Kapitel 27

 

Wir hatten das Amphitheater im Chaos zurückgelassen, und als wir nun aus dem Astralraum traten, sah ich, dass alles nur schlimmer geworden war. Die Elfe, die wir bewusstlos hatten zurücklassen müssen, lag wieder in ihren Fesseln, und der Haufen junger Männer in Turnschuhen und Jeans hatte sich um den Altar versammelt. Ohne die Roben sahen sie gleich weniger bedrohlich aus. Harold stand am Kopf des Altars, und hinter ihm glühte das weit geöffnete Dämonentor. Er brabbelte Lateinisch vor sich hin.

»Versuchst du etwa, noch einen bösen großen Bruder herzuholen?«, bemerkte Camille und trat vor. »Denk nicht mal daran.«

Harold funkelte sie an. »Ihr habt unseren Seelenstein. Gebt ihn uns zurück, sonst müssen wir ihn uns mit Gewalt holen. Er gehört dem Hohepriester unseres Ordens, und er wird euch vernichten, wenn er zurückkehrt. «

»Euer Hohepriester liegt unten im großen Labor, ausgenommen wie ein Fisch«, erwiderte Smoky. »Ich würde euch also raten, nicht auf seine Unterstützung zu zählen. «

»Das macht nichts. Ich übernehme den Orden«, sagte Harold unbeeindruckt.

Ich starrte ihn an, erstaunt darüber, dass er es überhaupt wagte, den Mund aufzumachen. »Mann, komm mal wieder auf den Teppich! Dein Onkel ist gerade getötet worden, und das kümmert dich nicht mal. Wir haben den Dämon zerstört, den ihr beschworen habt. Kapierst du es immer noch nicht? Macht es dir Spaß, dich dumm zu stellen, oder warst du wirklich gerade mal pinkeln, als sie das Hirn verteilt haben? «

»Verpiss dich, Vampirin«, erwiderte er höhnisch. »Sonst ziehe ich meinen Zahnstocher und sammle dich hinterher mit dem Staubsauger auf.«

Ich sprang vor und schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht, dass er vom Altar und der Elfe wegflog. Er landete an einer der kreisrunden Stufen. »Kleiner Schwanzlutscher! Du hast weiß die Götter wie viele Frauen ermordet und besitzt die Stirn, hier zu stehen und uns zu sagen, wir sollen uns verpissen?«

Als ich auf ihn zustapfte, sprang er auf, machte einen Rückwärtssalto weg von mir, landete auf den Füßen, hob in Bruce-Lee-Manier die Arme und winkte mir mit dem Zeigefinger.

»Nur zu, Radieschengucker. Wir sehen vielleicht aus wie ein Haufen Computerfreaks, aber wir haben kapiert, wer das Böse regiert, und uns auf seine Seite gestellt. Wir können kämpfen. Also sieh zu, dass du wegkommst, oder lass sehen, ob du wirklich so stark bist, wie du behauptest.«

Sein hämischer Tonfall ging mir beinahe noch mehr auf die Nerven als der dreiste Ausdruck in seinen Augen. Dieser Bursche bettelte geradezu darum, ein paar Manieren zu lernen, und ich war genau die Richtige, sie ihm beizubringen. Ich sprang und stand Nase an Nase vor ihm, ehe er überhaupt bemerkt hatte, dass ich mich bewegte. Offensichtlich war der kleine Freak den Umgang mit Vampiren nicht gewöhnt. Bevor er ein Wort sagen konnte, packte ich seinen Kopf, riss ihn zur Seite und hielt ihn kurz vor dem Genickbruch fest.

»Spürst du das, Kleiner? Fühlst du, wie stark ich bin? Hast du irgendeine Ahnung, wie einfach es für mich wäre, dir den dünnen Hals umzudrehen und dich ins Nichts zu schicken?«

Ich beugte mich über ihn, fuhr die Reißzähne aus und ließ meine ganze Wut über den Tod von Sabele und Claudette und all den anderen Frauen an die Oberfläche brodeln. »Du bist genau die Sorte erbärmlicher Perverser, die ich zum Abendessen am liebsten habe. Kapiert? Deinesgleichen sauge ich aus und überlasse die leeren Kadaver den Ratten. Kannst du mir irgendeinen Grund nennen, weshalb ich das mit dir nicht machen sollte? Einen einzigen beschissenen Grund?«

Er wehrte sich, aber eine leichte Bewegung meines Zeigefingers in seinem Genick ließ ihn erstarren. Der Druck muss unglaublich schmerzhaft sein, dachte ich. Vielleicht sollte ich es noch ein kleines bisschen schlimmer machen. Ich drückte fester zu - nur ein wenig, aber er stöhnte laut. Wenn ich noch mehr Druck ausübte, würde er umkippen.

