Auferstehung und andere Hypthesen 

1500 Jahre Judentum und 300 Jahre Christentum sind erzählt, und die «Hypothese Auferstehung» musste noch nicht bemüht werden. Ist sie noch nötig?

Als Jesus am Kreuz hing, spotteten einige, er solle doch einfach herabsteigen, wenn er der Messias sei. Die obersten Priester und Schriftgelehrten sagten: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Und die Pharisäer und Sadduzäer verlangten, dass er ihnen ein Zeichen aus dem Himmel zeigen möge.

Man stelle sich vor, Jesus wäre tatsächlich nach ein- oder mehrtägigem Martyrium unversehrt vom Kreuz gestiegen und hätte seine Umwelt durch allerlei Messias-Zaubereien beeindruckt – wäre das nicht eine allzu billige Pointe der Passionsgeschichte gewesen? Andererseits: Ist die wirkliche Pointe, Auferstehung von den Toten am dritten Tag, so viel besser?

Wir nähern uns mit diesen Fragen einem der größten Probleme der Kirche und der Krise des christlichen Glaubens: Wie kann man nach der Aufklärung noch an Gott glauben und an das, was in der Bibel steht?

Die Evangelisten erzählen, in Details oft einander widersprechend: Jesus wurde von einer Jungfrau geboren, hat Wasser in Wein verwandelt, Kranke geheilt, Dämonen ausgetrieben, konnte auf dem Wasser gehen, Stürme zum Erliegen bringen, mit fünf Broten und zwei Fischen fünftausend Männer plus deren Frauen und Kinder sättigen und Tote ins Leben zurückholen. Zuletzt ist er selber von den Toten auferstanden, hat seine Jünger besucht, mit ihnen gesprochen, ist nach vierzig Tagen gen Himmel gefahren und hat am fünfzigsten Tag den Heiligen Geist über seine Jünger ausgeschüttet.

Mehrfach erzählen die Evangelisten, dass Jesus die oft an ihn herangetragene Forderung ablehnt, durch Wunder zu beweisen, dass er wirklich der Sohn Gottes sei. Noch häufiger aber berichten die Evangelisten von Wundern, die Jesus dann doch vollbringt, nicht selten mit dem ausdrücklichen Ziel, seine Vollmacht als Menschensohn, Sohn Gottes oder Messias zu erweisen und Glauben zu erwecken.

So sagt er betend zu Gott, bevor er den seit vier Tagen toten Lazarus auferweckt, um der umstehenden Menge willen vollbringe er nun das Wunder, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Und prompt erzielt Jesus mit der Auferweckung des Lazarus die erwünschte Wirkung: Viele nun von den Juden, die … gekommen waren und sahen, was Jesus getan hatte, glaubten an ihn.

Rund anderthalb Jahrtausende wurden diese Geschichten wörtlich geglaubt. Im Zentrum dieses Glaubens stand die leibliche Auferstehung von den Toten, einem göttlichen Endgericht und die Verteilung der Menschen auf Himmel und Hölle.

Das war eine klare Ansage. Das Leben hatte einen Sinn, die Geschichte ein Ziel, der Kosmos erschien geordnet, das Ganze vernünftig. Das Leben im irdischen Jammertal galt nur als Durchgangsstadium und Bewährungsprobe für das eigentliche Leben im Jenseits in himmlischer Ewigkeit oder ewiger Verdammnis. Unrecht und Leid, Krieg, Elend und Not ließen sich gut ertragen mit der Aussicht auf Belohnung und ausgleichende Gerechtigkeit im Himmel.

Nur die Kleriker legten Wert darauf, dass es ihnen schon auf Erden gut ergehe. Sie predigten ihren Schäflein Wasser, tranken heimlich Wein, wurden dabei ertappt von Martin Luther, und das Ergebnis war die Kirchenspaltung. Plötzlich gab es zwei Wahrheiten.

