Kapitel 12

Die Altstadt

Matteo sparte sich das Putzen des Bootsinneren. Er hatte sich vorgenommen, es ohnehin nur für die Überfahrt nach Livorno zu nutzen und mit dem Blut von Untoten wollte er auch nur dann in Kontakt kommen, falls es nicht zu vermeiden war. Es war früh am Tag und er hatte seine Ausrüstung bereits am Vortag auf dem Boot verstaut. Sein Rucksack umfasste mehrere Flaschen Wasser, Brot und getrocknetes Fleisch. Zwar wollte er keinen längeren Ausflug wagen, aber die anderen mahnten ihn zur Vorsicht, und so packte er doch mehr ein, als er wollte. Monti konnte er sogar überreden, ihm seine Machete zu geben. Neben ihr vertraute Matteo natürlich auf seine Pistole und mehrere Reservemagazine. Mit viel Glück würde er weitere Waffen in der Stadt finden.

Sekou hatte zuletzt noch viel auf ihn eingeredet. Ebenso Franco. Aber beide konnten ihn nicht zum Bleiben bewegen. Matteo musste einfach wissen, wie es um das Festland stand. Er war fest entschlossen und hatte noch immer die Hoffnung, Überlebende zu finden.

Nachdem Matteo den Motor gestartet hatte beugte er sich über die Reling und löste das Anlegetau. Die vier restlichen Inselbewohner standen am Steg der Bucht. Wenigstens Franco, der dicke Koch, hatte ein betrübtes Gesicht. Sekou wirkte gefasst wie immer. Ventura grinste schief und Monti wirkte abwesend. Ein merkwürdiger Moment für Matteo. Es wirkte fast so, als wüssten alle, bis auf ihn selbst, dass sie sich nie wieder sehen würden. Matteo richtete sich auf und sah Sekou ins Gesicht, der nun beschämt zur Seite sah. Scheinbar war ihm doch bewusst, dass er seinen Kumpanen im Stich ließ. Matteo konnte seine Enttäuschung nicht ganz verbergen, wollte es den anderen aber auch nicht unangenehmer machen, als die Situation ohnehin schon war.

„Also Jungs, dann will ich mal. Mit etwas Glück bin ich heute Abend, spätestens aber morgen wieder hier.“

„Pass ja auf dich auf, Matteo“, rief Franco mit noch immer hängenden Mundwinkeln. „Wir brauchen dich hier!“

Der Dicke hob die Hand zum Winken und brachte damit seinen ganzen Oberkörper in Wallung. Jetzt sah auch Sekou in seine Richtung und nickt ihm zu. Matteo bemerkte seinen Blick und dachte daran, wie viel sicherer es wäre, wenn er jemanden als Begleitung hätte, würde aber sicherlich keinen von ihnen anbetteln mitzukommen. Derweil Sekou als einziger eine echte Verstärkung gewesen wäre. Matteo nickte zurück und trat an das Steuer. Er zog den minimalistischen Aluminiumhebel der Schaltung nach hinten, drehte am Ruder und gab sanft Gas. Das Boot setzte leicht zurück und stellte sich in schrägem Winkel zu den verwitterten Brettern des Stegs. Als der Winkel passte und das Boot genug Abstand hatte, nahm er das Gas weg und schob den Ganghebel wieder in nach vorn. Er sah über die Schulter und hob ein letztes Mal die Hand zum Abschiedsgruß.

„Halt dich fern von der Innenstadt, du Verrückter“, rief Ventura.

