ZEHN
Wirklich jeder hätte sehen können, dass ich kein
entspanntes Wochenende gehabt hatte, wenn er mich am Montagmorgen
beobachtet hätte, wie ich nur knapp vor dem zweiten Gongschlag mit
einem Becher Tee in der einen Hand und meiner Marc-Jacobs-Tasche
voll mit Hausarbeiten, mit denen ich zu spät dran war, und meinem
MacBook Air in der anderen Hand in das Schulgebäude stolperte. Ich
musste total fertig aussehen. Ich hatte mich die ganze Nacht im
Bett hin und her gewälzt, und zwar nicht nur, weil Lulu Collins mir
meine Bettdecke weggezogen hatte, sondern vor allem wegen des
Jungen, in den ich hoffnungslos verknallt war. Na ja, okay,
er war ja ebenfalls verliebt. Aber nicht in McKayla
Donofrio, wie sich herausgestellt hatte. Sondern in ein totes
Mädchen.
Ach, und übrigens, hab ich schon erwähnt, dass er
plante, das Unternehmen, für das ich arbeitete, zugrunde zu
richten? Jawohl.
Ich war ja nicht gerade der größte Fan von Stark
Enterprises. Aber zerstören wollte ich den Konzern nun auch nicht
unbedingt. Schließlich waren mir ein paar von den Leuten, die dort
arbeiteten, ans Herz gewachsen.
Und Christopher war gestern leider nicht so
liebenswürdig
gewesen, mir zu verraten, was er und sein Cousin vorhatten, sobald
sie die Daten besaßen, die ich ihnen besorgen sollte. Warum sollte
er mir das auch erzählen? Für ihn war ich ja nur ein
unterbelichtetes Model.
Natürlich hatte er das so nicht gesagt. Aber es war
nur allzu deutlich, dass er nicht von mir erwartete, ich würde das
»verstehen«, und dass er es besser fand, wenn ich »nichts darüber
wusste«.
Selbstverständlich war ich daran zum Teil auch
selbst schuld. Ich hatte nämlich bei einer früheren Begegnung in
der Schule so getan, als würde ich die einfachsten Dinge in Bezug
auf Computer nicht checken.
Allerdings hatte ich ihm nichts vormachen müssen
hinsichtlich meiner Reaktion auf seine Erklärung, sie wollten Stark
Enterprises ruinieren. Ich konnte nicht anders. Ich war ernsthaft
schockiert gewesen. Ich war mit der erstbesten Sache rausgeplatzt,
die mir in den Sinn kam, und zwar: »Aber … warum?«
Christopher hatte lediglich geheimnisvoll gelächelt
und gesagt: »Ich hab da schon so meine Gründe.«
Mir war nicht entgangen, wie sein Blick bei diesen
Worten kurz zu dem Foto von mir gehuscht war, nur für einen
winzigen Augenblick.
Toll. Echt toll! Es war ja nun ganz offensichtlich,
was hier vor sich ging. Mein Tod, wie schon der Tod so vieler
tragischer Heldinnen vor mir, hatte den Tod eines anderen Menschen
nach sich gezogen … nämlich den von Christopher, nur dass er
lediglich innerlich gestorben war. Sein Herz war erkaltet und nun
hatte ein bösartiger Oberschurke den Platz des ehemals witzigen,
superlustigen Christopher eingenommen. Von Christopher, so wie ich
ihn geliebt hatte, Christopher, mit dem ich unzählige Male
Journeyquest gespielt hatte,
Christopher, von dem ich mir so sehr gewünscht hatte, dass er mich
endlich als Mädchen wahrnahm statt immer nur als guten
Kumpel.
Weshalb war ich nur so überrascht gewesen? In
Comics geschah das doch die ganze Zeit. Um meinen Tod zu rächen,
würde Christopher seine Kräfte nun für das Böse statt für das Gute
einsetzen. Welche andere Erklärung hätte es wohl sonst
gegeben?
Nur um sicherzugehen, fragte ich: »Ist vielleicht
einer der Gründe für deinen Wunsch nach Rache darin zu suchen, was
deiner Freundin in diesem Stark Megastore zugestoßen ist? Weil ich
nämlich davon überzeugt bin, dass das die Schuld von diesem
Demonstranten war, der mit dem Paintball auf den Plasmabildschirm
geschossen hat, unter dem sie damals stand.«
Christopher hatte mich ausdruckslos angesehen und
bemerkt: »Und wer war dafür verantwortlich, dass dieser
Plasmabildschirm so sicher an der Decke befestigt war, dass der
Schuss mit einem Paintball ihn nicht hätte runterkrachen lassen
können?«
»Na ja, das war Stark«, hatte ich erwidert.