Wenn es zwei verschiedene Wahrheiten gab, folgerten die Leute, könne es auch drei, vier oder viele Wahrheiten geben. Oder keine. Es begann sich außerdem herumzusprechen, dass die Erde keine Scheibe sei und nicht der Mittelpunkt des Weltalls, um den sich alles drehe. In diesem Punkt irrte sich die Kirche also auch. Wer weiß, was sich noch alles als Irrtum herausstellen würde?

Albrecht Dürer hörte auf, Heiligenbilder zu malen, und fing an, sich selbst zu malen und gewöhnliche Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Sollte dieser Platz nicht Gott reserviert bleiben? Bis vor kurzem lautete die Antwort darauf eindeutig ja. Jetzt gingen die Meinungen darüber auseinander. Das kritische Bewusstsein war erwacht, der Weg zur Aufklärung gebahnt, wenn auch zunächst nur für die Gebildeten.

Nach der Aufklärung, der Französischen Revolution und der Säkularisation erfasste das kritische Bewusstsein auch die weniger Gebildeten. Bauern, die sahen, dass Kunstdünger dem Acker besser bekommt als Weihwasser, machten sich ihre eigenen Gedanken über das, was ihnen der Pfarrer erzählte. Kranke vertrauten lieber der Medizin, der Chemie und dem Chirurgen als dem Gebet und einer Kerze in der Kirche.

Die Angst vor wirtschaftlicher Not durch Alter und Krankheit lehrte nicht mehr beten, sondern planen und vorsorgen durch den Abschluss entsprechender Versicherungen. Die Armen und Ausgebeuteten verließen sich nicht mehr auf Almosen und die christliche Nächstenliebe der Reichen, sondern besannen sich auf ihre eigene Kraft, kämpften in Gewerkschaften und Parteien für soziale Gerechtigkeit, und seitdem geht es ihnen viel besser. So kamen immer mehr Menschen zu der Überzeugung, dass sie der «Hypothese Gott» nicht mehr bedürften, und der Philosoph Friedrich Nietzsche hatte das längst formuliert mit seiner These vom «Tod Gottes».

Was die christlichen Prediger mehr als tausend Jahre lang nur verheißen und ins Jenseits verlegt hatten – die klassenlose Gesellschaft, Wohlstand für alle, Freiheit und Brüderlichkeit –, das wollten dann die Kommunisten bereits im Diesseits und sofort. Sie schafften es nicht, verlegten das versprochene Paradies schon bald in eine ferne Zukunft, während der real existierende Sozialismus stets mehr der Hölle glich als einem Paradies. Aber die ausgebeuteten, verelendeten Arbeiter waren für die Kirche verloren. Und diese merkte es zunächst nicht einmal, weil sie gar zu eng mit dem Kaiser, dem Adel, dem Reichtum und der Macht verbandelt war.

So geriet die Kirche seit der Reformation, noch mehr seit der Aufklärung, zunehmend in die Defensive. Ein heftiger, sich im Verlauf von Jahrhunderten verstärkender Hagel aus Religions-, Christentums-, Kirchen- und Bibelkritik prasselte auf die Kirchendächer nieder und erzeugte darunter eine Wagenburg-Mentalität. Die Kirche meinte, die Kritik an ihr, die Aufklärung und das Emanzipationsstreben der Menschen bekämpfen zu müssen, erkannte nicht die Aussichtslosigkeit dieses Kampfes, nicht das Positive an der Aufklärung und nicht, dass sie selber sowohl durch ihre Herkunft, Lehre und Tradition wie auch durch ihr Versagen in der Geschichte die Hauptverursacherin der von ihr bekämpften Entwicklung war.

Als die Wagenburg zerschossen war, wagten sich als Erste die Theologen heraus, traten die Flucht nach vorn an und mühten sich redlich, sich nicht mehr nur vor Gott und der Kirche zu rechtfertigen, sondern auch vor der Vernunft und der Welt. Sie verloren den Respekt vor der Bibel als einem heiligen, unantastbaren und unhinterfragbaren Text und begannen, ihn wissenschaftlich zu sezieren wie jeden anderen Text.

