Kapitel 7

 

Ich starrte ihn an und versuchte einzuschätzen, wie ernst es ihm war. Er sah jedenfalls so aus, als sei es ihm verdammt ernst damit. Also fragte ich. »Wer zum Teufel bist du, und was hast du und dein verdammter Ghul auf unserem Grundstück zu suchen?«

Mr. Unheimlich blinzelte. »Ich heiße Wilbur. Ich bin ein Nekromant, das da ist mein Ghul, und ich wäre dir dankbar, wenn du ihn an einem Stück lassen würdest. Er ist davonspaziert, und ich habe es nicht gleich gemerkt - o nein. Du hast ihn kaputt gemacht.«

Ich warf einen Blick auf den Ghul, der nun wieder stand, den Kopf gefährlich weit nach links geneigt, ein schiefes, hirnloses Lächeln im Gesicht. Ich hatte ganze Arbeit geleistet und die Halswirbel völlig zerkrümelt. Er sah ziemlich jämmerlich aus, wie er da stand.

Ich wandte mich wieder Wilbur zu. »Steck den Pflock weg. Dein Ghul war auf unserem Land, er hat unsere Schutzbanne ausgelöst. Was erwartest du also? Wenn du deine Haustierchen ohne Leine herumlaufen lässt, kommen sie schon mal unter die Räder. Wilbur, hast du gesagt?« Ich schüttelte den Kopf. Das hatte uns gerade noch gefehlt. Ein Nekromant, der hieß wie ein Schweinchen, dessen beste Freundin eine Spinne war. »Wo kommst du her, Wilbur?«

Er blinzelte wieder. »Ich bin vor einer Weile ein paar Häuser weiter eingezogen. Das alte Haus der Londons. Ich lebe sehr zurückgezogen und halte ihn normalerweise an der kurzen Leine.« Er wies mit einem scharfen Nicken auf den Ghul. »Aber hin und wieder passiert so was eben.« Er ließ den Pflock sinken, behielt mich aber im Auge. »Du und deine Schwestern, ihr seid ganz schön berühmt. Ich dachte mir, dass Martin hierhin spazieren würde; euer ganzes Anwesen blinkt wie eine riesige Leuchtreklame.«

Bei einem Geräusch auf dem Pfad drehten wir uns beide um. Er hob wieder seinen Pflock, ließ ihn aber sinken, als Delilah und Camille den Pfad entlang gerast kamen. Ich wartete, bis sie uns erreicht hatten und mit verwirrtem Blick versuchten, die Situation einzuschätzen.

»Mädels, das ist unser neuer Nachbar Wilbur. Wilbur ist Nekromant. Ihm gehört dieser Ghul, der übrigens Martin heißt. Anscheinend ist Martin ihm davongelaufen. «

»Martin?« Camille hielt das Einhorn-Horn in der Hand. Ich sah, wie Wilbur es anstarrte, ehe Camille es hastig in der Tasche verschwinden ließ.

Merke: Auf Wilbur aufpassen, dachte ich. Nekromanten waren schon von vornherein nicht besonders vertrauenswürdig, und wenn er gespürt hatte, wie mächtig ihre Waffe war, dann könnte er sehr wohl versuchen, sie ihr zu klauen.

Delilah räusperte sich. »Wilbur? Du bist ein VBM? «

»Ganz schön unhöflich. Aber ja, bin ich. Ich heiße Wilbur Folkes, und ich wohne ein paar Häuser weiter. «

»Wie lange bist du schon Nekromant?«, fragte Camille, ohne den Blick von seinem Gesicht abzuwenden.

Wilbur zuckte mit den Schultern. »Ein paar Jahre. Ich muss zurück ins Labor. Ich habe ein paar Tränke auf dem Herd, die sollen nicht gerinnen. Wenn ihr mir also erlaubt, meinen Ghul einzusammeln, werde ich mich bemühen, dafür zu sorgen, dass er euch nicht wieder belästigt. Ich hoffe nur, dass ich sein Genick wieder hinbekomme«, fügte er mürrisch hinzu.

Ich trat beiseite, und er murmelte ein paar Worte. Martin schlurfte gehorsam zu Wilbur hinüber.

Immer noch argwöhnisch, drehte ich mich zu den anderen um. »Ich sorge dafür, dass Wilbur und Martin sicher zur Straße zurückfinden.« Camille und Delilah nickten, und ich führte unsere Besucher durch das Wäldchen bis zur Straße.

