3


Im Gegenlicht glich seine Silhouette einem vom Wind gepeitschten Baumstamm. Er trug einen altmodisch geschnittenen dunklen Anzug und gab, wie er sich so auf einen Stock stützte, eine finstere Gestalt ab. Unübersehbar hinkend, tat er einen Schritt vorwärts. Im hellen Licht der Lampe über dem Ladentisch zeigte sich ein von der Zeit zerfurchtes Gesicht. Der Besucher musterte mich in aller Ruhe; sein geduldig berechnender Blick erinnerte an einen Raubvogel.

»Sind Sie Señor Sempere?«

»Ich bin Daniel. Señor Sempere ist mein Vater, aber er ist im Moment nicht da. Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«

Der Besucher überhörte meine Frage und begann durch die Buchhandlung zu humpeln, um mit einem an Habgier grenzenden Interesse Spanne für Spanne alles zu erforschen. Sein Hinken ließ vermuten, dass die Verletzungen, die sich unter seinen Kleidern verbargen, nicht gering einzuschätzen waren.

»Kriegsandenken«, sagte der Besucher, als hätte er meine Gedanken gelesen.

Ich folgte ihm mit dem Blick bei der Inspizierung des Ladens und ahnte schon, wo er vor Anker gehen würde. Und tatsächlich blieb er vor der Ebenholzvitrine stehen, einer Reliquie aus der Gründungszeit des Buchladens im Jahr 1888, als Urgroßvater Sempere, damals ein soeben von seinen Abenteuern in der Karibik wohlhabend zurückgekehrter junger Mann, Geld aufgenommen hatte, um einen alten Handschuhladen zu kaufen und zur Buchhandlung umzubauen. In dieser Vitrine, die einen Ehrenplatz im Laden einnahm, verwahrten wir seit eh und je unsere wertvollsten Exemplare.

Der Besucher trat so nahe an sie heran, dass unter seinem Atem die Scheibe beschlug. Er zog eine Brille hervor, setzte sie sich auf die Nase und begann den Inhalt der Vitrine zu studieren. Seine Gebärde erinnerte mich an ein Wiesel, das in einem Hühnerstall die frisch gelegten Eier begutachtet.

»Schönes Stück«, murmelte er. »Muss einen ordentlichen Batzen kosten.«

»Das ist ein Familienerbstück. Es hat vor allem einen ideellen Wert«, antwortete ich. Mir war nicht wohl, wie dieser eigenartige Kunde selbst die Luft, die wir einatmeten, zu taxieren schien.

Nach einer Weile steckte er die Brille wieder ein und sagte gemessen:

»Soviel ich weiß, arbeitet bei Ihnen ein Herr von gefeiertem Esprit.«

Da ich nicht sogleich antwortete, wandte er sich um und schenkte mir einen dieser Blicke, die den Empfänger altern lassen.

»Wie Sie sehen, bin ich allein. Wenn mir der Herr vielleicht sagen würde, welches Buch er wünscht, werde ich es mit großem Vergnügen suchen.«

Der Unbekannte deutete ein alles andere als freundliches Grinsen an und nickte.

»Wie ich sehe, haben Sie ein Exemplar des Grafen von Monte Christo in dieser Vitrine.«

Er war nicht der Erste, der dieses Buch bemerkte. Ich servierte ihm den offiziellen Diskurs, den wir für solche Fälle auf Lager hatten.

»Der Herr hat ein sehr gutes Auge. Es ist eine wunderbare Ausgabe, nummeriert und mit Bildtafeln von Arthur Rackham, und stammt aus der Privatbibliothek eines bedeutenden Madrider Sammlers. Es ist ein einzigartiges, katalogisiertes Stück.«

Der Besucher studierte eingehend die Beschaffenheit der Ebenholzbretter des Regals und zeigte damit unverhohlen, dass ihn meine Worte anödeten.

»Für mich sehen alle Bücher gleich aus, aber mir gefällt das Blau des Einbands«, antwortete er verächtlich. »Ich nehme es.«

Unter anderen Umständen hätte ich Freudensprünge vollführt, wenn ich das wahrscheinlich teuerste Buch im ganzen Laden hätte verkaufen können, doch bei der Vorstellung, es gerate in die Hände dieses Menschen, drehte sich mir der Magen um. Ich hatte das Gefühl, wenn dieses Exemplar den Laden verließe, würde nie wieder jemand auch nur den ersten Abschnitt lesen.

»Es ist eine sehr kostspielige Ausgabe. Wenn der Herr es wünscht, kann ich ihm andere Ausgaben desselben Werks in einwandfreiem Zustand und zu erschwinglicherem Preis zeigen.«

Leute mit kleiner Seele versuchen immer, die anderen herabzusetzen, und der Unbekannte, der die seine zweifellos in einem Stecknadelkopf hätte unterbringen können, warf mir den verächtlichsten aller Blicke zu.

