E I N U N D Z W A N Z I G
Ich stehe entsetzt da, starre Ben an, der wirkt, als würde er ein Gespenst sehen. Ich verstehe nicht, wie sie so grausam sein konnten. Von allen Leuten, gegen die sich mich antreten lassen könnten, warum muss er es sein?
Die Menge scheint unsere Verbindung zu spüren – und sie lieben es. Sie schreien und jubeln, als der Käfig sich mit einem Knall schließt. Sie schließen wild Wetten ab, gespannt darauf, herauszufinden, wer von uns zuerst den Willen aufbringt, den anderen zu töten.
Ben wirkt so verloren, wie er da steht, wie am falschen Ort. Wir blicken uns an, teilen einen Moment. Seine großen blauen Augen, so sanft, scheinen zu zerreißen. Er wirkt wie ein verlorenes Kind. Ich kann schon sehen, dass er nie einen Finger krümmen würde, um mir zu schaden.
Bis jetzt hatte ich mich damit abgefunden, jetzt sterben zu müssen. Aber jetzt, wo ich Ben hier sehe, gefangen in dieser selben elenden Lage, so hilflos, kehrt mein Lebenswille zurück. Ich muss einen Weg finden, uns hier herauszubekommen. Ich muss uns retten. Wenn nicht um meinetwillen, dann um seinetwillen.
Ich denke schnell, mein Herz rast, als ich versuche, mich zu konzentrieren, die ohrenbetäubende Menge auszublenden.
Die Menge beginnt zu buhen, wütend, dass keiner von uns anfängt zu kämpfen. Langsam wird ihre Enttäuschung zu Wut und sie beginnen, Dinge auf den Käfig zu werfen. Verdorbene Tomaten und alles mögliche andere treffen das Metall, als die Leute Gegenstände nach uns werfen.
Plötzlich fühle ich wieder einen starken elektrischen Schlag in meinen Nieren. Als ich herumfahre, sehe ich, wie der Schlagstock, der eigentlich für Vieh gedacht ist, durch den Drahtzaun gesteckt wird. Der Sklaventreiber zieht ihn schnell zurück, als ich versuche, ihn ihm aus der Hand zu reißen. Gleichzeitig erwischt er Ben. Es ist ein schmutziger Trick: Sie versuchen uns, zum Handeln zu zwingen, wütend zu machen, uns aufeinander zuzutreiben. Die Menge schreit vor Begeisterung.
Aber wir stehen immer noch still da, blicken uns an. Keiner von uns ist bereit zu kämpfen.
„Du hast mir Deine letzte Mahlzeit gegeben“, sage ich zu ihm, über den Lärm der Menge hinweg.
Er nickt mir zu, langsam, zu starr vor Angst, um zu sprechen.
Plötzlich fällt etwas vom Himmel, landet vor uns. Es ist eine Waffe. Ein Messer. Ich sehe es mir genauer an und stelle entsetzt fest, dass es das Messer meines Vaters ist, das Logo des Marine Corps ist an der Seite eingeprägt.
Die Menge jubelt, als die Waffe landet, sie nehmen an, jetzt werden wir kämpfen.
Der Anblick von Papas Messer lässt mich an Bree denken. Und mir wird klar, wieder einmal, dass ich überleben muss. Um sie zu retten. Wenn sie noch lebt.
Plötzlich wird die Menge still. Ich sehe mich um und versuche zu verstehen, was vor sich geht. So still habe ich es noch nicht erlebt hier. Ich schaue auf und sehe, dass der Anführer hoch oben auf dem Podium steht. Sie sind alle still, weil sie aufmerksam sind.
„Ich erkläre eine Änderung der Regeln in der Arena!“, kündigt er an, seine tiefe Stimme hallt wider. Er spricht langsam und bewusst. Die Menge hängt an seinen Lippen. Das ist ganz offensichtlich ein Mann, der es gewöhnt ist, dass man ihm zuhört.
„Wir werden zum ersten Mal überhaupt einen Überlebenden erlauben. Nur einen!“, verkündet er. „Der Gewinner dieses Kampfes wird begnadigt. Das gilt auch für seine Geschwister. Nach diesem Kampf sind sie frei.“
Der Anführer setzt sich langsam wieder hin. Durch die Menge geht ein aufgeregtes Murmeln. Mehr Wetten werden platziert.
Ich schaue wieder auf das Messer hinunter und jetzt sehe ich, dass Ben es auch ansieht.
Eine Chance zum Überleben. Auf Freiheit. Nicht nur für mich – sondern auch für Bree. Wenn ich Ben töte, wird sie das retten. Das ist meine Chance. Das ist mein Ticket nach draußen.
Als ich sehe, wie Ben das Messer anschaut, wird mir klar, dass dieselben Gedanken auch durch seinen Kopf rasen. Das ist seine Chance, seinen kleinen Bruder zu retten.
Ich greife danach und hebe es auf.
Das war einfach. Ben bewegt sich nicht einmal.
Aber ich aus einem anderen Holz geschnitzt als er. Ich tue, was ich tun muss, um zu überleben. Was ich tun muss, damit Bree überlegt.
Also lehne ich mich zurück, ziele, und mache mich bereit, das Messer meines Vaters zu werfen.
Tu es, Brooke! Rette Deine Schwester! Du hast eine Verantwortung! TU ES!
Ich lehne mich nach vorne und hole mit aller Kraft Schwung.
Und das ist der Moment, der alles verändert.