Lemsip und griechischer Joghurt. Das war mein täglich Brot – das Lemsip für eine Grippe, von der ich glaubte, dass ich sie hatte. Gelegentliches leichtes Schniefen ließ auf die Menge Koks schließen, die ich im Laufe der Zeit eingepflegt hatte, aber das gab ich nicht zu. Der Joghurt, weil ich gelesen hatte, dass er gut für einen ist – glaube ich zumindest, gelesen zu haben –, diese ganzen lebendigen Kulturen, die Bakterien zerstören. Man füge einen Löffel Honig hinzu, und schon schmeckt er nur noch halb so eklig. In Wahrheit war mein Magen hinüber, und die Bios linderten das ein bisschen.
Sechs Monate war ich clean und nüchtern geblieben. Obwohl ich, wenn Nüchternheit mit geistiger Gesundheit zu tun haben sollte, nicht bestehen würde. Kein Tropfen Alkohol war mir in jenem Zeitraum über die Lippen gekommen. Mit dem Koks hatte ich nicht etwa Schluss gemacht, weil ich clean werden wollte. Mein Dealer wurde verhaftet, und ich konnte keine andere Quelle finden. Ohne den Schnaps ging es mir so schlecht, dass ich dachte, da kann ich das mit dem Koks auch lassen. Wenn man sowieso auf der Rolle ist –, dann aber bitte richtig. Das tödliche Dreigestirn, Alk, Koks und Nikotin: die Jahre, die ich mit ihnen verplempert hatte. Ich rauchte allerdings noch. Ich meine, Moment, ich machte das doch ganz prima, oder? Noch so eine Strecke Zeit, und, wer weiß, hörte ich vielleicht auch mit den Lullen auf. Aber das Unheimlichste, das klapsmühlenhaft Erstaunlichste … Ich hatte begonnen, in die Messe zu gehen.
Ohaua-haua-ha.
Muss man sich mal vorstellen. Eines Sonntags, Schmachter auf Getränk, die eigene Gesellschaft steht einem bis hier, war ich in den Dom gegangen. Sonny Malloy sang, und, Mann, haute das rein. Also bin ich wieder hin. Ich war schon an dem Punkt angekommen, dass der Priester nickte, sagte:
»Dann bis nächste Woche.«
Ich saß gern hinten, sah zu, wie die Sonne durch die farbigen Fenster gekrochen kam. Während sich das Licht im Gewölbe ausbreitete, fühlte ich etwas, das dem Frieden nah war. Die Kirche war immer überfüllt, und die Priester arbeiteten im Schichtdienst. So wenig Berufungen, dass sie über die Gemeinden tingeln mussten. Der Suff schien natürlich jede Faser meines Lebens zu durchdringen. Während ich das Farbkaleidoskop betrachtete, fiel mir einer der Künstler ein, die an den Fenstern gearbeitet hatten. Ein Typ aus Dublin namens Ray war an Leberzirrhose gestorben. In seinen letzten Tagen war ich ihn besuchen gegangen, und er sagte:
»Jack, lieber bin ich tot als abstinent.«
Der Wunsch ist in Erfüllung gegangen.
Stewart, mein Drogenhändler, hatte am Kanal gewohnt. Vom Erscheinungsbild glich er eher einem Banker als einem Dealer. Sein Credo war natürlich Kohle. Wir pflegten eine seltsame Beziehung: Er erläuterte das neueste Erzeugnis, seine Wirkung, seine Nebenwirkungen und sogar die Gefahren. Ich schien ihn zu amüsieren. Wie viele Expolizisten in den Fünfzigern versorgte er? Ich war für ihn irgendwie ein Coup. Ich fand ihn immer faszinierend. Er konnte höchstens Ende zwanzig sein und war immer tadellos gekleidet. Die personifizierte neue irische Jugend, die alle Züge unserer strahlenden Epoche an den Tag legte: flott, zuversichtlich, des Lesens und Schreibens mächtig, hip, zu vermieten wie ein Söldner. Sie fielen auf nichts von der Scheiße rein, mit der wir aufgewachsen waren. Der Aufstand von 1916 bedeutete ihnen so viel wie die GAA; mit anderen Worten: nichts.
