilden Ausdruck im Gesicht hatte. Der Mond würde in wenigen Tagen voll sein, und vermutlich spürte sie bereits diese Energie. Auf der Astralebene etwas zu jagen, verstärkte diesen Rausch sicher noch.

Die Berührung von Vanzirs Armen um meine Taille begann zu brennen, und er presste sich von hinten gegen mich. Ich konnte nicht anders. Ich legte den Kopf in den Nacken und schmiegte mich an ihn, während seine Lippen meinen Hals fanden, daran saugten, zwickten, mich zart bissen.

»O große Mutter, das ist weder der passende Ort noch der passende Zeitpunkt«, sagte ich und versuchte mich aus dem Wahn zu befreien, der uns anscheinend überkam.

»Keine Sorge wegen dieser Energien«, erklang Smokys brüllende Stimme. »Ihr fühlt nur den Rausch von Camilles und Rozurials Hormonen. Die beiden rennen mit voller Kraft, das macht sie heiß, so dass sie eine Spur von Pheromonen im astralen Wind hinterlassen. Bis wir die Karsetii erreichen, braucht sich überhaupt niemand Gedanken um irgendetwas zu machen außer dieser Incubus käme auf die Idee, meine Frau anzugrabschen. Bis dahin lasst euch einfach mittragen.«

Schwindelig versuchte ich, mich aus Vanzirs Griff zu lösen, doch er packte mich noch fester und presste die Lippen an meinen Hals, meine Schulter, meine Wange. Ich drehte den Oberkörper herum, um ihn wegzuschieben, aber der Farbenwirbel in seinen Augen erwischte mich und ließ mich innehalten. Ich stieß einen überraschten Laut aus, als er mich auf den Mund küsste, mich hochhob und ganz zu sich herumdrehte.

Ich saß breitbeinig auf Smokys Rücken und klammerte mich mit den Knien an ihm fest, um das Gleichgewicht zu wahren. Vanzir beugte sich vor und drückte mich sacht herunter, bis ich rücklings auf Smokys schimmernden Schuppen lag. Vanzir schob sich über mich, seine Hüfte presste sich zwischen meinen Beinen an mich, und er küsste mich so innig, dass ich spürte, wie ich fiel. Leidenschaft flammte auf und drohte mich zu verschlingen. Plötzlich besorgt, tastete ich mit der Zungenspitze nach meinen Reißzähnen, aber sie blieben eingezogen.

»Sie werden nicht ausfahren, wenn du es nicht willst«, flüsterte Vanzir. »Wenn du es mit einem anderen Dämon treibst -einem echten Dämon -, wird es dir leichter fallen, deine wilde Natur zu beherrschen, du wirst schon sehen. Und ich werde nicht automatisch versuchen, dich anzuzapfen, wie es mir bei jemand anderem ginge, der nicht dämonischer Herkunft ist. «

»Wenn du versuchen würdest, mich auszusaugen, würde das Halsband, das du unter der Haut trägst, dich augenblicklich töten«, entgegnete ich, aber er fegte meine Bemerkung beiseite, indem er mich wieder auf den Mund küsste. Er presste sich an mich, und seine Finger tasteten nach meinem Reißverschluss. Ich wollte ihn. Ich wollte mich ausziehen und es jetzt gleich und hier auf Smokys Rücken mit ihm treiben, aber wir waren auf dem Weg in einen Kampf. Wir würden all unsere Kraft brauchen, all unsere Sinne.

»Nein, wir müssen für den Kampf bereit sein. Wir können das jetzt nicht tun. Aber später, später will ich dich.« Ich drückte die Hände gegen seine Brust und spürte seinen Herzschlag. Der fühlte sich nicht an wie ein normaler Puls. Als ich Vanzir in die Augen schaute, zuckten seine Lippen, er schob langsam die Zunge hervor und schnalzte mir damit auf die Nasenspitze.

