Kapitel 10

Frühling

Die Tage des Ausbruchs waren vorbei und der Frühling stand bevor. Im Februar war der letzte Schnee geschmolzen und die Temperaturen kletterten endlich wieder auf zweistellige Plusbereiche, die die Natur zu neuem Leben erweckten.

Die drei diskutierten seit Tagen, wann sie nun endlich in die Toskana aufbrechen würden. Helge wollte so schnell wie möglich los, Liz und Stefan hatten es weniger eilig. Obwohl sie in den letzten Wochen aufgrund der Kälte leiden mussten, fiel es ihnen schwer, den kalten Norden Europas und damit Deutschland zu verlassen und damit die imaginäre Grenze am Rande des Bodensees zu überschreiten, die eigentlich nur ein vergangenes Relikt der Menschheit war.

Sie hatten es gut auf der Insel. Es gab ein Restaurant mit genügend Vorräten für die nächsten zwölf Monate und eine eigene, wenn auch nicht beheizbare Unterkunft. Außerdem hatten sie die Insel bereits erfolgreich gegen die Untoten abgeschottet. Der kommende Abschied setzte ihnen mehr zu, als es jeder Einzelne zugeben wollte. Hauptsächlich jedoch war es das Gefühl, eine Reise ins Ungewisse antreten zu müssen. Sie wussten was sie auf den kommenden Kilometern zu erwarten hatten und dennoch waren sie fest entschlossen, ihren Weg zu gehen, denn der Winter würde wiederkommen und ihre errichteten Barrikaden nicht für alle Ewigkeiten halten. Außerdem gab es noch dieses eine Versprechen, dass Stefan dem toten Marty gegeben hatte.

Um genug transportieren zu können, waren sie lange auf der Suche nach den passenden Wagen gewesen und hatten dabei nahezu jede Garage auf der Insel aufgebrochen. Es mussten widerstandsfähige, aber halbwegs wendige Autos sein. Nicht zu groß und nicht zu langsam. Bestenfalls mit robustem Dieselmotor und keinem hochgezüchteten Turbobenziner, der sie mit seinem kleinen Maschinchen auf den Bergpässen im Stich lassen könnte. Ihre Wahl fiel auf einen schwarzen Mercedes Viano Transporter, mit bekanntem 2.2 Liter Dieselaggregat, den sie einem Bauern abgeluchst hatten. Er würde ihn nicht vermissen, da sie ihn mit Strick um den Hals in seinem Schlafzimmer aufgefunden hatten.

Nach dem zweiten Wagen mussten sie länger suchen. Stefan wollte unbedingt wieder einen Porsche Cayenne, da er mit diesem auf seiner Flucht mit Marty bereits gute Erfahrungen gemacht hatte. Aber so einer war weit und breit nicht aufzutreiben und so fanden sie schließlich einen grauen VW Amarok. Kein Traum, aber exakt das, was die benötigen würden. Sogar als Allradversion und ebenfalls mit Zweiliter Dieselmotor, sowie dickem, verchromten Stoßfänger, den sein Besitzer vermutlich nachträglich angebracht hatte.

Tagelang suchten die drei allerlei Zeug zusammen, von dem sie dachten, dass es auf ihrem Trip in den Süden nützlich sein könnte. Darunter waren einige Kanister Wasser, pro Wagen je vier Kanister mit jeweils zwanzig Liter Diesel, Motoröl, ein Gartenschlauch, vier Ersatzreifen, Kleidung, Decken, Kissen, Lebensmittel, ein Kanister Benzin für Molotow-Cocktails, einige leere Glasflaschen, Feuerzeuge, Desinfektionsmittel, einen Werkzeugkasten, zwei Bunsenbrenner mit Ersatzgaskartuschen, zwei Ersatzbatterien, ein Starterkabel, einige Küchenutensilien, Schlafsäcke, Klopapier, ein Abschleppseil, zwei Flaschen guten Gin, Medikamente und jede Menge Waffen.

Die Ladefläche des Amaroks nutzten sie für die sperrigen Dinge, wie die Ersatzreifen und den Sprit. Im Viano wurden hauptsächlich die kleineren Utensilien untergebracht. Sicherheitshalber platzierten sie kleine Teilmengen auch im jeweils anderen Auto, um beim Verlust eines Wagens nicht völlig aufgeschmissen zu sein.

Die beiden Wagen standen seit Tagen abfahrbereit vor der modernen Holzfassade ihrer Unterkunft. Stefan stand am Amarok und trat in Gedanken gegen den rechten Vorderreifen. Er sog die frische Morgenluft ein, die angenehm nach Frühling roch und bemerkte Bewegungen in der Wiese hinter dem Viano. Zwei Eichhörnchen spielten Fangen und änderten permanent ihre Laufrichtung. Heute war ein guter Tag um ihre Reise zu starten. Stefan war die permanente Aufbruchsstimmung sowieso leid. Er hatte sich bereits am Morgen seine schwarze Armeeausrüstung angezogen und trug nun ebenfalls noch seine schwarze Kampfweste, sowie die passenden braunen Armeestiefel, die er mit Marty auf dem Armee-Stützpunkt in Böblingen erbeutet hatte. Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie sie dem Tod von der Schippe gesprungen waren. Martin hatte dem riesigen Zombie, der sie auf dem Stützpunkt gejagt hatte, im letzten Moment mit der Schrotflinte den Kopf weggeschossen und er prügelte mit seinem Baseballschläger auf die beiden Untoten ein, die sich wie die letzten Idioten im Türrahmen des Schießstandes verkeilt hatten. Das war nur einige Monate her, aber er fühlte sich, als wäre er in dieser Zeit unglaublich gealtert. Er wusste, dass er ernster wurde, seit Marty nicht mehr da war. Was hatten die beiden nur ständig für einen Scheiß gelabert, dachte er.

