13

»Ich seh ja aus wie ein Stachelschwein«, sagte die Bernarda, als sie ihr verhundertfachtes Bild im Spiegelsaal des Modehauses Santa Eulalia betrachtete.

Zu ihren Füßen steckten zwei Modistinnen mit Dutzenden Nadeln das Brautkleid ab, aufmerksam beobachtet von Bea, die die Bernarda umkreiste und jede Falte und jede Naht inspizierte, als gehe es um ihr Leben. Die Bernarda, die Arme zum Kreuz gebreitet, traute sich kaum zu atmen, aber ihr Blick war gefangen von den verschiedenen Perspektiven, in denen sie in diesem sechseckigen Spiegelraum ihre Figur nach Anzeichen eines Bauches absuchte.

»Sieht man bestimmt noch nichts, Señora Bea?«

»Nichts. Platt wie ein Bügelbrett. Dort, wo es platt sein soll, natürlich.«

»Ach, ich weiß nicht, ich weiß nicht …«

Das Martyrium der Bernarda und die Anpassungs- und Taillierungsarbeit der Modistinnen dauerten noch eine weitere halbe Stunde. Als alle Stecknadeln der Welt zum Aufspießen der armen Braut aufgebraucht schienen, machte hinter dem Vorhang hervor der Starschneider des Hauses und Schöpfer des Stücks seine Aufwartung, musterte flüchtig das Kleid, brachte am Moiréfutter zwei, drei Korrekturen an, gab dann sein Plazet und schnalzte mit den Fingern diskret seine Assistentinnen aus dem Raum.

»Nicht einmal bei Pertegaz hätten Sie hübscher ausgesehen«, urteilte er selbstgefällig.

Bea nickte lächelnd.

Der Modemann, ein schlanker, affektierter Herr, der schlicht auf den Namen Evaristo hörte, küsste die Bernarda auf die Wange.

»Sie sind das beste Mannequin der Welt. Das geduldigste und leidensfähigste. Es war nicht ganz einfach, aber es hat sich gelohnt.«

»Und glauben der Herr, ich kann hier drin atmen?«

»Meine Beste, Sie heiraten im Schoß der heiligen Mutter Kirche ein iberisches Mannsbild. Mit Atmen ist sowieso Schluss, das kann ich Ihnen versichern. Bedenken Sie, dass ein Brautkleid wie ein Taucheranzug ist, nämlich nicht der ideale Ort zum Atmen – lustig wird’s dann, wenn es Ihnen ausgezogen wird.«

Angesichts der Frivolität des Modeschöpfers bekreuzigte sich die Bernarda.

»Und jetzt muss ich Sie darum bitten, mit größter Vorsicht aus dem Kleid zu schlüpfen – die Nähte sind noch lose, und mit all diesen Stecknadeln will ich Sie nachher nicht wie ein Sieb zum Altar gehen sehen«, sagte Evaristo.

»Ich helfe ihr«, sagte Bea.

Mit einem lockenden Blick machte Evaristo ein Ganzkörperröntgenbild von Bea.

»Und Sie, wann darf ich Sie aus- und ankleiden, Schätzchen?« fragte er, während er theatralisch hinter dem Vorhang abging.

»Dieser Halunke hat Sie ja vielleicht gemustert«, sagte die Bernarda. »Dabei heißt es, er sei vom anderen Ufer.«

»Ich habe den Eindruck, Evaristo bewegt sich an beiden Ufern, Bernarda.«

»Ist das möglich?«

»Komm, wir versuchen mal, dich hier rauszukriegen, ohne dass eine Stecknadel zu Boden fällt.«

Während sie die Bernarda aus ihrem Stoffgefängnis befreite, schimpfte diese leise vor sich hin. Seit sie erfahren hatte, was das Kleid kostete, das ihr Patron, Gustavo Barceló, unbedingt aus seiner Tasche bezahlen wollte, war sie ganz aufgeregt.

»Don Gustavo hätte nicht ein solches Vermögen ausgeben dürfen. Es musste ja unbedingt hier sein, das ist bestimmt der teuerste Ort von ganz Barcelona, und es musste dieser Evaristo sein, der ist ein halber Neffe von ihm oder was weiß ich, und der sagt, wenn der Stoff nicht von Gratacós ist, kriegt er eine Allergie. Was soll man dazu sagen.«

»Einem geschenkten Gaul … Außerdem macht es Don Gustavo einfach Freude, wenn du eine rauschende Hochzeit feierst. So ist er eben.«

»Zwei Flicken aufs Kleid meiner Mutter, und ich hätte auch darin heiraten können – Fermín ist es sowieso egal, immer wenn ich ihm ein neues Kleid zeige, will er es mir bloß ausziehen … Und das haben wir nun davon, Gott möge mir verzeihen.« Sie tätschelte sich den Bauch.

»Bernarda, auch ich war schwanger, als ich geheiratet habe, und ich glaube, Gott hat sich um viel wichtigere Dinge zu kümmern.«

»Das sagt mein Fermín auch, aber ich weiß nicht …«

»Hör du auf Fermín, und mach dir überhaupt keine Sorgen.«

Die Bernarda, die im Unterrock dastand und nach zwei Stunden auf hohen Absätzen und mit ausgestreckten Armen völlig erschöpft war, ließ sich ächzend in einen Sessel sinken.