Wilbur hatte anscheinend genug davon, sich mit mir zu unterhalten, und Martin konnte nur grunzen, also hielt ich den Mund. Außerdem fand ich, je weniger er über uns wusste, umso besser. Wir waren uns nur etwa fünf Minuten Fußmarsch von der Straße entfernt begegnet, wenn man querfeldein lief, und Wilbur war für einen so großen Mann ziemlich leichtfüßig. Er eilte ohne Zögern über Baumwurzeln, um Bäume und Büsche herum. Als wir die Straße erreichten, zerrte der schweigende Wilbur Martin grob am Arm über die Straße. Ich sah zu, wie sie den Bürgersteig entlangliefen, und bald sah ich sie zu dem Haus abbiegen, das tatsächlich einmal das der Londons gewesen war. Delilah und Camille waren nicht mehr da, als ich die Stelle erreichte, wo ich den Ghul angegriffen hatte, und ich rannte nach Hause. Sie warteten schon auf mich, als ich in die Küche platzte, und beide hatten einen amüsierten, aber verwunderten Gesichtsausdruck.

»Habt ihr es Iris schon erzählt?«, fragte ich.

»Ja, das haben sie, und das klingt mir schon sehr seltsam, muss ich sagen. Aber ich sollte mich wirklich beeilen und mich fertig machen. Bruce kommt gleich.« Iris ging zurück in ihr Schlafzimmer.

»Also«, sagte ich und schwebte sacht in die Luft hinauf, wo ich mich am wohlsten fühlte. »Was haltet ihr von unserem neuen Nachbarn? «

»Ich glaube, wir werden eines Tages noch bei Gericht landen«, antwortete Delilah. »Bei so einem Fernseh-Richter. «

»Um Himmels willen«, sagte Camille. »Ich traue ihm nicht. Er gefällt mir irgendwie nicht, und eines sage ich euch gleich: Er praktiziert die Nekromantie schon wesentlich länger als ›ein paar Jahre‹. Dieser Mann verfügt über gewaltige Macht, und er stinkt nach Tod.« Sie starrte auf den Tisch nieder. »Ich muss es ja wissen. Morio und ich dringen immer tiefer in die Knochenmagie vor. Das ist ein finsterer Pfad, und je tiefer man kommt, desto dunkler wird er.«

Delilah warf mir einen Blick zu. Ich schüttelte sanft den Kopf. Camille tat, was nötig war. Die Ewigen Alten hatten die Rolle bestimmt, die Morio in ihrem Leben spielen sollte - abgesehen von der des Ehemanns und Beschützers. Es stand uns nicht zu, die beiden oder ihre Entscheidungen zu hinterfragen.

»Glaubst du, dass Wilbur uns belogen hat?« Ich hielt viel von Camilles Instinkt. Er war weitaus zuverlässiger als ihre Mondmagie.

»Also, er sagt die Wahrheit, was seinen Namen angeht, und er ist ein VBM. Aber hinter diesem Dickicht, das er als Bart trägt, ist auch eine Menge verborgen. Ich habe keine starke dämonische Aura gespürt, aber jeder, der Tote auferstehen lässt und Ghule erschafft, muss irgendetwas Übles im Schilde führen. «

»Großartig, eine Sorge mehr für uns. Ich habe schon völlig den Überblick verloren, was zum Teufel wir eigentlich alles -ach ja, richtig. Kätzchen, rufst du Tim an und fragst ihn nach Harish?« Ich runzelte die Stirn und versuchte mich zu erinnern, worüber wir gesprochen hatten, ehe die Banne Alarm gegeben hatten. Camille goss sich ein Glas Wein ein und holte eine Packung Kekse aus dem Schrank. Sie ließ sich am Tisch nieder, während Delilah zum Telefon griff.