„Hey Kumpel!“, sagte Helge. „Du siehst ja ganz schön reisefertig aus.“

„Nicht wirklich, Helge. Nicht wirklich.“

„Ach komm. Liz sitzt schon fast im Wagen. Wir sind beide fertig.“

„Wusste ja gar nicht, dass heute der große Tag gekommen ist“, stellte Stefan fest.

„Naja, als du heute in deiner Prinzessinnenuniform zum Frühstück gelaufen bist, wussten wir schon, was die Stunde geschlagen hat. Außerdem ist heute ein guter Tag zum Losziehen. Keine Wolke weit und breit.“

Stefan drehte sich zu Helge und musterte ihn eingehend.

„Prinzessinnenuniform? Und du machst einen auf SM-Sheriff, oder wie? Hast du dich schon von deiner Harley verabschiedet?“

Helge breitete die Arme aus und sah an sich herab. Er stand in seinem kompletten Bikeroutfit vor Stefan. Er trug Bikerstiefel, seine dicke Lederhose, sowie seine Lederjacke mit dickem Rock Machines Aufnäher. Dazu passend, ein schwarzes Jack Daniels T-Shirt.

„Ja, hab ich. Eine verdammte Schande ist das! Aber was gibt es bitte an meinem Outfit auszusetzen?“

„Du, nichts. Vielleicht finden wir für dich ja noch einen Untoten, dem wir seine Ray-Ban abnehmen können“, grinse Stefan. „Jetzt bin ich dann mal auf Liz gespannt“, sagte er und sah zum Eingang der Unterkunft, weil er die Tür gehört hatte.

„Ahhhh, Modell Tchibo-Outdoor“, begrüßte er sie, als er sich ein Bild ihres Outfits gemacht hatte.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte sie, als sie neben Helge stand und versuchte, Stefans Blick zu deuten.

„Alles okay. Praktisches Outfit, genau richtig für unseren Trip!“, antwortete Stefan, dem es ganz recht war, dass sie nicht im engen Tank-Top vor ihm stand, sondern eine weinrote Outdoor-Jacke trug, die ihre weiblichen Formen eher versteckte, als hervorhob. Wer wusste schon, auf wen sie alles treffen würden. In einem schlechten Film hätte er ihr noch die Haare abgeschnitten und das Gesicht mit Schuhcreme eingeschmiert. Bei dem Gedanken daran, begann er wieder zu grinsen.

„Mann, Stefan, manchmal bist du mir echt ein Rätsel“, sagte Liz, die Stefans Schmunzeln bemerkte. „Also kann es jetzt tatsächlich losgehen, oder wie?“

Konnte es nicht. Stefan musste noch die rote Sicherheitsaxt holen, die er vor einer Weile in Martys Zimmer gefunden hatte. Nach einer weiteren halben Stunde waren sie tatsächlich so weit loszufahren. Helge hatte die Unterkunft abgeschlossen und ließ den Schlüssel im Schloss stecken. Der nächste menschliche Besucher würde sich bestimmt freuen.

Stefan schnappte sich den Amarok, weil er lieber Automatik fuhr und Helge setzte sich zusammen mit Liz ans Steuer des Vianos. Beide Fahrzeuge waren mit Navigationssystem ausgestattet, welches noch immer funktionierte. Das Netz aus GPS Satelliten schien, auch ohne Mithilfe durch den Menschen, störungsfrei seine Dienste zu verrichten.

Sie hatten sich bereits vor Tagen eine passende Route durch die Schweiz und über den San Bernardino Pass überlegt. Große Städte wollten sie unbedingt soweit möglich vermeiden. Dabei wogen sie zwischen den breiten Autobahnen, die in der Regel an den dicht bevölkerten Gegenden vorbei führten und den weniger bevölkerten Orten, aber dafür schmaleren Landstraßen ab, auf denen ebenso Schwierigkeiten lauern konnten.

Ihr Weg würde sie durch Volketswil und an Zürich vorbei, in Richtung Chur führen. Danach weiter über den San Bernardino Pass und nach Lugano. Dann würde mit dem Einzugsgebiet von Mailand bald die größte Hürde folgen. Bis dahin mussten sie aber noch einige Kilometer herunterreißen und mit etwas Glück würden sie einen Weg finden, Mailand sicher umgehen zu können.

Da sie keine Walkie-Talkies auftreiben konnten, hatten sie ausgemacht, lieber die Lichthupe zu benutzen, um auf sich aufmerksam zu machen, als die Gegend mit der richtigen Hupe aufzumischen. Stefan saß am Steuer und ließ den Motor an, der sich kurz schüttelte und ein kaum hörbares Nageln von sich gab. Im Kopf ging er noch einmal alles durch, was er vergessen haben könnte. Das war nicht viel. Persönliche Dinge besaß er nicht mehr. Mit wenigen Ausnahmen. Die Wichtigste war die Seiko, die er Marty nach seinem Tod abgenommen hatte und die ihn immer an ihn erinnern würde. Er sah sie an und konnte fühlen, wie ihm der kommende Aufbruch die Luft abschnürte. Er sah auf den leeren Beifahrerplatz und stellte sich vor, wie viel entspannter er wohl wäre, wenn sein alter Kumpel wieder neben ihm sitzen würde. Er zog den Schalthebel auf die D-Stellung und gab sanft Gas, um Helge folgen zu können. Der Wagen war überraschend straff gefedert und hatte bequeme Ledersitze. Er drehte sich ein wenig in Richtung des Fensters und nahm eine Sitzposition ein, bei der er das Lenkrad bequem mit einer Hand führen konnte. Die beiden Wagen rollten aus der Einfahrt des Camping-Platzes heraus und ließen das Schild mit der Aufschrift Sandseele hinter sich. Die Location hatte ihnen gute Dienste geleistet und sie ließen sie schweren Herzens hinter sich. Helge war kein Raser und fuhr mit seinen vierzig Kilometern pro Stunde fast ein wenig zu langsam über die Hauptstraße. Zumindest für Stefans Geschmack. Sie fuhren an den Bauernhöfen und den angrenzenden Gewächshäusern vorbei und erreichten bald die Stelle, an der sie Marty verbrannt hatten. Unbewusst schauten alle drei zu seiner Totenstätte herüber und ließen für wenige Sekunden ihren Gedanken freien Lauf.