Ich warf den anderen Clubmitgliedern einen Blick zu. Es waren noch dreizehn von dem ursprünglichen Rudel übrig, und sie warteten auf ein Zeichen von Harold, was sie jetzt tun sollten. Auch Duane war da, die Hand an die offenbar gebrochene Nase gepresst. Schade! Ich dachte, ich hätte ihm den Kiefer gebrochen.

Duane trat einen Schritt auf mich zu, und ich schüttelte den Kopf. »Noch ein Schritt, und dein lahmer Obermotz hier ist Geschichte. Ich meine es ernst. Zurück, sonst stirbt er, und du bist der Nächste auf meiner Liste.«

Smoky, Morio, Vanzir und Delilah rückten vor und riegelten die übrigen jungen Männer ab. Camille schaffte es gemeinsam mit Rozurial, der die Eisenschellen aufbog, die Elfe wieder zu befreien. Camille hob die junge Frau hoch - sie war unglaublich zierlich -, trug sie ein Stück beiseite und legte sie auf den Boden. Dann funkelte sie Smoky an, bis der zu ihr ging, ihr seinen Trenchcoat reichte, damit sie das bewusstlose Mädchen zudecken konnte, und dann wieder zu den anderen trat, um die Idioten im Zaum zu halten.

Ich lockerte den Druck auf Harolds Genick, als sein Puls ins Stocken geriet. »Und jetzt wirst du uns alles sagen: wie viele Frauen ihr ermordet habt, wer noch zu eurem Club gehört, alles Mögliche wirst du mir sagen. Ansonsten bringen wir euch um. Euch alle. Einen nach dem anderen, auf so schmerzhafte Weise, wie wir nur können. «

»Das ... würdet ihr nicht...«, begann er, aber ich riss meinen Pulli hoch und zwang ihn, die Narben zu betrachten, die sich über meinen ganzen Körper zogen.

»Boing! Schade, falsche Antwort. Sieh mich an. Ich wurde auf eine Art und Weise gefoltert, die du dir nicht einmal vorstellen kannst, ehe ich getötet und dann als Vampir wiedererweckt wurde. Ich bin nicht zimperlich. Und ich kann so gut austeilen, wie ich eingesteckt habe. Verstehen wir uns?«

Mit einem leisen Fauchen schob ich das Gesicht ganz dicht vor seins und ließ meinen vollen Glamour hervorscheinen, den der Vampirin und den der Fee. Harold erschlaffte in meinem Griff zu einem Häuflein Kooperationsbereitschaft. Widerstrebend ließ ich ihn los - ich hätte ihn zu gern vermöbelt -, und er wich zurück.

»Auf die Knie«, sagte ich. Wenn ich schon nicht die Henkerin spielen durfte - jedenfalls noch nicht -, würde ich ihn wenigstens gründlich demütigen.

Er fiel wimmernd auf die Knie. Die anderen jungen Männer starrten mit großen Augen erst ihn an, dann mich. Sie wi chen zurück, aber die Jungs und Delilah trieben sie hübsch wieder zusammen.

»Du hast Sabele ermordet, nicht wahr? Du bist ihr nachgeschlichen, hast sie entführt und den Dämonen geopfert.« Ich wollte, dass er es laut aussprach. »Und Claudette, die Vampirin, ebenfalls.«

Er sog scharf die Luft ein, doch als ich ihn schüttelte, antwortete er. »Ja! Ich habe es getan. Sabele hat mich abblitzen lassen. Sie hat mich keines Blicks gewürdigt. Also habe ich beschlossen, sie zu opfern. Sie ist spazieren gegangen, und ich habe sie mir geschnappt. Sie hat um ihr Leben gebettelt«, sagte er, und sein Gesicht verzerrte sich zu einem irren Grinsen. »Sie hat uns angefleht, nackt, auf den Knien. «

»Was ist mit Claudette - der Vampirin. «

»Erst haben wir sie für eine Fee gehalten. Wir haben sie zu uns eingeladen und festgestellt, dass sie uns fressen wollte. Aber wir haben es geschafft, sie in einem Kreis aus Knoblauch und Silber einzuschließen. Wir hatten keine andere Wahl -wir mussten sie töten.«

Ich schloss die Augen. Harold hatte sich also doch für Sabele interessiert. Aber selbst wenn sie seine Aufmerksamkeit erwidert hätte, hätte er sie am Ende vermutlich umgebracht. Und Claudette hatte die Burschen gejagt und war selbst zur Gejagten geworden. Ein Jammer, dass sie es nicht geschafft hatte, die Bande zu dezimieren.