Matteo musste schmunzeln, weil der einzige Verrückte Ventura war. Dann stellte er den Gashebel auf etwa ein Drittel Gas und der Motor des Bootes gab ein tiefes Brummen von sich. Langsam verließ er die Bucht der Insel und steuerte in unruhigere Gewässer. Nachdem er das Boot noch mehr beschleunigt und einige Kilometer hinter sich gebracht hatte, sah er sich doch um. Die Insel sah beeindruckend aus. Ein Fels im Meer, unterbrochen von einer riesigen Kerbe, in der der kleine Hafen und die verlassene Stadt lag. Oben am Rand des Felsens sah er den Wachturm und dahinter die Gebäude der Anstalt. Es war das erste Mal seit vielen Jahren, dass er die Insel verließ und doch fragte er sich, ob er das Richtige tat. Er befürchtete zu wissen, was ihn erwartete und hoffte doch, dass es weniger schlimm war. Aber was war die Alternative? Mit den anderen vier bis an sein Lebensende auf der Insel zu vegetieren? Nein, das konnte es nicht gewesen sein. Die Insel bot so viel, um weiteren Überlebenden einen Neustart zu ermöglichen. Vielleicht würde er ja in einigen Jahren sogar so etwas Ähnliches wie eine Familie haben. Er schüttelte die Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die bevorstehende Aufgabe. Sicher anlegen und einen ersten Überblick über die Lage bekommen. Das musste fürs erste genügen.

Der Wellengang schlug an den Rumpf der Fortuna und ließ für einen kurzen Moment Stille herrschen, als dessen Bug für den Bruchteil einer Sekunde reibungslos in der Luft hing. Dann tauchte das weiß lackierte Fieberglas des Rumpfes wieder in das salzige Meerwasser ein und das Schauspiel wiederholte sich. Matteo genoss die rhythmischen Bewegungen und behielt die Treibstoffanzeige im Auge. Der Tank war halb voll, aber er wusste, dass die Überfahrt nur eine knappe Dreiviertelstunde dauerte und er den Weg sicherlich viermal schaffen würde, bevor er den Tank nachfüllen musste. Im Hafen hatten sie eine kleine Tankstation für die Boote und Matteo hatte bereits nachgesehen. Die Tanks dort waren nahezu voll.

Die Silhouette am Horizont wurde allmählich zu einer Stadt und er überlegte, wo er am besten anlegen würde. Er kannte sich in Livorno nicht aus, hatte aber von den anderen erfahren, dass man mit dem Boot bis in die Innenstadt fahren konnte. Ein Stadtbezirk wurde sogar Neu-Venedig genannt, weil er aufgrund der vielen Kanäle daran erinnerte. Matteo wusste bisher nur, dass Livorno einen der größten italienischen Häfen besaß und auf diesen steuerte er gerade zu. Auf Höhe eines beeindruckenden Walls, der als Wellenbrecher fungierte, nahm er das Gas weg und steuerte das Boot gegen die Strömung in die Bucht des Hafens hinein. Er passierte einen Leuchtturm, der vermutlich an die zweihundert Jahre auf dem Buckel hatte und das Ende einer langen Mauer darstellte, die sich den gesamten Wall entlang zog. Das einzige Zeichen der Neuzeit waren die riesigen Tetrapoden aus Beton, die die aufgeschütteten Steine des Walls und damit dessen Wirkung als Wellenbrecher, verstärkten.

Einige hundert Meter voraus sah er ein riesiges gelbes Stahlgerüst. Es war nur der erste von vier riesigen Beladungskränen. Vor ihm ruhte ein Tanker. Matteo konnte kaum glauben, dass vor dem Hafen nur noch ein einziges großes Schiff lag. Aber es waren weit und breit keine weiteren Boote oder gar Contaiinerschiffe zu sehen. Er durchkreuzte nun das Hafenbecken und fuhr in einigem Abstand am massiven Beckenrand entlang.

Die See war ruhig und er konnte den Motor so weit herunter regeln, dass er nur noch ein leises Säuseln von sich gab. Für eine Hafengegend war es erschreckend ruhig. Um anlegen zu können, musste er aufgrund des hohen Beckenrands auf jeden Fall weiter hinein fahren. Er hielt nach einem Kanal Ausschau, mit dem er in das Innere der Stadt kommen würde, konnte aber hinter dem ersten großen Verladungsbecken, hinter dem auch der Kran stand, noch nichts erkennen. Ohne das er etwas machen musste, wurde das Boot durch die sanfte Strömung an der Mauer entlang geführt. Dutzende blaue und rote Container stapelten sich am Rand und nahmen ihm die Sicht auf die Stadt. Matteo hatte noch ein gutes Stück vor sich, bis er die lange Bucht hinter sich lassen würde und tiefer in den Hafen eindringen konnte.

