Abb. 5. Zwei Frauen bedienen Kunden beim Kauf von Obst und Gemüse.

Zensusformulare aus Ägypten bestätigen diese Annahme; nicht eine Frau unter allen Befragten nennt eine Beschäftigung. Das bedeutet nun keineswegs, dass Frauen nicht arbeiteten; nur wurde diese Arbeit nicht als selbständige Tätigkeit empfunden, wert, amtlich registriert zu werden. Lehrverträge aus Ägypten waren ebenfalls meist für Knaben abgeschlossen; zwar erscheinen darin auch unfreie Knaben und Mädchen, freigeborene Frauen aber sind nicht zu identifizieren. Darum muss man annehmen, dass Töchter von der Familie wohl nicht als künftige Arbeiterinnen angesehen wurden. Vielmehr waren wohlhabendere Familien dem Ideal der Tochter als der künftigen Ehefrau verpflichtet, die nur Heim und Herd betreute, während ärmere davon ausgingen, dass die Mädchen nach der Heirat den Ehemann bei seiner Arbeit unterstützen würden, ohne jedoch eine gezielte Ausbildung durchlaufen zu haben. Treggiari weist darauf hin, dass die Frauen, die in den Inschriften erwähnt werden, üblicherweise zusammen mit einem Mann, meist vermutlich dem Ehemann, genannt sind, und sie deutet das als Hinweis auf gemeinsame Arbeit. Eine Inschrift aus Nordafrika ist ein beredtes Beispiel dafür, wie wichtig die eheliche Gehilfin für das Geschäft des Mannes sein konnte:

 

Urbanilla, meine Gattin, liegt hier, eine Frau von vollkommener Bescheidenheit. In Rom war sie meine Gefährtin und Teilhaberin in Geschäften, gestützt durch ihre Sparsamkeit. Alles ging gut, und sie kehrte mit mir in mein Heimatland zurück. Ah! Karthago entriss mir meine unglückliche Gefährtin. Es gibt keine Hoffnung, ohne eine solche Frau zu leben. Sie führte meinen Haushalt und gab mir guten Rat. Aus dem Licht genommen, liegt sie mitleiderregend und still in Marmor eingeschlossen. Ich, Lucius, dein Gatte, bedeckte dich hier mit Marmor. Der Wille des Schicksals gab mir diese Frau am Tag, an dem wir geboren wurden. (CIL VIII 152, Sommet el Amra, Tunesien)

 

Abb. 6. Zusammenarbeit im Laden eines Metzgers: Die Ehefrau führt die Bücher, der Gatte hackt das Fleisch. Grabrelief, 2. Jh. n. Chr.

Eine vergleichbare Partnerschaft verkörpert auch das Händlerehepaar Aquila und Priscilla, Zeltmacher in Rom und dann in Korinth, aus der Apostelgeschichte (18,1 – 3). Quellen aus Ägypten belegen, dass Frauen nicht nur Gehilfinnen waren, sondern auch selbst Unternehmen besaßen. In Briefen und Dokumenten auf Papyrus liest man von Frauen aus der breiten Bevölkerung (aber auch aus der Elite), die Ackerland besitzen und damit handeln (Rowlandson, Nr. 180), von Frauen in Lohnarbeit (Rowlandson, Nr. 130), als Geschäftsinhaberinnen und im Kreditverkehr (Rowlandson, Nr. 182 – 184, 190), in Vermietung und Einkauf von Kamelen (Rowlandson, Nr. 186 – 187, 192), in vielen Geschäftsbereichen also, die allgemein Männern zugeordnet waren. Das Dossier der Tasoucharion aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., eine kleine Sammlung von fünf Briefen an den Bruder Neilos, zeigt eine Frau, die sich eingehend mit den Details verschiedener Geschäfte befasst. Hinweise auf ihre soziale Stellung fehlen, aber die geschäftlichen Einzelheiten lassen an eine gewöhnliche Frau denken. Auch Artemidors Traumbuch nennt geschäftlich tätige Frauen, zum Beispiel eine Frau, »die etwas zu veräußern hat« und »einen Vertrag« darüber abschließt (2,65); eine andere Frau, die einen Kaufvertrag unterschreibt, wird so beiläufig erwähnt, als sei der Vorgang alltäglich (4,30).