Nur Minuten später erreichten sie die einzige Brücke, die von der Insel herunterführte. Sie war noch immer mit den Wohnmobilen zugestellt, die sie vor Wochen dort platziert hatten, um die Toten daran zu hindern, wieder auf die Insel zurückzukehren. Helge hielt den Viano an und stieg aus. Stefan blieb im Wagen sitzen und beobachtete, wie Liz ihn deckte, während er eines der Wohnmobile zur Seite fuhr, um die Durchfahrt auf die Brücke zu ermöglichen. Die beiden Wagen fuhren hindurch und Stefan signalisierte Helge, dass er warten sollte.

Die Möglichkeit, dass sie auf Reichenau zurückkehren würden, war zwar mehr als gering, aber Stefan musste die Zufahrt einfach wieder schließen. Es war so viel Arbeit gewesen die Insel zu säubern, dass er es einfach nicht übers Herz brachte, Reichenau für die Untoten freizugeben. Er fuhr das Mobil der Marke Hymer an seine Position zurück und stieg auf der Beifahrerseite wieder aus. Erstaunlich, dass die Wagen beim Feuerinferno nicht mehr in Mitleidenschaft gezogen worden waren und noch immer liefen. Das würde sich ändern, wenn ihre Batterien in ein paar Wochen ihren Geist aufgeben würden. Stefan stieg wieder in den Amarok und begutachtete die kahle Mondlandschaft des natürlichen Damms, der die Insel mit dem Festland verband. Er war etwa einen Kilometer lang und an seiner breitesten Stelle vierzig Meter breit. Hier hatten sie die Untoten der Insel zusammengetrieben und verbrannt. Die Vegetation des Damms war bis auf wenige Grasbüschel niedergebrannt, und noch immer ließen sich dunkle, verrußte Stellen finden, die die Natur noch nicht ausgebessert hatte. Selbst die schöne Allee, die die Straße mit mächtigen Bäumen gesäumt hatte, war verschwunden. Stattdessen standen nur noch vereinzelt tote Baumstämme am Wegesrand.

Langsam näherten sie sich ihrem Ground-Zero. Der Stelle, an der die Feuerhölle losgebrochen war. Auf einem Wohnmobil stehend, hatten die drei Männer minutenlang Molotow-Cocktails in die grunzende Menge geworfen. Vermutlich verbrannten an diesem Tag an die dreihundert Körper und befreiten die Insel so von ihrer untoten Last.

Helge ließ den Viano nur noch in Schrittgeschwindigkeit rollen, denn die letzte Blockade, ebenfalls aus platzierten Wohnmobilen bestehend, lag nun direkt vor ihnen. Zumindest das, was von den Fahrzeugen noch übrig geblieben war. Stefan bekam Gänsehaut, als er auf die vielen Knochen herab blickte, die überall auf dem Boden lagen. Der Damm ähnelte einem einzigen verkohlten Schlachtfeld. Nicht einmal der Winter hatte es geschafft, die Spuren des Feuers zu verwischen. Es hatte so heiß gebrannt, dass der Teer der Straße an vielen Stellen mit den Schädeln der Untoten verschmolzen war, und man fast meinen konnte, sie würden sich durch die Straße kämpfen um ein weiteres Mal aufzuerstehen.

Die Mitte des Damms war frei befahrbar und an dessen Ende sah Helge bereits die graue C-Klasse, die sie nach der Aktion stehen gelassen hatten, weil sie von innen mit dem Blut der Untoten eingesaut war. Wie die meisten Fahrzeuge würde auch dieser Wagen im Laufe der nächsten Jahre verwittern und eines Tages ein bemitleidenswertes Zeugnis der menschlichen Zivilisation sein. Helge erinnerte sich daran, wie er die Untoten mit der Schrotflinte daran hinderte, in den Wagen zu klettern. Sie hatten die Meute mit dem wild hupenden Wagen von der Insel gelockt. Als Martin versehentlich einen Baum rammte, schafften es doch einige Untote, in den Wagen zu gelangen und die beiden schützten sich, indem sie den Kofferraum der C-Klasse mit dem Blut explodierender Zombieköpfe kontaminierten. Helge erkannte die mittlerweile braune Flüssigkeit, die von innen an den Fenstern klebte, noch immer deutlich.

Die beiden Fahrzeuge bogen nach links ab und schlugen den Weg ein, der sie vor Monaten herbrachte. Die andere Richtung würde bedeuten, dass sie die Grenze zur Schweiz in Konstanz überqueren mussten, was sie mitten durch die Stadt führen würde. Das wollten alle drei vermeiden und so nahmen sie den Umweg über Schaffhausen. Die Autobahn hatte sich kein Stück geändert. Liz erkannte sogar das ein oder andere Wrack auf der Straße wieder. Sie sah sich die Straßen an, und empfand es noch immer erdrückend, die einst so saubere Autobahn verschmutzt und verdreckt vorzufinden.

Stefan kümmerte sich nicht weiter um den Zustand der Straße. Endlich hatte er mal seine Ruhe und zog die Motörhead CD aus dem Handschuhfach, die er dort deponiert hatte. Er ließ eines seiner Lieblingslieder laufen. Ace of Spades. Genau seine Art von Musik. Er nickte zufrieden mit dem Kopf und sah sich die verlassene Gegend an, während er darauf achtete, genug Abstand zu Helge zu halten. Sie passierten gerade Singen und Stefan wusste, dass das Zollamt in wenigen Minuten erreicht war. Er hoffte inständig, dass dort nicht allzu viele Probleme auf sie warteten. Die Autobahn schlängelte sich weiter voran und vor ihnen lag ein kurzer Tunnel, den sie ohne Vorkommnisse durchfahren konnten. Stefan machte sich ein wenig Sogen, da bis Gorgona noch viele Tunnel vor ihnen lagen und sie nicht jeden würden umfahren können. Die dunklen Röhren stellten eine riesige Gefahr dar.

