Schöpfung – die Entrümpelung des Himmels

In den Schöpfungsmythen jener Völker, welche später von den Juden als Heiden bezeichnet werden, sind Mensch und Welt das Ergebnis gewaltiger Zeugungsorgien und bluttriefender Götterausschweifungen. Diese Götter der Heiden stehen für Himmel und Erde, den Ozean und die Naturgewalten. Mit ihren Fähigkeiten und ihrer Kraft sind sie den Menschen zwar turmhoch überlegen, doch charakterlich zum Verwechseln ähnlich: Hass und Neid, Gier und List – nichts Menschliches ist den Göttern fremd.

Aber einen Plan für die Welt und ein Ziel für die Menschen haben die Götter nicht. Allenfalls als Sklaven dürfen sie ihnen dienen. So etwas wie Zuneigung oder gar Liebe zu den Menschen ist nicht vorgesehen. Die Götter sind stets nur mit sich selbst beschäftigt, das menschliche Treiben interessiert sie bestenfalls am Rande.

Wie anders ist das im folgenden Text und allen weiteren, die ihn fortsetzen:

 

Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer, Finsternis lag über dem Urmeer, und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. Da sprach Gott: Es werde Licht, und es ward Licht. Gott aber sah das Licht, und sah, dass es gut war. Dann schied Gott zwischen dem Licht und der Finsternis. Das Licht nannte Gott Tag, die Finsternis Nacht. So ward Abend und so ward Morgen, der erste Tag.

Dann sprach Gott: Es entstehe ein Firmament in den Wassern, das bilde eine Scheidewand zwischen den Wassern, und es geschah so. So machte Gott das Firmament und schied zwischen den Wassern unter dem Firmament und dem Wasser über dem Firmament. Und Gott nannte das Firmament Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.

 

Gott erschafft die Welt, indem er seinen Willen ausspricht und die Dinge voneinander scheidet. Das Wasser trennt er vom Land, die Ozeane und Kontinente sind da, und aus der Erde wachsen Pflanzen. Ins Firmament hängt er Leuchten für den Tag und für die Nacht: Sonne, Mond und Sterne. Die Zeit ist da und kann nun in Tagen, Monaten und Jahren gemessen werden.

Und Gott sprach: Das Wasser soll wimmeln von einer Fülle lebender Wesen, und es sollen Vögel dahinfliegen über die Erde an der Himmelsausdehnung. Und Gott schuf die großen Meerestiere und alle lebenden Wesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art, dazu allerlei Vögel mit Flügeln nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt das Wasser in den Meeren, und die Vögel sollen sich mehren auf der Erde.

Als Nächstes sind die Landtiere an der Reihe, und danach ist die Zeit reif für den Höhepunkt, die Krone der Schöpfung: Wir wollen Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über alle Landtiere und über alle Kriechtiere. So schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde, nach Gottes Bilde schuf er ihn, als einen Mann und ein Weib. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, füllet die Erde und macht sie euch untertan.

Der sechste Tag der Schöpfung ist damit aber noch nicht beendet. Eine Passage, über die man leicht hinwegliest, handelt davon, dass Gott den Tieren und Menschen sagt, was sie essen sollen: Hier gebe ich euch alles Kraut. … Allen Tieren des Landes … gebe ich alles Grüne des Krautes zur Nahrung. Es herrscht der paradiesische Zustand: Menschen und Tiere fressen sich noch nicht gegenseitig auf, sondern ernähren sich von Pflanzen. Dies wird sich erst nach der Sintflut ändern. Jetzt aber, am sechsten Tag, ist die Welt noch ein Paradies, und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Zuletzt kommt jene Errungenschaft, die kein anderer Schöpfungsmythos kennt, der göttliche Ruhetag: Und Gott vollendete am siebenten Tage sein Werk und ruhte am siebenten Tag und heiligte ihn.

So also klingt der große Widerspruch eines kleinen Volkes. Schon die Form ist anders: Prosa statt Poesie. Eine schöne, gewiss auch feierliche Prosa, aber alles andere als ein Gedicht oder Gesang. Knapp und nüchtern wird gesagt, was zu sagen ist. Kein kosmisches Drama entfaltet sich, keine Göttersippen trachten einander nach dem Leben.

Drachen, Halbgötter, Dämonen oder Kopfgeburten müssen nicht mehr die Erzählung in Gang halten. Götter, Sphinxe, Zentauren, Stürme, Donner, Blitz: Das ganze mythologische Personal samt zugehörigem Fundus ist wie altes Gerümpel auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet.

Fast ist man versucht, sich auszumalen, wie ein paar junge, etwas blasiert aussehende jüdische Intellektuelle im sechsten Jahrhundert vor Christus planen, die Weltgeschichte neu zu schreiben, und dabei Hohn und Spott ausgießen über jene altehrwürdigen Geschichten, die bei den mächtigen alten Völkern ringsum immer wieder feierlich verkündet werden. Die jungen Rebellen müssen gotteslästerliche Reden geführt haben. In heutige Sprache übersetzt waren für sie die alten Mythen nichts weiter als in die Länge gezogene Actionthriller, die durch ihre unaufhörliche Aneinanderreihung von Mord und Totschlag, Katastrophen und Groß-Zaubereien auf Dauer doch etwas ermüden.

Dagegen setzten sie ihre ganz eigene Version der Schöpfung, und das las sich dann wie das Manifest einer revolutionären Künstlertruppe, die sich vorgenommen hat, ein neues Zeitalter einzuläuten. Geschrieben haben auch sie noch in der Sprache der Mythen. Erzählt aber wird ein Gegenmythos.

Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sterne, Wasser und Meer, die Naturgewalten und die Schicksalsmächte – in den alten Mythen stets heilig und unantastbar, weil identisch mit den jeweiligen Göttern, die eifersüchtig wie Ressortleiter ihr jeweiliges Revier hüten – sind entgöttlicht und entweiht. Die Erde ist die Erde und nicht zugleich auch noch die Göttin Gaia, vor der man sich fürchten muss. Die Sonne ist die Sonne und nicht zugleich auch noch der Sonnengott Re, den man anbeten muss. Die Sterne sind keine Götter, denen man opfern muss, sondern Lampen, die einem gefälligst zu leuchten haben. Himmel und Erde sind für die Menschen da, nicht umgekehrt.

Eine Revolution hat stattgefunden.

Aus ist’s mit der Vielgötterei, vorbei die Vermenschelung der Götter, verschwunden die Angst vor göttlicher Willkür. Droben im Himmel ist es übersichtlich geworden. Drunten auf der Erde fällt es jetzt leichter, sich zu orientieren. Die Köpfe werden frei, seit man nicht mehr genötigt ist, die jeweils neuesten Nachrichten über das Beziehungschaos der Götter zu verfolgen und ihnen zu Diensten zu sein.

Ein neues Zeitalter kann beginnen. Es wird heller sein, verständlicher, humaner, und man wird weniger Angst haben müssen. Der neue Herr im Himmel ist kein Despot mehr, sondern einer, der sich um sein Volk kümmert.

Und die neuen Herren auf der Erde sind nicht mehr die Naturgötter, die pausenlos durch menschliche Opfergaben milde gestimmt werden müssen. Die neuen Herren sind jetzt die Menschen. Sie sollen Gott dienen, indem sie über die Erde herrschen. Ihnen sagt Gott: Es gibt keine Götter über, neben und unter mir. Kümmert euch nicht um die hölzernen Götzen der anderen. Der Holzwurm, den ich geschaffen, wird mit den Schabezähnchen, die ich ihm verliehen habe, all diese Götzen früher oder später zu Sägemehl zerreiben. Die Welt ist Welt. Von ihr habt ihr nichts zu befürchten, aber alles zu bekommen.

Die Nutzung der Natur für menschliche Zwecke ist freigegeben, der Grundstein für die planmäßige Erforschung der Welt gelegt. Ihre Beherrschung kann beginnen und ist kein Frevel, sondern göttliches Gebot. Und der Mensch hat eine von Gott verliehene und darum unantastbare Würde. Jeder Mensch hat sie, nicht nur Könige und Kaiser.

Welt und Natur sind weltlich, sagt der biblische Schöpfungstext. Göttlich ist allein Gott. Er, dem niemand dreinreden kann, erschafft die Welt nach seinem Plan. Er muss nicht zeugen und gebären oder, wie der altägyptische Gott Re-Atum-Chepri, masturbieren oder spucken, um aus sich selbst weitere Götter zu generieren. Der neue Gott ist ein wirklicher Souverän, der durchs Wort regiert. Was er will, spricht er aus. Was er spricht, geschieht. Niemand kann es ihm verwehren. Und außerdem ist er den Menschen herzlich zugetan.

 

Eine gewisse Arroganz derer, die das schrieben, ist nicht zu übersehen. Als kleiner unbedeutender Newcomer unter großen alten Völkern einfach deren heilige Texte zu verschmähen und kurzerhand die ganze Weltgeschichte umzuschreiben, dazu braucht es ein großes Selbstbewusstsein. Das hatten sie. Aber der Ärger war programmiert. Für ihre Blasphemien wurden die Juden von den anderen Völkern gehasst.

Mehrheitsfähig war die jüdische Sicht der Dinge natürlich nicht. Ein typisches Minderheitenprogramm. Die Massen bevorzugten daher weiter die guten alten Regenbogen-Mythen mit ihrer bunten Mischung aus Sex and Crime und Götterklatsch.

Das hatte Vorteile für alle Seiten. Die Göttergeschichten waren so kompliziert, dass es einer eigenen Kaste, der Priester, bedurfte, um sie zu verwalten und den Überblick zu behalten. So hatten die Priester ihr Auskommen. Die Willkür und Unberechenbarkeit der Götter gefiel den Herrschern. So hatten sie eine Legitimation, wenn sie selber mal zur Willkür griffen. Und das Volk war zufrieden, solange man ihm Brot und Spiele gab und dazwischen immer mal wieder einen Ausschnitt aus den Gruselgeschichten.

Diese unterhaltsamen Clips stellten keine besonderen Ansprüche an die Hörer. Man konnte sie bequem konsumieren und die Schauer genießen, die einem bei der Vorstellung göttlichen Gemetzels und marodierender Sphinxe und Zentauren über den Rücken liefen.

Dagegen der dürre Text der Bibel. Nur noch ein einziger Gott im Himmel, das war wenig unterhaltsam. Der konnte ja nicht mal sündigen. Für großes Kino ungeeignet. Minimalistisch. Und gerade deshalb in der Lage, die Welt zu verändern.

Von den Mythengläubigen, den Sumerern, Ägyptern, Babyloniern, Assyrern, Hethitern, Phöniziern, Griechen und Römern, zeugen heute nur noch Gräber und Ruinen. Die Minimalisten vom Sinai sind immer noch da. Und ihre jüngeren Schwestern und Brüder, die Christen, auch.