Gegenüber der immer noch verbreiteten Auffassung, Ägypten sei ein Sonderfall, ist auf pompejanische Graffiti zu verweisen, die die ägyptischen Zeugnisse bestätigen und zeigen, dass ägyptisches Material durchaus repräsentativ für die Verhältnisse insgesamt ist. So ist etwa eine gewisse Faustilla als Geldverleiherin tätig, die Schmuck als Pfand für ein Darlehen entgegennimmt:

 

Am 15. Juli Ohrgehänge an Faustilla. Für einen Denar nahm sie ein As Zinsen, insgesamt 30. (CIL IV 8203/Krenkel, S. 61)

 

Dieselbe oder eine andere Faustilla nahm eine Anleihe auf, anscheinend in einer Bar, denn das Folgende wurde an die Wand gekritzelt:

 

November. Von Faustilla 8 Asse als Zins für 15 Denare. (CIL IV 4528)

 

Andere Arten von Erwerbstätigkeit sind von Frauen eher zu erwarten. Der Beruf der Hebamme oder Wehmutter ist schon durch seine Bezeichnung als weibliche Domäne definiert. Auch wenn Ärzte und Ärztinnen zur Verfügung stehen, gilt in der Normalbevölkerung die Hebamme als die Expertin, die zu einer Geburt gerufen wird. Aus Ägypten liegen zahlreiche Verträge für Ammen vor. Meistens werden Ammen für Findelkinder angestellt, selten für die Kinder von Freien, Letztere sind allerdings besser bezahlt (Rowlandson, Nr. 231). Auch Haushaltshilfen sind meist Frauen, wenn nicht Sklaven zur Verfügung stehen. Die Gewohnheit, für ein Darlehen die Dienste einer Frau, oft einer Tochter, anzubieten, ist für Ägypten vielfach bezeugt; unklar ist allerdings, wie weit sie im Römischen Reich insgesamt verbreitet war.

Auf der Bühne der Öffentlichkeit waren Frauen, wie wir gesehen haben, in »männlichen« Unternehmungen aktiv, traditionell aber standen ihnen nur gewisse weniger angesehene Betätigungsmöglichkeiten offen. Auf der Bühne im eigentlichen Sinn war eine Anzahl Frauen an Aufführungen und anderen Veranstaltungen beteiligt. Dies geht zum Beispiel aus einem ägyptischen Vertrag für eine Tänzerin und einige Kastagnettenspieler hervor:

 

Abb. 7. Unterhaltungskünstlerinnen: Tänzerinnen auf einem Stofffragment aus dem spätantiken Ägypten.

Sosos, Sohn des Sosos, Nachfahre von Syrakusanern, hat sich an Olympias … aus Attika [?Athenerin], Tänzerin, verdingt, mit Zopyros, Sohn des Marikkos [?], Nachfahre von Galatern, als ihrem Vormund verhandelnd, als Flötenspieler mit ihr zu arbeiten, für 12 Monate vom Monat Hyperberetaios des 16. Jahres an für einen Lohn von 45 Bronze-Drachmen im Monat. Und Sosos hat im Voraus von Olympias 50 Bronze-Drachmen erhalten. Er wird es nicht versäumen, zu jedem Fest oder anderen Verpflichtungen, bei denen Olympias anwesend ist, zu erscheinen, und wird sich ohne Bewilligung der Olympias keinem anderen zur Verfügung stellen. Der Bewahrer des Vertrages ist Olympichos, Sohn des Herodotos, Kleopatreus … (Rowlandson, Nr. 215)

 

Wer als Tänzerin oder auch als Gastwirtin oder Bardame arbeitete, stand oft schon mit halbem Fuß im häufigsten Gewerbe der Frauen außerhalb des Hauses, der Prostitution. Dazu Weiteres in einem späteren Kapitel.

