ZWANZIG
»Brandon«, rief ich und sprang von Christopher zurück, so als hätte seine Umarmung mich verbrannt.
Keine Ahnung, welch seltsamer Instinkt mich dazu veranlasst hatte. Aber irgendetwas sagte mir, dass Nikkis Ex nicht gerade begeistert sein würde, mich in den Armen eines anderen Mannes zu sehen.
Aber ich hätte mir überhaupt keine Gedanken zu machen brauchen. Brandon war nämlich sturzbesoffen. Schwankend stand er in der Tür und blinzelte benommen in den dunklen Raum, so als könne er kaum etwas sehen. Nachträglich war ich heilfroh, dass Christopher und ich kein Licht angemacht hatten.
»Äh«, lallte Brandon. »Nikki? Äh, ja, du kommst jetzt besser wieder raus.«
»Warum denn?«, fragte ich, während ich die Träger von meinem Kleid im Nacken neu zusammenband, da sie aus Gründen, die ich jetzt besser nicht erwähne, ein wenig verrutscht waren.
»Da war so ein Mädchen, das meinte, ich solle dich holen.« Brandon blickte Christopher mit zusammengekniffenen Augen an und versuchte, ihn im Dämmerlicht, das durch die Fenster fiel, zu erkennen. Da man Christophers Gesicht noch nie zuvor auf den Seiten von tmz.com zu sehen bekommen hatte, wusste Brandon ganz bestimmt nicht, wo er ihn hintun sollte. »Irgendein Mädchen namens Frida? Ihr ist schlecht oder so.«
Wie der Blitz stürmte ich aus dem Zimmer.
»Wo ist sie?«, rief ich mit belegter Stimme. »Wo ist sie hin?«
Doch Brandon zuckte nur mit den Schultern. Der war schon ziemlich hinüber, echt jenseits von Gut und Böse. Er hatte natürlich keinen Schimmer, wo sie steckte.
Draußen im Wohnbereich unseres Lofts erreichte die Party gerade ihren Höhepunkt - besser hätte es wahrscheinlich gar nicht laufen können. Lulu musste überglücklich sein. Unzählige Leute wirbelten im Takt der Musik über die Tanzfläche - und schwitzten aus allen Poren -, sodass man kaum von einem Ende des Raums zum anderen blicken konnte. Über uns hatte das Mädchen auf dem Trapez sich seines langen Schals entledigt und trat nun so gut wie nackt auf. Die Musik war so laut, dass ich ihre Vibrationen in der Brust spürte. Ob die anderen Bewohner des Gebäudes wohl die Polizei rufen würden? Doch da fiel mir wieder ein, dass Lulu so weitsichtig gewesen war und die anderen Hausbewohner einfach eingeladen hatte. Ich hätte schwören können, dass ich den Typen, der direkt über uns wohnte, mit einem Mädchen tanzen sah, das verblüffende Ähnlichkeit mit Paris Hilton hatte. Lulu war ein Genie. Es würde mich nicht wundern, wenn sogar die Cops sich irgendwo hier rumtrieben und tanzten.
Aber Frida blieb unauffindbar. In diesem überfüllten Raum mit all den schwitzenden Körpern nach ihr zu suchen, war der reinste Albtraum. Ich musste mich reihenweise an Leuten vorbeidrängen, die Moschino-Klamotten trugen, wobei ich ununterbrochen »Verzeihung« und »Entschuldigung« murmelte. Klar, dass die Hälfte der Leute - die männliche Hälfte - mich einer nach dem anderen am Arm festhielt und begeistert schrie: »Nikki! Komm und tanz mit mir! Los, sei keine Spielverderberin!«
»Ich kann nicht«, entgegnete ich jedes Mal bedauernd. »Ich muss jemanden suchen.«
»Wohl mich, will ich hoffen.« Manche von den Typen warfen mir halb böse Blicke zu.
»Oh, äh, haha, ja, klar«, antwortete ich dann jedes Mal. »Tut mir leid. Ich bin gleich wieder zurück.«
»Na hoffentlich!«
Mann, das war aber nicht nett!
Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich ein wenig schuldig. Ich hätte Frida gar nicht erst aus den Augen lassen dürfen. Bei jedem außer Christopher hätte ich das auch nicht getan. Klar hatte ich Frida ganz explizit verboten, zur Party zu kommen. Aber andererseits … Ich hätte wissen müssen, dass sie trotzdem aufkreuzen würde. Frida hatte schon immer gern das Gegenteil von dem gemacht, was ich - oder Mom und Dad - ihr ausdrücklich gesagt hatten. Machten das nicht alle jüngeren Schwestern so, weil sie unbedingt beweisen mussten, dass sie mindestens genauso »gut« waren wie ihre älteren Schwestern? War echt kein Wunder, dass sie jetzt in der Klemme saß, wo immer sie auch stecken mochte.
Als ich sie dann fand, wusste ich sofort, wie ihre Entschuldigung lauten würde: »Aber du bist doch auch hier, Em. Warum darf ich dann nicht? Nur weil du älter bist … Das ist so was von unfair!«
Zuvor stolperte ich allerdings erst einmal über Lulu. Die tanzte gerade mit Steven und machte den Eindruck, als hätte sie den Spaß ihres Lebens. Und auch Steven wirkte nicht gerade so, als hätte er nicht auch ein wenig Spaß dabei. Trotzdem strahlte vor allem Lulu vor Freude. Sie strahlte noch ein bisschen mehr, als sie mich erblickte, und ihre dunklen Augen wurden riesengroß. Ihr Mascara war völlig verwischt und verlaufen, weil sie so sehr schwitzte. Sie ließ Steven stehen, eilte zu mir und nahm mich am Arm. Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und flüsterte mir etwas ins Ohr. »Oh, Nikki! Ist das nicht unglaublich? Alle sind sie gekommen! Wirklich alle! Das ist die tollste Party, die ich je gegeben habe! Und weißt du, was das Beste ist? Steven … dein Bruder? Er ist Sternzeichen Waage!«
Ich blinzelte sie verstört an. »Das … das ist echt erstaunlich«, brachte ich hervor.
»Nein, du verstehst nicht«, rief sie aufgeregt und schüttelte mich ein wenig. »Meine Astrologin. Die meinte doch, dass ich am besten mit einer Waage zusammenkommen sollte!«
»Oh«, meinte ich. »Das ist ja toll. Hast du Frida irgendwo gesehen?«
Lulus Lächeln war plötzlich wie weggewischt. »Frida ist hier? Ich dachte, du hättest ihr verboten, zu kommen.« Ihr Blick fiel auf jemanden hinter mir. »Oh, hi, Christopher.«
Ich drehte den Kopf über die Schulter. Natürlich war er mir gefolgt. All die Typen, die ich mir erfolgreich mit meiner unverschämten, selbstbewussten Art vom Leib gehalten hatte, hatten sich auch den drohenden Blicken eines Superschurken nicht widersetzen können. Toll.
»Hey«, rief er. Dann zeigte er mit dem Finger auf etwas. »Ist sie das nicht, da drüben, das Mädchen, das bei diesem Gabriel Luna steht?«
Ich wirbelte herum und entdeckte Frida - vielleicht auch nur ein Mädchen, das wie Frida aussah, ebenfalls in einem Taschentuchkleidchen. Sie lehnte sich gerade gefährlich weit aus einem der offenen Fenster. Gabriel Luna hatte ihr einen Arm um die Schulter gelegt. Was machte der denn da? Da ich wusste, wie ernst es Frida mit ihrer Schwärmerei für ihn war, ging ich sofort davon aus, dass es ganz und gar nicht angebracht war, was er da tat.
»Na warte«, stieß ich hervor und stiefelte auf die beiden los, bereit, Gabriel wenn nötig aus dem Fenster zu werfen, so heftig und mörderisch war meine Wut auf ihn. Schließlich nutzte er meine kleine Schwester offensichtlich schamlos aus.