Helge bremste stark ab, da sich die A81 nun in eine Landstraße verwandelte und ein Kreisverkehr mit merkwürdigen Skulpturen vor ihnen lag. Liz begutachtete das verrostete Eisenkonstrukt, konnte dessen Bedeutung aber nicht erkennen. Die Sonne schien auf das Schild, auf dem Schaffhausen stand, und leitete ihren Blick auf den dahinter liegenden Hügel mit seinem dichten grünen Wald. Die Gegend sah so friedlich aus, dabei lauerte vermutlich hinter jeder Ecke der Tod. Helge gab kurz Gas, als er am Rand der Straße drei wankende Untote erkannte, die interessiert zu den beiden fahrenden Autos sahen und sich in Bewegung setzten. Einer der drei fiel direkt auf seine Schnauze, weil er als einziger hinter der Leitplanke stand und nicht mit den beiden anderen mithalten konnte. Stefan sah dem Dreiergespann im Rückspiegel nach und war froh, dass er die erste Konfrontation mit dem Tod noch etwas hinauszögern konnte.

Die Gegend wurde nun wieder deutlich gewerblicher, weil sie sich der Schweizer-Grenze näherten. Liz sah bereits den hässlichen großen Überstand des Zollamtes, der von dicken, gelb lackierten Stahlträgern gehalten wurde, und auf einem Bett kleinerer, ebenfalls gelber Rohre lag. Die Achtziger, aus der die Konstruktion stammte, waren ein architektonischer Graus. Helge hatte weniger die Konstruktion im Blick, als vielmehr die vielen Autos, die das Chaos unter dem Überstand komplettierten.

„Sieh mal Liz, hoffentlich müssen wir nicht gleich wieder umdrehen!“

„Halt mal an. Da vorne bewegen sich Körper“, sagte sie und sah konzentriert nach vorn.

„Klasse. Da ist man kaum dreißig Kilometer gefahren und schon geht’s los“, meckerte Helge.

Stefan hielt links vom Viano an und ließ die rechte Seitenscheibe herunter. Helge tat es ihm gleich. Ihre Fahrbahn war komplett blockiert. Überall standen Wagen, zwischen denen sich Untote tummelten und begannen, sich aus ihrer Starre zu befreien. Die Gegenfahrbahn sah etwas besser aus. Scheinbar wollten mehr Deutsche in die Schweiz als anders herum.

„Was tun wir? Auf der Gegenfahrbahn haben wir kaum genug Platz. Das wird mir zu eng. Außerdem laufen gleich überall Untote herum. Sollen wir umkehren und uns durch das Industriegebiet schlagen?“

Helge dachte angestrengt nach. Sie waren noch etwa hundert Meter von der Grenze entfernt und eine Umfahrung war aufgrund der Zollgebäude und hohen Leitplanken kaum möglich. Die Gegenfahrbahn war nun ebenfalls komplett dicht, aber links von ihr erspähte er einen noch immer freien Gehweg, der direkt am Zollgebäude entlang führte. War nur noch das Problem mit den Untoten, die sich nun sammelten und näher an die beiden Fahrzeuge heranströmten. Er ging die Alternativen durch, aber entweder würden die Fahrzeuge leiden, oder ihr Munitionsvorrat. Helge sah sich den Gehweg genauer an und kam zum Schluss, dass sie die Kreaturen von dort weglocken mussten, um dann freie Bahn zu haben. Das war die ökonomischste Lösung.

„Stefan“, rief Helge aus dem Fenster und verlor die Traube der Untoten dabei nicht aus den Augen. „Wir locken sie gemeinsam einige Meter weiter nach hinten, dann können wir sie über den Gehweg hinweg umfahren. Wenn wir sie nicht weglocken können, gibst du Vollgas und knallst durch. Du hast den Stoßfänger! Wir folgen dir dann einfach.“

Stefan dachte darüber nach. Der Gehweg war tatsächlich breit genug für beide Fahrzeuge.

„Alles klar“, erwiderte Stefan, der zum selben Schluss gekommen war.

Stefan legte den Rückwärtsgang ein und ließ den Wagen langsam zurückrollen. Helge folgte ihm. Vor ihnen bildete sich eine breite Front aus Untoten. Liz versuchte nachzuzählen, stoppte aber bei über dreißig und schätzte die Menge auf mehr als fünfzig. Liz wurde, genauso wie die anderen beiden, langsam nervös. Zwar hatten sie mittlerweile viel Kontakt zu Untoten gehabt, aber so viele auf einem Haufen hatten sie schon lange nicht mehr gesehen. Die Front wurde, mit jedem Meter, den sie die Kreaturen zurück lockten, breiter. Stefan schwante bereits, dass der Plan nicht ganz aufgehen würde.

„Helge!“, rief Stefan aufgeregt, als er die Musik wieder leiser drehte. „Noch zwanzig Meter zurück, dann knall ich auf der Gegenfahrbahn durch die Arschgeigen durch! Folgt mir einfach.“

Helge sah sich die untote Linie, die Ähnlichkeiten mit dem Streik von Arbeitern hatte, ebenfalls genauer an. Sie standen maximal zu zweit hintereinander und Helges Zuversicht wuchs wieder ein Stückchen.

„Alles klar, Mann! Hau rein!“

Die Fahrzeuge bewegten sich weiterhin zurück. Plötzlich gab Stefan Gas und bog auf die Gegenfahrbahn ab. Liz musste sich festhalten, als Helge ebenfalls beschleunigte und hinter Stefan herfuhr.