Einige Frauen verlegten sich auf die Wahrsagerei, auf andere Formen der Hilfe wie die Kräuterheilkunde (die »weisen Frauen«) und auf die Magie. Plinius der Ältere, Angehöriger der Elite, schreibt den einfachen Leuten (vulgus) einen festen Glauben an die Kraft der Frauen, ihrer Kräuter und Tränke zu. Er glaubte, die Kenntnis von Glücksbringern und magischen Kräutern sei allein den Frauen vorbehalten (Naturkunde 25,5,10). Zur Magie nahm man häufig Zuflucht, wenn Probleme zu lösen waren, und Liebende suchten »alte Weiber« auf, um mit ihnen über ihre Probleme zu sprechen (vgl. z. B. Philostrat, Ta es ton Tyanea ApollonionDas Leben des Apollonios von Tyana 7,39). Doch Hexenkunst ging weit über die Beratung Liebeskranker hinaus, wie wiederum Philostrat dokumentiert, wenn er dem Wundertäter Apollonios von Tyana im Gespräch mit einem Kritiker folgende Worte in den Mund legt:

 

Alte Weiber, welche mit umgebundenem Siebe zu den Schäfern, bisweilen auch zu den Rinderhirten gehen, um das kranke Vieh durch Wahrsagen, wie sie behaupten, zu heilen, machen auch auf die Weisheit Anspruch und wollen sogar weiser sein als die wahren Seher. (Das Leben des Apollonios von Tyana 6,11, vgl. auch 3,43)

 

Lucius, der Protagonist im Goldenen Esel, gerät mit einer solchen Zauberkundigen in Konflikt, die allerdings zur lokalen Elite und nicht zur gewöhnlichen Bevölkerung gehörte. Interessanterweise wird die Hexe oft auch als Kupplerin dargestellt – eine Verbindung zweier voneinander unabhängiger weiblicher Berufe, die sich aus der Annahme ergab, dass die Prostituierten Zaubertränke benutzten, um Kunden zu gewinnen und zu halten.

In den Vereinen waren weise Frauen und Prostituierte vermutlich nicht vertreten; für andere Frauen dagegen, die außer Haus tätig waren, lassen sich solche Verbindungen belegen. Diese Umgebung verschaffte ihnen die Gelegenheit, mit anderen Frauen und auch mit Männern in Kontakt zu kommen. Zu Handwerkerzünften wurden sie wahrscheinlich nur selten zugelassen, aber sie gehörten zweifellos Begräbnisvereinen an, und manchmal waren sie dort auch Amtsträgerinnen. Sogar eine nur aus Frauen bestehende Gruppe ist bezeugt, die »Versammlung der Frauen«, auf die man im italischen Lanuvium stieß (CIL XIV 2120). Doch handelt es sich dabei wahrscheinlich um einen Begräbnis- oder Kultverein von Hausgemeinschaften mit beschränkter Mitgliedschaft. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Belege für die Mitgliedschaft von Frauen (zusammen mit Männern, d. h. in gemischten Gruppen) in religiösen Vereinen. Reguläre Mitglieder waren gleichberechtigt; über ihnen standen gewählte Beamte und an der Spitze die Gründer oder Patrone. So konnten sich Reiche und Arme, Herren und Sklaven, Männer und Frauen, Freie und Freigelassene zusammenfinden. Ein Beispiel sind die Mitglieder des religiösen Vereins zur Verehrung des Zeus in Philadelphia, zu denen Männer und Frauen, Freie und Sklaven gehörten. Bevor die frühchristlichen Gemeinden von Männern dominiert wurden, konnten Frauen die Funktion von Lehrerinnen und weitere Führungspositionen übernehmen. So wirkte eine Frau, Isebel, als einflussreiche Prophetin und Lehrerin, angeblich der Sittenlosigkeit, in der Kirche von Thyatira (Offenbarung des Johannes 2,19 – 23). Die weiblichen Führungsfiguren übernahmen wahrscheinlich einfach weiterhin die Rollen, die Frauen in früheren, nichtchristlichen Vereinen ihrer Gemeinschaften selbstverständlich innehatten.