»Wie lange beschwört ihr schon echte Dämonen?«

Harold blinzelte, und das hässliche Grinsen verschwand. »Es ist uns nie gelungen, ihre Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, bis mein Onkel letztes Jahr angefangen hat, bei einem Zauberer Nekromantie zu studieren. Dieses Dämonentor ist das erste, das tatsächlich funktioniert hat. Vorher haben wir nur die Herzen unserer Opfer verbrannt und den Dämonen dargeboten. «

»Wer hat den Orden gegründet?«, fragte ich, obwohl ich das bereits wusste.

Harold wimmerte, antwortete aber: »Mein Urgroßvater. Er hat einem anderen Geheimbund angehört, bevor er England verlassen hat. Er hat ihn modernisiert und beschlossen, der Gruppe eine andere Richtung zu geben. Sie stärker zu machen, meinte er. Er hat den Seelenstein gefunden, und die Leute begannen, ihm zu folgen. Er hat ihn an meinen Großvater weitergegeben, und der wiederum an meinen Onkel. Aber seine Loge war trotzdem ein schwacher Verein, verglichen mit dem, was ich daraus gemacht habe«

»Warum hat dein Großvater deinen Vater übergangen?« Ich hob seinen Kopf leicht an und betrachtete den Puls, der an seinem Hals flatterte. Ich war durstig, furchtbar durstig.

Harold schluckte. »Mein Großvater hat gesagt, mein Vater sei schwach. Aber er meinte, ich sei stark genug dafür.«

»Woher hatte dein Urgroßvater das Geist-, den Seelenstein«

Er schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Aber mein Onkel hat erkannt, dass der Stein mächtiger war, als alle dachten. Ich weiß nicht, wie er darauf gekommen ist. Und dann, vor etwa einem Jahr, haben wir von Schattenschwinge erfahren ...«

Ich erstarrte. Wir hatten gehört, wie die Männer ihn angerufen hatten. Dies war unsere Chance, herauszufinden, was da lief. Ich ließ den Glamour richtig triefen. »Wer hat euch von Schattenschwinge erzählt? Sag es mir, sag mir alles.«

Harold schluchzte erstickt und sagte dann: »Wir haben in einem Club in der Stadt ein paar betrunkene Dämonen kennengelernt. Sie haben uns von der bevorstehenden Invasion erzählt. Mein Großvater hat dem Teufel junge Frauen geopfert, aber wir dachten uns, es wäre besser, sie Schattenschwinge zu opfern, damit er uns verschont, wenn er durchbricht und die Erde übernimmt. Wir dachten, wir würden dann eben unter seiner Herrschaft leben und vielleicht sogar zu seinem Hof gehören. Und es erschien uns einfach logisch, ihm Feen und Elfen zu opfern statt Menschenfrauen. Also hat mein Onkel gelernt, ein Dämonentor zu erschaffen, und wir haben den Seelenstein dazu benutzt, Schattenschwinge zu beschwören …«

»Ja, dein Onkel«, sagte ich. »Dein Onkel war ein Idiot. Ihr habt nicht Schattenschwinge beschworen, du Volltrottel, sondern einen Dämon aus dem Astralraum, der überhaupt keine Verbindung zum Fürst der Dämonen hat, und das ist auch der einzige Grund dafür, dass ihr noch am Leben seid. Schattenschwinge hätte euch zum Mittagessen gefressen und eure Knochen als Zahnstocher benutzt. Dein Onkel war ein miserabler Nekromant. Wer hat ihn bloß darin unterwiesen?«

Harold fuhr sich leicht mit der Zunge über die Lippen und antwortete: »Rialto, ein Zauberer, der ursprünglich aus Italien stammt. Im Austausch gegen meine Cousine.«

Ich schloss die Augen, um die Blutlust zu bezwingen, die mich zu überwältigen drohte. »Er hat dem Mann seine Tochter als Bezahlung gegeben?« Harold nickte. »Sie ist zwölf. Alt genug.«

Alt genug? Ich zwang mich, tief durchzuatmen, und zählte bis zwanzig, ehe ich fortfuhr. »Eine letzte Frage. Wohnt dieser Rialto hier in Seattle?«

Er stieß ein atemloses »Ja« hervor und nannte mir die Adresse. Und dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich fiel über ihn her und riss ihm mit meinen Vampirzähnen den Hals auf. Es gab keine Worte mehr, die mich daran hätten hindern können. Camille und Delilah wussten es, ebenso wie unsere Freunde. Sie versuchten es nicht einmal.

