ZEHN
Wirklich jeder hätte sehen können, dass ich kein entspanntes Wochenende gehabt hatte, wenn er mich am Montagmorgen beobachtet hätte, wie ich nur knapp vor dem zweiten Gongschlag mit einem Becher Tee in der einen Hand und meiner Marc-Jacobs-Tasche voll mit Hausarbeiten, mit denen ich zu spät dran war, und meinem MacBook Air in der anderen Hand in das Schulgebäude stolperte. Ich musste total fertig aussehen. Ich hatte mich die ganze Nacht im Bett hin und her gewälzt, und zwar nicht nur, weil Lulu Collins mir meine Bettdecke weggezogen hatte, sondern vor allem wegen des Jungen, in den ich hoffnungslos verknallt war. Na ja, okay, er war ja ebenfalls verliebt. Aber nicht in McKayla Donofrio, wie sich herausgestellt hatte. Sondern in ein totes Mädchen.
Ach, und übrigens, hab ich schon erwähnt, dass er plante, das Unternehmen, für das ich arbeitete, zugrunde zu richten? Jawohl.
Ich war ja nicht gerade der größte Fan von Stark Enterprises. Aber zerstören wollte ich den Konzern nun auch nicht unbedingt. Schließlich waren mir ein paar von den Leuten, die dort arbeiteten, ans Herz gewachsen.
Und Christopher war gestern leider nicht so liebenswürdig gewesen, mir zu verraten, was er und sein Cousin vorhatten, sobald sie die Daten besaßen, die ich ihnen besorgen sollte. Warum sollte er mir das auch erzählen? Für ihn war ich ja nur ein unterbelichtetes Model.
Natürlich hatte er das so nicht gesagt. Aber es war nur allzu deutlich, dass er nicht von mir erwartete, ich würde das »verstehen«, und dass er es besser fand, wenn ich »nichts darüber wusste«.
Selbstverständlich war ich daran zum Teil auch selbst schuld. Ich hatte nämlich bei einer früheren Begegnung in der Schule so getan, als würde ich die einfachsten Dinge in Bezug auf Computer nicht checken.
Allerdings hatte ich ihm nichts vormachen müssen hinsichtlich meiner Reaktion auf seine Erklärung, sie wollten Stark Enterprises ruinieren. Ich konnte nicht anders. Ich war ernsthaft schockiert gewesen. Ich war mit der erstbesten Sache rausgeplatzt, die mir in den Sinn kam, und zwar: »Aber … warum?«
Christopher hatte lediglich geheimnisvoll gelächelt und gesagt: »Ich hab da schon so meine Gründe.«
Mir war nicht entgangen, wie sein Blick bei diesen Worten kurz zu dem Foto von mir gehuscht war, nur für einen winzigen Augenblick.
Toll. Echt toll! Es war ja nun ganz offensichtlich, was hier vor sich ging. Mein Tod, wie schon der Tod so vieler tragischer Heldinnen vor mir, hatte den Tod eines anderen Menschen nach sich gezogen … nämlich den von Christopher, nur dass er lediglich innerlich gestorben war. Sein Herz war erkaltet und nun hatte ein bösartiger Oberschurke den Platz des ehemals witzigen, superlustigen Christopher eingenommen. Von Christopher, so wie ich ihn geliebt hatte, Christopher, mit dem ich unzählige Male Journeyquest gespielt hatte, Christopher, von dem ich mir so sehr gewünscht hatte, dass er mich endlich als Mädchen wahrnahm statt immer nur als guten Kumpel.
Weshalb war ich nur so überrascht gewesen? In Comics geschah das doch die ganze Zeit. Um meinen Tod zu rächen, würde Christopher seine Kräfte nun für das Böse statt für das Gute einsetzen. Welche andere Erklärung hätte es wohl sonst gegeben?