»Hallo, Jason, kann ich bitte Tim sprechen?« Sie lehnte sich an die Wand, während sie sprach. Delilah war athletisch und groß etwas über eins achtzig. Ihr schulterlanges blondes Haar konnte einen neuen Schnitt gebrauchen. Nach kurzem Schweigen war Tim offenbar am Apparat, denn sie sagte: »Hör mal, ich weiß, dass du bis über beide Ohren in den Hochzeitsvorbereitungen steckst, aber könntest du mir schnell etwas aus der Datenbank der ÜW-Gemeinde raussuchen? Ich habe nicht alle Daten auf meinem Computer, und wir müssen dringend wissen, ob ein bestimmter Elf aus der Anderwelt hier registriert ist. Sein Vorname ist Harish, den Nachnamen kenne ich nicht. Ja, genau ... H-a-r-i-s-h ... Danke. Ruf mich an, wenn du etwas für uns hast.«

Nachdem sie aufgelegt hatte, fragte ich: »Wann heiraten Tim und Jason eigentlich? Ich weiß, dass wir neulich eine Einladung bekommen haben, aber ich habe sie mir gar nicht richtig angeschaut.«

Camille ging zur Pinnwand, wo wir Notizen und Nachrichten sammelten, und zog eine Reißzwecke aus einem cremeweißen Briefumschlag. Sie reichte ihn mir. Ich öffnete ihn und zog eine Karte aus dickem, stark strukturiertem Papier hervor. Wunderschöne Arbeit, fand ich. Das Papier musste handgeschöpft sein. Ich klappte die Einladung auf, und schwungvolle Schönschrift verkündete:

 

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Dabei lag eine handgeschriebene Nachricht, dass Camilles Ehemänner und Chase natürlich ebenfalls eingeladen seien und auch Iris und ich gern in Begleitung erscheinen könnten.

»Gehen wir alle hin? Was ist mit Iris?« Ich lächelte. Tim und Jason waren schon seit einigen Jahren zusammen. Ihre Beziehung war sehr solide, und es war schön, dass sie sie jetzt offiziell machten. Ein Teil von mir liebte die Rituale und den Prunk von Hochzeitsfeiern.

»Natürlich gehen wir alle hin. Ich habe Roz schon gebe ten, an dem Abend auf Maggie aufzupassen, und er ist einverstanden.« Camille lächelte.

Ich blinzelte überrascht. »Roz? Rozurial ist wieder da?« Rozurial war ein Incubus, der uns seit einiger Zeit im Kampf gegen die Dämonen beistand. Er war ein Söldner, ein Kopfgeldjäger, vollkommen gewissenlos, was Frauen anging, und er sah so gut aus, wie man es sich bei einem Mann nur vorstellen konnte. Er war mir inzwischen ein guter Freund geworden. Wir hatten auch mal ein bisschen herumgeknutscht, aber weiter war ich nicht gegangen. Bis jetzt. Vor etwa drei Wochen hatte Königin Asteria Roz nach Elqaneve zurückbeordert - die Hauptstadt des Elfenreichs -, weil sie irgendeinen Auftrag für ihn hatte.

»Ja. Er ist gestern Nacht wieder aufgetaucht«, informierte mich Delilah.

Meine Stimmung hellte sich auf, und ich merkte, wie sehr ich Roz' respektlose Art vermisst hatte. Das Telefon klingelte, und ich nahm ab. »Das wird Tim sein«, sagte ich. War er aber nicht. Es war Chase. »Also«, sagte ich. »Ich habe Neuigkeiten über den Clockwork Club und Claudette. Aber ich nehme an, du wollest eigentlich Delilah sprechen? «

»Nein. Bitte stell auf Lautsprecher um.« Er seufzte tief, und ich wusste, was auch immer er uns zu sagen hatte, konnte nicht gut sein.

Ich drückte auf Lautsprecher und legte den Hörer beiseite. »Nur zu. «

»Ich brauche euch drei sofort im Hauptquartier. Wir haben ein Problem.« Er klang ungewöhnlich angespannt.

»Was ist passiert?«, fragte Delilah, und ein besorgter Ausdruck legte sich über ihr Gesicht.

»Ich habe hier zwei Leichen, und es gibt keinerlei erkennbaren Grund, weshalb sie tot sein sollten. Aber das sind sie. Beide sind Feen - eine aus der Anderwelt, eine erdgeboren.« Er hustete. »Könnt ihr in einer halben Stunde da sein?«

Ich warf Delilah und Camille einen Blick zu, und beide nickten.

»Wir kommen«, sagte ich. Als ich auf die Lautsprechertaste drückte, um das Gespräch zu beenden, betrat Iris den Raum. Mir blieb der Mund offen stehen.