Außerhalb der Städte finden sich Frauen, die aktiv Landwirtschaft betreiben. Im Ägypten der Römerzeit war ungefähr in Drittel der Landbesitzer Frauen, denen zwischen 16 und 25 Prozent des Bodens gehörte. Die Tatsache, dass fast alle Frauen einen Vormund brauchten, um Geschäfte zu betreiben und Rechtsverträge abzuschließen, hielt sie offenkundig nicht von aktiver wirtschaftlicher Tätigkeit ab. Im folgenden Beispiel kauft eine Frau Land für ihre Tochter:

 

An Aelius Aprodisios, Strategos, von Ptolemais, Tochter des Agenor, Sohn des Philiskos aus der Stadt Oxyrhynchos, Mutter der Claudia Areia durch den Schreiber Hermes. Ich möchte für meine Tochter Claudia Areia und wie immer sie sich benennt, aus den Ländereien, die nahe dem Epoikion [Siedlung] von Artapatou in der mittleren Toparchie [Bezirk], aus der Parzelle des Simias, zum Verkauf stehen, 16 Arouras [3 Hektar] katoikisches [privates] Land kaufen … Und das Eigentumsrecht soll bei Claudia und ihren Nachkommen bleiben und bei denen, die für sie handeln. (Rowlandson, Nr. 171)

 

Diese Frauen waren nicht nur Besitzerinnen des Landes; sie überwachten auch die landwirtschaftliche Arbeit und Organisation:

 

Thais sendet Grüße an ihre einzige Tigrios. Ich habe an Apolonarios geschrieben, er soll kommen und in Petne die Vermessung vornehmen. Apolinarios wird dir sagen, wie die Depositen und Steuern stehen; in wessen Namen sie sind, wird er dir selbst sagen. Wenn du kommst, nimm sechs Artabas [ca. 400 Liter] Gemüsesamen und versiegle ihn in Säcke, so dass sie bereit sind, und wenn du kannst, geh hinauf und suche den Esel. Sarapodora und Sabinos grüßen dich. Verkaufe die jungen Schweine nicht ohne mich. (Rowlandson, Nr. 173)

 

Als Landbesitzerinnen sammeln sie sogar selbst die Pachtgelder ein (Rowlandson, Nr. 172). Andere stellten Männer als Agenten ein, von denen sie manchmal hintergangen wurden, »aus Verachtung für den mangelnden Geschäftssinn« der Frauen (Rowlandson, Nr. 177). Ärmere Frauen verdienten sich mit Arbeit auf den Feldern ihren Lohn. Eine gewisse Thenetkueis erklärt:

 

… dass sie von ihm [Gemellus, Besitzer der Ölpresse] sofort in bar aus dem Hause die sechzehn Silberdrachmen als nicht rückzahlbare Anzahlung erhalten hat. Es ist somit verpflichtend, dass Thenetkueis zur Ölpresse, die Lucius Bellenus Gemellus in Euhemeria gehört, von dem Tag an, wenn er es ihr aufträgt, die Ölfrüchte trägt … und dass sie von Lucius Bellenus den täglichen Lohn erhält entsprechend dem, was die Trägerinnen im Dorf erhalten … (P. Fay. 91.13 – 25 [= Rowlandson, Nr. 169] /Arzt-Grabner, S. 405 f.)

 

In weiteren Dokumenten sind Frauen erwähnt, die zum Worfeln angestellt werden. So wie andere Frauen als Weberinnen in Betrieben tätig waren, wurden Frauen vom Land also direkt als Lohnarbeiterinnen für die Feldarbeit angeworben.

