Sündenfall – die Schlange war’s!

Nun könnten Adam und Eva es sich einrichten im Garten Eden. Sie könnten einander nahe sein. Sie könnten Gott nahe sein, der jeden Tag in der Abendkühle im Garten spazieren geht. Oder den Tieren.

Da nähert sich ausgerechnet das listigste aller Tiere, die Schlange. Sie wurde später von der Kirche mit dem Teufel gleichgesetzt, dem großen Versucher, aber davon steht hier noch nichts. Es ist nur von der Schlange die Rede, ihrer infamen Lust an der Zwietracht und ihrer List, die sich in der Frage zeigt, mit der sie Eva in ein kurzes, folgenschweres Gespräch verwickelt: Hat Gott wirklich gesagt, dass ihr von diesen Bäumen nicht essen dürft?

Die Schlange weiß, dass Gott keineswegs den Genuss der Früchte aller Bäume verboten hat, und mit dieser als Frage getarnten Verdrehung der Tatsachen ermöglicht sie Eva die Richtigstellung. Und lenkt sie zum Thema.

Eva antwortet also: Nein, nein, von den Früchten aller Bäume im Garten dürfen wir essen, nur von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esst nicht davon, rührt’s auch nicht an, dass ihr nicht sterbt.

Eva verteidigt Gott gegen die Unterstellung, aber in ihrem Eifer übertreibt sie ein wenig die Strenge des göttlichen Verbots. Dass der Baum nicht einmal berührt werden darf, hat Gott nie gesagt. Die Schlange wittert ihre Chance und spritzt ihr Gift in das Vertrauensverhältnis zwischen Gott und Eva: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, sondern Gott weiß, dass, wenn ihr davon esst, eure Augen aufgetan werden, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.

«Wissen, was gut und böse ist» hat in der Sprache des Alten Testaments eine umfassendere Bedeutung als in unserer Sprache. Die Erkenntnis von Gut und Böse meint hier Allwissenheit und zugleich Allmacht. Die Schlange hat also in Eva den Wunsch erweckt, allwissend und allmächtig zu werden wie Gott. Noch könnte Eva die Wirkung des Schlangengifts neutralisieren, indem sie einfach nein sagt.

Eva aber sagt nichts, schaut auf den Baum, sieht, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß. In Sekundenschnelle hat das Gift seine Wirkung entfaltet, und die christlichen Maler werden später diesen weltgeschichtlich bedeutsamen Augenblick immer wieder malen, immer wieder anders, aber stets mit einem Apfel, obwohl nirgendwo gesagt wurde, dass es sich bei der verbotenen Frucht um einen Apfel handelte.

Wie selbstverständlich, ohne innere Erschütterungen oder Zweifel, ist das Furchtbare einfach geschehen. Und wie selbstverständlich wird Adam in den Vertrauensbruch einbezogen. Kein Wort der Widerrede von ihm, nicht einmal eine Warnung.

So wie Eva nach der verbotenen Frucht griff, hineinbiss, sie an Adam weiterreichte, der sie annahm (in der Hoffnung, dass die Folgen so schlimm schon nicht sein würden), so übertreten die Menschen seither Gottes Gebot und machen damit die menschliche Geschichte zu einer Folge von Katastrophen.

Deshalb setzt der Erzähler den Baum der Erkenntnis mitten in den Garten Eden. Er lebt in einem Land, das auf eine mehrtausendjährige Kulturgeschichte zurückblickt. Sumerer, Babylonier, Ägypter, Perser, Philister, Hethiter haben dort ihre Spuren hinterlassen und Geschichte geschrieben. Er fragt sich, woher es kommt, dass die Geschichte des Menschen eine unaufhörliche Folge von Katastrophen ist.

Hass, Neid und Rivalität beherrschen die Menschen. Mord und Totschlag begleiten sie. Völker fallen übereinander her, Heere verwüsten bei ihren Raubzügen die Häuser und das Land, brandschatzen, vergewaltigen die Frauen, foltern und quälen Männer, Frauen und Kinder, immer wieder, von Anfang an, und immer weiter.

Heute, dreitausend Jahre nach der Niederschrift der Sündenfall-Erzählung, erscheint uns die Geschichte der Menschheit nicht viel anders, sondern nur als Verlängerung des Vergangenen. Wenn wir fragen, warum, sind unsere Antworten vielleicht komplizierter, aber kaum klüger als die des biblischen Erzählers, der sagt: Der Mensch ist nicht abgrundtief böse, er geht mit Gottes Gebot nur leichtfertig um, aber aus ebendieser Leichtfertigkeit entwickelt sich das Böse.