»Aber…«
»Die Leute von Stark müssen für ihre Tat zur
Verantwortung gezogen werden.«
Oh mein Gott! Ich konnte gar nicht glauben, was für
eine furchtbare Wendung das Ganze genommen hatte.
Aber irgendwie war die ganze Sache auch ziemlich
aufregend. Ich meine, welches Mädchen hätte es nicht gerne gesehen,
wenn ein Junge nur für sie eine wilde Computer-Hacking-Attacke in
Kauf nahm, um es mit einem außerordentlich skrupellosen und
umweltfeindlichen Konzern aufzunehmen? Zumal dieser Konzern das
Mädchen im Grunde als seinen Firmensklaven hielt und es am Tag
zuvor fast noch den Haien zum Fraß vorgeworfen hätte.
Das einzige Problem dabei war, dass er das alles
nicht für mich tat. Na ja, okay, klar tat er das für mich, aber das
wusste er ja nicht. Denn er war ja der festen Überzeugung, dass Em
Watts tot war. Nun konnte ich ihm weniger denn je verklickern, dass
ich nicht tot war. Weil er ganz offensichtlich den Verstand
verloren hatte. Wer weiß, auf welche Gedanken er erst noch kam,
wenn er die Wahrheit erfuhr? Wahrscheinlich würde er es in
Sekundenschnelle über die komplette Blogosphäre verbreiten, nur um
sich an Stark zu »rächen«.
Und was würde aus mir dann werden? Und aus meinen
Eltern? Die müssten vor den Konkursrichter, so sieht’s aus. Ach ja,
klar, und Stark wäre am Ende.
Aber die Familie Watts leider auch.
Es war schon schlimm genug, dass Christopher die
ganze Zeit irgendwelche Virusprogramme geschrieben und Stark das
sogar ziemlich wahrscheinlich mitbekommen hatte, da seine Wohnung
vermutlich verwanzt war. Und jetzt saß ich auch noch hier in seiner
Wohnung. Ich konnte einfach nicht fassen, dass das alles
tatsächlich passierte. Christopher, mein lieber, lustiger und
bester Freund Christopher hatte sich echt in einen finsteren,
zynischen Kämpfer für globale Gerechtigkeit verwandelt? Wann war
das denn geschehen?
»Denkst du wirklich«, hatte ich zu ihm gesagt,
immer noch überlegend, wie ich mit der Situation umgehen sollte,
»dass deine Freundin - Em war ihr Name, sagtest du, glaube ich -
genau das gewollt hätte? Ich meine, was ist denn, wenn die dich
erwischen? Dann verdonnern sie dich wahrscheinlich zu Hausarrest
wie deinen Cousin. Oder schlimmer noch, vielleicht stecken sie dich
ja sogar ins Gefängnis, wenn sie dich vors Erwachsenengericht
stellen.«
»Das ist mir egal«, hatte Christopher nur
kopfschüttelnd entgegnet. »Das wäre die ganze Sache wert.«
Eisige Kälte war mir die Wirbelsäule hochgekrochen.
Denn in dem Moment war mir klar geworden, dass Christophers
Transformation bereits zu hundert Prozent abgeschlossen war. Jetzt
fehlten eigentlich nur noch ein schwarzes Cape und eine gezackte
Narbe im Gesicht.
»Du würdest tatsächlich eine Haftstrafe auf dich
nehmen«, hatte ich voller Verblüffung gefragt, »für ein totes
Mädchen?«
Seine nächsten Worte aber hatten mich schließlich
vollends vom Hocker gehauen: »Sie war es wert«, hatte er ganz
einfach gesagt.
Wenn ich in dem Augenblick ein Messer hätte greifen
können, um es Em Watts ins Herz zu rammen, dann hätte ich das weiß
Gott getan, so sehr hasste ich sie in dieser Sekunde. Spielt keine
Rolle, dass ich selbst Em Watts war. Ich konnte mir ihre Visage
keine Minute länger anschauen. Ich musste da raus. Ich musste aus
Christophers Versteck-Schrägstrich-Schlafzimmer abhauen. Vor allem
wegen dieser Ich-will-ihntrotz-allem-immer-noch-küssen-Sache.