Frauen bestimmen ihr Leben

Die rechtliche Stellung der Frau lief auf eine unleugbare Benachteiligung vor dem Gesetz hinaus. Die Frau war nicht rechtsfähig und konnte nur in Ausnahmefällen in eigenem Namen handeln, da sie immer der Gewalt und der Rechtsaufsicht eines Mannes unterstand. Doch das Rechtssystem war flexibel. Ein gefälliger Verwandter konnte ihre Interessen vertreten; sie konnte einen Vormund anweisen, ihr Testament aufzusetzen; sie konnte selbst vor Gericht auftreten, wenn sie persönlich oder ihr Eigentum betroffen war; sie konnte sogar, wenn sie beschlagen genug war und ihre Rechte kannte, als Mutter von drei oder vier Kindern (die Zahl der Kinder war abhängig vom Stand) zum vollen Rechtssubjekt werden. Frauen nutzten diese Mechanismen des Systems, um als Eigentümerinnen, beim Abschluss von Verträgen, beim Aufsetzen von Testamenten und bei anderen Aktivitäten von ihren Rechten uneingeschränkt Gebrauch zu machen. Auf erwachsene Frauen aller Klassen, mit Ausnahme der obersten Schicht, entfällt sogar ein volles Fünftel der richterlichen Entscheidungen, die vom frühen 2. bis zum ausgehenden 3. Jahrhundert n. Chr. schriftlich belegt sind. Auch in Notsituationen gingen Frauen vor Gericht und warben dann manchmal mit der Masche »ach, ich Ärmste bin doch nur eine schwache Frau« um Sympathie in der männlichen Rechtswelt, die das auch tatsächlich glaubte. Das beste Quellenmaterial stammt aus Ägypten, ist aber auch übertragbar auf die Erfahrungen von Frauen in anderen Teilen des Kaiserreichs. Allerdings ist es wenig wahrscheinlich, dass die Frauen eine Lösung für ihre Probleme vorwiegend im Rechtssystem suchten, denn das Rechtssystem war korrupt, schwerfällig und von Männern aus der Elite beherrscht – alles Gründe, es nach Möglichkeit zu meiden. Aus den Dokumenten geht eine solche Einschätzung natürlich nicht hervor – Anlass zur Ausstellung dieser Urkunden waren ja gerade jene Frauen, die sich auf das System einließen –, doch kann man ihnen Hinweise darauf entnehmen, wie Frauen über die Runden kamen.

In der Ehe trugen der Besitz einer Mitgift und hilfreiche männliche Verwandte dazu bei, die Vorherrschaft des Ehemanns zu entschärfen. Meist konnte der Ehemann seine Vorstellungen durchsetzen, doch wenn die Situation sich zuspitzte, blieb als möglicher Ausweg immer noch die Scheidung. Die Mitgift diente dazu, dem Ehemann sein ökonomisches Interesse an der Beziehung bewusst zu machen; auch eine sehr bescheidene Mitgift konnte für einen Handwerker oder kleinen Geschäftsmann ins Gewicht fallen. Auch Kinder boten einen gewissen Schutz. Dank der kulturellen Bedeutung von Ehe und Familie und dem Wunsch nach Erben verfügte die Frau in der Beziehung über ein begrenztes Druckmittel, da ihre aktive und passive Beteiligung gefordert war. Auch die dem Ideal entsprechende Partnerschaft zwischen Mann und Frau konnte gelegentlich Wirklichkeit werden; und unter weniger idealen Umständen wussten die Männer den praktischen Wert der Frau als Mutter, Haushaltaufsicht und Gehilfin in wirtschaftlichen Belangen zu schätzen, was ihr Geltung verschaffte. In anderen Fällen ging der Beitrag einer Frau zum Bestand der Familie über die Leistungen der hilfreichen Ehefrau hinaus. Landbesitz, eine bedeutende Erbschaft, Beziehungen, die über ihre Familie liefen – all das waren Schecks in Griffnähe, die eingelöst werden konnten, wenn ein Ehemann allzu unabhängig agierte und seine Frau ihr Wohl und das ihrer Familie bedroht sah. Aber auch das starke Band der Zuneigung und Kameradschaft, das viele Beziehungen prägte, sollte nicht unbeachtet bleiben. Arrangierte Ehen – in der Welt der gewöhnlichen Menschen die Norm – waren in der Regel alles andere als gefühlskalt. Die Annahme, dass das Paar schon in die Beziehung hineinwachsen werde, wurde oft auch Realität. Die kulturellen Erwartungen, ergänzt durch den Druck vonseiten der Familie und die Verbundenheit durch die Kinder, bewirkten eine Situation, in der die Ehe gelingen konnte.