Unvermittelt spritzte auf der linken Seite des Bootes Wasser in die Luft und er fragte sich, welche Art von Fisch so hoch springen konnte, da hörte er einen lauten Schlag am Bug und sah einen dunklen Schatten im Wasser verschwinden. Kurzzeitig irritiert, sah sich Matteo um, dann verstand er endlich. Sie versuchten auf sein Boot zu springen. Zwischen den Containern erschienen zahlreiche Untote. Es waren genug, um ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken zu jagen. Matteo reagierte sofort und drückte den Gashebel nach vorn. Das Boot beschleunigte und er steuerte es wieder vom Beckenrand weg. In sicherer Entfernung drehte er das Boot und sah sich um. Er schätzte sie auf über hundert. Sie drängten sich so dicht an den Rand, dass immer wieder einige von ihnen ins Wasser fielen und untergingen. Matteo schluckte. Er hatte noch nicht einmal angelegt und schon sah er sich mit Dutzenden von Untoten konfrontiert. Das Boot trieb rückwärts über den Rand des Beckens hinaus und so konnte er nun auch in das Innere des Hafenbeckens blicken. Es war vollkommen verstopft. Verstopft mit gekenterten Booten, Gepäckstücken, Müll und Körpern. Die Wucht des Ausmaßes der Epidemie traf ihn erneut. Vermutlich war tatsächlich die ganze Welt am Arsch. Er setzte sich auf den Kapitänssitz und versuchte, sich zu sammeln. Erst das fortwährende Platschen, der ins Wasser fallenden Untoten, holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Sie schienen das Boot zu beobachten und liefen ihm am Rand so weit wie möglich hinterher. Er musste hier weg. Aber nicht zurück zur Insel, denn diese Blöße wollte er sich weder selbst, noch den anderen gegenüber geben.

Er steuerte das Boot weiter am Ufer Livornos entlang und erreichte bald einen großen Gebäudekomplex mit kleinerer und gut einsehbarer Anlegestelle. Der Weg vom Anlegeplatz zum Gebäude hin, war mit einem schwarz emaillierten Zaun umgeben, auf dem er ein Schild mit der Aufschrift Accademia Navala di Livorno entdeckte. Die Marineakademie also. Das erklärte auch die eingezäunte Anlegebucht.

Matteo nahm das Gas komplett weg, legte den Rückwärtsgang ein und steuerte ein wenig gegen die Strömung, um anlegen zu können. Er band die Fortuna mit einem Abstand von etwa einem Meter an einer der Stahlklampen fest, die im Beton der Anlegestelle eingelassen waren. Er wollte unbedingt verhindern, dass die Untoten, warum auch immer es welche versuchen sollten, einfach auf das Boot gelangen konnten. Nachdem er sich mehrfach umgesehen hatte, lief er vorsichtig am mit weißen Kalksteinen gemauerten Gebäude entlang. Ein historischer Bau, der ihm den Eindruck vermittelte, ein Verwaltungsgebäude zu sein. Es war noch intakt und durch die lichtgrau abgehobenen Rundbogenfenster konnte er hässlich eingerichtete Büros erkennen. Am Ende des Weges musste die Hauptstraße sein, zumindest hatte die Ordnung dort ein Ende. Er sah Autos, die einfach abgestellt worden waren, wo sie gerade hinpassten.

Er war so darauf fokussiert, was vor ihm lag, dass er beinahe über den verwesten Körper gestolpert wäre, der an einer der Türen lehnte, die ins Innere des Gebäudes führte. Die dunkelblaue Uniform der Leiche lag so platt auf dem Boden, als hätte man sie dort platziert, um sie besser zusammenlegen zu können und nur ein mit pergamentartiger Haut überzogener Schädel deutete darauf hin, dass dies einmal ein Mensch war. Matteo konnte die Todesursache nicht erkennen, wusste aber, dass die vielen dunklen Flecken auf dem Boden vom Blut des Seemannes stammen mussten.

Der Anblick der Uniform brachte ihn auf den Gedanken, dass es irgendwo auf dem Gelände der Akademie auch Waffen geben musste. Vielleicht würde er die anderen doch noch überreden können, ihn zu unterstützen. Das Gelände erschien ihm nämlich halbwegs sicher zu sein.