Und weil er mich ganz entschieden nicht
küssen wollte. Weil er nämlich in ein totes Mädchen verliebt
war.
Ich hab keine Ahnung, was ich danach sagte oder
tat. Plötzlich fand ich mich draußen im Flur wieder, wie ich gerade
meine Arme in meine Jacke zwängte und Cosy ebenfalls ihr Mäntelchen
wieder anlegte. Ich schäme mich fast, zuzugeben, dass mir in dem
Moment womöglich noch ein paar unvergossene Tränen in den Augen
standen …
Allerdings glaube ich nicht, dass er die bemerkt
hat. Dieses Mal nicht.
Natürlich hatte ich nun eine Entscheidung zu
fällen: Wollte ich ihm geben, worum er mich gebeten hatte, und
riskieren, dass all die Leute, mit denen ich nahezu täglich
zusammenarbeitete, ihren Job verloren? (Falls das, was er und Felix
planten, tatsächlich Erfolg haben sollte. Wie gut standen die
Chancen denn eigentlich? Meiner Meinung nach gab es nichts, was er
nicht schaffte, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hatte. Aber
einen milliardenschweren Konzern wie Stark mit einem einfachen
Computervirus außer Gefecht zu setzen oder was auch immer er
vorhaben mochte? Also bitte, wollen wir doch mal realistisch
bleiben.)
Oder sollte ich ihn lieber vergessen und Stevens
Mom irgendwie anders zu finden versuchen?
Und dann war da noch diese Sache, dass ich ihn
eigentlich dazu bringen wollte, mich so zu mögen, wie ich jetzt
war, im Körper von Nikki Howard. Denn als ich da im Flur stand und
peinlich darauf achtete, dass er nicht mitbekam, wie sehr ich durch
den Wind war, da hatte er ganz unmissverständlich die Botschaft
ausgestrahlt: Jetzt aber schnell dieses hübsche Mädchen hier
loswerden, weil sie nicht die Infos ausspuckt, die wir so dringend
brauchen.
Oh, er war durchaus höflich gewesen. Er hatte mir
den versprochenen Schirm gereicht und alles.
Aber er hatte mich nicht gerade angefleht, noch zu
bleiben oder etwas in die Richtung.
War es also folglich ein Wunder, dass ich die ganze
Nacht kein Auge zugetan hatte? Und dass ich für die
Abschlussprüfungen noch keinen Strich gelernt hatte?
Sobald ich in der Tribeca Highschool angekommen
war, begab ich mich unverzüglich in die Mädchentoiletten im
Erdgeschoss, in der Hoffnung, vor dem Unterricht noch schnell ein
paar kleinere Schönheitskorrekturen an meinem Gesicht vornehmen zu
können, bevor ich Christopher gleich im Rhetorikkurs unter die
Augen treten musste. Ich hatte keinen Schimmer, was ich zu ihm
sagen sollte. Aber ich war mir sicher, dass ich selbstbewusster
auftreten konnte, wenn ich etwas Lipgloss
auftrug. Meine Schwester hatte die Vorzüge von Lipgloss schon
lange gepredigt. Das hatte ich allerdings ignoriert, bis
professionelle Visagisten damit angefangen hatten, mich jeden Tag
damit zuzukleistern, und ich das Ergebnis im Spiegel und
schließlich auch in den Zeitschriften bewundern konnte, deren
Seiten Nikkis Gesicht für gewöhnlich zierte. Es konnte einem
Mädchen schon einen echt fetten Schub an Selbstvertrauen geben.
Jeder, der etwas anderes behauptet, hat es noch nie mit dem Triple
X von Nars versucht.
Schon witzig, dass, noch während ich dies dachte,
meine Schwester aus der Toilette rausgestürmt kam und mich fast
über den Haufen rannte.
»Em - ich meine natürlich Nikki!«, rief sie
überrascht, während der heiße Tee aus dem Pappbecher schwappte, den
ich in der Hand hielt, und sich neben uns über den Boden ergoss.