Stefan machte das Fenster zu, trat das Gaspedal ganz durch und wunderte sich kurz über die Kraft, die der Diesel an das DSG weiterleitete. Der Amarok machte einen kleinen Satz und donnerte über den halbhohen Begrenzungsstein der Mittellinie, der die Spuren kurz vor dem Zollamt zusammenführte. Stefan war bereits voll in Fahrt und spürte seinen Puls an der Schläfe hämmern, was nicht allein an Lemmys gegrölten Worten und den Riffs von Motörhead lag.

„Dance, Dance, ready or not!“, schrie Stefan im Takt der Mucke und so laut, dass Liz es sogar noch im Viano hören konnte.

Der VW lag ziemlich hoch, so dass die fast kahlen Köpfe der zwei Untoten, die zu ihrem Pech ganz vorn standen, an der Motorhaube aufschlugen und platzten. Die hinteren Untoten hatten etwas mehr Glück und wurden durch die davon geschleuderten Körper umgerissen. Stefan war durch die Front durch und Helge hatte mit dem Viano leichtes Spiel. Er fuhr langsamer und spürte das Brechen der Knochen in seinem Hintern, als er einen der Infizierten versehentlich überrollte. Er verzog angeekelt das Gesicht und war froh, dass Stefan den dreckigeren Part übernahm. Der Amarok rollte nun mit etwa dreißig Kilometern pro Stunde über den Gehweg des Zollamts hinweg und umfuhr somit geschickt das Chaos der gegenüberliegenden Fahrbahn.

„Puh, das wäre geschafft“, stellte Helge fest und sah zu Liz rüber, die sich noch immer am Türsteg festhielt, aber halbwegs entspannt wirkte.

„Kann man so sagen.“

Liz beobachtete im Seitenspiegel einen der Körper beim Aufstehen. Die Dinger waren teilweise echt unbeholfen. Brandgefährlich aber total unkoordiniert. Zumindest, wenn sie nicht mehr frisch waren. Die drei ließen das Zollamt und die folgende Tankstelle hinter sich und fuhren die verdreckte Autobahn weiter nach Schaffhausen. Die nächsten Kilometer führten sie durch ein bergiges Waldstück. Stefan dachte daran, wie er als Kind mit seinen Eltern nach Spanien fuhr und sich in Schaffhausen immer über die vielen Schienen wunderte, die die Stadt hinab führten. Er hatte kein gutes Gefühl bei dem Gedanken an die Durchfahrt durch Schaffhausen, wusste aber, dass es der kürzeste Weg war und die breiten Straßen teilweise dreispurig wurden. Er sprach sich Mut zu, konnte Schaffhausen beim Blick in die Ferne aber bereits sehen. Wie vermutet, nahm die Anzahl an Wracks auf der Straße wieder zu.


***

„Fuck, Helge, das hier ist echt eine Todeszone“, sagte Liz, deren Puls sich wieder in die oberen Regionen verirrte, als sie vereinzelt Untote am Straßenrand bemerkte. „Ob das so eine gute Idee war, durch Schaffhausen zu fahren? Sie mal, die stehen überall.“

„Klar seh ich die, bin ja nicht blind. Wenn wir irgendwo nicht weiterkommen, dürften wir halt nicht lange zögern und müssen wieder umdrehen. Ist nur die Frage, wie wir dann nach Volketswil kommen. Irgendwo müssen wir den Rhein ja auch überqueren.“

„Dein Wort in Gottes Ohr. Würde mich interessieren, wie es Stefan so alleine im Wagen geht.“

„Nach Schaffhausen können wir ja mal halten und du steigst bei ihm ein. Dann hat er ein wenig Gesellschaft.“

Stefan ging es tatsächlich nicht allzu gut so allein. Die vielen Untoten ließen ihn immer mehr an ihrem Plan zweifeln. Die Stadtautobahn führte immer tiefer in das ehemals schöne Schaffhausen hinab. Mittlerweile sah es ziemlich verwittert aus. Überall lag Müll herum. Vereinzelt sah Stefan kaputte und eingestürzte Gebäude im großen Industriegebiet, dass sie gerade passierten. Er konnte sich nicht ansatzweise erklären, wie das passiert sein konnte, denn nirgends standen Fahrzeuge der Armee und Brandspuren sah er auch nicht. Plötzlich musste er einem Untoten ausweichen, der mitten auf der Straße stand und auf ihn zulief. Er riss das Lenkrad reflexartig herum und schalt sich im selben Moment für seine Dummheit.

„Niemals ausweichen, immer draufhalten! Fuck!“, fluchte er.

Zu seinem Glück erwischte er keines der Autowracks und sah im Rückspiegel bereits, wie Helge den Untoten souverän umfuhr. Er musste besser aufpassen und durfte sich nicht dermaßen ablenken lassen.

Sie fuhren über eine leere Brücke und überquerten die Gleise des Hauptbahnhofs. Auf den Nebenstraßen war die Hölle los. Zwar wurde der stehende Verkehr auch auf der Stadtautobahn dichter, aber jemand hatte Vorarbeit geleistet und bereits das ein oder andere Wrack zur Seite geschoben. Das konnte Stefan an den Schleifspuren auf dem Asphalt gut erkennen. Hier hatte sich also bereits jemand eine Schneise durch die Stadt geschlagen. Sie waren nicht allein unterwegs, aber Stefan konnte keine Aussage darüber treffen, wann die anderen Überlebenden hier durchgekommen waren. Helge hatte die Spuren ebenfalls gesehen und stieß Liz an, um sie ihr zu zeigen.

„Auf der einen Seite beruhigt mich das“, sagte er.

Liz begutachtete die zur Seite geschobenen Wracks.