Ich zerrte an seiner Haut, zerriss sein Fleisch, machte es für ihn so schmerzhaft wie möglich, und schleckte dann hastig sein Blut, grob und ohne ihm dabei den geringsten Genuss zu verschaffen.

Er kreischte und starb unter meinen Fängen. Als ich mich aufrichtete, so dass ich vor ihm kniete, beäugte ich die anderen Männer mit einem perversen Vergnügen. Wie ein Mann wichen sie zurück.

Delilah wollte etwas sagen, aber Roz berührte sie am Arm und schüttelte den Kopf. Sie seufzte und nickte.

Ich stand auf und ließ mir das Blut ruhig vom Kinn auf den Pulli tropfen. Ich wollte, dass sie Angst vor mir hatten. Ich wollte, dass sie sich in die Hose machten bei der Vorstellung, sie könnten die Nächsten sein. Einer von ihnen tat es tatsächlich Duane. Der Gestank von Urin erregte meine Aufmerksamkeit. Ich trat zu ihm, schlug ihm ins Gesicht und zerlegte die Nase, die ich ihm vorhin gebrochen hatte, endgültig. Er stöhnte und begann zu weinen, aber das reichte mir nicht, also trat ich ihm mit dem Knie in die Eier. Aber richtig. Er ging kreischend zu Boden. Wenn ich mich nicht täuschte, was die Kraft hinter meinem Tritt anging, würde er niemals Kinder zeugen. Er würde es nicht einmal mehr versuchen können.

Ich lächelte die übrigen schwach an und wandte mich an Camille. »Wenn ihr Chase nicht schnell herholt, erledige ich auch den Rest von ihnen. Das würde ich nur zu gern tun, aber ich denke, ihm steht auch etwas von dem Ruhm zu.«

Camille musterte die Männer und schüttelte den Kopf. »Sie wissen zu viel. Sie wissen über Schattenschwinge Bescheid. Wir können nicht riskieren, dass sie reden. Aber ich weiß auch nicht, was wir mir ihnen tun sollen, um ehrlich zu sein.«

»Spielen wir Richter, Geschworene und Henker zugleich? Sie waren alle an den Morden beteiligt. Wir haben hier Vergewaltiger und Sadisten. Sie hätten zugesehen, wie die Elfe stirbt, ohne dass einer einen Finger gerührt hätte. Ich weiß auch nicht, was das Richtige wäre. Aber wenn du sie aus dem Weg haben willst, dann mache ich das«, sagte ich. »Ich kann sie töten, ohne Reue zu empfinden.«

Delilah unterbrach uns. »Übergeben wir sie Tanaquar. Sie haben versucht, Schattenschwinge zu beschwören, also sind sie unser aller Feinde. Wir haben das Geistsiegel bei ihnen gefunden. Ich würde sagen, sie sind Kriegsgefangene. Selbst wenn der Dämonenfürst nicht einmal weiß, dass es sie gibt -sie haben versucht, sich seiner Armee anzuschließen.«

Ich lächelte sie strahlend an. »Du bist eine brillante, großartige Frau, Kätzchen. Was machen wir mit dem Haus?«

Vanzir meldete sich zu Wort. »Wie ich schon sagte, überlasst das am besten mir. Wenn ihr das Dämonentor erst verschlossen habt, hole ich Freunde, die mir helfen werden. Das Haus wird niederbrennen, in einem so verheerenden Feuer, dass keinerlei Beweise für irgendetwas zurückbleiben werden. So heiß, dass es leicht jeden vernichtet hätte, der in den Flammen eingeschlossen war. Niemand wird vermuten, dass diese Burschen noch am Leben sind.«

Camille nickte. »So machen wir es. Smoky kann mich schnell nach Hause bringen. Wir holen Wilbur hierher, während ihr diese Männer für den Transfer durchs Portal fertig macht. Ich laufe zu Hause schnell zum Flüsterspiegel und benachrichtige den AND, dass sie Gefangene entgegennehmen sollen.«

»Klingt gut. Also los«, sagte ich und dachte bei mir, dass dies eine der Operationen war, bei denen ich mich glücklich schätzte, wenn sie endlich vorbei waren. Ich würde lieber noch einmal gegen eine Karsetii antreten als gegen Menschen, die so in die Irre gegangen, so böse geworden waren. Irgendwie war es leichter, sich Dämonen zu stellen, die auch wie Monster aussahen statt wie die Jungs von nebenan.