Doch als ich näher kam, erkannte ich, was dort wirklich vor sich ging. Frida kotzte aus dem halb offenen Fenster, und zwar direkt in den Blumenkasten davor - der zu dieser Jahreszeit Gott sei Dank leer war. Gabriel hielt sie fest, weil ihr Körper wieder und wieder vom Würgereiz geschüttelt wurde. Als ich mich näherte, blickte er auf und rief mir mit erhobener Stimme zu (damit ich ihn über das Hämmern der Musik verstehen konnte): »Sie scheint noch ein bisschen zu jung zu sein, um auf eine Bar mit Gratisdrinks losgelassen zu werden.«
Frida fuhr sich mit zitternder Hand über den Mund. Im gleichen Augenblick kam einer der Caterer mit einem Tablett voller Kanapees vorbei. Schnell schnappte ich mir eine Handvoll Servietten und reichte sie ihr. Frida nahm sie dankbar entgegen.
»Er hat behauptet, das wäre Früchtebowle ohne Alkohol«, wimmerte sie schwach, während sie auf ihren hochhackigen Schuhen in die Hocke ging und uns von unten mit riesigen, mitleiderregenden Augen ansah.
»Wer hat behauptet, das sei reine Früchtebowle?«, wollte ich wissen und nahm mir noch ein paar Servietten als Reserve vom Stapel, um ihr damit das Gesicht abzutupfen, wo sie ein paar Spuren von der Sauerei verfehlt hatte.
»Er war’s.« Entnervt deutete sie auf eine Gruppe von Leuten, die ganz in der Nähe tanzten. »Justin Bay.«
Ich drehte mich um und folgte ihrem Finger. Und tatsächlich, ganz in der Nähe stand Justin Bay, Star der Verfilmung von Journeyquest (die echt total beschissen war, ich kann es nur immer wieder betonen). Er rieb sich gerade mit den Hüften an irgendwelchen aufreizend gekleideten Mädchen Typ Model. (Und keine von ihnen war seine Freundin Veronica.) Sie alle waren sogar noch leichter bekleidet als Frida und sie trugen noch viel höhere Absätze.
Lulu, die von hinten an mich herangetreten war, folgte meinem Blick und schnappte erschrocken nach Luft.
»Wer hat den denn eingeladen?«, wollte sie wissen und funkelte dabei vor Wut.
»Na, die Hälfte der Leute hier«, meinte Steven jetzt, »haben sich ihre Einladung aus dem Internet ausgedruckt, wie mir die Türsteher erzählt haben. Sie haben ihr Möglichstes versucht, den Großteil von denen rauszufischen, aber letzten Endes war es einfach zu schwer, die echten von den gefälschten Einladungen zu unterscheiden. Und draußen auf der Straße lauern überall die Paparazzi«, fuhr Steven fort. »Wahrscheinlich wird eure Party sogar in die Annalen eingehen … Nicht zuletzt weil ihr gegen jeden einzelnen Punkt der Feuerschutzbestimmungen von Manhattan verstoßen habt.«
»Das war gar keine alkoholfreie Fruchtbowle«, winselte Frida nun total niedergeschlagen. »Stimmt’s?«
Ich konnte den Blick nicht von Justin abwenden. Irgendetwas hatte er an sich - nicht das hautenge schwarze Seidenhemd, das er trug, oder die vielen Goldkettchen -, irgendetwas, was mich stutzen ließ.
Kein Mensch verschwindet einfach so für immer… Selbst wenn man Leute im Zuge eines Zeugenschutzprogramms mit einer völlig neuen Identität ausstattet, können diese Menschen nicht gegen das Gefühl an, ihren Freunden von früher ein Zeichen zu senden, selbst wenn sie damit ihr Leben aufs Spiel setzen. Das ist nun mal die Macht der Gewohnheit. Alle machen früher oder später diesen Fehler. Du hast es auch getan, mit deinen Dinosaurier-Stickern. Ich war nur zu dämlich, das zu kapieren.
Oh Mann. Natürlich!
Es schien schier unmöglich zu sein. Es war einfach lächerlich. Es war einfach zu verrückt.
Aber wenn ich es mir genau überlegte, dann traf das ja auf so ziemlich alles zu, was mir in letzter Zeit passiert war.