Die nächste Geschichte nach dem Sündenfall, dieser ersten Grenzverletzung aus Leichtfertigkeit, wird von Kain und Abel erzählen und vom ersten Mord in der Menschheitsgeschichte.

Menschen brauchen Grenzen, das klingt banal, aber nie war diese Grenzsetzung aktueller als heute, da wir im Begriff sind, technische Mittel zu entwickeln, die es uns ermöglichen, Menschen zu klonen und künstlich herzustellen. Gottes Gebot, uns die Erde untertan zu machen, haben wir erfüllt, so weit, dass wir jetzt in der Lage sind, jene Grenze zu überschreiten, jenseits deren wir sein können wie Gott. Die Versuchung, es auszuprobieren, ist gewaltig.

Unser Wissen und Können ist seit Adam und Eva exponentiell gewachsen. An unserem leichtfertigen Umgang damit hat sich seit Adam und Eva nichts geändert. Mit der gleichen Leichtfertigkeit, mit der Eva nach der verbotenen Frucht griff, werden künftig Menschen einfach deshalb genetisch manipuliert, weil es eine Nachfrage dafür gibt. Was sich rechnet, wird gemacht. Was der Mensch kann, tut er. Die nächsten Katastrophen sind programmiert.

Von der Schlange ist im weiteren Verlauf der biblischen Erzählung nicht mehr die Rede. Sie kann sich jetzt laben an dem Elend, in das sich Adam und Eva selbst manövriert haben: Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren, und bedeckten sich mit Feigenblättern.

Die Schlange sprach also die Wahrheit: Die Menschen mussten nicht sterben. Stattdessen wurden ihrer beiden Augen aufgetan.

Und die Schlange sprach die Unwahrheit: Adam und Eva sind nicht gottgleich geworden, sondern finden sich als gewöhnliche Menschen wieder, nackt und bloß. Lügen mit Hilfe von Halbwahrheiten ist stets die wirkungsvollste Form der Lüge.

Konnte man erwarten, dass Adam und Eva Reue zeigen, beichten, um Vergebung bitten? Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen sind stets das Wahrscheinlichere. Wir erleben es im Fortgang der Geschichte.

Gott macht seinen Abendspaziergang im Garten. Adam und Eva verstecken sich.

Adam, wo bist du?, ruft Gott. Und Adam antwortet: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich, denn ich bin nackt.

Nun weiß Gott Bescheid, und er stellt Adam zur Rede. Dessen Antwort ist typisch menschlich: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. Gleich eine doppelte Schuldzuweisung: Eva ist verantwortlich, aber auch Gott, dem Adam das Weib zu verdanken hat.

Gott fragt Eva: Warum hast du das getan? Und Eva antwortet: Die Schlange betrog mich also, dass ich aß.

Eva war es auch nicht, die Schlange war’s.

Die Menschen haben noch nicht begriffen, was sie angerichtet haben, darum machen sie alles noch schlimmer. Sie zerrütten ihr ohnehin gebrochenes Verhältnis zu Gott nur noch weiter und damit auch ihr Verhältnis untereinander. Adam verrät Eva. Eva wälzt ihre Verantwortung auf die Schlange ab. Mit Feigenblättern versuchen sie, ihre Schuld zu verdecken, und merken doch zugleich, dass alle Feigenblätter dieser Welt nicht reichen würden, um das Offensichtliche zu verbergen. Und auch nicht, um die Tat ungeschehen zu machen.

Unter den Feigenblättern pflanzt sich die Ursünde fort und fort, Hass nährt den Hass, Gewalt zeugt Gewalt, jedes Kind wird in eine Geschichte hineingeboren, die geschwängert ist von der Schuld seiner Eltern und Großeltern und der ganzen menschlichen Gesellschaft – das ist gemeint mit dem Begriff der Erbsünde.

Auch die Rivalität zwischen den Geschlechtern nimmt ihren Anfang. Adam und Eva haben versagt, aber, so wird schon bald gefragt werden, hat Eva nicht ein bisschen mehr versagt in dieser «Apfelaffäre»?