»Und die ebenfalls einen blauen Einband haben«, ergänzte ich.

Er überhörte meinen ironischen Tonfall.

»Nein, danke. Ich will das da. Der Preis ist Nebensache.«

Widerwillig nickte ich, ging auf die Vitrine zu und schloss die Glastür auf. Ich spürte, wie sich die Augen des Unbekannten in meinen Rücken bohrten.

»Immer ist alles Gute unter Verschluss«, bemerkte er leise.

Ich nahm das Buch und atmete tief ein.

»Ist der Herr ebenfalls Sammler?«

»Das könnte man so sagen. Aber nicht von Büchern.«

Den Grafen in der Hand, wandte ich mich um.

»Und was sammelt der Herr?«

Er ignorierte meine Frage und streckte den Arm aus, um das Buch entgegenzunehmen. Ich musste gegen den Impuls ankämpfen, es in die Vitrine zurückzustellen und wieder einzuschließen. Aber in diesen Zeiten hätte es mir mein Vater nicht verziehen, wenn ich mir die Gelegenheit eines solchen Verkaufs hätte entgehen lassen.

»Es kostet fünfunddreißig Peseten«, verkündete ich, bevor ich ihm das Buch aushändigte, und hoffte, bei dieser Summe ändere er seine Meinung.

Ohne mit der Wimper zu zucken, nickte er und zog einen Hundert-Peseten-Schein aus der Tasche seines Anzugs, der bestimmt keine fünfundzwanzig gekostet hatte. Ich fragte mich, ob es nicht Falschgeld war.

»Ich fürchte, für einen so großen Schein habe ich kein Wechselgeld, mein Herr.«

Normalerweise hätte ich ihn gebeten, einen Moment zu warten, und wäre zur nächsten Bank gegangen, um den Schein zu wechseln und zugleich auf seine Echtheit prüfen zu lassen, aber ich mochte ihn nicht allein im Laden lassen.

»Keine Sorge. Er ist echt. Wissen Sie, wie Sie das feststellen können?«

Er hielt die Note gegen das Licht.

»Beachten Sie das Wasserzeichen. Und diese Linien. Die Textur …«

»Ist der Herr ein Experte in Fälschungen?«

»Alles auf dieser Welt ist falsch, junger Mann. Alles außer dem Geld.« Er gab mir den Schein in die Hand, schloss meine Faust darum und tätschelte mir die Knöchel. »Das Wechselgeld lasse ich Ihnen als Anzahlung da für meinen nächsten Besuch.«

»Das ist viel Geld, der Herr. Fünfundsechzig Peseten …«

»Ein paar Münzen.«

»Ich stelle Ihnen auf jeden Fall eine Quittung aus.«

»Ich vertraue Ihnen.«

Der Unbekannte betrachtete das Buch gleichgültig.

»Es ist ein Geschenk. Ich bitte Sie, es persönlich zu überbringen.«

Ich zögerte einen Augenblick.

»Im Prinzip machen wir keine Hauslieferungen, aber in diesem Fall übergeben wir es natürlich sehr gern persönlich und ohne zusätzliche Kosten. Darf ich fragen, ob es in Barcelona selbst ist oder …?«

»Hier.« Sein eisiger Blick verriet Jahre von Wut und Hass.

»Möchte der Herr eine Widmung oder sonst ein paar persönliche Worte hineinschreiben, bevor ich es einpacke?«

Umständlich schlug der Besucher das Buch auf der ersten Seite auf. Da sah ich, dass seine linke Hand eine Prothese aus gefärbtem Porzellan war. Er zog einen Füllfederhalter hervor und schrieb ein paar Worte auf die Seite. Dann gab er mir den Band zurück und drehte sich um. Während er zur Tür humpelte, beobachtete ich ihn.

»Wären Sie so freundlich und würden Sie mir Namen und Adresse angeben, wo wir das Buch hinbringen sollen?«, fragte ich.

»Es steht alles da«, sagte er, ohne zurückzuschauen.

Ich schlug das Buch auf der Seite mit dem handschriftlichen Eintrag auf:

Für Fermín Romero de Torres, der von den Toten auferstanden ist und den Schlüssel zur Zukunft hat.
13

Da hörte ich die Türglocke, und als ich aufschaute, war der Besucher weg.

Ich eilte zum Ausgang und schaute auf die Straße hinaus. Der Besucher humpelte davon und verschmolz mit den Gestalten, die den bläulichen Nebelschleier in der Calle Santa Ana durchdrangen. Ich wollte ihm etwas nachrufen, biss mir aber auf die Zunge. Ich hätte ihn einfach gehen lassen können, aber der Instinkt und mein üblicher Mangel an Vorsicht und Sinn fürs Praktische waren stärker.

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
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