A C H T

 

 

Die Explosion lässt und beide durch die Luft fliegen, und ich lande hart auf meinem Rücken im Schnee. Zum dritten Mal an diesem Morgen spüre ich, wie meine Lebensgeister mich verlassen.

Ich sehe in den Himmel hinauf, sehe Sterne und versuche, einen klaren Kopf zu bekommen. Ich spüre immer noch die Hitze der Flammen in meinem Gesicht, und meine Ohren klingeln von dem Lärm.

Als ich mich auf die Knie kämpfe, fühle ich einen stechenden Schmerz in meinem rechten Arm. Ich sehe hinüber und entdecke einen kleinen Granatsplitter, der am Rande meines Bizeps' eingedrungen ist, vielleicht zwei Zoll lang, ein Stück verdrehtes Metall. Es schmerzt wie verrückt.

Ich lehne mich hinüber und, ohne weiter darüber nachzudenken, greife ich das andere Ende des Metallstücks, beiße die Zähne zusammen und drücke mit einem Ruck zu. Einen Moment lang erlebe ich den schlimmsten Schmerz meines Lebens, als das Metall meinen Arm komplett durchdringt und auf der anderen Seite wieder herauskommt. Blut strömt meinen Arm hinunter und in den Schnee, befleckt meinen Mantel.

Schnell ziehe ich den einen Ärmel aus und sehe das Blut auf meinem Shirt. Mit meinen Zähnen reiße ich ein Stück vom Ärmel ab, nehme das Stoffstück und binde es eng um die Wunde, dann ziehe ich meinen Mantel wieder an. Ich hoffe, es wird den Blutstrom stoppen. Ich schaffe es, mich aufzusetzen, und als ich hinübersehe, sehe ich, was von Papas Motorrad übrig ist: Jetzt ist es nur noch ein Haufen nutzlosen, brennenden Metalls. Jetzt sitzen wir fest.

Ich schaue zu Ben hinüber. Er wirkt auch wie betäubt, auf seinen Händen und Knien, er atmet schwer, seine Wangen sind schwarz vor Ruß. Aber zumindest ist er am Leben.

Ich höre einen Motor aufheulen und sehe hinüber, in die Ferne: Das andere Auto ist aus dem Graben entkommen. Es schon wieder auf der Autobahn, beschleunigt, mit meiner Schwester darin. Ich bin wütend auf Ben, weil er schuld ist, dass ich sie verloren habe. Ich muss sie einholen.

Ich wende mich dem Auto der Sklaventreiber vor mir zu, das noch immer auf der Seite liegt, und frage mich, ob es noch läuft. Ich renne hinüber, entschlossen, es zu versuchen.

Ich drücke mich mit all meiner Kraft dagegen, versuche, es wieder auf seine vier Reifen zu stellen. Aber es ist zu schwer, ich kann es kaum bewegen.

„Hilf mir!“, brülle ich Ben zu.

Er steht auf und eilt an meine Seite, humpelnd. Er nimmt seine Position an meiner Seite ein und zusammen ziehen wir mit aller Kraft. Das Auto ist schwerer, als ich mir das vorgestellt hatte, wegen all der Eisengitter. Aber es bewegt sich mehr und mehr und schließlich, nach einer letzten großen Anstrengung, bekommen wir es wieder auf alle vier Reifen. Mit einem Knall landet es im Schnee.

Ich verschwende keine Zeit. Ich öffne die Fahrertür, lange hinein, greife den toten Fahrer mit beiden Händen am Hemd und ziehe ihn aus dem Sitz. Sein Rumpf ist voller Blut, und meine Hände werden rot, als ich ihn in den Schnee werfe.

Ich lehne mich in das Auto rein und untersuche den Sklaventreiber auf dem Beifahrersitz. Auch sein Gesicht ist voller Blut, aber ich bin mir nicht sicher, ob er tot ist. Tatsächlich entdecke ich, als ich ihn näher betrachte, einige Anzeichen für eine Bewegung. Dann bewegt er sich in seinem Sitz. Er ist am Leben.

Ich lehne mich noch weiter herüber und greife nach seinem Shirt, fest in einer Faust. Ich halte meine Pistole an seinen Kopf und schüttele ihn grob. Schließlich öffnet er seine Augen. Er blinzelt desorientiert.