Sobald Camille und Smoky fort waren, schickte ich Roz und Delilah nach oben, damit sie jeden hier herunterbrachten, der sich vielleicht noch dort versteckt hielt, und das Haus abriegelten. Um eine Meuterei unserer Gefangenen zu verhindern, betäubten wir sie alle mit Schlaftabletten, die wir in einem ihrer Zimmer fanden. Ich hoffte aufrichtig, dass sie heute zum letzten Mal in ihrem Leben ruhig schliefen. Delilah sah aus, als wäre ihr ein wenig schlecht, nachdem sie die Zimmer der Männer durchsucht hatte. Sie ließ mir eine große Dose voller Z-fen und einen Haufen selbstgedrehter Videofilme vor die Füße fallen.

»Die wird Chase sehen wollen. Er dürfte nicht allzu viele Fragen über die verschwundenen Studenten stellen, wenn er erst mal sieht, was die so getan haben.« Ihre Stimme war nur ein Flüstern, und ich sah ihr prüfend in die Augen. Sie stand kurz davor, sich zu verwandeln, aber ich spürte eher den Panther in ihrer Aura als das Tigerkätzchen.

»Die Mädchen?«, fragte ich leise.

Sie nickte. »Ja. Sie haben ihre Rituale gefilmt. Übel. Das ist wirklich übel. Vanzir hat recht. Dieses Haus muss zu Asche verbrannt und die Asche dann noch vernichtet werden. Eine Menge Geister streifen hier herum, Menolly. Dieser Ort ist von Schmerz durchtränkt. Und all die Geister da unten - die Frauen. Können wir sie befreien, oder werden sie auf ewig hier festsitzen?«

»Ich weiß es nicht. Wie konnte so viel Böses so viele Jahre lang ganz im Geheimen geschehen? Es ist mir ein Rätsel, dass nicht ein Einziger von ihnen je etwas ausgeplaudert hat.«

Delilah seufzte. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Und das waren ihre Abenteuergeschichten. Es ist leichter, ein Geheimnis zu wahren, wenn du es mit deinen Kumpels teilst und es euch erst recht zusammenschweißt. Jeder hatte etwas zu verlieren, und keiner von ihnen wollte im Gefängnis oder in der Todeszelle landen.« Sie wischte sich die Augen. »Die haben wohl wirklich geglaubt, Schattenschwinge würde sie schützen. Die Leute finden einfach für alles eine Rechtfertigung, wenn sie es nur unbedingt wollen. Manchmal will ich mich in eine Katze verwandeln und nie wieder zurückkommen. Das wäre so viel leichter ...«

Ich legte ihr einen Arm um die Schultern. »Leichter, ja, aber wir brauchen dich. Außerdem könnten wir uns dann nicht mehr über Jerry Springer und seine verrückten Gäste lustig machen. Komm, sieh es doch mal so: Diese Wahnsinnigen werden nie wieder jemanden ermorden. Wir konnten die Morde nicht verhindern, die sie bereits begangen haben, aber wir haben sie daran gehindert, weiterzumachen. Und die Elfe - wir haben ihr das Leben gerettet.«

Delilah warf einen Blick hinüber zu der jungen Frau, die nun wieder bei Bewusstsein war. Morio kümmerte sich um sie, und Roz hatte irgendwo in seinen unerschöpflichen Taschen so eine Art Schmerzmittel gefunden. Sie würde durchkommen, aber sie war schwer verletzt. Wir würden sie gleich in die Anderwelt zurückbringen, wenn wir die Burschen dem AND übergaben. »Da hast du wohl recht. Wir können eben nicht jeden Kampf gewinnen. Und wir haben immerhin das fünfte Geistsiegel gefunden.« Sie seufzte und ging zu Morio hinüber, um ihm zu helfen.

Ich setzte mich auf den Altar und wartete auf Camille und Smoky. Roz gesellte sich zu mir und schlang mir einen Arm um die Taille. Er küsste mich auf die Stirn, und ich schüttelte ihn nicht ab oder entwand mich ihm. Dieses eine Mal war mir die tröstliche Geste sogar willkommen.

Mir ging es in Wahrheit nicht viel anders als Delilah, obwohl ich mir das nicht anmerken lassen wollte. Ich war ihre knallharte kleine Schwester, und sie verließ sich darauf, dass ich immer noch einen markigen Spruch draufhatte, wenn sie sich so verletzlich fühlte. Ich würde sie nicht im Stich lassen, indem ich zu erkennen gab, wie sehr mich diese ganze Sache erschüttert hatte.

