Schöpfung: Die Welt wird aufgeklärt

Der Kosmos – ein Götterdrama

Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. So lauten die ersten Worte des ersten Kapitels der Bibel. Aber zwischen dem Ereignis und dem Bericht darüber liegen unvorstellbare fünfzehn Milliarden Jahre.

Die meiste Zeit davon verschlang der Bau des Himmels, der Planeten und Galaxien. Eine Milliarde Jahre lang musste die Sonne auf die Erde scheinen, bevor erste primitive Lebensformen entstehen konnten. Nochmal fünfhundert Millionen Jahre waren nötig, um Vielzeller hervorzubringen, aus denen alles weitere Leben entsprang. Dieses Leben musste Eiszeiten, Vulkanausbrüche und Kometeneinschläge überstehen, um jenes Wesen hervorzubringen, das eines Tages schrieb Und Gott sprach: Wir wollen Menschen machen nach unserem Bild.

Wie sich die Menschen verständigten, die vor anderthalb Millionen Jahren Werkzeuge gebrauchten und Feuerstellen hinterließen, das wissen wir nicht. Über eine Lautsprache verfügten sie erstmals vor 300 000 Jahren, vermuten Anthropologen. Andere Forscher meinen, der Mensch habe erst vor etwa vierzigtausend Jahren zu sprechen begonnen.

Hatte er schon Religion? Knochenfunde, die von Bestattungsriten zeugen, sind ungefähr fünfzig- bis siebzigtausend Jahre alt; die ersten Höhlenzeichnungen, die auf religiöse Vorstellungen schließen lassen, dreißigtausend. Irgendwann dazwischen werden also die Jäger und Sammler begonnen haben, einander Geschichten zu erzählen, vermutlich über ihre Abenteuer bei der Jagd, ihre Vorväter, über Tiergötter und die Anfänge der Welt.

Jahrtausendelang haben unsere Ahnen diese Geschichten ausgeschmückt, verändert, vergessen, neu erfunden, mit anderen Geschichten kombiniert. Wir wissen nichts davon, denn nichts wurde aufgeschrieben, weil es noch sehr lange dauerte, bis die Schrift erfunden wurde, von den Sumerern. Das war vor fünfeinhalbtausend Jahren.

Jetzt hätte man die Erzählungen aufschreiben können. Falls dies geschah, ist das Geschriebene für immer verloren gegangen oder noch nicht gefunden. Was wir haben, sind zwei in Ton gemeißelte Geschichten über die Herkunft der Götter, die Entstehung der Welt und der Menschen: das Gilgamesch-Epos, das bereits eine Sintflut-Geschichte enthält, die der biblischen Erzählung ähnelt, und das babylonische Schöpfungsgedicht «Enuma elisch».

Diese von den Babyloniern nach den Anfangsworten «Enuma elisch» («Als droben») bezeichnete Dichtung wurde in ihrer ursprünglichen Fassung vermutlich vor 3900 Jahren geschrieben und dürfte die Vorlage für zahlreiche Schöpfungsmythen anderer Völker zwischen Griechenland, Mesopotamien und Ägypten geliefert haben.

Als droben der Himmel noch nicht existierte

und unten die Erde noch nicht entstanden war –

gab es Apsu, den Ersten, ihren Erzeuger,

und Schöpferin Tiamat, die sie alle gebar.

So beginnt ein langes, feierliches Gedicht, das viele Seiten verschlänge, wollte man es hier vollständig wiedergeben. In Babylon wurde es zu Beginn jedes neuen Jahres gesungen. Nach diesem Mythos entstand die Welt aus der Vermischung von Süß- und Salzwasser. Ein Götterpaar, Apsu und Tiamat, taucht plötzlich aus dem Nichts auf, vermählt sich, und der Süßwassergott Apsu zeugt nun in einem fort mit der Meeresgöttin Tiamat weitere Götter. Dann kommt es zum Streit, und aus einem nichtigen Anlass entspinnt sich ein kosmisches Drama.