Er stand nun am Eck des letzten Flügels und hatte auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine gelbliche Sandsteinmauer vor Augen, die einen Sportplatz verbergen musste, da er dahinter Flutlichter in den Himmel ragen sah. Die Sonnenstrahlen blendeten ihn kurzzeitig, als er den Flutlichtern mit seinem Blick folgte, dann sah sich wieder auf der Straße um und lauschte. Es war totenstill in der Stadt. Selbst in so großer Entfernung konnte er noch das leise Rauschen der Brandung hören. In unregelmäßigen Abständen verstopften Wagen die Straße und der Wind hatte in den letzten Monaten gute Arbeit beim Verteilen des Mülls geleistet. So sah also eine Geisterstadt aus, dachte Matteo und lief geduckt am mittlerweile halbhohen Zaun der Akademie entlang, der ihn zu dessen Pförtnerhäuschen und auf die Straße führen würde.

Matteo kauerte sich an das kleine Haus aus weißem Holz und zog die Machete aus der Scheide, die an seinem Gürtel befestigt war. Er hatte Geräusche von der Straße gehört. Metallisches Klopfen. Nicht sehr weit weg. Er lief zur hohen Hecke vor, die den Zaun der Akademie in unregelmäßigen Abständen verzierte und suchte nach der Ursache des Geräusches. Ein Untoter lief die Straße herunter, direkt auf ihn zu und prallte dabei gegen die Autos, die ihm im Weg standen. Hatte das Ding ihn wirklich bemerkt? Obwohl er so vorsichtig war? Falls ja, überlegte Matteo, musste er noch viel aufmerksamer sein, denn bisher hielt er die Untoten für abgestumpfte Monster, die nur auf ausladende Gesten reagierten. Er beobachtete den Untoten dabei, wie er weiter in seine Richtung stolperte. Er hatte ein zerfetztes, schwarzweiß gestreiftes Fußballtrikot an. Der Untote sah nicht ein einziges mal zu ihm herüber. Es musste Zufall sein, dass er in seine Richtung lief. Der Untote war nur noch zehn Meter entfernt und mittlerweile auf dem Gehweg der Akademie. Matteo drehte sich wieder weg und wartete. Aufgrund der restlichen Stille konnte er das Geräusch seines unregelmäßigen Schrittes genau orten. Er kauerte sich hinter der Hecke und ließ den Untoten an ihm vorbei wanken. Aus der Nähe sah er noch abstoßender aus, als aus der Ferne. Wenige dunkle Haare klebten an seinem sonst kahlen Schädel. Matteo behielt Recht. Der Untote bemerkte ihn nicht. Ohne einen Laut von sich zu geben trat Matteo aus seinem Versteck und schlug dem wandelnden Leichnam die Machete ins Genick. Der wuchtige Hieb durchtrennte den größten Teil seines Halses. Er schaffte es nicht einmal mehr zu röcheln und fiel schlaff zu Boden. Der nach vorn kippende Kopf entblößte die verfaulte Luftröhre des Untoten so spontan, dass Matteo wegsehen musste.

Er versicherte sich erneut, dass kein weiterer Untoter in der Nähe war und lief weiter die Straße entlang. Auf der gegenüberliegenden Seite standen dreistöckige Wohnhäuser in einem schönen italienischen Stil mit flachem Pultdach und hellem Putz. Hier wohnten sicherlich die wohlhabenderen Einwohner Livornos. Nach etwa zweihundert zurückgelegten Metern auf der Viale Italia hielt er inne. Matteo konnte kein einziges Lebenszeichen erspähen. Aber was hatte er erwartet? Das ihm nach Monaten des Überlebenskampfes die Leute einfach entgegen rannten und um ihr Leben flehten? Er begann an seinem Vorhaben zu zweifeln. Gab es hier überhaupt noch Überlebende? Die Leichen, die er immer wieder auf der Straße entdeckte, ließen ihn etwas anderes annehmen. Das einzige, das hier am Leben war, war der Tod.