»Ich nehme an, du willst diesen Rialto aufspüren, sobald wir hier fertig sind.« Roz beugte sich dicht zu mir heran, um mir ins Ohr zu flüstern, doch er schien meine Stimmung zu spüren und knabberte nicht daran.

Ich nickte. »Worauf du dich verlassen kannst. Ich hoffe bei allen Göttern, dass Harolds Cousine nichts Schlimmes passiert ist. Wenn es ihr einigermaßen gutgeht, schalte ich Nerissa ein, damit sie eine Pflegefamilie für die Kleine sucht, irgendwo weit weg von hier. Rialto ist in jedem Fall schon so gut wie tot.«

»Lass mich mitkommen. Ich würde diesem Perversen gern einen Besuch abstatten«, sagte er. »Vanzir hat uns versprochen, dass er und seine Kumpel kurzen Prozess mit dem Haus machen können, das Tunnelsystem eingeschlossen, ohne die Nachbarhäuser in Mitleidenschaft zu ziehen. Ich dachte, das würde dich vielleicht interessieren.«

Roz schüttelte den Kopf. »Ich hasse das. Ich bin ein Incubus. Sex ist mein Ding. Aber obwohl ich Frauen gern verführe, habe ich noch nie - niemals eine Frau vergewaltigt. Und das werde ich auch niemals tun.«

»Ich weiß, dass du so etwas nicht tust«, sagte ich. »Und mich stört noch mehr als das ... dieser ganze Scheiß von wegen dem Ungeheuer eine Frau opfern. Wo haben diese Wichser das bloß her? Aus schlechten Horrorfilmen im Spätprogramm?«

»He, das gibt es nicht nur im Film«, entgegnete Roz. »Welche Kultur hat nicht mindestens eine Gottheit, die ein lebendes Opfer verlangt? Monster sind nur einen Schritt von den Göttern entfernt. «

»Und deshalb hasse ich die Götter«, sagte ich. »Ich komme sehr gut ohne ihre Einmischung klar. «

»Ich auch«, sagte Roz. Ich wusste, dass er das nicht nur so dahinsagte. Zeus und Hera hatten Rozurial und seiner ExFrau wirklich übel mitgespielt, ihrer beider Leben ruiniert und sie für alle Ewigkeit verwandelt.

In diesem Moment traten Camille und Smoky aus dem Ionysischen Meer hervor. Camille sah schläfrig aus, genau wie der Mann, den Smoky mit dem anderen Arm gepackt hielt. Das war Wilbur, kein Zweifel, und er wirkte eher verwirrt als verängstigt.

Nach etwa zehn Minuten hatten Camille und Wilbur die Erschöpfung überwunden, die von der Reise durch die Ionysischen Ströme herrührte. Wir erklärten Wilbur, worum wir ihn bitten wollten, und zeigten ihm das Dämonentor. Dabei erwähnten wir allerdings weder Schattenschwinge noch das, was sich hier abgespielt hatte - nur den Kampf mit der Karsetii.

Er untersuchte das Portal und verzog das Gesicht, als er zusah, wie die Sterne durch die pechschwarze Leere trieben. »Derjenige, der dieses Tor geöffnet hat, hat übrigens auch eure Ghule geschaffen. Schlampige Arbeit. Das Tor ist auf keinerlei fundamentale Richtung festgelegt.«

Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein. »Kannst du es wieder abbauen?«

Wilbur nickte. »Dürfte nicht allzu schwierig sein. Die ganze magische Signatur ist verzerrt. Derjenige, der das Ding geschaffen hat, muss in sehr, sehr finsteren Ecken herumgekramt haben.« Er sah mich über die Schulter hinweg an und runzelte die Stirn. »Derjenige hat eine absurd kranke Seele. «

»Spielt keine Rolle mehr. Er ist tot, und jetzt müssen wir nur noch seine finsteren Taten ungeschehen machen.« Ich sah ihn fragend an. »Du lässt Ghule auferstehen, du arbeitest mit Todesmagie, und trotzdem findest du das hier abstoßend? Wie passt das zusammen?«

Wilbur lachte auf. »Die Todesmagie hat auch ihren Platz. Verurteile mich nicht, ehe du genau weißt, wozu ich sie ge brauche. Du bist immerhin ein Vampir. Solltest du jetzt nicht da draußen sein und jemandem das Blut aussaugen?«

Ich schnaubte. »Touche. Also, was ist nötig, damit du das Tor schließen kannst? Und hinterher vergisst, dass du es je gesehen hast?«

Er starrte mich einen Moment lang an und zog dann eine Augenbraue hoch. »Es wäre nett, meine Nachbarn etwas besser kennenzulernen.« Er beugte sich vor und flüsterte: »Ich habe noch nie eine Vampirin gehabt. Wie ich höre, ist es mit euch heiß wie die Hölle.«

Ich wich einen Schritt zurück. Er wollte, dass ich mich von ihm ficken ließ, damit er das Dämonentor schloss? »Ich bin keine Hure.« Camille hatte mit Smoky geschlafen, um uns wertvolle Informationen zu beschaffen, aber sie hatte sowieso mit ihm schlafen wollen. Das hier war etwas anderes.