Mit den Ellenbogen erkämpfte ich mir einen Weg zu Justin und legte ihm eine Hand auf den Arm. Er öffnete die Augen gerade so weit, dass er mich aus engen Schlitzen ansehen konnte. Als er mich erkannte, verlangsamte er sein Hüftkreisen.
»Oh«, sagte er mit einem müden, abschätzigen Lächeln. »Hallo, Nik.«
»Justin«, erwiderte ich, ohne eine Miene zu verziehen. »Zeig mir bitte sofort dein Handy.«
»Ach, der Spruch ist ja ganz neu.« Er blickte über die Schulter zu den Models, mit denen er seine sexuellen Trockenübungen gemacht hatte, und fing an zu lachen. Die Mädchen waren alle ähnlich besoffen wie er selbst und stimmten in sein Lachen ein, ohne mit dem Tanzen aufzuhören. »Ich hab ja in meinem Leben schon die verrücktesten Anmachen erlebt, aber das ist echt die Krönung: Zeig mir bitte sofort dein Handy
Blitzschnell war Christopher mir plötzlich zur Seite gesprungen und stellte sich links neben mich. »Los, nun zeig’s ihr schon.«
»Ja, und zwar sofort.« Gabriel tauchte zu meiner Rechten auf.
Justin, dem endlich zu dämmern schien, dass wir es ernst meinten, hörte nun ganz auf zu tanzen. Seine Augen öffneten sich nun zu normaler Größe.
»Hallo, immer schön langsam«, meinte er. »Was soll denn dieses Verhör? Ich tanze doch bloß.«
»Du wirst schon bald in einer Lache von deinem eigenen Blut liegen, wenn du meiner Schwester nicht sofort dein Handy gibst«, drohte Steven ihm, der nun auch zu uns gestoßen war.
Weder Christopher noch Gabriel noch Steven konnten auch nur die leiseste Ahnung haben, weshalb ich so dringend Justin Bays Handy sehen wollte. Aber dass sie ohne zu zögern bereit waren, den Boden mit ihm zu polieren, nur weil ich es sagte, fand ich echt rührend. Das war es wirklich.
»Na gut.« Justin griff in eine Tasche seiner engen gestreiften Anzughose und zog ein silbernes Klapphandy hervor, das er mir zuwarf. »Ich hab echt keine Ahnung, wozu du das brauchst. Dafür mailst du mir ja auch schon oft genug.«
Ich nickte und ein Triumphgefühl überkam mich. »Genau wie ich dachte«, murmelte ich und scrollte durch Justins Textnachrichten.
»Du mailst ihm immer noch?« Lulu starrte mich ungläubig an. »Oh Mann, und ich dachte, du hättest diesen Loser bereits vor Monaten in den Wind geschossen.«
»Wohl kaum«, sagte Justin mit einem fiesen Grinsen im Gesicht. »Sie läuft mir immer noch hinterher. Und wie.«
Christopher machte in einer fließenden Bewegung einen schnellen Schritt nach vorn und nahm Justin in den Schwitzkasten. Angesichts dieser unerwarteten Wendung klappte Frida die Kinnlade runter. Auch ich erschrak. Christopher war in der Zeit, bevor er zum Superschurken mutierte, nie der Typ gewesen, der gern mal handgreiflich wurde.
Aber dazu veranlassten ihn wohl die Kräfte des Bösen.
»Scheiße«, krächzte Justin.
Die Models, mit denen er getanzt hatte und die so abartig dünn waren wie eine Bifi-Wurst, stöckelten ein Stückchen zurück, um sich aus der Gefahrenzone zu begeben, für den Fall, dass es zu blutigen Handgreiflichkeiten käme. Sie wollten nicht, dass ihre Dolce&Gabbana-Outfits ruiniert wurden. »Lass mich sofort los, Mann! Weißt du eigentlich, wer mein Vater ist?«
»Entschuldige dich gefälligst«, fauchte Christopher. Offensichtlich hatte er ziemlich fest zugedrückt, denn Justin gab nun erstickte Laute von sich.
»Entschuldigung«, brachte Justin mit Müh und Not hervor. »Ruinier mir bloß nicht das Gesicht, Mann. Ich spiel im neuen Jahr bei einem Ang-Lee-Film mit.«
Ich scrollte weiter, bis ich auf eine Nachricht vom Absender NikkiH stieß. Dann las ich den Text durch, der echt abartig schmalzig klang.