Nach einer jüdischen Legende aus dem Mittelalter war es die klare Absicht der Schlange, Eva anzusprechen, denn die Schlange sucht sich ihr Opfer mit Bedacht aus: «Wenn ich mit dem Mann spreche, so wird er nicht auf mich hören, denn schwer ist es, eines Mannes Sinn zu beugen. Ich spreche daher zuerst lieber mit der Frau, die leichteren Sinnes ist. Ich weiß, dass sie auf mich hören wird, denn die Frau schenkt jedem Gehör!» Nicht viel anders dachte man über die Jahrhunderte in christlichen Kreisen.

Der Schweizer Literaturkritiker Peter von Matt erkannte in den Adam-und-Eva-Bildern der Kunstgeschichte ein regelrechtes «Apfelballett»: Der Apfel ist immer da, aber immer wieder anders. Mal reicht die Frau ihn dem Mann, und der Apfel ist schon angebissen, mal reicht sie den Apfel unversehrt oder nimmt ihn aus dem Maul der Schlange oder beide halten je eine Frucht in der Hand. Mal warnt Adam mit gestrecktem Finger vor der verbotenen Frucht, mal kratzt er sich verlegen im Haar.

Der eine ist der Mann als Wächter der Werte, der andere ist der Mann als der Übertölpelte, eine komische Figur. Dort, wo er sich kratzt, werden ihm später in den Komödien die Hörner wachsen. Jede Epoche deutete den Text auf ihre eigene Weise. Und prägte damit die Frauen- und Männerbilder des christlich-jüdischen Abendlandes.

Adam und Eva hätten es schön haben können im Garten Eden. Sie haben es sich selbst vermasselt. Gott spricht jetzt die Strafe aus für alle drei.

Zur Schlange sagt er: Verflucht seist du vor allem Vieh und vor allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde essen dein Leben lang. Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deiner Nachkommenschaft und ihrer Nachkommenschaft. Er [der Mensch] wird dir nach dem Kopfe treten und du wirst ihm nach der Ferse schnappen.

Tierschützer könnten hier fragen, was die arme Schlange dafür kann, dass Adam und Eva nicht gehorchen wollten? Im übrigen hat die «Feindschaft» zwischen den Menschen und der Schlange fast zu deren Ausrottung geführt. Dieser Einwand wäre hier aber genauso müßig wie die Frage, seit wann Schlangen sprechen können.

Der Erzähler der Sündenfall-Geschichte nimmt die Schlange als Geschöpf Gottes und gleichzeitig als Symbol für die Einflüsterungen des Bösen. Und dann braucht er sie noch als Verursacherin der Zwietracht zwischen Gott und Mensch.

Wie der Erzähler die Eigenart der Schlange erklären will, so will er auch ausloten, was Menschsein bedeutet. Darum sagt Gott zu Eva: Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.

Jetzt erst wird die Herrschaft des Mannes über die Frau ausgesprochen, und zwar nicht als gute göttliche Ordnung, zu der sie später verklärt wurde, sondern als Strafe. Wenn der Mensch danach trachtet, durch Rückkehr ins Paradies von Gottes Strafe erlöst zu werden, gehört dazu auch die Sehnsucht nach Überwindung des Herrschaftsverhältnisses zwischen Mann und Frau.

Adams Strafe lautet: Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen. Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.

Der Tod ist also der Sünde Sold. Die Arbeit, im Paradies eine eher schöpferische Tätigkeit, verwandelt sich in Mühe und Plackerei und ist oft vergeblich. Das Mutterglück wird getrübt durch Kummer und Schmerz. Alles Leid kommt aus der Sünde.

Am Ende folgt der Hinauswurf aus dem Paradies. Der Weg zurück ist für immer verbaut. Gott lässt den Eingang von den Cherubim mit Schwertern bewachen.

Doch mit einem Lichtblick, durch einen Spalt der Hoffnung, entlässt uns die Geschichte: Und Gott machte Adam und seiner Frau Kleider aus Fell und bekleidete sie. Er stellt die Menschen in ihrer Nacktheit nicht voreinander bloß, sondern er selbst verhüllt sie, sagt der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Gottes Handeln geht mit dem Menschen mit.

Zwischen zwei Polen bewegt sich der Mensch: Mal droht er abzuheben, mal erscheint ihm alles sinnlos und vergeblich. Deshalb habe er zwei Taschen mitbekommen, wie ein jüdischer Rabbi einst bemerkte, um nach Bedarf in die eine oder andere greifen zu können. In der rechten liegt das Wort: «Um meinetwillen ist die Welt erschaffen worden.» Und in der linken: «Ich bin Erde und Asche.»