Glückte die Ehe nicht, standen der Frau unterschiedliche Möglichkeiten offen, ihrerseits Druck auszuüben. Sie konnte den Einfluss von Verwandten geltend machen, sie konnte ihren Mann ohne allzu viel Zartgefühl an ihre Leistungskraft erinnern. Sie konnte aber auch in Zauberei und Magie ihre Rettung suchen, um den Ehemann und die Situation unter Kontrolle zu bringen. Nicht wenige Männer sahen in der Magie die gefährlichste Waffe der Ehefrau, eine Folge ihrer Überzeugung, dass Frauen ganz allgemein zur Magie Zuflucht nahmen, um in zwischenmenschlichen Beziehungen ihren Willen durchzusetzen – auch dies die stillschweigende, uneingestandene Bestätigung, dass die Frauen dem Mann in seiner »männlichen« Welt machtlos gegenüberstanden.

Zauberformeln – erstanden im nächsten Laden für Magiebedarf, auf Papyrusstreifen schriftlich festgehalten oder einfach mündlich weitergegeben – waren in der Tat eine nützliche Waffe der Frauen gegen die Gefahren ihrer Welt, ob innere oder äußere Nöte. Man konnte einen Zauber für die individuelle Situation erstehen oder nach allgemeinen Hilfsmitteln greifen, etwa homerische Verse gegen bestimmte Krankheiten aufbieten. Auf einem Papyrus ist eine derartige Verwendung von Versen aus der Ilias zur Linderung von Menstruationsbeschwerden dokumentiert:

 

›Zürnen Apolls, des weit in die Ferne schießenden Herrschers‹ [Ilias 1,75]. Das, gegen das Blut gesprochen, heilt Blutfluß. Erweist sich aber ein Befreiter undankbar, nimm eine Kohlenpfanne, leg dir die Amulette an und halt sie über den Rauch, wirf eine (Idäische?) Wurzel hinein und schreib dazu diesen Vers: ›Drum gab Schmerzen der Weithintreffer und gibt sie noch weiter‹ [Ilias 1,96]. (PGM XXIIa 2 – 8)

 

In solchen Nöten konnten die Frauen auch in magischen Handlungen statt in Sprüchen Rettung suchen. Ein Beispiel dafür ist die Heilung einer Frau mit einem »Blutgang« im Matthäusevangelium (9,20 – 22): Um Heilung für ihr Leiden zu finden, wendet sich die Kranke gezielt an Jesus, einen Menschen mit Zugang zum Übernatürlichen.

In der Ehe konnte die asymmetrische Machtverteilung zwischen Mann und Frau durch den Griff der Frau zu magischen Praktiken ausgeglichen werden – ein Verhalten, das bei den Männern Angst auslöste und im folgenden Fall im Ehevertrag verboten wurde:

 

Thais, Tochter des Tarouthinos, schwört … Ich will und werde keine Liebeszauber gegen dich bereiten, weder in deinen Getränken noch in deiner Nahrung … (Rowlandson, Nr. 255)

 

In einem anderen Fall löst Magie ein Familienproblem. Zu Apollonios kam eine Frau, deren Sohn seit zwei Jahren von einem Dämon besessen war. Sie bat ihn, ihren Sohn von diesem Fluch zu heilen. Apollonios schrieb dem Dämon einen Brief, in dem er ihm mit harten Schritten drohte, wenn er nicht aus dem Knaben ausfahre, und gab den Brief der Frau. Es ist anzunehmen, dass der Dämon den Knaben nach Erhalt dieses Schreibens für immer verließ (Philostrat, Das Leben des Apollonios von Tyana 3,38). Und selbstredend griffen Frauen zum allzeit beliebten Liebeszauber – sei es, um die Aufmerksamkeit eines Mannes zu erzwingen:

 

Ich will binden dich, Nilos oder Agathos Daimon, den Demetria geboren, mit großen Leiden, und weder von Göttern noch von Menschen will ich dir reine Lösung finden, sondern du wirst mich lieben, Kapitolina, die Peperûs geboren, mit göttlicher Liebe, und du wirst auf immer unzertrennlich sein von mir, solang ich nur will. Du sollst mir zu Willen sein und keiner anderen; und auf keinen sollst du hören außer auf mich allein, Kapitolina, vergessen sollst du Eltern, Kinder, Freunde. … Ich, Kapitolina, besitze die Kraft, und du, Neilos, wirst (mir) Dank abstatten, wenn du zum Ziel kommst. … Ich will diesen Bannzauber deponieren, damit ihr mir alles erfüllt, was auf diesem Blättchen steht, um dessentwillen ich euch beschwöre, Dämonen, bei der Gewalt und der Notwendigkeit, die euch festgebunden halten. Erfüllt mir alles und eilt hinein und raubt dem Nilos, von dem der Zauberstoff ist, den Verstand, auf daß mich, Kapitolina, liebe und unzertrennlich von mir sei Nilos, den Demetria geboren, zu jeder Stunde und an jedem Tag. (PGM XV 1 – 13 [= Rowlandson, Nr. 285])