„Ja, und auf der anderen Seite wissen wir nicht, wie die anderen so Ticken“, komplettierte Liz seinen Satz. „Ich weiß was du meinst. Scheiße verflucht. Eigentlich müssten wir Überlebenden doch alle zusammenhalten, oder?“

„Allerdings! Aber der Mensch bleibt eben doch nur ein Mensch“, erwiderte Helge.

Stefan saß nicht mehr ganz so entspannt im Wagen, wie zu Beginn der Fahrt. Er hatte das Radio abgestellt um sich besser auf die Straße konzentrieren zu können. Es lag wirklich einiges herum. Nicht nur Müll, auch Wrackteile und Metallsplitter. Er ließ den Wagen mit knapp dreißig Kilometern pro Stunde die abschüssige Autobahn herunterrollen und umfuhr dabei alles, was nicht so aussah, als könne man es problemlos überfahren. Wenigstens war der Mittagshimmel noch immer wolkenlos und die Sonne schien auf die Stadt herab und wärmte Stefans Ellenbogen, der auf dem Fensterabsatz lag. Im Grunde war Schaffhausen ein sehr schönes Städtchen, dass vom Rhein geteilt wurde und leicht im Tal lag. Hier konnte man in der Altstadt wunderbar Kaffee trinken und anschließend Europas größten Wasserfall, den Rheinfall, bestaunen. Dazu hatten die drei allerdings keine Zeit, denn Stefan bemerkte in einiger Entfernung mal wieder eine unheilvolle Ansammlung an Autowracks, und deutete die vielen am Boden liegenden Schatten als Leichen. Genauer konnte er die Farbtupfer aber noch nicht deuten. Die Autobahn war mittlerweile zur breiten Straße geworden. Vor ihnen lag der Bahnhof und mit ihm, hatten sie nun auch das Zentrum der Stadt erreicht.

Er hielt den Wagen sofort an und sah sich um. In der näheren Entfernung liefen keine Untoten herum. Zumindest hier war die Luft also rein. Im Rückspiegel konnte er beobachten, wie Helge mit den Schultern zuckte und ihn fragend ansah. Stefan griff nach seinem M-16 Gewehr, das im Beifahrerbereich am Sitz lehnte und stieg aus. Er ließ die Tür offen stehen und lauschte. Die Stadt war totenstill. Er kannte das noch aus Stuttgart, aber die unheimliche Stille einer großen Stadt, würde ihn vermutlich immer wieder in seinen Bann ziehen. Der sanfte Wind rauschte an seinen Ohren und aus großer Entfernung drang ein dumpfer Schlag, den er nicht deuten konnte. Vielleicht war einfach nur ein Untoter von irgendeinem Dach gefallen, dachte er.

Er hielt sein Gewehr in Fahrtrichtung und sah durch sein Fernrohr. Mit den Farbtupfern sollte er Recht behalten, denn in etwa sechshundert Metern erkannte er ein regelrechtes Massaker. Ineinander verkeilte Autos und Leichen wohin er auch sah. Dann bemerkte er, dass es sich bei der Stelle um den Kreisverkehr handelte, den er vor wenigen Minuten auf dem Display des Navis gesehen hatte. Der Kreisel wurde von den Wracks leicht verdeckt. Dort mussten sie auf jeden Fall durch, denn das Navi hatte keine Alternativroute parat. Der Kreisverkehr lag kurz vor dem Rhein, der sie zur Brücke führen würde, mit der sie dann abschließend den Fluss überwinden und wieder aus der Stadt verschwinden konnten.

Stefan suchte die nähere Umgebung weiter nach Gefahren ab. Links vor dem Kreisverkehr lagen die langen Haltestellen des Hauptbahnhofs, dessen Gebäude auf der Gegenüberliegenden Straßenseite standen. Stefan begriff, dass sie jetzt wirklich mitten in der Stadt waren und fragte sich, wieso sie wirklich geglaubt hatten, dass es eine halbwegs gute Idee war, durch Schaffhausen hindurch zu fahren. Ganz im Gegenteil, es war der Wahnsinn. Jeden Moment konnten Untote aus allen Ritzen kriechen. Schließlich lebten hier zehntausende Menschen. Außerhalb des Wagens fühlte er sich plötzlich unheimlich schutzlos und bekam Gänsehaut. Er schwenkte sein Visier auf die rechte Seite und suchte die lange Fassade des weißen Firmengebäudes ab. Ein modernes Gebäude, dessen Fassade alle fünf Meter durch Stahlfenster mit außen montierten Alujalousien unterbrochen wurde. Vor dem Gebäude lagen Leichen auf der Straße. Eine konnte er aufgrund ihrer starken Verwesung gerade noch so als solche erkennen. Vor einem schräg abgestellten Toyota Rav4 lagen drei Aluminium Koffer. Einer davon stand offen und erbrach seinen Inhalt in Form von verwitterter Kleidung auf die Straße. Die Leiche neben dem Toyota war allerdings keine Leiche. Stefan bemerkte, dass sich der Kopf, dem bereits die Augen fehlten leicht hin und her bewegte. Der Untote war dermaßen verwest und hatte so ledrige Haut, dass sich Stefan nicht vorstellen konnte, wie er sich jemals noch erheben sollte, ohne sich dabei nicht selbst in Stücke zu zerreißen. Dennoch musste er sich seine Position merken, da er sich vorgenommen hatte, die Dinger nie wieder zu unterschätzen.

Plötzlich spürte Stefan eine Berührung an der Schulter und zuckte erschrocken zusammen. Helge stand auf einmal hinter ihm.

„Alter! Schleich dich doch nicht so an, verdammt!“, zischte Stefan, dessen Herz kurz ausgesetzt hatte.

„Hätte dich wohl kaum rufen können, du Nase! Ist echt unheimlich hier. Was hast du gesehen?“

„Da vorne beim Kreisverkehr verkeilen sich mal wieder zig Wagen. Sieht aus, als hätte es einen Kampf gegeben. Viele Körper liegen in der Gegend herum“, sagte Stefan. „Da müssen wir dran vorbei. Ein Umweg wird schwer. Wir könnten es höchstens durch die engen Gassen dort hinten versuchen.“

Stefan zeigte zwischen die benachbarten Gebäude.

