Kapitel 17

Neuanfang

Sekou stand am Hühnerstall und lehnte sich gegen den Zaun. Er genoss es, die beiden Kinder beim Spielen zu beobachten, weil sich dabei ein lang ersehntes Gefühl der Normalität einstellte. Sie hatten sich unwahrscheinlich schnell erholt und jagten nun Hühnern hinterher. Die Strapazen waren ihnen noch immer anzusehen und ihre kleinen dünnen Körper hatten nicht genug Kraft, um über längere Zeit schnell laufen zu können, aber ihnen ging es besser.

Sekou winkte die Kinder zu sich heran, damit sie ihr Spiel unterbrachen und etwas Flüssigkeit zu sich nahmen.

„Los Kinder. Wir besuchen Onkel Matteo.“

Die Kinder tranken ihre Wasserflasche hastig leer und ließen sich von Sekou auf den Arm nehmen. Die beiden hatten schnell Vertrauen zu dem Afrikaner gewonnen. Sicher, weil er an ihrer Rettung beteiligt war. Vor den anderen zierten sie sich noch ein wenig.

Matteo putzte gerade den Innenraum der Fortuna, als er die Dreiergruppe zu Gesicht bekam.

„Hey Sekou“, rief er. „Du machst dich als Babysitter echt gut.“

„Ach, spar dir deine Sprüche. Die beiden erinnern mich einfach an einen lebendigeren Teil meines Lebens. Hast du nachher mal Zeit für mich? Ich würde gern unter vier Augen mit dir sprechen.“

Matteo wunderte sich, hatte aber nichts dagegen.

„Klar Mann, ich bin hier noch ein Weilchen beschäftigt. Bring die beiden zu Franco in den Trakt. Der passt sicher gern auf sie auf.“

Mittlerweile hatten sie herausgefunden, wie die Zwillinge hießen. Das Mädchen nannte sich Alma, der kleine Bub hieß Ali. Ihr Italienisch war für ihr Alter entsprechend gut. Matteo entlockte den beiden Vierjährigen, dass ihre Eltern aus dem Iran stammten. Matteo war einfach nur froh, ihr Leben gerettet zu haben. Genauso wie Sekou, der sein Verhalten auffällig geändert hatte, nachdem er wieder auf die Insel zurückgekehrt war. Er wirkte lebensfroher und weniger negativ, als noch vor Tagen. Nach einer viertel Stunde kehrte Sekou an den kleinen Hafen zurück und setzte sich auf die Rückbank der Fortuna. Matteo hatte den Innenraum mit Wasser ausgewaschen und reinigte ihn gerade ein zweites Mal mit Desinfektionsmittel. Er entsorgte alle mit Blut besudelten Gegenstände. Bald würde nichts mehr daran erinnern, was in diesem Boot einmal passierte.

„Nun? Was hast du mit mir zu besprechen, Sekou?“

Der Afrikaner rang offensichtlich nach Worten.

„Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Ich habe dich im Stich gelassen und hätte dich erst gar nicht allein gehen lassen dürfen.“

„Ich gebe zu, ich war ein wenig irritiert. Aber dir waren die Menschen eben egal. Du hast sozusagen Gleiches mit Gleichem vergolten. Deine Gründe dafür, haben wir ausgiebig erörtert.“

Sekou sah zerknirscht aus.

„Matteo. Ich habe einen Fehler gemacht. Ja, mir war alles scheiß egal. Du warst es aber nicht, deshalb bin ich dir ja auch gefolgt.“

Matteo rieb sich den Dreck von den Händen und sah Sekou skeptisch an.

„Du blöder Penner. Wärst du nicht aufgetaucht, hätten die Aasfresser mich zerfleischt. Eine Minute später, wäre ich wahrscheinlich entkräftet ins Meer gesprungen und jämmerlich ersoffen. Und mit mir die beiden Zwillinge.“

„Ja, das hat mir auch die Augen geöffnet. Du hattest Recht. Wir müssen den Überlebenden helfen. Wir haben hier so viel Platz, wir könnten hier auf der Insel einen...“

Sekou machte eine Pause, als wolle er sich nicht ganz offenbaren.

„Einen Neuanfang wagen? Ja, den Gedanken hatte ich auch schon. Die Insel ist perfekt dafür. Das Problem werden eher die Überlebenden sein. Du hast gesehen was in Livorno abging. Das war nur die Spitze des Eisbergs. Die Stadt ist voll mit Untoten.“

„Vielleicht wäre es besser, wenn wir ein wenig außerhalb der Stadt suchen würden. Die, die aus der Stadt flüchten konnten, hatten sicher eine bessere Überlebenschance, als die, die sich in den Städten versteckt hielten.“

„Ja, das ist sicher richtig. Als Erstes möchte ich aber trotzdem ein großes Schild, oder eine Markierung an der Hauptstraße in Livorno hinterlassen. Eine Art Sammelpunkt bei der Akademie. Wenn das jemand sieht, könnten sie sich in der Akademie verstecken, bis wir sie holen. Außerdem wollte ich dort sowieso nochmal reinschauen. Da gibt es sicher allerhand zu holen.“

Sekou dachte nach. Sammelpunkte an Orten, an denen sich Flüchtige verstecken konnten. Ja, dachte er, das war eine gute Möglichkeit. Er sponn den Gedanken weiter.

„Wir sollten solche Sammelpunkte auch in Buchten, oder Häfen markieren und regelmäßig mit dem Boot abfahren“, stellte Sekou fest.

„Na, siehst du!“, sagte Matteo und sah ihn nun versöhnlicher an. „Das ist doch fast ein Plan, oder?Und Sekou?“

„Ja?“

„Deine Entschuldigung ist angenommen. Sie war zwar scheiße, aber so wie du dich manchmal aufführst, wird es sicher nicht die Letzte bleiben.“

„Das nächste Mal bring ich dir Blumen und Pralinen mit, du dämlicher Italiener.“

Matteo musste lauthals lachen. So gut hatte er sich seit langer, langer Zeit nicht mehr gefühlt.