Nur um sicherzugehen, fragte ich: »Ist vielleicht einer der Gründe für deinen Wunsch nach Rache darin zu suchen, was deiner Freundin in diesem Stark Megastore zugestoßen ist? Weil ich nämlich davon überzeugt bin, dass das die Schuld von diesem Demonstranten war, der mit dem Paintball auf den Plasmabildschirm geschossen hat, unter dem sie damals stand.«
Christopher hatte mich ausdruckslos angesehen und bemerkt: »Und wer war dafür verantwortlich, dass dieser Plasmabildschirm so sicher an der Decke befestigt war, dass der Schuss mit einem Paintball ihn nicht hätte runterkrachen lassen können?«
»Na ja, das war Stark«, hatte ich erwidert. »Aber…«
»Die Leute von Stark müssen für ihre Tat zur Verantwortung gezogen werden.«
Oh mein Gott! Ich konnte gar nicht glauben, was für eine furchtbare Wendung das Ganze genommen hatte.
Aber irgendwie war die ganze Sache auch ziemlich aufregend. Ich meine, welches Mädchen hätte es nicht gerne gesehen, wenn ein Junge nur für sie eine wilde Computer-Hacking-Attacke in Kauf nahm, um es mit einem außerordentlich skrupellosen und umweltfeindlichen Konzern aufzunehmen? Zumal dieser Konzern das Mädchen im Grunde als seinen Firmensklaven hielt und es am Tag zuvor fast noch den Haien zum Fraß vorgeworfen hätte.
Das einzige Problem dabei war, dass er das alles nicht für mich tat. Na ja, okay, klar tat er das für mich, aber das wusste er ja nicht. Denn er war ja der festen Überzeugung, dass Em Watts tot war. Nun konnte ich ihm weniger denn je verklickern, dass ich nicht tot war. Weil er ganz offensichtlich den Verstand verloren hatte. Wer weiß, auf welche Gedanken er erst noch kam, wenn er die Wahrheit erfuhr? Wahrscheinlich würde er es in Sekundenschnelle über die komplette Blogosphäre verbreiten, nur um sich an Stark zu »rächen«.
Und was würde aus mir dann werden? Und aus meinen Eltern? Die müssten vor den Konkursrichter, so sieht’s aus. Ach ja, klar, und Stark wäre am Ende.
Aber die Familie Watts leider auch.
Es war schon schlimm genug, dass Christopher die ganze Zeit irgendwelche Virusprogramme geschrieben und Stark das sogar ziemlich wahrscheinlich mitbekommen hatte, da seine Wohnung vermutlich verwanzt war. Und jetzt saß ich auch noch hier in seiner Wohnung. Ich konnte einfach nicht fassen, dass das alles tatsächlich passierte. Christopher, mein lieber, lustiger und bester Freund Christopher hatte sich echt in einen finsteren, zynischen Kämpfer für globale Gerechtigkeit verwandelt? Wann war das denn geschehen?
»Denkst du wirklich«, hatte ich zu ihm gesagt, immer noch überlegend, wie ich mit der Situation umgehen sollte, »dass deine Freundin - Em war ihr Name, sagtest du, glaube ich - genau das gewollt hätte? Ich meine, was ist denn, wenn die dich erwischen? Dann verdonnern sie dich wahrscheinlich zu Hausarrest wie deinen Cousin. Oder schlimmer noch, vielleicht stecken sie dich ja sogar ins Gefängnis, wenn sie dich vors Erwachsenengericht stellen.«
»Das ist mir egal«, hatte Christopher nur kopfschüttelnd entgegnet. »Das wäre die ganze Sache wert.«
Eisige Kälte war mir die Wirbelsäule hochgekrochen. Denn in dem Moment war mir klar geworden, dass Christophers Transformation bereits zu hundert Prozent abgeschlossen war. Jetzt fehlten eigentlich nur noch ein schwarzes Cape und eine gezackte Narbe im Gesicht.
»Du würdest tatsächlich eine Haftstrafe auf dich nehmen«, hatte ich voller Verblüffung gefragt, »für ein totes Mädchen?«
Seine nächsten Worte aber hatten mich schließlich vollends vom Hocker gehauen: »Sie war es wert«, hatte er ganz einfach gesagt.
Wenn ich in dem Augenblick ein Messer hätte greifen können, um es Em Watts ins Herz zu rammen, dann hätte ich das weiß Gott getan, so sehr hasste ich sie in dieser Sekunde. Spielt keine Rolle, dass ich selbst Em Watts war. Ich konnte mir ihre Visage keine Minute länger anschauen. Ich musste da raus. Ich musste aus Christophers Versteck-Schrägstrich-Schlafzimmer abhauen. Vor allem wegen dieser Ich-will-ihntrotz-allem-immer-noch-küssen-Sache.