„War wohl nicht so die geilste Idee, durch Schaffhausen zu fahren, was?“, bemerkte Helge und grinste schief. „Also durch die Gassen dort fahre ich aber sicher nicht. Dann lieber da vorn durch, kurz am Rhein entlang, über die Brücke und dann haben wir es fast geschafft.“

Er sah auf einmal ein Blitzen in Stefans Brillengläsern und fragte sich für den Bruchteil einer Sekunde, was es war.

„Hinter dir Helge. Liz will etwas.“

Helge drehte sich um und sah direkt in die schnell aufblitzenden Scheinwerfer des Vianos. Liz betätigte die Lichthupe und winkte panisch mit den Armen. Dann zeigte sie nach hinten und Stefan verstand was los war. Sie waren im Anmarsch.

„Fuck Helge, da kommen die Arschgeigen. Schnell, lass uns weiterfahren!“

In etwa hundert Metern Entfernung hatte sich eine Gruppe von Infizierten gebildet, die der Straße folgte und mitten auf sie zu walzte. Von Minute zu Minute wurden es mehr. Stefan stieg in den VW und löste die Handbremse. Sein Wagen rollte als erster los und quietschte kurz mit den Reifen, als er zu viel Gas gab. Die Leiche ohne Augäpfel drehte interessiert ihren Kopf, als sie das Geräusch des Gummis auf dem Asphalt hörte und begann den Kiefer zu bewegen. Liz wurde allmählich unwohl. Sie hatte sich abgeschnallt, um besser nach hinten sehen zu können und löste damit ein nervtötendes Piepen aus.

„Wie sieht es aus, Liz?“, fragte Helge, der sich von dem Warnton nicht aus dem Konzept bringen ließ.

„Scheiße sieht es aus. Das sind bestimmt schon fast fünfzig von diesen zerfledderten Pennern! Und es werden immer mehr. Sie kommen aus allen Ritzen. Immerhin sind wir schneller als die. Ein paar laufen zwar voraus, aber rennen kann keiner von denen.“

„Na immerhin. Stefan meinte, dass es vorne zur Sache ging. Schnall dich besser wieder an.“

„Was soll das heißen?“, fragte Liz, sah aber bereits was los war, als sie ihren Blick nach vorne gerichtet hatte.

„Oh Mist. Hoffentlich kommen wir da durch.“

Stefan hatte den Bahnhof schon hinter sich gelassen und suchte bereits eine Lücke zwischen den Fahrzeugen, doch die Straße war komplett blockiert. Sie war so dicht gestellt, dass man bei der geordneten Reihung von Fahrzeugen meinen konnte, jemand hatte das absichtlich so vorbereitet. Stefan bremste fünf Meter vor der Blockade ab und sah sich um. Auf der rechten Seite vor dem Kreisel stand ein großer Van. Stefan erkannte ihn als hellgrauen Ford Galaxy. Vor dem Galaxy lag ein langes Abschleppseil, das an der B-Säule eines der Fahrzeuge befestigt war, das in der Reihe mit den anderen stehend, die Straße blockierte. Nun konnte er sich einen Reim darauf machen. Die zerfetzten Leichen vor dem Ford, die umher liegenden Untoten und die ganzen Patronen, die er nun am Boden liegen sah. Das ergab Sinn. Diese armen Hunde hatten es nicht geschafft. Sie wurden von den Untoten überfallen. Genauso wie sie jetzt gleich, wenn sie sich nicht beeilen würden.

Stefan holte das Gewehr aus dem Wagen und rannte auf Helge zu, der den Viano gerade hinter ihm zum Halten brachte und die Scheibe herunterließ.

„Da liegt ein Seil, Helge. Ich mach das am VW fest und ziehe einen der Wagen damit zurück. Fahr du ein Stück zur Seite und halte Ausschau nach der Meute da hinten.“

„Beeil dich, Stefan. Das sind keine zweihundert Meter mehr zwischen denen und uns.“

„Ja, verdammt. Wenn es nicht klappt, drehen wir um und fahren wie vorhin direkt durch sie hindurch. Das sind zu viele für mein Gewehr und deine Flinte.“

Liz hielt sich mit ihrer Meinung zurück und betrachtete gebannt von ihrem Beifahrersitz aus, wie die Menge der Untoten unkoordiniert in ihre Richtung stapfte. Sie hatte die Schnauze von denen gestrichen voll, aber sie wollte lieber vorwärts kommen, als umzudrehen und sich eine Schneise durch die verwesten Körper pflügen zu müssen. Helge legte den Rückwärtsgang ein und drehte den Wagen um neunzig Grad, damit er bereit war, die Richtung zu wechseln, falls es doch notwendig wurde.

Stefans M-16 wippte beim Laufen an seiner Seite, da er es sich um den Hals gehangen hatte. Er verfolgte das Seil bis zur Frontschürze des Ford. Dort war es mit einem dicken Knoten an der Abschleppöse festgemacht, die aus einer kleinen Luke der Frontschürze herausschaute. Der Knoten saß bombenfest und ließ sich nicht so einfach lösen. Stefan fackelte nicht lange und zog sein Armeemesser, das in der rechten Außentasche seiner Weste steckte. Das Messer war extrem scharf, hatte mit dem zentimeterdicken Seil dennoch Probleme. Stefan riss das Messer wie ein Gestörter hin und her und hatte es bereits zur Hälfte durch, da hob er den Kopf und sah, dass die Untoten bereits erschreckend nahe herangerückt waren. Da lag nur noch wenig mehr als die Länge der Bahnhaltestelle dazwischen. Er musste sich beeilen. Das Seil riss mit einem Ruck und er rannte damit auf den Amarok zu.

