Natürlich ist er ihr nachgelaufen. Hinaus in die Finsternis. Er ruft nach ihr, er sucht sie, er hört es hier und dort knacken, aber er sieht nichts. Seine Augen gewöhnen sich nur langsam an die Finsternis. Seine Ohren sind unsicher, ob die Geräusche aus der einen oder anderen Ecke gekommen sind. Wohin ist sie gelaufen? Wenn er doch nur seinen Roller da hätte! Aber er ist mit Bruckner im Wagen gekommen.
Er überlegt zu lange. Er weiß es. Läuft planlos draußen herum. Ruft, hört aber dann auf, um die Nachbarn der umliegenden Ferienhäuser nicht aufmerksam zu machen. Bruckner und Eugenia suchen mit ihm. Der Arzt holt eine Taschenlampe aus dem Wagen, leuchtet umher. Aber es hilft alles nichts. Isabel ist verschwunden.
Christoph kommt sich vor wie ein Idiot. Er wird wütend auf Bruckner, und er weiß zugleich, dass er ungerecht ist. Er hat den Arzt angeschleppt, er wollte unbedingt, dass sich der Mann um Eugenia und ihre gemeinsame Tochter kümmert. Ihm war klar, dass Isabel nicht begeistert sein würde. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so heftig reagiert.
Er kriegt das Bild nicht aus dem Kopf. Die Enttäuschung und Verzweiflung in ihrem Blick, als sie begreift, dass er Bruckner mit in die Waldhütte gebracht hat. Ihre Wut, die sie hinausschreit. Ihre Entschlossenheit zu verschwinden. Weg war sie.
»Hol mir meine Tochter zurück.« Eugenia klingt verzweifelt. Bruckner führt sie zurück in die Hütte. Christoph nimmt diese Aufforderung wörtlich. Er möchte Eugenia so nicht unter die Augen treten. Und er muss mit Isabel reden. Sie soll verstehen, warum er das getan hat. Sie soll ihm verzeihen, dass er gegen ihren Willen gehandelt hat, in guter Absicht, in der Hoffnung, ihnen helfen zu können. Sie soll sich nicht noch mehr in Gefahr bringen.
Die Tür zur Hütte steht offen, Bruckner und Eugenia rechnen offenbar damit, dass auch er aufgibt, dass er zurückkommt, mit ihnen beratschlagt, wie sie weiter vorgehen sollen. Aber er denkt nicht daran. Eine Sekunde zögert er noch, aber dann handelt er. Steigt in Bruckners Auto. Er hat gesehen, dass der Arzt den Schlüssel stecken gelassen hat – wer soll hier schon ein Auto klauen, mitten in der Wildnis. Er lässt den Wagen an und fährt los. Natürlich sieht er Bruckner noch aus der Hütte rennen, schreien, ihm nachlaufen. Egal. Er muss Isabel finden. Wenn sie den Weg zur Hauptstraße nimmt, dann hat er sie bald eingeholt.
Er kennt nur das Auto der Fahrschule und den Kleinwagen seiner Mutter. Er darf offiziell gar nicht ohne Begleitung eines Erwachsenen fahren. Wen kümmert es?
Jetzt lenkt er einen großen BMW durch den Wald, jedes Schlagloch nimmt er mit, er starrt auf den schmalen Weg, aber auch in den Wald rechts und links, irgendwo hier muss Isabel sein. Doch er entdeckt sie nicht.
Als er die Straße erreicht, hält er kurz an und denkt nach. Wo will sie hin? Vermutlich nach Kreuzberg, in die Wrangelstraße. Dort sind ihre Freunde und Bekannten, dort könnte sie am ehesten Hilfe bekommen. Hilfe, die sie von ihm vielleicht nicht mehr annehmen wird. Er hat die Lage falsch eingeschätzt. Er hat Isabel falsch eingeschätzt.
Langsam fährt er weiter, die Landstraße entlang, nach Köpenick. Dort stellt er den Wagen ab. Steigt in die S-Bahn.
Am liebsten würde er nach Hause fahren, ein paar Stunden schlafen. Doch er fürchtet, dass seine Eltern ihn dann nicht mehr gehen lassen. Er aber will Isabel helfen, auch wenn sie seine Hilfe offenbar nicht mehr will.