»Ach, der Ärmste ist ja schon ganz unsichtbar, wo er so viele Kilos verloren hat. Das macht mir regelrecht Angst.«

»Du wirst schon sehen, wie er bald wieder zunimmt. Die Männer sind so, wie Geranien. Wenn man schon glaubt, man muss sie wegwerfen, blühen sie wieder auf.«

»Ich weiß nicht, Señora Bea, Fermín kommt mir sehr geknickt vor. Er sagt zwar schon, er will mich heiraten, aber manchmal habe ich meine Zweifel.«

»Aber er ist doch völlig verschossen in dich, Bernarda.«

Die Bernarda zuckte die Schultern.

»Schauen Sie, ich bin nicht so dumm, wie ich aussehe. Seit meinem dreizehnten Jahr habe ich nichts anderes getan als saubergemacht, und sicher gibt es vieles, was ich nicht verstehe, aber ich weiß, dass mein Fermín weitgereist ist und seine Liebeleien gehabt hat. Er erzählt mir ja nie aus seinem früheren Leben, bevor wir uns kennengelernt haben, aber ich weiß, dass er andere Frauen gehabt und überhaupt viel erlebt hat.«

»Und am Ende hat er unter allen dich ausgesucht. Da siehst du mal.«

»Er steht ja mehr auf Frauen als ein Bär auf Honig. Wenn wir spazieren oder tanzen gehen, fallen ihm immer fast die Augen aus dem Kopf, eines Tages fängt er mir noch an zu schielen.«

»Solange er seine Hände im Zaum hält … Ich weiß aus sehr guter Quelle, dass dir Fermín immer treu gewesen ist.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber wissen Sie, was mir Angst macht, Señora Bea? Dass ich zu wenig bin für ihn. Wenn ich ihn so sehe, wie er mich verzückt anguckt und sagt, wir wollen zusammen alt werden und all die Schmeicheleien, die er von sich gibt, dann denke ich immer, eines Tages wacht er morgens auf, schaut mich an und sagt: Wo habe ich denn dieses Dummchen aufgegabelt?«

»Ich glaube, du täuschst dich, Bernarda. So etwas wird Fermín niemals denken. Er verehrt dich.«

»Das ist eben auch nicht gut, wissen Sie, ich habe so manchen jungen Herrn gesehen, der seine Señora verehrt hat wie eine Jungfrau und dann dem erstbesten Luder hinterhergerannt ist wie ein brünstiger Hund. Sie glauben nicht, wie oft ich das mit diesen Äuglein gesehen habe, die mir Gott geschenkt hat.«

»Aber Fermín ist nicht so, Bernarda. Fermín ist einer, der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Davon gibt es nur wenige, Männer sind wie die Kastanien, die auf der Straße feilgehalten werden: Wenn man sie kauft, sind sie alle heiß und riechen gut, aber wenn man sie aus der Tüte zieht, werden sie sofort kalt, und die meisten erweisen sich als wurmstichig.«

»Damit meinen Sie aber nicht Señor Daniel, nicht wahr?«

Bea zögerte eine Sekunde.

»Nein, natürlich nicht.«

Die Bernarda schaute sie von der Seite an.

»Alles in Ordnung zu Hause, Señora Bea?«

Bea spielte mit einer Falte von Bernardas Unterrock, die über ihrer Schulter hervorschaute.

»Ja, Bernarda. Aber ich glaube, wir beide haben uns Männer ausgesucht, die ihre Eigenheiten und Geheimnisse haben.«

Die Bernarda nickte.

»Manchmal kommen sie mir vor wie Kinder.«

»Männer. Man muss ihnen Auslauf geben.«

»Aber mir gefallen sie«, sagte die Bernarda, »und ich weiß schon, was Sünde ist.«

Bea lachte.

»Und wie magst du sie? Wie Evaristo?«

»Nein, um Gottes willen. Der schaut sich so oft im Spiegel an, dass er ihn regelrecht abnutzt. Ein Mann, der länger braucht als ich, um sich herzurichten, da könnte ich die Wände hochgehen. Ich mag sie ein wenig ungeschliffen, wie soll ich sagen? Und ich weiß, mein Fermín ist nicht hübsch, was man so hübsch nennt. Aber für mich ist er hübsch und gut. Und sehr männlich. Und am Ende ist es das, was zählt, dass er gut ist und ein richtiger Mann. Und dass man sich in einer Winternacht an ihn anschmiegen kann und er einem die Kälte aus dem Körper zieht.«

Bea nickte lächelnd.

»Amen. Aber mir hat ein Vögelchen zugezwitschert, dass dir eigentlich Cary Grant gefällt.«

Die Bernarda errötete.

»Ihnen etwa nicht? Nicht zum Heiraten natürlich. Ich habe das Gefühl, der hat sich verliebt, als er sich das erste Mal im Spiegel sah, aber unter uns gesagt, und Gott möge mir verzeihen, von der Bettkante würde ich ihn nicht stoßen …«

»Was würde Fermín sagen, wenn er dich so hören könnte, Bernarda?«

»Was er immer sagt: ›Na ja, wir werden alle eine Beute der Würmer …‹«

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
titlepage.xhtml
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_000.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_001.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_075.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_076.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_079.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_002.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_003.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_004.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_005.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_006.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_007.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_008.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_009.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_010.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_011.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_012.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_013.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_014.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_015.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_016.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_017.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_018.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_019.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_020.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_021.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_022.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_023.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_024.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_025.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_026.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_027.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_028.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_029.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_030.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_031.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_032.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_033.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_034.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_035.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_036.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_037.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_038.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_039.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_040.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_041.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_042.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_043.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_044.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_045.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_046.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_047.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_048.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_049.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_050.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_051.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_052.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_053.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_054.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_055.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_056.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_057.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_058.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_059.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_060.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_061.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_062.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_063.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_064.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_065.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_066.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_067.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_068.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_069.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_070.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_071.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_072.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_073.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_074.html