„Fuck, verdammt!“, fluchte er, als er merkte, dass es zu kurz war, denn es hing ebenfalls noch am Wagen in der Blockade fest.

Er musste den VW näher heran fahren und ließ das Seil sofort fallen. Helge saß mit der Flinte und geöffneter Tür derweil im Mercedes. Er winkte mit den Armen um ihm zu signalisieren, schneller zu machen. Immerhin gab er ihm auch Deckung.

„JA JA!“, formte Stefan mit den Lippen und sprang in den Wagen. „Dass das immer so verdammt knapp werden muss, verflucht!“

Die ganze Aufregung raubte ihm die Kraft schneller als sonst. Stefans Körper fühlte sich schlaff an. Er setzte sich mit der rechten Pobacke auf den Fahrersitz und zog die Handbremse. Der Wagen rollte sofort weiter, als er zusätzlich in den Leerlauf schaltete. Über dem Seil blieb er stehen, schob den Schaltknauf nach vorn und riss die Handbremse wieder nach oben. Dann hastete er hinaus und fluchte über die beiden im Viano, weil er die ganze Arbeit hatte und sie nichts anderes taten, als ihn mit erhobenen Waffen im Auge zu behalten

„Wo zum Teufel befindet sich nur die verkackte Abschleppöse an diesem scheiß Auto?“

Stefan fummelte an der Frontschürze des VW's herum und band das Seil schließlich am Stoßfänger fest, in der Hoffnung, dieser würde die hohen Zugkräfte vertragen. Er sah noch einmal zum Galaxy, der parallel zu den blockierenden Autos stand. Es sah nicht so aus, als hätten sie überhaupt versucht, den Wagen von seinem Platz zu ziehen. Das machte ihm Mut, denn der Amarok war zwar ein wuchtiges Auto, hatte aber sicher auch nicht deutlich mehr Kraft als der Galaxy. Er riss an seinem Dreifachknoten und nickte zufrieden Helge zu, der erwartungsvoll hinter dem Steuer saß.

Die Untoten waren noch etwas weniger als hundert Meter entfernt. Liz sprach bereits Gebete in sich hinein und entsicherte vorsichtshalber ihre Pistole.

Stefan setzte sich in den Amarok, stellte den Wählhebel auf R, löste wieder die Handbremse und ließ den Wagen zurückrollen. Er sah, wie sich das Seil langsam spannte und sich das Wrack, ein roter Peugeot 208, in seine Richtung neigte. Er hörte das Metall ächzen, aber der Amarok blieb stehen, als das Seil volle Spannung hatte. Dann gab er sanft Gas. Nichts rührte sich. Der Motor heulte nur auf und der Peugeot knarzte noch ein wenig lauter. Stefan wurde mulmig zumute. Er gab Vollgas. Die Front des Wagens senkte sich nach unten und der Motor jaulte auf wie ein angeschossener Elefant. Auf einmal tat es einen Schlag und der Amarok jagte, den roten Kleinwagen mit sich ziehend, nach hinten. Plötzlich traf Stefan die Erkenntnis, dass er in der Scheiße saß, weil er den Wagen jetzt an der Angel hatte und das Seil wieder losbekommen musste. Der Wagen war weit genug aus der Lücke gedriftet und Stefan bremste so rüde ab, dass der Peugeot noch einen weiteren Meter nach hinten schlitterte. Er stand jetzt hinter Helge und Liz und sah, dass die Untoten nur noch wenige Meter vor sich hatten. Helge zeigte nach hinten und schrie etwas.

„Ja! FUCK! Das weiß ich auch, dass die gleich hier sind!“, fluchte Stefan und formte mit den Händen ein Lenkrad um Helge dazu zu bewegen, endlich durch die Lücke zu fahren.

Er riss die Handbremse nach oben und sprang mit der Axt, die er aus dem Fußraum des Beifahrersitzes gezogen hatte, wieder aus dem Wagen. Stefan rannte vor, holte mit der Axt aus und zog voll durch. Das am Boden liegende Seil riss sofort, aber er war dennoch zu langsam. Drei Untote hatten bereits das Heck des Wagens erreicht. Er warf die Axt vor die Fahrertür auf den Boden, um die Hände für sein Gewehr frei zu haben und setzte es an. Eine Salve aus ohrenbetäubenden Schüssen zerfetzte die drei Körper und warf sie rückwärts auf den Boden. Der Rückstoß des Gewehrs hämmerte an seiner Schulter und die abgegebenen Schüsse hallten noch immer in der gesamten Stadt. Hier würde es bald von Untoten wimmeln, dachte Stefan und rannte wieder zur Fahrerseite. Er hob die Axt auf und sprang in den Wagen hinein.

Die restlichen Untoten hatten den VW nun ebenfalls beinahe erreicht. Ohne auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden, löst er die Handbremse und gab Gas. Der Wagen machte ungewollt einen Satz zurück und gab einige dumpfe Schläge von sich, als er mit dem Heck des Wagens in die Untoten prallte. Stefan, der in aller Aufregung vergessen hatte, wieder in Fahrstellung zu schalten, bremste ab und drückte den Schalthebel nun schnell wieder nach vorn. Dann schlug er das Lenkrad ein und jagte am Peugeot vorbei. Helge hatte die Lücke bereits durchfahren und Stefan tat es ihm gleich. Viel zu schnell raste er durch die Blockade und wäre fast mit dem Viano zusammengestoßen, der hinter der Blockade auf ihn wartete. Helge ließ den Wagen wieder anrollen und sie setzten ihre Reise auf der doppelspurigen Straße fort, die sie am Rhein entlang und zu der großen Brücke führte, die im Hintergrund bereits in den Himmel ragte. Stefan atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Sie mussten unbedingt aus der Stadt raus, denn er war sich sicher, dass er mit seiner dämlichen Aktion alle Untote in der Umgebung angelockt hatte.