Die Bibel ist Gottes Wort, aber vermittelt durch Menschenwort, und darum darf, ja muss es mit wissenschaftlichen Mitteln hinterfragt, kritisiert, ausgelegt und interpretiert werden. Darin sind sich fast alle christlichen Theologen einig. Wenn islamische Theologen auch schon so weit wären, wäre vieles einfacher mit den islamischen Ländern und den in Europa lebenden Muslimen.

Als die christlichen Theologen die heiligen Texte plötzlich kritisch untersuchten, entdeckten auch sie in der Bibel die vielen Widersprüche, auf die vor ihnen schon etliche Aufklärer hingewiesen hatten, und mussten zugeben, dass es wohl stimmte, was die Spatzen längst von den Dächern pfiffen: Die Bibel ist nicht das vom Himmel gefallene heilige Buch, für das viele es gehalten haben. Normale Menschen haben diese Texte geschrieben, und ihnen ist beim Schreiben nicht vom Allerhöchsten die Feder geführt worden, sondern von dem, was in ihren Köpfen steckte, und das war, damals wie heute, zeitbedingt, begrenzt, irrtumsanfällig.

Es war nun also auch in der Theologie legitim zu fragen: Hat Jesus wirklich Tote auferweckt? Ist er wirklich übers Wasser gegangen?

Solche Fragen waren es, die den Theologen Rudolf Bultmann umgetrieben haben. In den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erklärte er, als Mensch des 20. Jahrhunderts könne man nicht elektrisches Licht, Radioapparat und die moderne Medizin beanspruchen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben, geschweige denn an Horoskope, Magie oder Hokuspokus.

Bultmann fand, dem modernen Menschen sei es nicht länger zuzumuten, die christlichen Mythen wörtlich zu nehmen. Daher versuchte er, das Neue Testament von allen Mythen zu befreien, um so zum überzeitlich gültigen Kern der christlichen Botschaft vorzustoßen und diese zugleich für den modernen Menschen zu retten.

Sein Rettungsversuch bestand im Abwurf des für ihn überflüssigen mythischen Ballasts der Bibel. Ballast war für ihn die Einteilung der Welt in die drei Stockwerke Himmel, Hölle und Erde. Dieses aus antiken Mythen, spätjüdischer Apokalyptik und gnostischen  Erlösungsphantasien komponierte Weltbild sei durch das moderne Weltbild erledigt.

Damit sei auch die Himmelfahrt Christi erledigt, die Vorstellung von einer unter kosmischen Katastrophen hereinbrechenden Endzeit, die Erwartung des auf den Wolken des Himmels kommenden Menschensohnes, die Wunder als bloße Wunder, der Geister- und Dämonenglaube. Wer meint, an all diesen Mythen dennoch festhalten zu müssen, solle sich klar machen, dass er damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.

Natürlich blieb von diesem Programm auch der Auferstehungsglaube nicht verschont. Die evangelischen Theologen Martin Dibelius und Werner Georg Kümmel schrieben 1966, dass die Jünger kurz vor dem Tod Jesu zwar angsterfüllt geflüchtet seien, aber kurz danach furchtlos den Auferstandenen verkündigt hätten. Es müsse sich also etwas ereignet haben, was aus ängstlichen Flüchtlingen mutige Christusverkünder gemacht und befähigt hat, dies nicht nur vorübergehend zu sein, sondern dauerhaft zu bleiben. Dieses «Etwas» sei der historische Kern des Osterglaubens.

Was aber könnte das gewesen sein? Für den Papst und den Volksglauben ist es der Auferstandene selbst, in dessen Wunden der ungläubige Thomas seine Finger legen durfte. Für Dibelius und Kümmel waren es nur noch «Visionen». «Offenbar haben zuerst Petrus, dann die anderen Jünger, dann auch weitere Anhänger Jesu, … in Visionen den von ihnen geschiedenen Meister lebend und in himmlischer Glorie geschaut.» Dibelius und Kümmel wagten noch nicht, diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken und zu sagen, was dann der Theologe Gerd Lüdemann 1994 knallhart formulierte: Jesus sei in seinem Grab verwest wie jede andere Leiche.