»Ich weiß«, sagte er und grinste hämisch. »Lüg mich nie wieder an, was deine Gefühle angeht. Wir sind beide Dä monen. Überlasse Falschheit und Beschönigung denjenigen, die sich nicht nehmen können, was sie wollen, die nicht die Macht besitzen, das Leben an allen Nähten auseinanderzureißen. Wir können das hier miteinander teilen, ohne befürchten zu müssen, wir könnten unserem Partner das Leben aussaugen.«

Als er zurückwich, schob ich mich von ihm weg und starrte ihm in die Augen. »Ich dachte, du stehst nicht auf Frauen«, sagte ich.

»Und du weißt, dass ich mit Nerissa zusammen bin. «

»Ich weiß auch, dass zwischen dir und Rozurial irgendetwas läuft. Und was dich und andere Frauen angeht - na und? Ich bin wie du. Ich suche mir meine Partner danach aus, zu wem ich mich hingezogen fühle, ob das nun ein Er oder eine Sie ist.«

Eine dunkle Wolke huschte über sein Gesicht. »Karvanak habe ich mir nicht ausgesucht. Er hat mich mehrmals vergewaltigt. Aber jetzt ist er tot, und ich hoffe, er ist ins Nichts geschleudert worden. Aber dass er mich missbraucht hat, bedeutet nicht, dass ich nicht hin und wieder einen hübschen Jungen zu schätzen wüsste.«

Und da verstand ich, was er meinte. Wir waren tatsächlich vom gleichen Schlag, er und ich, und das auf mehr als einer Ebene. Wir beide waren von sadistischen Arschlöchern gefoltert worden. Ich hatte vermutlich mehr abbekommen - Dredge hatte immerhin mein Wesen auf ewig verändert -, aber Vanzir hatte sicher verborgene Narben davongetragen. Ja, er war bereits ein Dämon gewesen, aber er hatte versucht, seine Instinkte zu beherrschen. Das hatte Karvanak sogar gegen ihn benutzt.

Ich berührte sacht seine Hand. »Wir sind uns tatsächlich sehr ähnlich. Aber ... vergiss eines nicht: Die meisten unse rer Kameraden haben die eine oder andere Hölle hinter sich. Delilah hat nicht darum gebeten, zur Todesmaid erwählt zu werden. Camille war schon immer der Anker für alle anderen und deren Traumata, und ihr geschworener Liebhaber wird vermisst. Rozurial musste erleben, wie Dredge seine Familie zerstört hat, und dann haben die Götter noch seine Ehe zerrissen. Sogar Chase - Karvanak hat auch ihm eine Kostprobe seiner Vorlieben gegeben. So besonders sind wir gar nicht, Vanzir. Wir verstehen uns nur besonders gut. «

»Achtung!«, hallte Smokys Stimme über seine Schulter zu uns. »Sieht so aus, als hätten Camille und der Incubus etwas gefunden!«

Ich wirbelte herum und setzte mich wieder richtig herum auf Smoky zurecht. Sein langer Hals neigte sich zur Seite, und so bot er uns einen Blick auf etwas, das ein ausgesprochen scheußliches Gefühl in meinem Bauch auslöste.

Da waren die Karsetii-Klone, ja, und sie hielten auf ein schwarzes Portal zu, auf dem blauflammende Runen leuchteten. Ich erkannte diese Runen - sie waren dämonisch, und ich hatte sie zuletzt auf einem Poster an Larrys Wand gesehen.

»Scheiße - ein dämonisches Portal?« Was wohl noch alles durch dieses Ding kommen könnte?

»Nicht bloß ein Portal«, sagte Vanzir und packte mich fester um die Taille. Aber die Leidenschaft von gerade eben war verschwunden. Er war ganz sachlich. »Das ist ein Dämonentor. «

»Was zum Teufel ...? Wer hat es geöffnet?« Ich starrte auf die Runen, die in der astralen Brise flackerten. Camille und Roz waren stehen geblieben und starrten das Tor aus der Ferne an, während die Karsetii-Ableger darauf zu eilten.

