Christoph irrt die Köpenicker Straße entlang, Schwer atmend sieht er sich um. Er hat die Frau aus den Augen verloren. Er weiß nicht, wohin sie verschwunden ist. Aber er muss sie finden. Er hat ein flaues Gefühl, irgendetwas stimmt hier nicht.
Er ist ein Idiot, ein kompletter Idiot. Wie konnte er glauben, dass es ihm gelingen würde, einem Radfahrer zu Fuß zu folgen? Okay, die Frau sah nicht sehr sportlich aus und es war kein gutes Rad, aber trotzdem … jetzt hat er sie verloren. Dabei lief es zunächst so gut.
Wrangelstraße. Falckensteinstraße, Schlesisches Tor. Ein schwarzer Schatten auf zwei Rädern. Er hinterher, möglichst leise. Keine klappernden Schritte, kein lautes Atmen. Immer mal wieder ein Zwischenspurt. Immer mal wieder hinter einem Auto wegducken. Oberbaumbrücke – sie hielt an. Ihr Blick auf die Spree. Was sah sie? Keine Ahnung. Er musste versuchen, näher zu kommen.
Es war dunkel genug, er konnte es riskieren, sich zu nähern. Sie starrte immer noch auf irgendeinen Punkt, dann lachte sie böse und wendete ihr Rad. Er ahnte nur, was sie entdeckt hatte. Das Licht auf der Spree. Sonst war es dunkel ringsum.
Sie fuhr nun schneller, er konnte ihr kaum folgen. Sie bog in die Köpenicker Straße ein, doch auf einmal war sie weg, wie vom Erdboden verschluckt.
Christoph geht weiter. Wenige Menschen sind unterwegs, sie mustern ihn fragend, wie er in die Finsternis starrt, jedes Fahrrad genauer unter die Lupe nimmt, fast als wollte er es stehlen. Es muss ein einfaches Rad sein, eine Art Hollandrad.
Verdammt. Alles umsonst. Die Warterei vor dem Haus, die Rennerei durch die Nacht. Alles Schwachsinn. Hilflose Aktionen. Die Isabel nichts nützten.
Da steht es. An eine Hausmauer gelehnt. Ein altes Rad. Er geht durch das Tor, ein schön bepflanzter Hinterhof, soweit er das in der Dunkelheit erkennen kann. Der fahle Schein, der sich in der Spree spiegelt. Das Licht, das die Hausmeisterin bewogen hat, hierher zu fahren.
Er läuft zum Ufer, sieht zwei Schatten auf einem Boot, die miteinander ringen. Die laute Stimme der Hausmeisterin. Und ein Schmerzensschrei. Das ist Isabel.
Er rennt die letzten Meter, doch er kommt zu spät. Das Boot ist nicht mehr fest vertäut, er treibt langsam weg vom Ufer, die Spree hinunter.
Er sieht den Kampf, er hört die Schreie, dumpfe Schläge, jemand fällt, eine Glasscheibe splittert. Isabel ist dieser kräftigen Frau sicher unterlegen, er hat Angst um sie, weiß aber nicht, was er tun soll. Die Polizei zu rufen, es wäre Rettung und Verrat zugleich.
Mit seinen Augen sucht er das Ufer ab. Da, ein Kanu. Er läuft hin, steigt ein, hektisch, fast kippt er. Dann fährt er los. Er muss es alleine machen. Niemand kann ihm jetzt helfen. Schon gar nicht die Bullen.
Fast hat er das Hausboot erreicht, schon sucht er nach einer Möglichkeit, aufs Boot zu steigen, da sieht er den Schein. Es brennt. Das Boot treibt spreeabwärts, mitten auf dem Wasser und an Bord ist Feuer. Er muss Isabel rausholen, er muss …
Das Kanu schlägt am Hausboot an, kommt wieder stark ins Schwanken. Er steht auf, so vorsichtig und ruhig, wie es ihm in dieser Situation möglich ist. Er kann den Rand des Hausbootes noch mit den Fingerspitzen erreichen. Isabel retten, mit ihr ins Wasser springen, ans Ufer schwimmen … Was, wenn sie verletzt ist, bewusstlos …
Er will sich hochziehen, er mobilisiert seine letzten Kräfte, doch er schafft es nicht. Die Flammen schlagen aus der Kajüte, seine Finger rutschen ab, er fällt in sein Kanu zurück, schlägt mit dem Kopf auf. Es gibt nur noch eine Möglichkeit: die Feuerwehr. Aus einer Wunde an der Stirn tropft Blut auf sein Handy, als er die 112 wählt.