Und weil er mich ganz entschieden nicht küssen wollte. Weil er nämlich in ein totes Mädchen verliebt war.
Ich hab keine Ahnung, was ich danach sagte oder tat. Plötzlich fand ich mich draußen im Flur wieder, wie ich gerade meine Arme in meine Jacke zwängte und Cosy ebenfalls ihr Mäntelchen wieder anlegte. Ich schäme mich fast, zuzugeben, dass mir in dem Moment womöglich noch ein paar unvergossene Tränen in den Augen standen …
Allerdings glaube ich nicht, dass er die bemerkt hat. Dieses Mal nicht.
Natürlich hatte ich nun eine Entscheidung zu fällen: Wollte ich ihm geben, worum er mich gebeten hatte, und riskieren, dass all die Leute, mit denen ich nahezu täglich zusammenarbeitete, ihren Job verloren? (Falls das, was er und Felix planten, tatsächlich Erfolg haben sollte. Wie gut standen die Chancen denn eigentlich? Meiner Meinung nach gab es nichts, was er nicht schaffte, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte. Aber einen milliardenschweren Konzern wie Stark mit einem einfachen Computervirus außer Gefecht zu setzen oder was auch immer er vorhaben mochte? Also bitte, wollen wir doch mal realistisch bleiben.)
Oder sollte ich ihn lieber vergessen und Stevens Mom irgendwie anders zu finden versuchen?
Und dann war da noch diese Sache, dass ich ihn eigentlich dazu bringen wollte, mich so zu mögen, wie ich jetzt war, im Körper von Nikki Howard. Denn als ich da im Flur stand und peinlich darauf achtete, dass er nicht mitbekam, wie sehr ich durch den Wind war, da hatte er ganz unmissverständlich die Botschaft ausgestrahlt: Jetzt aber schnell dieses hübsche Mädchen hier loswerden, weil sie nicht die Infos ausspuckt, die wir so dringend brauchen.
Oh, er war durchaus höflich gewesen. Er hatte mir den versprochenen Schirm gereicht und alles.
Aber er hatte mich nicht gerade angefleht, noch zu bleiben oder etwas in die Richtung.
War es also folglich ein Wunder, dass ich die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte? Und dass ich für die Abschlussprüfungen noch keinen Strich gelernt hatte?
Sobald ich in der Tribeca Highschool angekommen war, begab ich mich unverzüglich in die Mädchentoiletten im Erdgeschoss, in der Hoffnung, vor dem Unterricht noch schnell ein paar kleinere Schönheitskorrekturen an meinem Gesicht vornehmen zu können, bevor ich Christopher gleich im Rhetorikkurs unter die Augen treten musste. Ich hatte keinen Schimmer, was ich zu ihm sagen sollte. Aber ich war mir sicher, dass ich selbstbewusster auftreten konnte, wenn ich etwas Lipgloss auftrug. Meine Schwester hatte die Vorzüge von Lipgloss schon lange gepredigt. Das hatte ich allerdings ignoriert, bis professionelle Visagisten damit angefangen hatten, mich jeden Tag damit zuzukleistern, und ich das Ergebnis im Spiegel und schließlich auch in den Zeitschriften bewundern konnte, deren Seiten Nikkis Gesicht für gewöhnlich zierte. Es konnte einem Mädchen schon einen echt fetten Schub an Selbstvertrauen geben. Jeder, der etwas anderes behauptet, hat es noch nie mit dem Triple X von Nars versucht.
Schon witzig, dass, noch während ich dies dachte, meine Schwester aus der Toilette rausgestürmt kam und mich fast über den Haufen rannte.