»Ups! Oh nein, das tut mir echt total leid!«
Ihre Freundinnen glotzten mich allesamt mit
kugelrunden Augen an. Frida traf man selten ohne ihre Entourage von
Cheerleader-Kolleginnen aus dem Unterstufenteam. Obwohl ich (in
meiner aktuellen Inkarnation) schon seit fast zwei Monaten auf der
Tribeca Highschool war, hatten die Schüler sich immer noch nicht so
ganz daran gewöhnt, mir hier in den Fluren über den Weg zu laufen.
Man glotzte mich ziemlich ungeniert an und pfiff mir sogar
gelegentlich hinterher, obwohl ich eine von den wenigen
Schülerinnen war, die sich eher konservativ kleideten. Die
Schulverwaltung duldete nichts Bauchfreies, keine tiefen
Ausschnitte und auch keine Kleidungsstücke, bei denen die
Unterwäsche rausblitzte. Natürlich konnte das Whitney Robertson und
andere Mädchen von ihrer Sorte nicht davon abhalten, gelegentlich
rein »zufällig« ein bisschen gebräunte Haut zu zeigen. Ich hingegen
hielt alles, was ich hatte, streng unter Verschluss. Aber nach
Silvester wäre das alles natürlich kein Geheimnis mehr, dank der
Stark-Angel-Modenschau.
»Hey«, sagte ich zu Frida. »Vielen Dank auch.« Ich
meinte das selbstverständlich ironisch wegen des verschütteten
Tees, an dem ich mich leicht verbrüht hatte. Ich wischte mir die
Hand an meinem Temperley-Top ab, das zum Glück dunkelblau war,
sodass man den entstandenen Fleck nicht sehen konnte.
»Ich bin ja so froh, dass ich dich getroffen habe.
Wir müssen dringend miteinander reden«, meinte Frida, packte mich
am Arm und zerrte mich zurück in die Toilette, aus der sie soeben
gekommen war. »Geht ihr schon mal ohne mich weiter«, rief sie ihren
Freundinnen zu. »Ich hab kurz was mit Nik zu bequatschen.«
Nik. Ganz toll. Ihre Freundinnen würden schwerst
beeindruckt sein.
Zum Glück war niemand sonst in der Toilette, wie
Frida schnell durch einen kurzen prüfenden Blick in sämtliche
Kabinen festgestellt hatte.
»Wie konntest du gestern nur einfach so
verschwinden?«, wollte sie nun wissen und ließ nicht nur meinen Arm
fallen, sondern auch die Maske der Höflichkeit, die sie draußen im
Flur vor ihren Freundinnen aufgesetzt hatte. »Mom und ich haben uns
echt abartige Sorgen gemacht. Und dann hast du auch noch auf keinen
unserer Anrufe reagiert.«
Ich blinzelte sie verständnislos an. Das war
einfach zu viel für mich so früh am Morgen, nach einer Nacht ohne
Schlaf und ohne einen Tropfen Koffein intus. Leider durfte ich auch
sonst nicht gerade viel Koffein zu mir nehmen, wie ich zu meinem
Leidwesen hatte feststellen müssen. Nikkis Diätplan (an den sie
sich wegen ihres Sodbrennens halten musste und den sie Gott sei
Dank an der Seite ihres Kühlschranks kleben
hatte) ließ das nicht zu. Eine Tasse am Tag, mehr vertrug sie
nicht, sonst hieß es: Bahn frei für die Magensäure.
»Ich hatte einen echt beschissenen Tag«, erklärte
ich. Das war keine allzu gute Erklärung, das war mir klar. Aber
etwas anderes fiel mir in dem Moment nicht ein.
»Und du hast diese riesige Tasche mit all den
Geschenken für uns dagelassen!«, fuhr Frida fort. »Du hast sie
einfach so dagelassen, ohne ein Wort zu sagen!«
»Die waren für euch gedacht, ihr solltet sie
aufmachen, wenn wir alle zusammen bei Grandma sind«, sagte ich
müde. Ich wollte auf gar keinen Fall an all die witzigen
Geschenkesessions erinnert werden, die wir in Florida immer hatten,
mit einem Berg Geschenkpapier und Schokoladenweihnachtsmännern im
Überfluss. Denn all das gehörte für mich nun der Vergangenheit
an.