Diplomatisches Vorgehen gehörte nicht zu meinen Stärken, und wir waren nicht hier, um Spielchen zu spielen. Ich würde ihn schon dazu bringen, dass er tat, was wir wollten.

»Hör zu«, sagte ich und rückte näher an ihn heran. »Verschließe einfach nur das Tor. Du wirst das Tor verschließen, weil du miserable Arbeit nicht leiden kannst und sie deine Nekromanten-Ehre verletzt. Du wirst es tun, weil du weißt, welches Unheil daraus entstehen könnte. Du wirst dieses Tor verschließen, weil ich dir das Genick breche, wenn du es nicht tust. Und weil ich dir verspreche, dass wir den Dreckskerl finden und umbringen werden, der den Mann unterwiesen hat, dem wir dieses Tor verdanken.«

Wilbur rieb sich das Kinn und lächelte dann schwach. »Ihr Mädchen seid wirklich nicht die hübschen Hohlköpfe, für die ich euch anfangs gehalten habe. Ist mir recht. Gut, ich tue es. Die Situation sieht ja ganz interessant aus«, fügte er hinzu und blickte sich um.

Ich sah das Dämonentor an, dann wieder Wilbur. Wir würden eine Möglichkeit finden müssen, es aus seiner Erinnerung zu tilgen, wenn er fertig war, aber das würde ich gewiss nicht laut sagen. »Bist du so weit?«

Er nickte. »Ich brauche Ruhe und - den da - den Japs.« Er deutete auf Morio.

Ich verzog empört das Gesicht. »Er ist Japaner, kein Japs, du Hornochse. Und er ist ein Yokai-kitsune, der dich in seiner wahren Gestalt am Stück verschlingen könnte. Sei lieber höflich. Du hast keine Ahnung, mit was für Kalibern du es hier zu tun hast, bis auf die Idioten, die den Boden anschnarchen.«

Wilbur zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst. Ich brauche jedenfalls seine Hilfe. Er versteht genug von Nekromantie, um mir die nötige Unterstützung zu geben.«

Wir schleppten die übrigen Mitglieder von Dantes Teufelskerlen hinaus auf den Flur, und nur Morio blieb zurück.

Sobald wir außer Hörweite waren, fragte Camille: »Wie sollen wir nur dafür sorgen, dass er den Mund hält?«

Ich wandte mich an Vanzir. »Ich bitte dich wirklich ungern darum, aber kannst du in seine Träume eindringen und ihm diese Erinnerung stehlen? Er ist ein Zauberer, also weiß ich nicht... «

»Zauberer, Hexe, Sterblicher, das spielt keine Rolle. Solange er schläft und nicht durch Banne abgeschirmt wird, kann ich in seine Träume gelangen.« Vanzirs Miene wirkte gequält. »Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas je wieder tun würde, aber ich nehme an, in solchen Situationen ist meine Gabe recht nützlich.«

Ein hungriger Ausdruck huschte über sein Gesicht, und ich musste daran denken, was er uns erzählt hatte. Er hatte damit aufgehört, den Leuten Lebenskraft und Erinnerungen zu stehlen, und das lange durchgehalten, bis Karvanak, der Räksasa, ihn gezwungen hatte, wieder zu saugen. Und jetzt taten wir ihm dasselbe an. Ich stöhnte leise.

»Ich würde dich ja nicht darum bitten, wenn ... «

»Wenn nicht so viel davon abhinge, dass er sich an nichts erinnert, was er hier sieht oder hört. Schon gut. Aber du musst ihn vorher bewusstlos schlagen.« Er blickte auf mich herab, hob die Hand und streifte ganz leicht mein Kinn. »Ich tue das für dich, und um Schattenschwinge die Arbeit nicht zu erleichtern.«

Ich nickte und knabberte zart an einem seiner Finger. »Danke. Wir alle sind in diesem Krieg gezwungen, Dinge zu tun, die uns nicht gefallen. «

»Seht mal«, sagte Camille und deutete auf das große Fenster, von dem aus man ins Amphitheater hinabschauen konnte. Wilbur und Morio taten irgendetwas, denn das pechschwarze Tor zum Weltraum explodierte plötzlich mit einem weißglühenden Blitz, bei dem wir uns alle zu Boden warfen. Als ich mich langsam erhob und durch das Fenster spähte, war der Raum wieder ganz normal. Wilbur und Morio standen noch da, aber das Dämonentor war verschwunden.