Das alles ergab keinen Sinn.
Andererseits, die Sache mit den Dinosaurier-Stickern war auch nicht gerade genial gewesen.
»Kann Felix denn eine Mail zurückverfolgen?«, fragte ich, jetzt an Christopher gewandt.
»Selbstverständlich«, sagte er.
»Sag mir, wo ich das hinschicken soll, damit er herausfindet, woher die Nachricht kommt.«
Und Christopher sagte es mir. Ich drückte auf SENDEN und leitete die Nachricht von NikkiH an Felix weiter, mit der Bitte, herauszufinden, von wo aus sie ursprünglich geschickt worden war.
»Ach ja«, sagte ich, als ich fertig war. Ich blickte auf. »Du kannst ihn jetzt wieder loslassen.«
Christopher ließ Justin also frei und der wankte erst einmal ein wenig hin und her und rieb sich den Nacken.
»Verflucht«, rief er jetzt. »Hast du denn voll den Verstand verloren? Was sollte das denn, bitte schön?«
»Keine Ahnung.« Gabriel wirkte völlig ruhig. »Aber das hier, das ist dafür, dass du dieses arme kleine Mädchen angelogen hast wegen der Fruchtbowle.«
Mit diesen Worten rammte er Justin die Faust in den Magen - anscheinend ziemlich fest, denn Justin kippte vornüber und brach auf dem Boden zusammen. Dort schnappte er wie ein Goldfisch, der aus Versehen aus seinem Glas gesprungen ist, verzweifelt nach Luft.
Steven, der neben Lulu stand, sah von Justin zu Gabriel zu Christopher und dann wieder zurück zu Justin. Anschließend sagte er mit einem zufriedenen Grinsen: »Wisst ihr, ich hatte ja zunächst meine Zweifel. Aber wie es aussieht, ist das eine richtig klasse Party.«
»Ich versteh überhaupt nichts mehr«, meinte Frida und sah besorgt auf Justin hinab, der sich langsam zu erholen schien - dank der Models, die herübergestöckelt waren, um ihm zu Hilfe zu eilen. »Was geht hier eigentlich ab? Weshalb musstest du dir so dringend Justin Bays Handy ansehen? Und was macht eigentlich Christopher hier?«
»Ah, interessante Frage, und ausgerechnet du wagst es, sie zu stellen?« Bei diesen Worten bedachte ich sie mit einem strengen Blick. »Und was hast du da überhaupt an? Woher hast du denn dieses Kleid? Wenn man das überhaupt als Kleid bezeichnen kann.«
»Ich bin doch nur gekommen, um Lulu zu unterstützen«, verteidigte Frida sich und zog einen Schmollmund. »Ich weiß doch, wie viel ihr diese Party bedeutet. Ich wollte sie nicht im Stich lassen …«
Lulu wirkte ziemlich gerührt. »Oooh, ist das nicht süß?«, quietschte sie entzückt. »Also echt, Nikki, du kannst ihr doch deswegen nicht böse sein?«
»Und ob ich das kann«, zischte ich. »Ich hab ihr klipp und klar gesagt, dass sie nicht eingeladen ist. Du warst sogar dabei, Lulu. Also, ich finde, an der Sache ist ganz und gar nichts süß.«
»Bist du nicht ein wenig zu streng mit ihr?«, mischte sich Gabriel jetzt ein. Zu meiner größten Verblüffung zog er jetzt seine Jacke aus - ein ultrateures Teil mit ausgefransten Nähten, ähnlich wie das von Steven. Er legte sie Frida um die bloßen Schultern, da sie ein wenig zitterte wegen des Luftzugs vom Fenster, vor dem sie immer noch stand. »Das war ihr doch sicher eine Lehre, meinst du nicht?«
»Und ob«, rief Frida dazwischen und hielt sich den Kragen der Jacke zu, während sie zu Gabriel hochschaute, und zwar mit einem Blick, in dem buchstäblich Sternchen funkelten. Oder spiegelten sich darin nur die speziellen Party-Halogenleuchter, die Lulu hatte installieren lassen? »Ich hab meine Lektion gelernt, ehrlich.«
Lulu stieß mich mit dem Ellbogen an und kicherte, aber ich konnte nun wirklich keinen Grund zum Lachen sehen. Meine kleine Schwester war total in Gabriel Luna verknallt, und zwar schon seit Monaten. Das war ganz und gar nicht gut. Erstens war er viel zu alt für sie, und mit seinem Verhalten (indem er zum Beispiel einen Idioten wie Justin Bay zusammengeschlagen hatte) hatte er sie auch noch ermutigt.