»Ich weiß nicht, aber es wurde nicht richtig aufgebaut«, sagte Vanzir. »Es ist ... die Runen sind nicht richtig angeordnet. Wer auch immer es geöffnet hat, ist ein Narr. Er hat keinerlei Kontrolle darüber, keine Möglichkeit, dem zu befehlen, was hindurchkommt. «

»Dann wurde die Karsetii also tatsächlich hierher beschworen. Aber derjenige, der sie beschworen hat... «

»Derjenige, der sie beschworen hat«, wiederholte Vanzir langsam, »hat keine Kontrolle über die Kreaturen, die er hierher befiehlt. Und das Tor ist aktiv und offen. «

»Und wer weiß, was uns auf der anderen Seite erwartet.« Smoky grunzte, und wir machten uns zur Landung bereit. Sobald wir unten waren, sprangen Vanzir und ich herunter und rannten zu Camille und Roz hinüber.

Smoky schimmerte, und mit einem kurzen Aufblitzen stand er wieder in seiner ganzen menschlichen Pracht vor uns. Sein Haar begann sich automatisch selbst zu flechten, während wir die Karsetii-Ableger beobachteten, die zu dem Dämonentor huschten. Grelles Licht jeglicher Art schien ihnen nicht zu gefallen.

Als sie durch das Tor flitzten, studierte ich die Runen, wobei ich besonders darauf achtete, wie ein paar davon gezeichnet worden waren. Wer auch immer das getan hatte, musste sie mit einem Federkiel in Blut geschrieben haben; so wurde ein Dämonentor normalerweise geschaffen. Und normalerweise bestand der Untergrund dafür aus gegerbter Haut eines bewussten Lebewesens - der eines Menschen, wenn man es mit einem menschlichen Zauberer zu tun hatte, der einer Fee, wenn es um einen Feenzauberer ging.

Vanzir neigte den Kopf zur Seite. »Schau. Die Rune ganz links. Die ruft normalerweise nach Geschöpfen aus den Feuern, aber sie ist falsch geschrieben, nur um einen Fingerbreit. «

»Was meinst du?«, fragte Camille. »Morio und ich sind noch nicht weit genug fortgeschritten in unserem Studium der dämonischen Magie, als dass ich sie alle lesen könnte. «

»Dieser gebogene Strich da - der müsste nach innen gebogen sein, nicht nach außen. Der Fehler verändert die Bedeutung zu Geschöpfe aus den Tiefen«. Vanzir schüttelte den Kopf.

»Schlampige Arbeit. Das war jedenfalls kein erstklassiger Zauberer, so viel kann ich euch sagen.«

Und da wusste ich es. Ich wusste, wer das gezeichnet hatte. »Ich habe diesen Fehler schon einmal gesehen. Auf der Schautafel an Larrys Wand, und an Larrys Knöchel. Er trägt diese Rune auf den Knöchel tätowiert. Harold und seine Teufelskerle - die müssen die Karsetii beschworen haben!«

Camille stammelte: »Die Teufelskerle? Deshalb also stinken sie so! Aber warum zur Hölle beschwören sie Dämonen? «

»Ich weiß es nicht, aber das sollten wir besser schnell herausfinden. Denn selbst wenn wir dieses Tor hier schließen, werden sie einfach ein anderes öffnen, und wer weiß, was zum Geier sie nächstes Mal rüberholen werden?«

Während wir noch das Dämonentor anstarrten, hallte ein tiefes Grollen durch den Nebel. Mein Magen machte einen Satz. »Wir kriegen Ärger«, sagte ich. »Spürt ihr das?«

Vanzir und Camille nickten, und wir alle traten von dem Tor zurück. Gerade rechtzeitig. Das Grollen schwoll an, und eine riesige Karsetii - viermal so groß wie die, gegen die wir bereits gekämpft hatten - erschien in dem Tor.

»Da ist ja Mama, Leute. Ich glaube, sie will mit uns spielen.«

Camille zückte ihr Einhorn-Horn. »Na dann«, sagte sie, und in diesem Moment wandte sich die Karsetii in ihre Richtung und stürmte auf sie zu.