Cathy Bellingham, Expunkmaus, Exfixerin aus London, die es in Galway angespült hatte, war die Vermittlerin gewesen. Sie tat sich mit meinem Freund Jeff zusammen, einem Kneipenbesitzer, und jetzt hatten sie ein Baby mit Down-Syndrom. Als es mir dreckig ging, schlimm dreckig, hatte ich unsere Freundschaft bemüht, um den Namen eines Dealers zu kriegen. Danach habe ich oft und viel von ihm bezogen. Dann wurde er verhaftet und riss nun sechs Jahre im Mountjoy ab.
Ich wohnte in Bailey’s Hotel, das von einer Frau in den Achtzigern geführt wurde. Ich hatte vor Kurzem ein neues Zimmer gekriegt, fast eine separate Wohnung. Am meisten gefiel mir das Oberlicht, wegen des Blicks gen Himmel. Mann, spürte ich die endlose Sehnsucht, die damit einhergeht. Wenn ich jemals herausfinden könnte, wonach ich mich sehne, wäre ich vielleicht glücklich. Schien aber nicht in absehbarer Zeit passieren zu wollen. Ein großer Kleiderschrank enthielt meine Garderobe aus den Wohltätigkeitsläden. Bis vor Kurzem hatte ich einen Ledermantel besessen, in Camden Lock gekauft. Wurde während der Messe geklaut. Wenn ich einen Priester sehe, der diesen Mantel trägt, werfe ich mit Sicherheit den Fehdehandschuh in den Ring. Gegen die Wand aufgereiht waren meine Bücher –, ein Durcheinander aus Krimis, Philosophie und Vermischtem. Sie gaben mir Trost. An manchen Tagen fungierten sie sogar als Beruhigung und Bestätigung.
Ich rationierte meine Zigaretten, fünf pro Tag, und falls es eine subtilere Folter geben sollte, kenne ich sie nicht. Als weiteren Schritt in Richtung wacklige Reha hatte ich sogar die Marke gewechselt. Kaufte jetzt Silk Cut, mit dem bekacktesten Teergehalt. Der ultimative Beschiss der Tabakfirmen; neulich ist rausgekommen, dass diese Ultra-Lullen gefährlicher sind als die normalen Lungenfräsen. Ich wusste das, aber mein Brustkorb schien sich über die Geste zu freuen. Jeff, mein Freund, hatte mir einen Monatsbedarf an Nikotinpflastern gekauft. Sie lagen in einer Schublade, ein Mix aus »Das habt ihr nun davon!« und Hoffnung. Ziemlich wie in den jetzt so gelichteten Reihen der Klerisei.
Als Stewart verurteilt wurde, ging ich davon aus, dass es das war. Und tschüs. Er war nicht der Typ, der im Knast aufblüht; sie würden ihn bei lebendigem Leibe fressen. Den Tag, als er einfuhr, war ich bei Nestor’s, einen lauwarmen Kaffee vor mir. Ich erzählte Jeff von ihm, legte ihm die ausgefranste kurze Geschichte meiner Transaktionen mit dem Typ dar. Jeff, der ein Glas polierte, hörte zu, bis ich fertig war, fragte:
»Bist du jetzt clean?«
»Vom Stoff runter, meinst du?«
»Ja.«
»Bin ich.«
Er stellte das Glas neben eine Reihe funkelnder anderer Gläser, sagte:
»Dann ist auf ihn geschissen.«
Ich fand das ein bisschen barsch, sagte:
»Das ist ein bisschen barsch.«
Jeff sah mir voll ins Gesicht, ließ sich Zeit, sagte:
»Er hat mit Gift gedealt; das ist der Abschaum der Erde.«
»Ich mochte ihn irgendwie.«
»Das bist mal wieder typisch du, Jack, immer was Besonderes.«
Gibt es gegen so was eine Verteidigung? Ich wusste keine. Am Ende des Tresens saß der immerwährende Wachposten. Eine Stütze irischer Kneipen, zumindest der alten, sind diese Typen fest am Tresen angebracht, ein pint-Glas vor sich. Immer halb voll – oder halb leer, kommt auf die Perspektive an. Sie sprechen selten, außer in Erklärungen wie »Wir werden nie einen Sommer kriegen« oder »Bis Weihnachten werden wir keinen finden«.
