Dritter Teil

  

Wiedergeboren werden

  

1

  

Barcelona, 1940

  

Was sich bei der alten Fabrik Vilardell ereignet hatte, gelangte nie in die Zeitung – keinem war daran gelegen, diese Geschichte ans Licht kommen zu lassen. Nur die direkt Beteiligten erinnern sich daran. Noch in der Nacht, in der Mauricio Valls nach seiner Rückkehr ins Kastell feststellen musste, dass der Gefangene Nr. 13 entflohen war, teilte der Direktor Inspektor Fumero von der politischen Polizei mit, einer der Gefangenen habe ausgepackt. Vor Sonnenaufgang waren Fumero und seine Leute bereits auf dem Posten.

Zwei von ihnen ließ der Inspektor die nähere Umgebung überwachen, den Rest konzentrierte er beim Haupteingang, von wo aus man, wie Valls gesagt hatte, das ehemalige Wärterhaus sehen konnte. Die Leiche Jaime Montoyas, des heldenhaften Fahrers des Gefängnisdirektors, der sich freiwillig erboten hatte, mutterseelenallein die Richtigkeit der von einem der Gefangenen vorgebrachten Aussagen über subversive Elemente zu überprüfen, lag noch an derselben Stelle zwischen den Trümmern. Kurz vor dem Morgengrauen schickte Fumero seine Leute auf das Fabrikareal. Sie umzingelten das ehemalige Wärterhaus, und als die beiden Männer und die junge Frau, die sich im Inneren aufhielten, ihre Anwesenheit bemerkten, gab es nur einen geringfügigen Zwischenfall: Die junge Frau, die eine Feuerwaffe hatte, traf den Arm eines der Polizisten. Die Wunde war ein harmloser Kratzer. In dreißig Sekunden hatten Fumero und seine Leute die Rebellen überwältigt.

Fumero ordnete an, alle ins Haus zu bringen, ebenso den toten Fahrer. Er verlangte weder Namen noch Papiere. Er hieß seine Leute die Rebellen an Händen und Füßen mit Draht an rostige Metallstühle fesseln, die in einer Ecke lagen. Danach schickte er alle hinaus, damit sie sich vor dem Haus und der Fabrik postierten und seine Anweisungen abwarteten. Mit seinen Gefangenen allein, schloss er die Tür und setzte sich vor sie hin.

»Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen und bin müde. Ich will nach Hause. Ihr werdet mir jetzt sagen, wo das Geld und der Schmuck sind, die ihr für diesen Salgado versteckt haltet, und dann geht hier alles in Ordnung. Einverstanden?«

Die Gefangenen schauten ihn halb verdutzt, halb erschrocken an.

»Wir wissen nichts von Schmuck oder von diesem Salgado«, sagte der ältere der Männer.

Fumero nickte ein wenig überdrüssig. In aller Ruhe schaute er die drei Gefangenen der Reihe nach an, als könnte er ihre Gedanken lesen und als langweilten ihn diese.

Nach kurzem Zögern suchte er sich die Frau aus und rückte seinen Stuhl bis auf zwei Handbreit an sie heran. Sie zitterte.

»Lass sie in Ruhe, du Mistkerl«, fuhr ihn der jüngere der beiden Männer an. »Wenn du sie anrührst, bring ich dich um, das schwör ich dir.«

Fumero lächelte melancholisch.

»Du hast eine sehr hübsche Freundin.«


Navas, der vor der Tür postierte Beamte, spürte, wie ihm der kalte Schweiß die Kleider nässte. Er überhörte die Schreie im Inneren, und als ihm die Kollegen vom Fabriktor her einen heimlichen Blick zuwarfen, schüttelte er den Kopf.

Niemand sagte ein Wort. Fumero hatte eine halbe Stunde im Wärterhaus verbracht, als endlich die Tür in Navas’ Rücken aufging. Navas trat zur Seite und vermied es, offen auf die feuchten Flecken auf Fumeros schwarzen Kleidern zu schauen. Langsam ging der Inspektor auf den Ausgang zu, und nachdem Navas einen kurzen Blick ins Innere geworfen hatte, schloss er unter aufsteigendem Brechreiz die Tür. Auf ein Zeichen Fumeros hin besprengten zwei seiner Leute die Hauswände und das ganze Umfeld mit Benzin aus zwei Kanistern und steckten alles in Brand.

Als sie zum Auto zurückkehrten, saß Fumero bereits auf dem Beifahrersitz. Wortlos fuhren sie los, während aus den Ruinen der alten Fabrik eine Rauch- und Flammensäule aufstieg, die im Wind eine Aschenspur hinterließ. Fumero kurbelte das Fenster herunter und streckte die offene Hand in die feuchtkalte Luft hinaus. Seine Finger waren blutbesudelt. Starr nach vorn schauend, saß Navas am Steuer, aber seine Augen sahen nur den flehenden Blick, den ihm die junge Frau, noch lebend, zugeworfen hatte, bevor er die Tür geschlossen hatte. Er bemerkte, dass Fumero ihn beobachtete, und presste die Hände ums Lenkrad, um sein Zittern zu vertuschen.

Auf dem Gehsteig schaute eine Gruppe zerlumpter Kinder dem vorbeifahrenden Auto zu. Ein kleiner Junge formte die Finger zur Pistole und drückte im Spiel auf sie ab. Lächelnd antwortete Fumero mit der gleichen Bewegung, bevor sich das Auto in dem Straßenknäuel um den Dschungel von Fabrikschloten und -hallen verlor, als wäre es nie da gewesen.

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
titlepage.xhtml
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_000.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_001.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_075.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_076.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_079.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_002.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_003.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_004.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_005.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_006.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_007.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_008.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_009.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_010.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_011.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_012.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_013.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_014.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_015.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_016.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_017.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_018.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_019.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_020.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_021.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_022.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_023.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_024.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_025.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_026.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_027.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_028.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_029.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_030.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_031.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_032.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_033.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_034.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_035.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_036.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_037.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_038.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_039.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_040.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_041.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_042.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_043.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_044.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_045.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_046.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_047.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_048.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_049.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_050.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_051.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_052.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_053.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_054.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_055.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_056.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_057.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_058.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_059.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_060.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_061.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_062.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_063.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_064.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_065.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_066.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_067.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_068.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_069.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_070.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_071.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_072.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_073.html
CR!HJCXF6JK7559SCDSSDMH8REQSJG8_split_074.html