Der alte Apsu fühlt sich von den jungen Göttern gestört: «Am Tage habe ich nicht Ruhe, nachts schlafe ich nicht. Ich will sie verderben, ihre Wege will ich zerstreuen, Stille soll hergestellt werden, wir wollen schlafen.» Aber die jungen Götter kommen ihm zuvor. Ea, «der Gewaltige an Weisheit, der alles versteht», verzaubert den Apsu und erschlägt ihn im Schlaf.

Dafür übt Tiamat, die alte Witwe, nun grausame Rache. Angestachelt von einem Gott namens Kingu, erscheint sie als Urweltdrache, um die jungen Götter zu töten. Sie gebiert Riesenschlangen, füllt ihren Leib mit Gift, richtet ihre tödliche Wut gegen die Mörder ihres Gatten. Meerdrachen begleiten sie, Hunde und Löwen bilden ihr Gefolge. Mit Sphinxen, Zentauren, Dämonen und gewaltigen Stürmen verbreitet sie Panik und Entsetzen unter den jungen Göttern.

Da aber erscheint plötzlich Marduk, der eigentliche Held. Ihm übertragen die Jungen die Herrschaft, und er zieht unter Blitz und Donner in den Kampf, tötet Tiamat, spaltet ihren Schädel, durchschneidet ihre Adern, schlägt am Ende den Leichnam entzwei und macht aus der einen Hälfte den Himmel und aus der anderen die Erde. Seine göttlichen Mitstreiter belohnt er mit Himmelspalästen, weist jedem eine Aufgabe zu und macht sich schließlich daran, Wesen zu erschaffen, die den Göttern das Leben erleichtern. Dazu braucht Marduk ein zweites Opfer. «Wer hat Tiamat zur Revolte aufgereizt?», fragt er. Und die anderen sagen: Kingu war’s! «Seine Adern durchschnitten sie, aus seinem Blute schuf er die Menschheit.»

 

Dieses Urmodell eines Schöpfungsmythos wird in ähnlicher Gestalt noch lange das Weltbild der antiken Menschen bestimmen, auch das griechische. Rund ein Jahrtausend nach der ersten Niederschrift des «Enuma elisch» schreibt der Dichter Hesiod die griechische Variante.

Die Götter heißen anders, ihre Zahl ist größer, ihr Treiben bunter, aber was immer über sie erzählt wird, es folgt dem vertrauten Muster. Aus einem Urgrund, dem Chaos, entsteht die Ursprungsgöttin Gaia, die Erde, aus deren Schoß Götter wie Tartaros, Eros, Erebos, Nyx, Uranos, Kronos hervorgehen und noch weitere, bis genug Stoff für ein großes Drama beisammen ist. Jetzt kann das große Hassen und Lieben, Morden und Rächen unter den Göttern losgehen. Kronos schlägt dem Uranos mit einer Sichel das Glied vom Leib. Aus den Blutstropfen, die in die Erde rinnen, gebiert Gaia die wilden Erinnyen, die Rachegöttinnen, und die Giganten. Um das ins Meer geworfene Glied des Uranos bildet sich Schaum, und diesem entsteigt die wunderschöne Aphrodite.

Am Ende bezwingt Zeus, der jüngste Sohn des Kronos, die Titanen und schleudert sie in den Tartaros. Damit ist Zeus der Herr der Götter, er herrscht über den Himmel und teilt seinen Brüdern die anderen Räume zu: Poseidon das Meer, Hades das Totenreich.

Solche Geschichten waren in der gesamten antiken Welt im Umlauf, als das junge Volk der Juden vor 2500 Jahren seine eigene Version dagegensetzte, den großen Widerspruch eines kleinen Volkes gegen den Glauben der ganzen Welt. Es war ein Donnerschlag der Weltgeschichte.