 

– oder um die Zuneigung einer anderen Frau zu gewinnen:

 

… Dämon, entzünde das Herz, die Leber, den Geist von Gorgonia, die von Nilogenia geboren wurde, mit Leidenschaft und Liebe zu Sophia, die von Isara geboren wurde. Zwinge Gorgonia, die von Nilogenia geboren wurde, für Sophia, die von Isara geboren wurde, ins Bad geworfen zu werden, und du wirst eine Badefrau, verbrenne, entflamme, entzünde ihre Seele, ihr Herz, ihre Leber, ihren Geist mit Begehren nach Sophia, die von Isara, geboren wurde, treibe Gorgonia an, die von Nilogenia geboren wurde, treibe sie an, quäle ihren Körper Tag und Nacht, zwinge sie in jedem Ort und jedem Haus zur Ausgestoßenen zu werden, Sophia zu lieben, die von Isara geboren wurde, sie, preisgegeben wie eine Sklavin, ihr sich selbst und all ihren Besitz zu übergeben … (Rowlandson, Nr. 286)

 

Auch die Religion bot den Frauen die Möglichkeit, sich in ihrer Umgebung zu behaupten. Ihr Ausschluss aus der sozialen Welt der Männer und vor allem aus den Führungsämtern im Staat und in den Kulten der Gemeinschaft wurde teilweise kompensiert durch die intensiven sozialen Kontakte während der Feiertage. Zu den Festen versammelten sich die Großfamilien, und damit erhielten die Frauen Gelegenheit, alte Verbindungen zu erneuern und sich wechselseitige Unterstützung zu sichern. Oft nahmen sie direkt und nicht nur als Zuschauerinnen an diesen Feiern teil. Der im ersten Kapitel geschilderte Massenaufzug zu Ehren der ägyptischen Göttin Isis macht die Dramatik und erregende Wirkung einer solchen Teilnahme spürbar. In seinem Roman Äthiopische Geschichten (5,15) schildert Heliodor ein Fest zu Ehren von Hermes mit öffentlich vollzogenem Opferritual und einem Bankett. Die Frauen aßen zusammen im Tempel und tanzten danach eine Dankeshymne an Demeter, während die Männer im Vorhof des Tempels speisten und nach dem Mahl sangen und Trankopfer spendeten. Solche Feste waren in der römisch-griechischen Welt so weit verbreitet, dass leicht übersehen wird, wie oft den Frauen damit die Möglichkeit gegeben war, zusammenzutreffen, zu feiern und sich auszutauschen.

Doch abgesehen von der Beteiligung am Rande dieser kultischen Feste, blieb das, was man »offiziell« unter Religion versteht, den Frauen weithin verschlossen. Anders stand es mit den Kulten, von denen sich Frauen eine Lösung ihrer Probleme erhoffen konnten. Die Vielzahl von Heiligtümern und Weihgeschenken im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt weist auf die aktive Rolle der Frauen in diesen Riten hin. Große Aufmerksamkeit schenkte man auch den heilenden Gottheiten. Schwer zu bestimmen ist die Rolle der Frauen in den nichtstaatlichen und nicht gemeinschaftsbezogenen Kulten wie dem Isiskult und dem Christentum – die, wie sich denken lässt, nicht anders als die übrigen nichthäuslichen Kulthandlungen von Männern vollzogen wurden; es scheint jedoch, als seien sie offener gegenüber der Beteiligung von Frauen gewesen, statt ihnen die Zuschauerrolle zu überlassen. Gerade durch diese Offenheit gewannen die Frauen auch mehr Unterstützung in alltäglichen Belangen. Die prominente Rolle der Isis als starke Schutz- und Muttergöttin zum Beispiel, oder die Frau, von der die Evangelien berichten, sowie der Verweis auf die Familienideale, die in der frühchristlichen Literatur einen so hohen Stellenwert einnahmen, fanden ihren Widerhall bei der Suche der Frauen nach Lösungen für die eigenen Lebensfragen. Kurz: Auch wenn die Frauen bei Kulthandlungen außerhalb des Hauses keine führende Funktion innehatten, fanden sie in der sozialen Vernetzung am Rande der Feste und in kultischen Aktivitäten eine stetige Quelle gegenseitiger Hilfe und in besonderen Ritualen und Tätigkeiten auch Lösungen für ihre Alltagsprobleme.