Der Worldcup, sowieso völlig verhauen, war seit Kurzem vorbei. Verschwörungstheorien, launische Linienrichter, grauenhafte Schiedsrichter hatten eine Augenweide an entsetzlichem Sport geboten. Der Wachposten sagte:
»Die Kameruner wurden um den Sieg betrogen.«
Ich starrte ihn an, und er fügte hinzu:
»Ich hatte auf Italien gewettet, kriegte 7 zu 1 …, fünf Tore aberkannt. Es war eine elende Schande.«
Blöderweise hatte er recht. Aber es erfüllte ihn mit tiefem Argwohn, wenn man ihm je beipflichtete, also beschränkte ich mich auf ein unverbindliches Lächeln. Dies schien ihm zu behagen, denn er nahm das Starren in seine pint wieder auf. Ich weiß nicht, was er zu finden hoffte, vielleicht die Zusatzzahl oder eine Antwort auf Eamon Dunphy. Ich fragte Jeff:
»Was schulde ich dir für den Kaffee?«
»Nada, Kumpel.«
»Wie geht’s Serena May?«
»Sie versucht zu gehen, kann jetzt nicht mehr lange dauern.«
»Dann pass auf, ey?«
Vor Nestor’s schlug ich den Kragen meines Polizei-Allwettermantels hoch. Ein leichtes Nieseln kam herunter, nichts Größeres. Eine Rotte Südkoreaner ging vorüber, immer noch vom Worldcup benommen. Dass sie Südkoreaner waren, sah ich an ihren Jacken, auf denen hinten »Seoul Rules« stand. Ganz schön doppeldeutig, doppelt und dreifach doppeldeutig, fragen Sie die Italiener.
Ein früherer Nachbar aus meiner Zeit im Hidden Valley saß auf einer Bank vor dem Great Southern Hotel. Er winkte mich heran, und ich ging hin. Er legte los:
»Sie wissen, dass ich kein Sänger bin. Na, neulich abends war ich bei McSwiggan’s, hatte bereits mehr als mein Quantum intus. Eine norwegische Frau fing an, an mich hinzulabern. Ich wusste, dass sie von da war, aus einem der kalten Länder, sie hatte so was Frostiges im Gesicht. Ganz plötzlich fing ich an, ›For the Good Times‹ zu singen.«
Er hielt inne, schüttelte angesichts der wundertätigen Wirkung des Gesangs den Kopf. Ich wusste, dass Willie Nelson vor Kurzem in Kilkenny aufgetreten war und einer entzückten Menge gesagt hatte, er braucht das Geld, um die Lichtrechnung zu bezahlen. Nun fuhr mein Freund fort.