»Em - ich meine natürlich Nikki!«, rief sie überrascht, während der heiße Tee aus dem Pappbecher schwappte, den ich in der Hand hielt, und sich neben uns über den Boden ergoss. »Ups! Oh nein, das tut mir echt total leid!«
Ihre Freundinnen glotzten mich allesamt mit kugelrunden Augen an. Frida traf man selten ohne ihre Entourage von Cheerleader-Kolleginnen aus dem Unterstufenteam. Obwohl ich (in meiner aktuellen Inkarnation) schon seit fast zwei Monaten auf der Tribeca Highschool war, hatten die Schüler sich immer noch nicht so ganz daran gewöhnt, mir hier in den Fluren über den Weg zu laufen. Man glotzte mich ziemlich ungeniert an und pfiff mir sogar gelegentlich hinterher, obwohl ich eine von den wenigen Schülerinnen war, die sich eher konservativ kleideten. Die Schulverwaltung duldete nichts Bauchfreies, keine tiefen Ausschnitte und auch keine Kleidungsstücke, bei denen die Unterwäsche rausblitzte. Natürlich konnte das Whitney Robertson und andere Mädchen von ihrer Sorte nicht davon abhalten, gelegentlich rein »zufällig« ein bisschen gebräunte Haut zu zeigen. Ich hingegen hielt alles, was ich hatte, streng unter Verschluss. Aber nach Silvester wäre das alles natürlich kein Geheimnis mehr, dank der Stark-Angel-Modenschau.
»Hey«, sagte ich zu Frida. »Vielen Dank auch.« Ich meinte das selbstverständlich ironisch wegen des verschütteten Tees, an dem ich mich leicht verbrüht hatte. Ich wischte mir die Hand an meinem Temperley-Top ab, das zum Glück dunkelblau war, sodass man den entstandenen Fleck nicht sehen konnte.
»Ich bin ja so froh, dass ich dich getroffen habe. Wir müssen dringend miteinander reden«, meinte Frida, packte mich am Arm und zerrte mich zurück in die Toilette, aus der sie soeben gekommen war. »Geht ihr schon mal ohne mich weiter«, rief sie ihren Freundinnen zu. »Ich hab kurz was mit Nik zu bequatschen.«
Nik. Ganz toll. Ihre Freundinnen würden schwerst beeindruckt sein.
Zum Glück war niemand sonst in der Toilette, wie Frida schnell durch einen kurzen prüfenden Blick in sämtliche Kabinen festgestellt hatte.
»Wie konntest du gestern nur einfach so verschwinden?«, wollte sie nun wissen und ließ nicht nur meinen Arm fallen, sondern auch die Maske der Höflichkeit, die sie draußen im Flur vor ihren Freundinnen aufgesetzt hatte. »Mom und ich haben uns echt abartige Sorgen gemacht. Und dann hast du auch noch auf keinen unserer Anrufe reagiert.«
Ich blinzelte sie verständnislos an. Das war einfach zu viel für mich so früh am Morgen, nach einer Nacht ohne Schlaf und ohne einen Tropfen Koffein intus. Leider durfte ich auch sonst nicht gerade viel Koffein zu mir nehmen, wie ich zu meinem Leidwesen hatte feststellen müssen. Nikkis Diätplan (an den sie sich wegen ihres Sodbrennens halten musste und den sie Gott sei Dank an der Seite ihres Kühlschranks kleben hatte) ließ das nicht zu. Eine Tasse am Tag, mehr vertrug sie nicht, sonst hieß es: Bahn frei für die Magensäure.
»Ich hatte einen echt beschissenen Tag«, erklärte ich. Das war keine allzu gute Erklärung, das war mir klar. Aber etwas anderes fiel mir in dem Moment nicht ein.
»Und du hast diese riesige Tasche mit all den Geschenken für uns dagelassen!«, fuhr Frida fort. »Du hast sie einfach so dagelassen, ohne ein Wort zu sagen!«
»Die waren für euch gedacht, ihr solltet sie aufmachen, wenn wir alle zusammen bei Grandma sind«, sagte ich müde. Ich wollte auf gar keinen Fall an all die witzigen Geschenkesessions erinnert werden, die wir in Florida immer hatten, mit einem Berg Geschenkpapier und Schokoladenweihnachtsmännern im Überfluss. Denn all das gehörte für mich nun der Vergangenheit an.