Wurden sie auf eigenem Boden herausgefordert, konnten die Frauen ihre Interessen auch offensiv verteidigen. Philostrat legt dem Apollonios eine Geschichte in den Mund, in der ein äthiopisches Dorf von einem Satyr heimgesucht wird – ein Geschehen in weiter Entfernung vom Mittelmeer, das aber zweifellos die Angriffslust auch dortiger Frauen widerspiegelt:

 

… vernehmen sie plötzlich ein Geschrei von Weibern, die einander zum Fangen und Verfolgen aufriefen … (Das Leben des Apollonios von Tyana 6,27)

 

Auch wenn es sich hier um Dichtung handelt – es sei denn, wir wollten an Satyrn glauben –, konnten Frauen im wirklichen Leben doch mit derselben Aggressivität auftreten, wenn ihre Interessen auf dem Spiel standen. Zu Anfang des Kapitels ist ein Zeugnis Philos von Alexandria wiedergegeben, demzufolge sich Frauen in Alexandria aktiv an gewalttätigen Aufständen beteiligten. Laut dieser anschaulichen Schilderung sammelten sich die Frauen in den Straßen, verfluchten ihre Feinde und griffen sie tätlich an. Auch in den Theatern waren die Frauen präsent und stimmten in die Rufe ihrer männlichen Verwandtschaft ein, wenn dieser Schauplatz wie so oft benutzt wurde, um Unruhestiftung und Schlimmeres anzuprangern und zu bestrafen. Und ihre Stimmen wurden gehört.

Fazit

In diesem Kapitel wurden viele Belege für die aktive Rolle vorgelegt, die gewöhnliche Frauen in ihrem eigenen Leben, im Leben ihrer Familie und außerhalb des Hauses spielten, darunter der Abschluss von Geschäftsverträgen, Landbesitz und dessen Verwaltung sowie sozioreligiöse Aktivitäten. Sie lebten innerhalb ihrer Kultur weder als weitgehend müßige Gebärerinnen noch als bloße Dekorationsobjekte. Wie zu erwarten, war ihre Tätigkeit mit jedem Zoll des kulturellen Teppichs verwoben. Für die Elite war die Frau ein dekoratives Anhängsel, keine Partnerin, und man tat alles, sie auf diese Rolle festzulegen. In der Welt der gewöhnlichen Leute hatte der »Luxus« der eingeschlossenen, behüteten Frauen keinen Platz. Jede Hand wurde gebraucht, um den Haushalt – unter günstigen Umständen – in Gang zu halten, oder um recht und schlecht über die Runden zu kommen, wenn die Verhältnisse angespannt waren. Der Freimut der Frauen, die kleinen Druckmittel, die ihnen im Umgang mit dem Ehemann zur Verfügung standen, ihr wirtschaftlicher Beitrag, ihre Rolle bei der Sozialisierung der nächsten Generation – all das blieb eingeordnet in eine männlich dominierte Kultur, aber der Spielraum für Aktivität und Einflussnahme war beträchtlich. Von »Befreiung« zu sprechen wäre übertrieben, doch wie in anderen vorindustriellen Gesellschaften leisteten die Frauen einen erheblichen Beitrag, übten großen Einfluss aus und waren starke Partner ihrer Ehemänner und anderer Männer, wenn es darum ging, Möglichkeiten zu finden, das Leben in den Griff zu bekommen.