Okay, zugegeben, das war schon ziemlich cool gewesen, echt. Aber hallo? Das hieß doch nicht gleich, dass Gabriel einfach so meiner Schwester seine Jacke geben konnte. Meiner kleinen Schwester, die überhaupt gar nicht hätte hier sein dürfen, geschweige denn, dass sie in ihrem Alter schon einen Freund haben durfte.
»Ah, das ist wahrscheinlich Felix«, rief Christopher, als der »Schlachtruf der Drachen« ertönte, und holte sein Handy aus der Lederjacke. Er warf einen kurzen Blick auf das Display, dann nickte er und ging ran. »Hey, Mann, was gibt’s?«, fragte er ins Handy.
Er nickte noch ein paar Mal. Dann sah er mich an. Seine blauen Augen waren auf mich gerichtet wie ein Laserpointer, genauso scharf und durchdringend. Der Blick wanderte meine Wirbelsäule rauf und runter.
Und das fühlte sich überhaupt nicht gut an.
Leider konnte ich die Gedanken hinter seinem Blick nicht erraten. Aber ich spürte deutlich, dass es Ärger gab.
Christopher beendete das Gespräch und steckte sein Handy wieder weg. Dann fragte er mich, seinen undurchdringlichen Blick immer noch auf mich gerichtet: »Kann ich dich mal kurz sprechen … unter vier Augen, wenn möglich?«
Doch dieses Mal war Steven entschieden dagegen.
»Nein«, sagte er. Es klang nicht so, als wäre er sauer. Er sagte es sogar in ziemlich ruhigem Ton.
Doch dieses »Nein« klang so energisch, als hätte ein König ein Machtwort gesprochen.
»Alles, was du zu dieser Angelegenheit mit ihr zu besprechen hast, kannst du auch mir sagen«, meinte er. »Ich bin immerhin ihr Bruder.«
Christopher blinzelte ihn verständnislos an. Keine Ahnung, was ihm in dem Moment durch den Kopf ging, wahrscheinlich so was wie: »Du bist doch gar nicht wirklich ihr Bruder.« Wir wussten alle, dass das stimmte (nun ja, alle außer Gabriel wahrscheinlich). Sogar Steven musste das klar sein.
»Okay«, sagte er zu Steven. »Na gut, dann erzähl ich euch mal, was Felix herausgefunden hat. Er hat die E-Mail zu einem Computer mit einer IP-Adresse irgendwo in Westchester zurückverfolgt.«
Ich glotzte ihn mit offenem Mund an. »Westchester? Das ist nicht viel mehr als zwanzig Meilen von hier entfernt.«
»Genau. Und der Computer gehört irgendeinem Doktor. Sein Name lautet Jonathan Fong.«
Lulu zog ein Gesicht. »Warum sollte denn ein Doktor E-Mails an Justin Bay schicken, in denen er sich als Nikki Howard ausgibt? Was ist das denn für ein abartig kranker Perversling, bitte?«
»Das ist doch gar nicht die entscheidende Frage«, wandte Christopher ein. »Die wichtigere Frage lautet doch, für wen Dr. Jonathan Fong eigentlich arbeitet.«
Fassungslos starrte ich ihn an. Obwohl die Party hinter uns noch in vollem Gange war und das ganze Apartment zu kochen schien, bis auf einige wenige Stellen, wo von draußen Luft reinkam, überlief mich plötzlich ein eisiger Schauer.
»Nein!« Mehr brachte ich nicht hervor.