»Ich weiß«, sagte Frida. »Das war ja so lieb von dir …«
Ich wusste genau, dass sie das entsprechende Geschenk in der unverkennbaren tiffanyblauen Verpackung, das ich für sie besorgt hatte, längst geschüttelt hatte und selbstverständlich inzwischen draufgekommen war, dass es sich dabei um etwas handelte, was sie sich schon immer gewünscht hatte. Etwas, das all ihre Freundinnen an der Tribeca Highschool längst besaßen, das unsere Eltern sich aber leider nicht leisten konnten, nämlich ein Paar Diamantohrringe.
»Sieh mal«, sagte ich betreten. Ich wollte nicht daran denken, wie sie die Schachtel dort unten in Florida aufmachen würde, ohne dass ich dabei war und ihren Gesichtsausdruck sehen konnte. »Ich muss los. Gleich kommt der Gong und ich war noch nicht mal an meinem Schließfach.«
»Nein«, rief Frida entschieden und griff noch einmal nach meinem Handgelenk. Dieses Mal allerdings entschied sie sich für die Hand ohne Teebecher. »Nikki, ich habe mich mit Mom und Dad unterhalten. Deshalb haben wir ja dauernd versucht, dich zu erreichen. Mom hatte nicht erwartet, dass es dich so aufregen würde, dass du nicht mit zu Grandma kommen kannst. Sie war der Meinung, du würdest eh an einen viel glamouröseren Ort fahren, Paris zum Beispiel, und dass dir das deshalb nichts ausmachen würde …«
»Ich muss mich jetzt wirklich auf den Weg machen«, betonte ich noch einmal. Ich wollte das alles nicht hören. Wahrscheinlich würde sie mir gleich verkünden, dass sie sich entschieden hatten, hier in der Stadt irgendeine lahme Weihnachts-Chanukka-Party zu schmeißen, bevor sie dann zu Grandma führen, sodass wir noch Geschenke austauschen und heißen Cider trinken und uns gemeinsam die Komödie Fröhliche Weihnachten ansehen konnten oder so was Ähnliches.
Aber all das würde nicht dasselbe sein ohne Grandma und ohne den Strand und ohne Grandmas dämliche Tiefkühl-Bagels. Welche ich in diesem bescheuerten Körper sowieso nicht verdauen konnte.
»… aber da wir jetzt wissen, dass du auch da bist, haben wir uns was anderes überlegt«, redete Frida unbeirrt weiter. »Florida lassen wir dieses Jahr einfach sausen. Wir bleiben hier in der Stadt, und Grandma hat sich schon bereit erklärt, hierherzufliegen! Also kannst du zu uns kommen. Wir können ihr ja erzählen, du wärst eine Schulfreundin von mir …«
»Frida«, sagte ich entnervt. Ich wollte mir das nicht länger anhören.
»Komm schon, Em. Ich weiß ja, dass es nicht wie immer sein wird, aber wir werden unseren Spaß haben. Grandma freut sich sogar auf die winterliche Stadt, und du weißt genau, wie ungern sie hierherfährt, wenn es noch kalt ist…«
»Frida!«
Sie zuckte zusammen. Allerdings konnte ich nicht genau sagen, ob es am Gong lag oder daran, dass ich sie angeschrien hatte. Auf jeden Fall hatte ich jetzt ihre volle Aufmerksamkeit.
»Wir kommen zu spät zum Unterricht. Lass uns später darüber reden, okay?«
»Okay«, murmelte Frida unzufrieden. Sie wirkte verletzt. »Und ich dachte, du würdest dich freuen. Weißt du, ich hab sogar freiwillig auf das Cheerleader-Camp verzichtet, damit ich hierbleiben und mit euch zusammen sein kann.«
Ganz plötzlich hatte ich keine Lust mehr auf meinen Tee, Koffeindosis hin oder her. Ich feuerte den Becher in die Mülltonne neben uns und stürmte aus der Toilette.
»Ich freue mich ganz und gar nicht darüber, Frida«, zischte ich ihr zwischen zusammengebissenen Zähnen zu, während sie hinter mir hertrottete. »Ich möchte, dass du das tust, was du gerne möchtest, und nicht, was du denkst, das ich will.«
»Aber ich mach doch das, was ich will«, verteidigte sich Frida. »Ich würde so gern zu eurer Party kommen.«
Abrupt blieb ich stehen und drehte mich blitzschnell zu ihr um. Gerade eilten die letzten Zuspätkommer an uns vorbei, um in den Unterricht zu gelangen, bevor Strafaufgaben verteilt wurden.