Matteo befand sich auf einer kleinen Kreuzung und suchte Schutz hinter einem weißen Fiat Ducato. Als er die Straße weiter hinauf sah, sah er auf jeder Seite der Viale Italia jeweils ein großes Stadttor. Die Straße, die laut Schild nach Rom führte, wurde immer breiter und machte auf ihn nicht nur einen gefährlichen Eindruck. Sie war es. In einigen hundert Metern tummelten sich mehrere Untote. Dort würde er sicher nicht entlang gehen, dachte er. Die kleine Seitenstraße zu seiner Linken, führte zu einem Supermarkt der Marke Despar. Vor dem Schaufenster funkelten vereinzelt saubere Glassplitter im Licht der Mittagssonne. Matteo wusste, dass der Laden geplündert worden war, gab seiner Neugier dennoch nach und lief geduckt den Straßenrand und somit an den wenigen ordentlich geparkten Autos entlang. Matteo schlich sich langsam vor den Eingang und versuchte auf keine der Scherben zu treten. Es war ein eher kleiner Laden mit nur zwei Kassen und drei Regalreihen, von denen nur noch die Rechte aufrecht stand. Der Laden war ziemlich dunkel und Matteo hatte Schwierigkeiten bis ganz nach hinten sehen zu können. Er stieg über die Einkaufskörbe, die überall im vorderen Bereich des Schaufensters lagen und suchte nach brauchbarem. Die Plünderer hatten ausnahmslos alles mitgenommen. Matteo steckte die Flasche Jägermeister ein, die direkt vor seinen Füßen lag und wünschte sich, es wäre eine kühle Dose Bier. Aus dem hinteren Bereich des Ladens kam ein muffiger Geruch. Interessiert lief Matteo das nahezu leer geräumte Regal entlang und auf den seltsamen Geruch zu. Eine Fleischtheke fiel in sein Sichtfeld und er wusste plötzlich, was dort so stank. Hinter der Theke lagen noch einige vergammelte Stücke Fleisch und Wurst. Matteo rümpfte die Nase und schob schnell den Gedanken beiseite, sich an den welligen Wurstscheiben zu bedienen. Einige der großen Salamiwürste waren vermutlich sogar noch essbar, aber sie hatten ja auf der Insel ihre eigene Fleischproduktion.

Die Wand neben der Theke war noch gut mit Gewürzen gefüllt und Matteo packte ein paar Dosen ein. Unter anderem Curry, Pfeffer, Paprika und Rosmarin. Eine klägliche Beute, dachte Matteo. Er musste sein Vorhaben anders angehen. Planlos durch die Stadt zu ziehen, war zu gefährlich. Am besten, er würde irgendwo eine riesige Nachricht hinterlassen. Auf einmal hörte er das leise Klimpern der Glassplitter von draußen. Erschrocken drehte er sich um und versuchte auf die Straße zu sehen, konnte aber aufgrund der dominosteinartig umgekippten Regale nichts erkennen. Nun hörte er sanfte, aber schnelle Schritte, die in seine Richtung liefen. Er bekam Besuch. Eindeutig. Aber was war das? Ein Kind? Matteo zog vorsichtshalber die Pistole und bereitete sich darauf vor, einem untoten Kind in den Kopf schießen zu müssen. Sein Puls raste bereits und er ging breitbeinig in Angriffsstellung.

Was um Himmels willen kam da näher? Er hörte nichts mehr. Das Geräusch war ebenso schnell weg, wie es gekommen war. Matteo schlich sich mit kleinen Schritten näher an das Regal heran, an dem er vorbeigelaufen war. Das Geräusch kam definitiv von dort. Plötzlich hörte er ein Gurgeln und ein dunkler Schatten sprang ihm so schnell entgegen, dass er nicht mehr reagieren konnte. Matteo zuckte zusammen und rutschte aus, woraufhin ihn das Gewicht seinen Angreifers umwarf und er unsanft auf seinem Rucksack landete. Matteo spürte etwas Kaltes in seinem Gesicht und wollte gerade nach dem Ding schlagen, da erkannte er, dass es nur ein Hund war, der ihm gerade über die Backe leckte. Er drückte das Vieh mit aller Kraft zur Seite und zog seine Waffe, weil er nicht wusste, ob der Köter nicht vielleicht auch infiziert war. Der schwarze Labrador wimmerte aber nur kläglich und ließ den Kopf sinken. Nicht gerade das angriffslustige Biest, dass Matteo vermutet hatte. Zudem war der Hund recht mager und Matteo fragte sich, wie er es überhaupt geschafft hatte, ihn umzuwerfen. Der treue Blick des Hundes ließ seinen Groll schnell verschwinden. Von seinem geringen Gewicht abgesehen, schien er kerngesund zu sein. Matteo hielt ihm die Hand zum Schnuppern vor die Schnauze, doch dieser dachte gar nicht erst daran, sondern drehte sich um und trottete an dem Regal vorbei und aus dem Laden heraus. Matteo sah ihm hinterher und verstand nicht ganz.