Dafür wurde Lüdemann von seiner Zunft kritisiert, aber alle mussten zugeben, dass er mit seinen Aussagen eigentlich kaum über das hinausgeht, was andere Theologen auch schon gesagt haben, wenn auch schwerer verständlich, verklausuliert mit Hilfe der üblichen, nur für Insider bestimmten theologischen Termini.

Und was ist mit der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag? Darüber sei nur zu sagen, die im Glauben erfahrene Einheit mit Gott habe «Bestand über den Tod hinaus», und weiteres Fragen nach Ereignissen im Jenseits habe keinen Sinn, sagt Lüdemann. Natürlich stellt sich damit auch für ihn die Frage, die man sich angesichts solcher Aussagen stellen muss: «Können wir noch Christen sein?»

Ja, meint Lüdemann. Die Christen verlören nichts, wenn sie an die Auferstehung nicht mehr so glauben können wie bisher. Christen könnten Christen bleiben, auch wenn sie «nicht an die Wiederbelebung eines Leichnams glauben». Und dann meint der Theologe noch, dass es dem Christen helfe, «wenn er fortan vom Wenigen lebt, was er wirklich glaubt, nicht vom Vielen, was zu glauben er sich abmühen musste».

 

Das ist sehr ehrlich. Und ziemlich trostlos. Was soll denn ein Pfarrer den Eltern eines durch einen Unfall oder ein Verbrechen getöteten Kindes an dessen Grab sagen? Dass «die im Glauben erfahrene Einheit mit Gott Bestand über den Tod hinaus» habe?

Natürlich ist es riskant, öffentlich zu erklären, man glaube an die Wiederbelebung von Leichen. Die sich aufgeklärt dünkenden Vertreter der offiziellen Wahrheit würden jeden, der so etwas zu sagen riskierte, sofort als Anhänger eines mittelalterlichen, vorwissenschaftlichen Weltbilds in der Luft zerreißen. Diesen Mut, sich lächerlich zu machen und möglicherweise zerrissen zu werden, sollten sich Bischöfe, Pfarrer und christliche Laien trotzdem abverlangen.

Immerhin drei Argumente könnten Gläubige in die Waagschale werfen, um die Frage nach der Auferstehung zumindest offen zu halten: Erstens bedeutet die Wiederbelebung von Leichen nicht dasselbe wie Auferstehung. Was Gott macht, wenn er die Auferstehung ins Werk setzt, muss man ihm überlassen. Niemand kann ihm vorschreiben, dafür Leichen wiederbeleben zu müssen. Man darf ruhig vermuten, dass er über ein paar Berufsgeheimnisse und ein Know-how verfügt, die es ihm ermöglichen, etwas zu bewirken, was den Namen Auferstehung verdient und gut für die Menschen ist. Dass er sich dabei möglicherweise eines Verfahrens bedient, das unser menschliches Vorstellungsvermögen überschreitet, wird ihm auch niemand verwehren können.

Zweitens darf das noch immer hochgehaltene Dogma des wissenschaftlichen Weltbildes ruhig ein bisschen tiefer gehängt werden. Dessen Lack ist ab. Durch Wissenschaft zur Wahrheit, lautete der Glaube der Aufklärung. Aber statt über Wahrheit verfügen wir heute über einen täglich wachsenden Haufen einander widersprechender Theorien und Hypothesen, die eigentlich nur eines beweisen: Bultmann hatte Unrecht. Der Mensch des 21. Jahrhunderts benutzt Computer, um sein Horoskop zu errechnen.

Drittens: Die Frage nach Gott, Auferstehung und den letzten Dingen ist offen und bleibt offen. Die Kirche kann Gott nicht beweisen, die Wissenschaft kann ihn nicht widerlegen. Wer als Wissenschaftler meint, es trotzdem tun zu können, verlässt die Grenzen seiner Zuständigkeit, argumentiert nicht mehr als Wissenschaftler, sondern als Agnostiker oder Atheist, und das ist kein wissenschaftlicher Beweis, sondern auch wieder nur ein Glaube. Die Hoffnung, Gott werde am Ende aller Tage ein paar Überraschungen für uns parat haben, widerspricht daher nicht der Vernunft. Diese Hoffnung bleibt. Wer sie hegt, braucht sie sich von niemandem zerreden zu lassen.