Iris war immer hübsch, aber heute Abend verlieh sie dem Wort eine völlig neue Bedeutung. Ihr Haar schimmerte, zu einem geflochtenen Knoten hochgesteckt, und ein mit Perlen besticktes, tief ausgeschnittenes Kleid mit Nackenband in der Farbe eines klaren Abendhimmels betonte ihre Figur. Der krönende Effekt war ein glitzernder Schal in Gold und Schwarz, den sie um die Schultern drapiert hatte.

»O ihr Götter, du siehst umwerfend aus!« Camille starrte sie an. »Bruce wird zu keuchen anfangen, wenn er nur einen Blick auf dich wirft. «

»Iris, du siehst wunderschön aus«, sagte ich. »Aber wir brauchen leider sofort einen Babysitter für Maggie, weil Chase gerade angerufen hat. Wir müssen schnell da rüber.«

Iris lächelte. »Kein Problem«, sagte sie und schaute über unsere Schultern hinweg. »Wir haben Besuch.«

Ich blickte mich um. Roz war eben zur Tür hereingekommen. »Roz, du musst heute Abend auf Maggie aufpassen. Bruce hat gerade angerufen. Die Limousine ist schon in der Auffahrt.« Iris überprüfte ihre Handtasche. »Ich habe Geld, meine Schlüssel und mein Handy. Wenn die Welt untergeht, könnt ihr mich anrufen. Ansonsten werde ich wohl nicht vor Sonnenaufgang zu Hause sein.« Sie warf uns eine Kusshand zu und schob sich an Roz vorbei, der ihr lange nachschaute und einen leisen Pfiff ausstieß.

Iris blieb abrupt stehen, drehte sich um und sagte: »Wie bitte?« Roz grinste. »Das kannst du mir doch nicht verdenken, oder? Möchtest du deine Verabredung absagen und stattdessen mit mir ausgehen?«

Obwohl er dabei lachte, wusste ich, dass er es ernst meinte. Er mochte in einem Staubmantel aus schwarzem Leder stecken, aus dem er nonchalant eine Mini-Uzi zücken konnte, aber unter den süßen langen Locken und den zahllosen Waffen schlug das Herz eines Erotomanen. Eines sehr netten und hilfreichen Erotomanen, aber er war und blieb eben sexbesessen.

Iris klimperte mit den Wimpern, warf ihm eine Kusshand zu und schwebte zur Tür hinaus.

»Verdammt, sieht die Frau heute Abend scharf aus«, murmelte er, ehe er sich umdrehte. Camille schnaubte, und Delilah pfiff betont desinteressiert vor sich hin. Roz sah enttäuscht aus. »Was denn? Keine von euch will mit mir schlafen, ganz egal, wie lange ich darum bettle. Und du ...« Er deutete auf Camille. »Dein Mann ist ein Irrer, also wag es ja nicht, ihm zu erzählen, dass ich das gesagt habe.«

Vor ein paar Monaten hatte Smoky Rozurial aus dem Haus in den Vorgarten geschleift und beinahe pulverisiert, weil er gemerkt hatte, wie Roz Camille an den Hintern gegriffen hatte. Roz hatte danach keinen hübschen Anblick geboten. Seitdem achtete er darauf, Camille nicht zu nahe zu kommen, außer sie brauchte Hilfe.

»Na los, wir müssen uns beeilen. Roz, du hast Babysitter-Dienst. Maggie liegt schon im Bett. Schau ein paarmal nach ihr. Wir sind im AETT-Hauptquartier. Kleines Leichenproblem.« Ich drückte ihm einen raschen Kuss auf die Nase. »So, jetzt betrachte dich als geküsst und hör auf zu jammern. Und iss uns nicht die ganze Küche leer.«

Während wir uns Handtaschen und Schlüssel schnappten und zur Tür hinauseilten, schimpfte Roz uns stammelnd hinterher. Delilah und Camille kicherten und gackerten bis zu Camilles Auto. Als sie den Motor anließ, blickte ich aus dem Fenster zu den Sternen auf. Von Leichen und Ghulen mal abgesehen, konnte der Sommer erdseits auch sehr schön sein -wenn er auch in Seattle etwas kühl ausfiel. Wenn ich all das nur ein einziges Mal bei Tageslicht sehen könnte, dachte ich, während wir durch die laue, duftende Nacht fuhren.