»Jetzt haben wir es fast geschafft«, sagte ich leise. »Ich hole Wilbur.«

Vanzir nickte. »Ich warte hier auf dich.« Es dauerte tatsächlich nicht lange. Ein rascher Schlag auf den Kopf, und Wilbur ging sofort k. o. Vanzir verbrachte fünfzehn Minuten im Astralraum, und als er zurückkehrte, versicherte er uns, dass Wilbur sich an nichts mehr erinnern würde, von dem Moment an, wo er aufgestanden war, weil Camille und Smoky an der Tür geklingelt hatten.

Wir fanden die Schlüssel zu dem Lieferwagen, der neben dem Haus geparkt war, und schafften die Männer im Schutz der Dunkelheit dort hinein.

Ich lief in die Tunnel zurück, um Sabeles Leichnam und Claudettes Kleidung zu holen. In zwei Stunden würde die Sonne aufgehen, und ich kam fix und fertig zu Hause an, wie die anderen auch.

Als wir unsere Auffahrt entlang rumpelten, warteten Yssak und einige Männer der Garde Des'Estar schon auf uns. Sie nahmen die Studenten in Gewahrsam und folgten Camille und Morio zu Großmutter Kojotes Portal, von wo aus sie sie nach Y'Elestrial abtransportierten. Camille und Morio begleiteten sie, um Königin Asteria in Elqaneve zu besuchen und ihr das fünfte Geistsiegel zu überbringen. Außerdem nahmen sie Sabeles Leichnam mit und die verwundete Elfe.

Vanzir machte sich wieder auf den Weg und nahm Roz und den Lieferwagen mit. »Wir kümmern uns in den nächsten paar Stunden um das Haus«, versprach er. »Du hast mein Wort darauf.«

Ich sah die beiden an und nickte ihnen müde zu. »Danke. Ich danke euch beiden für eure Hilfe.«

Smoky vergewisserte sich, dass im Haus alles in Ordnung war, brachte den immer noch ausgeknockten Wilbur nach Hause und ging dann hinauf in Camilles Zimmer.

Delilah und ich saßen im Wohnzimmer, sie mit einer Schüssel Chips und ich mit Maggie auf dem Schoß, und starrten dumpf in den Fernseher.

»Ich weiß nicht recht, was ich Chase sagen soll«, bemerkte sie.

»Wir können ihm nicht sagen, dass wir diese Männer in die Anderwelt deportiert haben. Er steht auf unserer Seite, aber was er nicht weiß, darum braucht er sich auch nicht zu sorgen.« Ich runzelte die Stirn. »Gib ihm nur die Videos. Dann weiß er zumindest, dass sie verdient haben, was auch immer ihnen zugestoßen sein mag.«

Delilah dachte kurz darüber nach, seufzte dann tief und zuckte mit den Schultern. »Ja. Wahrscheinlich hast du recht. Wir haben vier Geistsiegel. Schattenschwinge hat eines. Wenn wir es schaffen, die vier anderen aus seiner Reichweite zu halten, können wir ihn vielleicht zurückdrängen und diesen Krieg gewinnen. Aber mit einer neuen Dämonengeneralin in der Stadt wird das nicht unbedingt einfacher.« Sie steckte sich einen Kartoffelchip in den Mund und ließ den Kopf an die Sofalehne sinken.

»Ich weiß«, sagte ich. »Ich weiß.« Ich schaute aus dem Fenster. »Es dämmert schon. Ich gehe in meinen Keller. Wenn wir ein bisschen Glück haben, passiert heute vielleicht mal nichts Schlimmes.«

Delilah schüttelte den Kopf. »Nein. Es wird nur einen schrecklichen Brand geben, bei dem sämtliche Bewohner des Hauses in den Flammen umkommen.«

Sie nahm mir Maggie ab, setzte sie sich auf den Schoß und schaute weiter fern, während ich mich ins Bett schleppte. Ich wollte um traumlosen Schlaf beten, doch dann fiel mir ein, dass ich den Göttern ja den Rücken zugekehrt hatte. Sie hätten mir sowieso nicht zugehört.