Ich nehme an, dass die andere Sklaventreiber in die Arena Eins wollen. Aber sie sind uns jetzt so weit voraus, dass ich es ganz genau wissen muss. Ich komme ihm ganz nah.

Als er sich umdreht und mich ansieht, bin ich einen Moment lang fassungslos: Die Hälfte seines Gesichtes ist weggeschmolzen. Es ist eine alte Wunde, nicht von dem Unfall, das heißt, er muss ein Bioopfer sein. Ich habe Gerüchte über diese Menschen gehört, aber ich habe noch nie einen gesehen. Als die nuklearen Bomben über den Städten abgeworfen wurden, trugen die wenigen, die überlebten, diese Narben davon. Die Gerüchte erzählten, sie wären sadistischer und aggressiver als andere. Wir nennen sie die Psychos.

Mit diesem muss ich also besonders vorsichtig sein. Ich umfasse die Waffe enger.

„Wo bringen sie sie hin?“, frage ich durch meine zusammengebissenen Zähne hindurch.

Er sieht mich mit leerem Blick an, als würde er versuchen, zu begreifen. Ich bin mir jedoch sicher, dass er versteht.

Ich drücke den Lauf in seine Wange, um ihm klarzumachen, dass ich ernst meine. Und ich meine es ernst. Jeder einzelne Augenblick ist kostbar, und ich kann fühlen, dass Bree immer weiter von mir weg ist.

„Ich sagte, wo bringen sie sie hin?“

Schließlich öffnet er seine Augen in etwas, das Angst zu sein scheint. Ich glaube, die Botschaft ist angekommen.

„Die Arena“, sagt er schließlich mit heiserer Stimme.

Mein Herz flattert, meine schlimmsten Befürchtungen sind bestätigt.

„Welche?“, schnappe ich.

Ich bete, dass er nicht sagt Arena Eins.

Er macht eine Pause, und ich kann sehen, wie er darüber nachdenkt, ob er es mir sagen soll oder nicht. Ich drücke die Pistole noch fester gegen seinen Wangenknochen.

„Sag es mir jetzt oder es ist vorbei!“, brülle ich, der Zorn in meiner Stimme erstaunt mich selbst.

Schließlich, nach einer langen Pause, antwortet er: „Arena Eins.“

Mein Herz pocht, meine schlimmsten Befürchtungen sind bestätigt. Arena Eins. Manhattan. Man sagt, das ist die schlimmste von allen. Das kann nur eins bedeuten: den sicheren Tod für Bree.

Ich fühle eine neue Welle der Wut auf diesen Mann, diesen Zulieferer, diesen Sklaventreiber, vom niedersten Rang der Gesellschaft, der hierhergekommen ist, um meine Schwester zu entführen, um die Maschine zu füttern, einfach nur, damit andere zusehen können, wie hilflose Menschen sich gegenseitig töten. All diese sinnlosen Tode, nur für ihre eigene Unterhaltung. Das ist genug, dass ich ihn auf der Stelle umbringen will.

Aber ich nehme die Pistole aus seiner Wange und lockere meinen Griff. Ich weiß, dass ich ihn töten sollte, aber ich kann mich nicht überwinden. Er hat meine Fragen beantwortet, und irgendwie wäre es nicht fair, ihn jetzt zu töten. Stattdessen werde ich ihn zurücklassen. Ich werde ihn aus dem Auto werfen und hier lassen, was bedeuten wird, dass er langsam verhungert. Ein Sklaventreiber allein in der Natur hat keine Möglichkeit, zu überleben. Das sind Stadtmenschen - keine Überlebenden wie wir.

Ich lehne mich zurück, um Ben zu sagen, dass er diesen Sklaventreiber aus dem Auto ziehen soll, als ich plötzlich in einem Winkel meines Auges eine Bewegung erkenne. Der Sklaventreiber fasst nach seinem Gürtel, mit einer schnelleren Bewegung, als ich es für möglich gehalten hätte. Er hat mich ausgetrickst: Er ist tatsächlich in relativ gutem Zustand.

Schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte, zieht er eine Pistole. Bevor ich auch nur registrieren kann, was passiert, zielt er schon in meine Richtung. Ich war dumm, ich habe ihn unterschätzt.

Aber ein Instinkt in mir übernimmt die Kontrolle, vielleicht ein Instinkt, den ich von Papa geerbt habe, und ich ziehe, ohne zu denken, und schieße unmittelbar, bevor er schießen kann.