„Was für ein eigenwilliges Vieh“, stellte Matteo fest und rieb sich die Backe an der nun schon nicht mehr feuchten Stelle.

Beim Herausgehen entdeckte Matteo noch einige Müsliriegel, die vor der linken Kasse auf dem hell gefliesten Boden verstreut lagen und steckte sie in seinen Rucksack. Er zog wieder seine Waffe, da durch den Lärm vielleicht Untote angelockt worden waren und stieg über den halbhohen Fensterrahmen, der dem Glas vor Monaten noch dazu gedient hatte, es stabil an seinem Platz zu halten.

Der Hund war weg. Er hatte eigentlich nur zwei Möglichkeiten um aus Matteos Sichtfeld zu verschwinden. Die Straße in Richtung der Kreuzung, aus der Matteo kam, war leer. Weit und breit war kein schwarzer Labrador zu sehen. Der Gehweg oberhalb des Ladens war ebenfalls leer. Es waren doch nur wenige Sekunden vergangen, stellte Matteo stumm fest und lief ein paar Schritte auf der noch unbekannten Straße. Sie war nur wenige Meter breit und hohe Wohnhäuser ragten auf beiden Seiten in die Höhe. Es war düster, da nicht viel Licht zwischen die Häuser drang. Matteo schlich sich an den abgestellten Wagen entlang und blickte bereits auf den nächsten kleinen Platz, der zwei Seitenstraßen miteinander kreuzte. Die Wohnhäuser säumten den gesamten Bereich und waren bereits Teil der Altstadt. Aus der geteerten Straße wurde eine enge, gepflasterte Gasse, in der Matteo immer wieder verschlossene Rolltore ausmachen konnte. Einige Kabel spannten sich in luftiger Höhe von Balkon zu Balkon und dienten den ehemaligen Bewohnern teilweise als Wäscheleine. Wenige Meter entfernt sah Matteo nun auch das dünne schwarze Tier, das ihn hierher gelockt hatte. Er saß auf dem groben Pflaster und sah zu ihm zurück, als wollte er ihm damit signalisieren, sich zu beeilen. Die Gasse war zwar leer, aber Matteo hatte ein ungutes Gefühl dabei, sich in dieses Gewirr aus Seitenstraßen und engen Gassen zu begeben. Er sah sich den Hund an, der hier schon seit Monaten überlebte und plötzlich fiel ihm auf, dass er kein einziges Mal gebellt hatte, als würde er genau wissen, dass er damit den wandelnden Tod aus dem Dunkel des Schattens locken würde. Der Rocker, der nie selbst einen Hund besessen hatte, war sich auf einmal sicher, dass der Köter die Untoten vermutlich sogar wittern konnte und deshalb unbeschadet durch die Stadt jagte. Wie hätte er Matteo auch sonst finden können? Der Italiener rang mit sich, weil er sich nicht sicher war, ob er sich das alles nur einredete um einen Grund zu haben, weiterzugehen, denn vielleicht hatte der Köter auch nur Glück und alles war reiner Zufall.

Der Labrador setzte sich in Bewegung und lief ein paar Schritte weiter in die Gasse hinein, dann drehte er sich wieder um und sah Matteo an. Er konnte es sich nicht erklären, aber er vertraute dem Vieh und folgte ihm mit erhobener Waffe tiefer in die Altstadt hinein.