»Eine Sekunde.« Finster schaute ich zu ihr hinab. »Hast du das alles nur aus dem Grund so eingefädelt, damit du zu Lulus Party gehen kannst?« Das würde ihr in der Tat ähnlich sehen. Frida war so fasziniert von dieser ganzen Glitzer- und Glamourwelt, dass sie sich sogar den Arm abgehackt hätte, nur um einem Promi zu begegnen … wenn es denn der richtige Promi war.
Fridas rote Wangen bestätigten mir, dass dies der Wahrheit entsprach, bevor sie auch nur ein Wort zu ihrer Verteidigung vorbringen konnte. »Nein, nicht ganz«, meinte sie.
Frustriert warf ich die Arme nach oben und wandte mich von ihr ab, um mich auf den Weg ins Klassenzimmer zu machen. Ich war fertig mit der Welt.
»Was denn?«, rief Frida mir hinterher. »Ich dachte, du würdest dich freuen! Du hast gestern so abartig traurig ausgesehen! Jetzt kannst du doch mit Mom und Dad und mit mir zusammen feiern …«
»Du bist echt unglaublich«, fuhr ich sie zornig an. »Weißt du, Frida, gestern hab ich wirklich einiges auf mich genommen, bin durch den schrecklichsten Schneeregen marschiert, hab mich fast mit Mom angelegt, nur um dir zu helfen. Und das alles aus dem Grund, weil du stur darauf bestehen musstest, zu diesem Cheer-Camp zu fahren. Aber kaum bietet sich dir eine attraktivere Einladung, interessiert dich das alles nicht mehr. Was ist denn nun damit, dass du so ein wichtiger Teil von dem Team bist?«
Frida rannte neben mir her, wobei ihr Mund sich wie bei einem Goldfisch ständig öffnete und wieder schloss. Ich wusste, dass sie krampfhaft nach einer Entschuldigung für ihr Verhalten suchte. Doch es gab keine Entschuldigung.
»Ich weiß, dass du tatsächlich dachtest, mir damit einen riesigen Gefallen zu tun«, sagte ich. »Aber in Wirklichkeit tust du das alles gar nicht für mich, hab ich recht? Im Grunde bist du diejenige, die dabei am meisten profitiert. Ich sag dir was, Frida. Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Partys. Zum Beispiel dass man sein Team nicht im Stich lässt. Hast du auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht, wie die anderen Cheerleaderinnen sich fühlen, wenn sie rausfinden, dass du sie sitzen gelassen hast, nur um mit Nikki Howard und Lulu Collins zu feiern?«
Ich hatte das Klassenzimmer erreicht, in dem der Rhetorikkurs stattfand. Vor der Tür drehte ich mich noch mal zu ihr um. Frida standen vor Wut Tränen in den Augen.
»Und dabei wollte ich eigentlich nur für meine Schwester da sein«, zischte sie nun verbittert.
»Klar«, meinte ich. »Na ja, schon komisch, dass du dich an die Existenz deiner Schwester immer nur dann zu erinnern scheinst, wenn du irgendetwas von ihr willst. Zum Beispiel wenn du einen Verbündeten gegen deine Mutter brauchst oder jemanden, der dir Diamantohrringe schenkt, oder wenn du dir eine Einladung zu einer hammermäßigen Loftparty erhoffst. Zu der du im Übrigen nicht eingeladen bist.«
Damit stürmte ich an ihr vorbei.
Genau in diesem Moment rief Mr Greer: »Miss Howard? Wollen Sie uns heute noch mit Ihrer werten Anwesenheit beglücken? Oder bleiben Sie lieber draußen auf dem Flur stehen, um ein wenig zu plaudern?«
»Verzeihung«, murmelte ich. Ich rauschte ins Klassenzimmer und ließ mich auf meinen Stuhl sinken …
… der zufällig genau vor Christopher stand.
Das sah mir schon wieder ganz danach aus, als würde das so gar nicht mein Tag werden.