Zu Recht wendet der jetzige Papst Benedikt XVI. gegen die Bult- und Lüdemänner ein, sie verabsolutierten die wissenschaftliche Rationalität. Und der Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger wettert seit Jahren intelligent, sarkastisch, spöttisch und oft mit schneidender Schärfe gegen die freiwillige Unterwerfung christlicher Theologen unter das Diktat der begrenzten wissenschaftlichen Vernunft. Deren relative, jeweils den aktuellen Stand der Forschung repräsentierenden Wahrheiten könnten niemals zum absoluten Maßstab für Wahrheit gemacht werden.

Allerdings: So Recht der Papst und der Heidelberger Professor mit ihrer Kritik haben, mehr als das Offenhalten der Frage nach Gott und Auferstehung gelingt auch ihnen nicht. Berger weicht immer wieder auf die Mystik aus, wenn er konkret gefragt wird: Hat Jesus nun Wasser in Wein verwandelt oder nicht? Berger versteht es meisterhaft, den Fragesteller so lange zurechtzuweisen, dass er beschämt die Plattheit seiner Frage erkennt und sie zurückzieht.

Der Papst wiederum hält sich mit der Suche nach Auswegen gar nicht erst auf, sondern fordert einfach Glauben, gewiss nicht den Primitivglauben der Fundamentalisten, sondern den echten, wahren, auf der Höhe der Zeit befindlichen Glauben. Der Glauben, von dem man spürt, dass der oberste Hirte ihn hat, aber leider nicht so verständlich erklären kann, dass all die Schäflein, die nicht so lange Theologie studiert haben wie er, ihm folgen können. Weil der Papst das weiß, drückt er das Komplizierte manchmal ganz bewusst in der Sprache der Naiven aus, aber das ist dann denen, die Mathematik, Physik, Juristerei oder Betriebswirtschaft studiert haben, auch wieder zu einfach.

Aus diesem Grund, und weil auch ich keine Lösung für dieses Problem kenne, habe ich mich beim Schreiben dieses Buches an die Lüdemann-Empfehlung gehalten und versucht, mit dem wenigen auszukommen, das noch da ist. Und stelle erstaunt fest, dass man den scheinbar kümmerlichen Rest nicht unterschätzen soll, dass man tatsächlich agnostisch und leicht verzweifelt an Gott glauben kann und dieser Restglaube einen gerade so über Wasser hält. Es ist nicht sehr komfortabel, aber rettet doch irgendwie das Leben.

Papst Benedikt XVI. hat, als er noch der junge Professor Ratzinger war und vielleicht selber noch den Zweifel kannte, in seinem Buch «Einführung in das Christentum» die Eröffnungsszene des «Seidenen Schuhs» von Paul Claudel zitiert. Darin treibt ein schiffbrüchiger Jesuitenmissionar, an einen Balken des gesunkenen Schiffs gebunden, allein auf dem Meer. Dort betet der Pater: «Herr ich danke dir, dass du mich so gefesselt hast. Zuweilen geschah mir, dass ich deine Gebote mühsam fand … Doch heute kann ich enger nicht mehr an dich angebunden sein, als ich es bin, und mag ich auch meine Glieder eines um das andere durchgehen, keines kann sich auch nur ein wenig von dir entfernen. Und so bin ich wirklich ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber, an dem ich hänge, ist an nichts mehr geheftet. Es treibt auf dem Meere.»

Ratzinger sah darin die Situation des Glaubenden von heute. Ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber an nichts mehr geheftet, treibend über dem Abgrund. Nur ein über dem Nichts schwankender loser Balken scheint den Glaubenden noch zu halten. Es ist der grundlose Glaube Hiobs, von dem hier die Rede ist, die verblüffende Entdeckung, dass, wenn das Schiff gesunken ist, etwas in einem unbeeindruckt und ohne Angabe vernünftiger Gründe einfach weiterglaubt – vielleicht die angemessene Form des Glaubens in der heutigen Zeit.