»Sie fand den Song begabt, da habe ich ihr gesagt, ich hätte ihn geschrieben. Heiland, das hat sie geglaubt, und da ist es mir gelungen, sie unten beim Regattaklub zu poppen. So was ist mir in all meinen Jahren noch nie passiert. Da meint man doch, man hätte schon viel früher mit Singen anfangen sollen. Was meinen Sie dazu?«
»Willie ist unschlagbar.«
Ich ließ ihn weiter die Mysterien von Musik und Frauen begrübeln. Das Gehen fühlte sich gut an, und wenn ich die diversen Kneipen passierte, blickte ich stramm geradeaus. Zu jeder Stunde des Tages lockte das Getränk. Als ich über die Lachswehrbrücke schritt, erkannte ich einen Typ neben dem Altkleidercontainer der Seniorenhilfe. Er rief:
»Yo, Jack!«
Ich kannte ihn, solang ich lebte. In der Schule hatte er im Katechismus geglänzt und sprach Irisch genauso fließend wie Englisch. Er war Fischwilderer geworden, oder, wie man hier sagt, Feuchti. Ich sagte:
»Wie läuft’s denn, Mick?«
Er lächelte wehmütig, zeigte aufs Wasser. Ein Mann in teurer Anglermontur, Gummistiefel bis zum Arsch, warf die lange Schnur aus. Mick sagte:
»Deutscher Quatsch.«
»Ja?«
»Ein Tag Gebühr kostet so viel wie ein kleines Lösegeld, plus man muss die Hälfte des Fangs abliefern.«
Mir kam ein Gedanke, und ich sagte:
»Und wenn er nur einen fängt?«
Mick lachte unverstellt boshaft, sagte:
»Dann ist er gearscht.«
Mick war wahrscheinlich der beste Lachsfeuchti westlich des Shannon. Zu seinen Füßen stand eine Reisetasche, er bückte sich, holte eine Thermosflasche und ein belegtes Baguettebrötchen heraus, hielt mir beides hin, fragte:
»Mal abbeißen?«
»Nein, hab keinen Hunger.«
»Dann trink was. Wärmt dich auf, bringt das Blut zum Tanzen.«
Ich spürte, wie sich mein Herzschlag beschleunigte, fragte:
»Was ist denn drin?«
»Hühnerbrühe mit Schwarzgebranntem.«
Heiland, war ich in Versuchung geführt; einfach mal kosten. Ich schüttelte den Kopf, sagte:
»Nein, aber danke.«
Er führte die Thermosflasche an den Kopf, trank gründlich; dann setzte er sie ab, und ich schwöre, seine Augen rollten nach hinten weg, als er ausrief:
»Hölle auch.«
Ich beneidete ihn um den Zug. Was kann sich schon mit diesem Wärmeschock messen, wenn er den Magen trifft? Er sagte:
»Ich höre, du bist davon runter.«
Ich nickte kläglich, er fasste wieder in die Tasche und fragte:
»Möchtest einen hiervon?«
Überreichte mir einen Kalender mit dem Allerheiligsten Herzen Jesu Christi vorne drauf, sagte:
»Kommt jedes halbe Jahr neu raus, da verlierst du keine sechs Monate.«
Ich hatte bereits mein halbes Leben verloren. Blätterte ihn auf, und da stand für jeden Tag eine Kurzpredigt. Ich fuhr mit dem Finger am Rand entlang, fand das Datum des Tages, las:
»Wahrer Glaube befördert Gerechtigkeit.«
War mir noch nicht aufgefallen.
Ich wollte das Ding zurückgeben, er lehnte ab und sagte:
»Nein …, das ist ein Geschenk. Ich meine, du gehst doch jetzt in die Messe, sehe ich das richtig? Also das perfekte Geschenk.«
Ich verspürte den Drang, ihm aufs Maul zu hauen. Galway war jetzt Großstadt, multikulti, gemischtrassig, aber im Kern hatte die Kleinstadtmentalität überlebt. Sie wussten immer noch, wie du drauf warst. Ich schob mir den Kalender in die Tasche, sagte:
»Man sieht sich, Mick.«
Er wartete, bis ich weit genug weg war, dann hielt er es nicht mehr aus:
»Sprichst für uns eins mit, ja?«
Auf der anderen Straßenseite bemerkte ich einen jungen Mann mit blondem Haar; er schien mich anzustarren. Ich schenkte ihm weiter keine Beachtung.