»Ich weiß«, sagte Frida. »Das war ja so lieb
von dir …«
Ich wusste genau, dass sie das entsprechende
Geschenk in der unverkennbaren tiffanyblauen Verpackung, das ich
für sie besorgt hatte, längst geschüttelt hatte und
selbstverständlich inzwischen draufgekommen war, dass es sich dabei
um etwas handelte, was sie sich schon immer gewünscht hatte. Etwas,
das all ihre Freundinnen an der Tribeca Highschool längst besaßen,
das unsere Eltern sich aber leider nicht leisten konnten, nämlich
ein Paar Diamantohrringe.
»Sieh mal«, sagte ich betreten. Ich wollte nicht
daran denken, wie sie die Schachtel dort unten in Florida aufmachen
würde, ohne dass ich dabei war und ihren Gesichtsausdruck sehen
konnte. »Ich muss los. Gleich kommt der Gong und ich war noch nicht
mal an meinem Schließfach.«
»Nein«, rief Frida entschieden und griff noch
einmal nach meinem Handgelenk. Dieses Mal allerdings entschied sie
sich für die Hand ohne Teebecher. »Nikki, ich habe mich mit
Mom und Dad unterhalten. Deshalb haben wir ja dauernd versucht,
dich zu erreichen. Mom hatte nicht erwartet, dass es dich so
aufregen würde, dass du nicht mit zu Grandma kommen kannst. Sie war
der Meinung, du würdest eh an einen viel glamouröseren Ort fahren,
Paris zum Beispiel, und dass dir das deshalb nichts ausmachen würde
…«
»Ich muss mich jetzt wirklich auf den Weg machen«,
betonte ich noch einmal. Ich wollte das alles nicht hören.
Wahrscheinlich würde sie mir gleich verkünden, dass sie sich
entschieden hatten, hier in der Stadt irgendeine lahme
Weihnachts-Chanukka-Party zu schmeißen, bevor sie dann zu Grandma
führen, sodass wir noch Geschenke austauschen und heißen Cider
trinken und uns gemeinsam die Komödie Fröhliche Weihnachten
ansehen konnten oder so was Ähnliches.
Aber all das würde nicht dasselbe sein ohne Grandma
und ohne den Strand und ohne Grandmas dämliche Tiefkühl-Bagels.
Welche ich in diesem bescheuerten Körper sowieso nicht verdauen
konnte.
»… aber da wir jetzt wissen, dass du auch da bist,
haben wir uns was anderes überlegt«, redete Frida unbeirrt weiter.
»Florida lassen wir dieses Jahr einfach sausen. Wir bleiben hier in
der Stadt, und Grandma hat sich schon bereit erklärt,
hierherzufliegen! Also kannst du zu uns kommen. Wir können ihr ja
erzählen, du wärst eine Schulfreundin von mir …«
»Frida«, sagte ich entnervt. Ich wollte mir das
nicht länger anhören.
»Komm schon, Em. Ich weiß ja, dass es nicht wie
immer sein wird, aber wir werden unseren Spaß haben. Grandma freut
sich sogar auf die winterliche Stadt, und du weißt genau, wie
ungern sie hierherfährt, wenn es noch kalt ist…«
»Frida!«
Sie zuckte zusammen. Allerdings konnte ich nicht
genau sagen,
ob es am Gong lag oder daran, dass ich sie angeschrien hatte. Auf
jeden Fall hatte ich jetzt ihre volle Aufmerksamkeit.
»Wir kommen zu spät zum Unterricht. Lass uns später
darüber reden, okay?«
»Okay«, murmelte Frida unzufrieden. Sie wirkte
verletzt. »Und ich dachte, du würdest dich freuen. Weißt du, ich
hab sogar freiwillig auf das Cheerleader-Camp verzichtet, damit ich
hierbleiben und mit euch zusammen sein kann.«
Ganz plötzlich hatte ich keine Lust mehr auf meinen
Tee, Koffeindosis hin oder her. Ich feuerte den Becher in die
Mülltonne neben uns und stürmte aus der Toilette.
»Ich freue mich ganz und gar nicht darüber, Frida«,
zischte ich ihr zwischen zusammengebissenen Zähnen zu, während sie
hinter mir hertrottete. »Ich möchte, dass du das tust, was
du gerne möchtest, und nicht, was du denkst, das ich
will.«
»Aber ich mach doch das, was ich will«,
verteidigte sich Frida. »Ich würde so gern zu eurer Party
kommen.«
Abrupt blieb ich stehen und drehte mich
blitzschnell zu ihr um. Gerade eilten die letzten Zuspätkommer an
uns vorbei, um in den Unterricht zu gelangen, bevor Strafaufgaben
verteilt wurden.
