17

In jener Nacht, während Fermín Sanahujas Päckchen aufknüpfte, fuhr ein schwarzer Studebaker den Direktor den Montjuïc hinab den dunklen Straßen entgegen, die den Hafen säumten. Jaime, der Fahrer, gab sich ganz besonders Mühe, Schlaglöcher zu meiden und auch sonst keinen Fehler zu begehen, der dem Direktor hätte unangenehm sein oder ihn aus seinen tiefen Gedanken reißen können. Der neue Direktor war nicht wie der alte, der sich immer mit ihm unterhalten und einmal sogar neben ihn gesetzt hatte. Direktor Valls richtete nie das Wort an ihn, außer um ihm Anweisungen zu erteilen, und blickte ihn höchstens an, wenn er etwas falsch gemacht oder eine Kurve zu schnell genommen hatte oder über einen Stein gefahren war. Dann sah er seine Augen im Rückspiegel glühen und sein Gesicht eine verdrießliche Grimasse schneiden. Direktor Valls verbot ihm, das Radio anzudrehen, weil die Sendungen, wie er sagte, eine Beleidigung für seine Intelligenz waren. Ebenso wenig erlaubte er ihm, die Fotos von Frau und Tochter auf dem Armaturenbrett mitzuführen.

Zum Glück gab es zu dieser vorgerückten Stunde kaum noch Verkehr, und der Weg hielt keine unangenehmen Überraschungen bereit. In wenigen Minuten hatte das Auto die Atarazanas hinter sich gebracht, umfuhr das Kolumbus-Denkmal und bog in die Ramblas ein. Einige Augenblicke später hielt es vor dem Café de la Ópera an. Das Opernpublikum des Liceo-Theaters auf der gegenüberliegenden Straßenseite war bereits in der Abendvorstellung, und die Ramblas lagen verlassen da. Der Fahrer stieg aus und öffnete, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, Mauricio Valls die Tür. Der Direktor stieg aus und betrachtete gleichgültig den Boulevard. Er rückte die Krawatte zurecht und wischte sich über die Schultern.

»Warten Sie hier«, sagte er zum Fahrer.

Der Direktor betrat das beinahe leere Café. Die Uhr an der Wand hinter der Theke zeigte fünf vor zehn. Valls beantwortete den Gruß des Kellners mit einem Nicken und setzte sich an einen der hinteren Tische. Gemächlich zog er die Handschuhe aus und ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche, das ihm der Schwiegervater zum ersten Hochzeitstag geschenkt hatte. Er steckte sich eine Zigarette an und betrachtete das alte Café. Mit einem Tablett in der Hand trat der Kellner an den Tisch und wischte ihn mit einem feuchten, nach Lauge riechenden Lappen ab. Der Direktor warf ihm einen verächtlichen Blick zu, den der Kellner ignorierte.

»Was darf es sein, der Herr?«

»Zwei Kamillentee.«

»In derselben Tasse?«

»Nein. In zwei Tassen.«

»Der Herr erwartet Gesellschaft?«

»Sieht ganz so aus.«

»Sehr schön. Darf es sonst noch was sein?«

»Honig.«

»Sehr wohl, der Herr.«

Der Kellner entfernte sich ohne Eile, und der Direktor murmelte etwas Abfälliges vor sich hin. Über der Theke war aus einem Radioapparat das Rhabarber einer Briefkastensendung zu vernehmen, dazwischen Werbung für die Kosmetika der Firma Bella Aurora, deren tägliche Applikation Jugend, Schönheit und Frische gewährleistete. Vier Tische weiter schien ein älterer Mann mit der Zeitung in der Hand eingeschlafen zu sein. Die übrigen Tische waren unbesetzt. Fünf Minuten später brachte der Kellner die beiden dampfenden Tassen und stellte sie unendlich langsam auf den Tisch, danach ein Töpfchen Honig.

»Ist das alles, der Herr?«

Valls nickte. Er wartete, bis der Kellner wieder bei der Theke war, und zog ein Fläschchen aus der Tasche. Er schraubte den Deckel ab und warf einen Blick auf den anderen Gast, den die neusten Pressemeldungen offensichtlich k.o. gesetzt hatten. Mit dem Rücken zu ihm trocknete der Kellner an der Theke Gläser ab.

Valls goss den Inhalt des Fläschchens in die Tasse am anderen Tischende. Dann gab er eine großzügige Portion Honig dazu und rührte mit dem Löffel im Kamillentee, bis sich der Honig vollkommen aufgelöst hatte. Im Radio wurde der Brief einer bekümmerten Frau aus Betanzos verlesen, deren Mann, offenbar verärgert, weil ihr der Allerheiligenbraten angebrannt war, nun ständig mit den Freunden in der Kneipe herumhing, um sich die Fußballübertragungen anzuhören, nicht mehr zur Messe ging und nur noch für das Nötigste nach Hause kam. Es wurden ihr Gebete, Beharrlichkeit und die Waffen einer Frau empfohlen, aber strikt in den Grenzen der christlichen Familie. Valls schaute wieder auf die Uhr. Viertel nach zehn.

Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
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