»Eine Sekunde.« Finster schaute ich zu ihr hinab.
»Hast du das alles nur aus dem Grund so eingefädelt, damit du zu
Lulus Party gehen kannst?« Das würde ihr in der Tat ähnlich sehen.
Frida war so fasziniert von dieser ganzen Glitzer- und Glamourwelt,
dass sie sich sogar den Arm abgehackt hätte, nur um einem Promi zu
begegnen … wenn es denn der richtige Promi war.
Fridas rote Wangen bestätigten mir, dass dies der
Wahrheit entsprach, bevor sie auch nur ein Wort zu ihrer
Verteidigung vorbringen konnte. »Nein, nicht ganz«, meinte
sie.
Frustriert warf ich die Arme nach oben und wandte
mich
von ihr ab, um mich auf den Weg ins Klassenzimmer zu machen. Ich
war fertig mit der Welt.
»Was denn?«, rief Frida mir hinterher. »Ich dachte,
du würdest dich freuen! Du hast gestern so abartig traurig
ausgesehen! Jetzt kannst du doch mit Mom und Dad und mit mir
zusammen feiern …«
»Du bist echt unglaublich«, fuhr ich sie zornig an.
»Weißt du, Frida, gestern hab ich wirklich einiges auf mich
genommen, bin durch den schrecklichsten Schneeregen marschiert, hab
mich fast mit Mom angelegt, nur um dir zu helfen. Und das alles aus
dem Grund, weil du stur darauf bestehen musstest, zu diesem
Cheer-Camp zu fahren. Aber kaum bietet sich dir eine attraktivere
Einladung, interessiert dich das alles nicht mehr. Was ist denn nun
damit, dass du so ein wichtiger Teil von dem Team bist?«
Frida rannte neben mir her, wobei ihr Mund sich wie
bei einem Goldfisch ständig öffnete und wieder schloss. Ich wusste,
dass sie krampfhaft nach einer Entschuldigung für ihr Verhalten
suchte. Doch es gab keine Entschuldigung.
»Ich weiß, dass du tatsächlich dachtest, mir damit
einen riesigen Gefallen zu tun«, sagte ich. »Aber in Wirklichkeit
tust du das alles gar nicht für mich, hab ich recht? Im Grunde bist
du diejenige, die dabei am meisten profitiert. Ich sag dir was,
Frida. Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Partys. Zum Beispiel
dass man sein Team nicht im Stich lässt. Hast du auch nur eine
Sekunde darüber nachgedacht, wie die anderen Cheerleaderinnen sich
fühlen, wenn sie rausfinden, dass du sie sitzen gelassen hast, nur
um mit Nikki Howard und Lulu Collins zu feiern?«
Ich hatte das Klassenzimmer erreicht, in dem der
Rhetorikkurs stattfand. Vor der Tür drehte ich mich noch mal zu ihr
um. Frida standen vor Wut Tränen in den Augen.
»Und dabei wollte ich eigentlich nur für meine
Schwester da sein«, zischte sie nun verbittert.
»Klar«, meinte ich. »Na ja, schon komisch, dass du
dich an die Existenz deiner Schwester immer nur dann zu erinnern
scheinst, wenn du irgendetwas von ihr willst. Zum Beispiel wenn du
einen Verbündeten gegen deine Mutter brauchst oder jemanden, der
dir Diamantohrringe schenkt, oder wenn du dir eine Einladung zu
einer hammermäßigen Loftparty erhoffst. Zu der du im Übrigen nicht
eingeladen bist.«
Damit stürmte ich an ihr vorbei.
Genau in diesem Moment rief Mr Greer: »Miss Howard?
Wollen Sie uns heute noch mit Ihrer werten Anwesenheit beglücken?
Oder bleiben Sie lieber draußen auf dem Flur stehen, um ein wenig
zu plaudern?«
»Verzeihung«, murmelte ich. Ich rauschte ins
Klassenzimmer und ließ mich auf meinen Stuhl sinken …
… der zufällig genau vor Christopher stand.
Das sah mir schon wieder ganz danach aus, als würde
das so gar nicht mein Tag werden.